Zwei Nachtstücke
über Tod und Teufel
Amber Asylum: Still Point
(Profound Lore)
Die Opfer in Horror- und Kriminalgeschichten, schreibt die in Wales lehrende Germanistin und Autorin Patricia Duncker in ihrer Einführung zu einem Sammelband von Erzählungen, seien in der Regel Frauen. Ihre „Seven Tales of Sex and Death“ verlangten dagegen, Klischees zu überdenken, sie zu durchbrechen. Sucht man in der Musik nach einer Gruppe, die einem ähnlichen Ansatz folgt, landet man schnell bei dem amerikanischen Kollektiv Amber Asylum, das mit seinem großartigen Frühwerk „Songs of Sex and Death“ den Soundtrack zu Dunckers Erzählungen komponiert und für das eigene Schaffen damit einen einzigartigen Klang definiert hat. Seitdem ist das ewige Paar Eros und Thanatos sehr präsent in Amber Asylums Musik. Diese vier spröde wirkenden Frauen sind keine Opfer, sondern unerbittliche Sirenen, deren Gesang zärtlich und verführerisch klingt, aber Verdammnis bringt.
Wenn Tori Amos auf „Strange Little Girls“ maskuliner Musik eine feminine Perspektive verliehen hat, was erst haben Amber Aslyum getan? Ihre Interpretation von ,Black Sabbath’, dem hymnischsten Stück der britischen Doom-Urväter Black Sabbath, versteckt sich am Ende von „TheSupernaturalParlourCollection“ und ist apokalyptisch im wahrsten Sinne des Wortes: Herunter gebrochen auf sein karges Skelett, befreit von aller Heavy-Metal-Koloratur enthüllen sie den perfiden Geist des Liedes und die gespenstische, abgründige Kraft ihrer eigenen Musik. Kreativität speist sich nicht nur aus Licht. Sie wächst auch in der Dunkelheit und braucht destruktive Energien. Dass Künstlerinnen aus diesen dunklen und geheimnisvollen Winkeln schöpfen, über diese Kraft gebieten können, sollte man, nachdem der viktorianische Angel of the House längst obsolet, das Femme-fatale-Motiv in Literatur, Musik und bildender Kunst etabliert ist, nicht mehr erwähnen müssen. Und doch wundern Kritiker sich allerorts, wenn Frauen künstlerisch um Gewalt, Tod und Teufel kreisen – und dazu womöglich eine Ästhetik wählen, die als männlich gilt, also aggressiv, exzessiv, laut und explizit daher kommt. Tori Amos hat dazu in ihrer „American Doll Posse“ Pip etwas arg stereotyp gezeichnet. Amber Asylum sind doppelbödiger und damit scheinbar fern der eben aufgezählten Attribute. In Wirklichkeit aber haben sie sie nur unter die Oberfläche, in das Innere der Töne verlegt.
Amber Asylum scheren sich nicht um einzelne Melodien. Sie denken in anderen Dimensionen, erschaffen Klangräume, die so weit sind, dass man sich allzu leicht darin verliert. Auf „Still Point“ gelingt ihnen das intensiver als auf allen vorherigen Werken. Streng genommen sind all diese zehn Stücke Kammermusik, geht in all diesen Stücken die Welt unter. Schon ,In the Still Point He Remains’ führt alles ein, was dieses Album auszeichnet: Still und gebannt lauscht man dem Glockenspiel, den einfachen, aber mit ungeheurer Hingabe am Klavier angeschlagenen Tönen, der Geige, die Kris Force, die dafür schon von allerlei anderen Bands engagiert worden ist, singen lassen kann wie keine zweite, und den Stimmen, von denen die eine gleichsam kraftvoll und zärtlich, die andere so elfenhaft und klar klingt, dass sie beinahe körperliche Schmerzen verursacht. ,Garden of Love’, das von einem sonoren Cello, zarten Akustikgitarren
und elfenhaften Stimmen getragen wird, hört man am besten als Baudelaire-Vertonung, bei dem es am Ende des Gedichtes „Romantischer Sonnenuntergang“ heißt: „Ein Grabesdunst enthaucht des Dunkels feuchtem Flore, / Indes mein banger Fuß am Rand der finstern Moore / Auf kalte Schnecken und gescheuchte Kröten stößt.“
Deathspell Omega: Fas – Ite,
Maledicti, in Ignem Aeternum
(NoEvDia)
Würden sich Deathspell Omega zu ihrer Kunst äußern, hätten sie vermutlich einiges dagegen einzuwenden, ihr Verschwinden hinter Musik, Text und Bilderwelt als gelungene Marketing-Strategie zu deuten. Keine Frage: Ihre Musik ist so erhaben wie weniges, das unter dem Begriff Black Metal firmiert. Und trotzdem wird sich der Kult, der um diese Gruppe entstanden ist, auch daraus nähren, dass man über die Musiker (fast) nichts weiß, dass in Internetforen beharrlich Spekulationen ausgetauscht werden, wessen Geistes Überzeugung sich in welchem künstlerischen Pfeiler manifestiert.
Dabei wäre es töricht, das von dem Kollektiv Deathspell Omega errichtete Gedanken- und Kunstgebäude zergliedern zu wollen. Auch wenn der eher kühle, philosophisch und theologisch räsonierende Ton der Texte für manchen nicht zu der entfesselten Musik passen will – jeder Partikel ihrer Kunst hält einen einzigen Mechanismus aufrecht, der von unterschiedlichen Richtungen aus in Bewegung gesetzt werden kann, aber zur Erhaltung alle Elemente braucht. Dieser Satz gilt nicht alleine für die Albumeinheit „Fas – Ite, Maledicti, in Ignem Aeternum“, sondern lässt sich auf die aus „Si Monumentum Requires, Circumspice“, „Kénôse“ und „Fas – Ite, Maledicti, in Ignem Aeternum“ bestehende Werkeinheit ausdehnen.
Seit „Si Monumentum Requires, Circumspice“ befassen sich Deathspell Omega mit dem Verhältnis vom Menschen zum Göttlichen, wobei das Göttliche je nach persönlicher Lesart das göttliche Gute, das göttliche Böse, das göttliche Nichts sein kann. Vermutlich muss man nicht extra erwähnen, dass sie selber sich zu Satan in Beziehung setzen, dazu offenbar auf ein weites Lektürekonvolut zurückgreifen und an die christliche Überlieferung eine sehr orthodoxe Lesart anlegen. Das aufwendig und anspruchsvoll gestaltete Begleitbuch ist reich an biblischen Motiven, die beim Fall auf dem Cover erst ihren Ausgang nehmen. Der Mensch, sagen die Bilder, leidet unter den Fesseln der göttlichen Kraft. „Every human being“, zieht der Text eine auch an William Blake anklingende Conclusio, „not going to the extreme limit is the servant or enemy of man and the accomplice of a nameless obscenity.” Abseits dieser eher traditionellen Antipoden verhandeln Deathspell Omega das Göttliche vor allem musikalisch auf einer breiteren Basis, als es ihnen selber bewusst sein mag. Da hört man Hades, der im Dunkeln, im Unterirdischen herrscht. Poseidon, der, stark und zornig, die Stürme entfesselt und das Meer aufwühlt. Ares, den groben, aber kraftvollen Gott. Und freilich Dionysos, von dem ihre Musik die Ekstase hat.
Und gerade in dieser Rauschhaftigkeit, die einem bei der ersten Annäherung als fundamental chaotisch und verstörend erscheinen kann, sind Deathspell Omega ihrem Wort gefolgt und absolut an die Extreme gegangen. Im Unterschied zu vielen anderen Black-Metal-Formationen ist ihr Grenzgang keine Verdichtung von Geschwindigkeit und Lautstärke, nichts Planbares, nichts Kalkuliertes also, sondern etwas, das passiert. Deathspell Omega müssen, stellt man sich vor, im Moment der Inspiration direkt aufgenommen haben; die schöpferische Kraft für eine so befremdende, exzessive, gleichsam faszinierende Musik bringt man nur ein einziges Mal auf. Auch Deathspell Omega denken darin anders – nicht in Melodien, nicht in Rhythmusketten. Wer meint, nach „Kénôse“ eine Vorstellung davon zu haben, wie das klingen könnte, irrt. Auf „Fas – Ite, Maledicti, in Ignem Aeternum“ bewegen sich Klangmassen gegeneinander. Prallen diese aufeinander, ist das ein schockierend sinnliches Ereignis, dem mit Worten kaum Herr zu werden ist, wirft man einen Blick in den Abgrund, erhält eine Ahnung von etwas, das sich, in dem Moment der stillen Fassungslosigkeit, der einen befällt, unmittelbar nachdem Deathspell Omega geendet haben, in Tat als göttlich beschreiben lässt.