September 2007, zweite Hälfte:
Jasmin Tabatabai: I Ran
(Chet Records)
Singende Schauspielerinnen gibt es derzeit viele: Julia Hummer, Jana Pallaske, Juliet Lewis, just to name a few – und seit einigen Jahren Jasmin Tabatabai (bemerkt Ihr die Häufung des «J» als Anfangsbuchstaben des Vornamen?), die im Film «Bandits» 1997 zum ersten Mal ihr musikalisches Talent unter Beweis stellte. Jasmin Tabatabai hat aber nicht nur ein schönes Gesicht und ein paar nette Filme gedreht, sondern kann ausserdem viele Geschichten aus einem an Konflikten nicht gerade armen Leben erzählen. Ihre iranische Herkunft und die Probleme in ihrem Heimatland liessen sie zu einer brennenden Kämpferin für Freiheit und Gleichberechtigung werden – sie weiss um ihre privilegierte Stellung als populäre Schauspielerin und nutzt diese, um den Stummen eine Stimme zu geben. Ihr Album «I Ran», das im Titel unübersehbar ein Wortspiel mit ihrem Ursprungsland beinhaltet, klingt weit weniger kämpferisch, als sich die Person Tabatabai häufig präsentiert: 13 sanfte, gitarrenbetonte Popballaden, die sich um Liebe und Freundschaft drehen und zuweilen ganz zurückhaltend mit ein paar orientalischen Elementen spielen. Im Titelsong verwendet Jasmin persische Textteile, bei «Toi» ist ihre Freundin Nicolette Krebitz zu hören, »You In My Dream» schrieb Tabatabai für den deutschen Film «Olgas Sommer.» Insgesamt eine hübsche Popplatte, die man bedenkenlos einer guten Freundin schenken kann, mit der man keine Revolution mehr anzetteln muss.
» jasmin-tabatabai.com
The Clientele: God Save The Clientele
(Track and Field Organisation)
Schon vom ersten Song an, «Here Comes the Phantom», fühlt man sich wohlig an Kindertage erinnert, die in meinem Fall von den Monkees, den Byrds oder Burt Bacharach beschallt wurden. The Clientele aus Hampshire/UK lieben den zart-psychedelischen Pop der sechziger und siebziger Jahre und weben von modischen Strömungen unbeirrt an ihrem wattig-weichen Wall-of-Sound-Flokati. 14 Midtempo-Songs, die «Bookshop Casanova» , «Winter on Victoria Street» oder «The Queen of Seville» heissen, sorgen für das Quentchen Eskapismus, das man dieser Tage so dringend braucht. Die vierköpfige Band (drei Männer, eine Frau) verwendet Celli, Geigen, spanische Gitarren und zarteste Vocals, damit wir uns alle wohl fühlen – und unsere Eltern sind auch herzlich eingeladen.
» www.theclientele.co.uk
Stars: In Our Bedroom,
After the War (CitySlang)
Stars aus Montreal, die Band um Torquil Campbell und Amy Millan, die im letzten Jahr auch als Solosängerin reüssierte, haben mit «In Our Bedroom, After the War» ihr Britpopalbum veröffentlicht – und zwar Britpop im Geiste von The Beautiful South und (etwas weiter entfernt) The Divine Comedy. Dazu kommen vielerlei Einflüsse und Vorlieben der Band, die vorschnelle Klassifizierungen Lügen strafen. 13 Songs lang schwelgen die Kanadier in pompösen Arrangements, zuckersüßen Melodien und melancholischen Texten. Kostprobe: «Life was supposed to be a thriller, but life could be nothing but a joke» singen Campbell und Millan kongenial in «My Favourite Book», die herbstlich gefärbte Stimmung des Songs tut ihr übriges dazu, dass man mit einer Träne im Knopfloch mitsingt. Aber bevor man in Trübsinn versinkt und seine verschwendete Jugend beklagt, kommt schon der nächste Song um die Ecke geshufflet, «Midnight Coward» heisst er, mit seinem Klirren und Klingeln, dem forschen Drumbeat und Amys hingehauchten Vocals sorgt er dafür, dass man den kommenden Wintermonaten doch voller Zuversicht entgegenblickt. Stars zeigen mit «In Our Bedroom …», dass sie sich einerseits aus der kanadischen Künstlerclique freischwimmen und dennoch weiterhin aus den prall gefüllten Kreativvorräten ihrer Homebase schöpfen. Sie können unvergessliche Melodien schreiben, schieben in eine midtempo-Ballade quasi unbemerkt einen satinlakenglänzenden Discoschwof à la Barry White (in «The Ghost of Genova Heights»), bringen bei «Barricade» die Pixies und Prefab Sprout zusammen und zitieren beim Instrumental «Window Bird» kühlste Achtziger-Wave-Elektronik im Sinne von Ultravox' «Vienna», um dann mit «Bitches in Tokyo» umgehend in funky Tanzbarkeit überzugehen. Stars, die bald aus dem Schatten von Broken Social Scene oder Arcade Fire treten werden, zeigen, das Eklektizismus eine Kunst ist, die Könnern wie ihnen vorbehalten bleiben sollte.
» www.cityslang.com
» arts-crafts.ca/stars/
Beasts of Bourbon: Little Animals
(Albert Productions/PIAS)
«I don't care about nothing anymore», mit dieser trotzig wiederholten Zeile beginnt «Little Animals», das neue Album von Tex Perkins' Beasts of Bourbon, eine Band, die man nicht mehr wirklich auf dem Schirm hatte. Neun Jahre sind seit «Gone» vergangen, der letzten Platte der Australier, deren Titel man damals für programmatisch halten konnte. Die Band galt als hoffnungslos zerstritten, zu viele alkoholgetränkte Egos kämpften um Regentschaft innerhalb des engen Bourbon-Zirkels. Aber, Zeichen und Wunder, Beasts of Bourbon sind zurück und brettern dem erstaunt blinzelnden Fan zehn Hard-Blues-Brocken um die Ohren, die den Poser vom echten Fan trennen. Schwer und schmutzig und blacker than black bratzen die Songs und lassen Bands wie die White Stripes wie Kinderkapellen dastehen. Perkins' Stimme krächzt und brüllt heiser, die Gitarren jaulen und das Schlagzeug stampft den tiefsten Swampblues. AC/DC schreiten als ehrwürdige Heilige durch dieses Album, neben Muddy Waters, Screamin' Jay Hawkins, dem Gun Club und Birthday Party. «Little Animals» ist kein Spaß, sondern Katharsis und Heilung. Man zieht den schwarzen Hut vor so viel unverhohlener Verachtung modischer Trends.
» myspace.com/beastsofbourbon
Broken Social Scene presents
Kevin Drew: Spirit if … (CitySlang)
Die kanadische Kreativzelle Broken Social Scene hat ihr Gründungsmitglied Kevin Drew nach vorne geschubst, um geschickt zu verbergen, dass es wieder ein neues BSS-Album gibt. In bester WG-Manier durfte wieder jede/r Musike/r zu beliebigen Instrumenten greifen, um den gar nicht beliebigen, typischen, überschwänglichen BSS-Sound zu erzeugen. Mit Paukenschlägen, Rasseln und Stöhnen eröffnet der Song «Farewell to the Pressure Kids» dieses verspielte, schlaue Popalbum, das wie alle BSS-Produkte keine schwachen Momente hat. Auf dem hin- und herschwankenden «Broke Me Up» singen sich die Musiker gegenseitig in Trance, Low-Fi-Folk wechselt sich ab mit perlendem Piano und Beach Boys-geschulten Harmonien, über allem schwebt der Geist der Anarchie und des unsterblichen Pop. Für uns, für alle.
» www.cityslang.com
The Go! Team: Proof of Youth
(Memphis Industries / Cooperative Music)
Alle paar Monate braucht man eine Platte, die zeigt, dass alles geht, wenn man nur beherzt genug ist. Das muss nicht immer perfekt sein und darf ruhig nerven – die Nachbarn und auch einen selbst. Bondo do Role haben eine solche Platte gemacht, Cansei de Ser Sexy auch (obwohl deren Album kein bisschen nervt, sondern nur kickt) und auch The Go! Team, die schon vor drei Jahren mit ihrer ersten Platte «Thunder, Lightning, Strike» für Aufruhr und Furore sorgten und für den Mercury Prize vorgeschlagen wurden. «Proof of Youth» ist durchkalkulierter, als man vermuten könnte, Ian Parton, eigentlich Dokumentarfilmer und seit einigen Jahren Mastermind des Projekts Go! Team, liess jede Tonspur einzeln im Studio einspielen, die Bandmitglieder nahmen nie gemeinsam auf, sondern jeder für sich. Das Ergebnis klingt hingegen überhaupt nicht konstruiert, sondern wild, verrückt und komplett durcheinander. Rapperin und Sängerin Ninja shoutet jede Menge «come ons», zwischen all den Soundelementen ertönt mal hier ein Fetzen Rocky-Filmmusik, dort ein bisschen Bollywood-Sitar-Geklingel, dazu werden Streicher, Flöten und eine massive Beatbox gepackt. Der zweite Track, «Doing it Right» klingt nach einer ausgelassenen Blockparty, die von Phil Spector ausgerichtet wird. «Fake ID» ist schon wieder ganz woanders, hier werden Teenage Kicks/Postpunk-Träume geträumt, Trash-Hop schliesst Indiepop nicht aus. Ein Kinderzimmer voller Thirtysomethings, die LSD-Abziehbildchen auf alle Körperteile pappen.
» www.thegoteam.co.uk