Buchmesse-Nachlese Teil I:
Musik zum Lesen
Hier eine erste kurze Nachlese von der gerade zu Ende gegangenen Frankfurter Buchmesse: das Musikbuch erfreut sich weiterhin größter Beliebtheit, ob Biografie, Bildband, Textbuch, Bandgeschichte oder Roman, Musik ist eins der bestimmenden Themen auf dem Buchmarkt. Erstaunlich dabei ist vor allem, daß keine Konzentration auf traditionell auf Musik ausgerichtete Verlage stattfindet, sondern viele verschiedene Verlagshäuser Bücher über Musik oder von Musikern in ihr Programm aufnehmen.
Rob Sheffield: Love is a Mix Tape.
Eine Geschichte von Liebe, Leid und lauter Musik
Ich muß zugeben, daß mich der Plot dieses Buchs beim ersten Durchblättern zunächst nicht überzeugte: die Geschichte eines Paares anhand der von beiden zusammengestellten Cassetten zu erzählen, schien mir nur mäßig originell und zu stark konstruiert. Doch die Lektüre des ansprechend gestalteten Taschenbuchs (mit abgerundeten Ecken – wie eine Cassette) entpuppte sich zu einem anrührenden Leseerlebnis. Der Rolling-Stone-Redakteur Rob Sheffield erzählt in 15 Kapiteln die (kurze) Liebesgeschichte von sich und seiner verstorbenen Frau Renée – die Idee dazu kam ihm, als er eine Umzugskiste mit den Mixtapes fand, die er und Renée füreinander aufgenommen hatten. Jedes Kapitel wird von einer Mixtape-Titelliste eingeleitet, die Geschichte beginnt 1993, auf der Cassette mit dem Titel „rumblefish“ befinden sich Songs von Belly, L7, den Smiths, R.E.M. und vielen anderen, die nicht nur amerikanischen Popfans eine Menge bedeuteten. Diese erste Auswahl gibt die stilistische Richtung, die Vorlieben des Paares vor. Rob und Renée sind begeisterte Indie-Popfans und können über die Frage, welches Album das beste von Pavement ist, nächtelang diskutieren. Rob Sheffield ist überzeugt, dass ein Mixtape einen Song befreien kann – so ist eine komplette Frank Sinatra-Platte nur schwer zu ertragen, einzelne Songs wohldosiert auf verschiedenen Tapes hingegen können eine Offenbarung sein. Sheffield nimmt den Leser mit in seine Wohnung, zu Konzerten, in typisch amerikanische Malls, Diners, auf den Highway – dorthin, wo er und seine geliebte Renée Musik hörten, also quasi überall. Renées Tod ist unspektakulär, plötzlich und deshalb so grausam – Rob sieht sich vor vollendete Tatsachen und eine unvollendete Liebe gestellt. Wie stellt man sich neuen Bekannten vor, wenn man noch keine 30, aber schon Witwer ist? Ein kleines, schönes, melancholisches Buch über die Kraft der Liebe und Musik. Auch für diejenigen, die Mixtapes für ein prähistorisches Phänomen halten.
Rob Sheffield, Love is a Mix Tape.
Eine Geschichte von Liebe, Leid und lauter Musik
Übersetzt von Kristian Lutze (KiWi, 250 Seiten, € 8,95)
Die Jazzmusiker und ihre drei Wünsche.
Fotografiert und notiert von
Baronesse Pannonica de Koenigswarter
Baronesse Pannonica de Koenigswarter, geborene Rothschild (aus dem englischen Zweig der Bankiersfamilie) verliebte sich Anfang der fünfziger Jahre unsterblich in den Jazz – dafür verantwortlich war „Round Midnight“ von Thelonious Monk. „Nica“, wie die Baronesse von Familie und Freunden genannt wurde, war zu diesem Zeitpunkt über 40 und die Behauptung, dass die Begegnung mit Jazz für sie dazu führte, ein neues Leben zu beginnen, ist nicht übertrieben. Um den Jazzgrößen näher zu sein und sie möglichst oft live erleben zu können, ging Nica mit ihrer ältesten Tochter Janka nach New York, bezog dort zunächst eine Suite im Stanhope-Hotel, bevor sie sich in New Jersey niederließ. Das „Cathouse“, wie ihre Wohnung genannt wurde, weil sie als engagierte Tierschützerin Hunderte Katzen bei sich aufnahm, wurde Refugium, Hotel, Klinik und Zufluchtsort für Jazzmusiker wie Thelonious Mon, Lex Humphries, Sun Ra, Larry Adler, Max Roach, Sonny Rollins, Art Pepper und viele andere. Pannonica de Koenigswarter fungierte als Muse, Krankenschwester, Therapeutin, Freundin und Mutterersatz für die Musiker, holte so manchen aus dem Knast und verwendete einen Großteil ihres Vermögens darauf, die Jazzer zu unterstützen. Das Vertrauen, das sie genoß, war so groß, daß Charlie Parker sich ins „Cathouse“ zum Sterben zurückzog. Viele Musiker widmeten der Baroness ihre Stücke - „Nica's Dream“ von Horace Silver oder „Pannonica“ von Thelonious Monk sind nur zwei der bekannteren. Während dieser Zeit fotografierte die Baroness die von ihr verehrten Musiker und stellte allen die gleiche Frage nach ihren drei größten Wünschen. Teddy Edwards antwortet recht bescheiden, „Liebe, Frieden und Gesundheit“ seien seine Herzenswünsche; Duke Ellington hingegen möchte „nichts als das Beste.“ David „Fathead“ Newman wünscht sich, „auf der Stelle high zu werden“ (den Rest verspricht er, morgen zu erzählen) und Jimmy Jones wünscht sich nicht nur, „ein besserer Musiker zu werden“, sondern auch „einen Golfball so zu treffen, dass er gerade fliegt.“ Die Antworten zeugen von Größenwahn, Gottesfurcht, Junkietum und begnadeter Musikalität – Pannonicas Nichte Nadine de Koenigswarter hat diesen einzigartigen Schatz aus dem Nachlaß ihrer Tante geborgen und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die wunderbaren, zum Teil mit der Patina vieler Jahre überzogenen Polaroidfotos zeigen die Musiker in privater und ungezwungener Atmosphäre, zum Beispiel den schlafenden Monk im Cathouse mit einer der -zig Katzen auf dem Schoß, oder Monk, in Nicas Pelzmantel herumalbernd.
Die Jazzmusiker und ihre drei Wünsche.
Fotografiert und notiert von Baronesse Pannonica de Koenigswarter
Übersetzt von Michael Müller (Reclam, 315 Seiten, viele s/w-Fotografien, € 34,90)
Peter Guralnick: Last Train to Memphis.
Elvis Presley – Sein Aufstieg 1935-1958
1977 starb der King, Elvis Aaron Presley seinen unglamourösen Tod, der ihn zur Legende machte und möglicherweise vor (noch) schlimmerem bewahrte als dem, was er in den späten Siebzigern durchlebte. Elvis Presley ist aber nicht nur ein großartiger Rock'n'Roll-Sänger, Sexsymbol und (schlechter) Schauspieler gewesen, er ist ein US-amerikanischer Archetyp, seine einzigartige und doch so absehbare Lebensgeschichte machen ihn „larger than life“, zur quasi-religiös verehrten Ikone. Der Historiker, Autor und Musikkritiker Peter Guralnick hat die umfassendste, monströseste und deshalb angemessenste Biografie über Elvis verfaßt – der erste Teil, „Last Train to Memphis“ zeichnet Elvis' Jugendjahre, seinen Aufstieg und erste Erfolge nach. Der zweite Teil, „Careless Love – Sein Niedergang 1958 – 1977“ befaßt sich mit den Jahren, die Elvis' Image prägten. Interessanterweise gibt es für Guralnick nur Aufstieg und Absturz, keine „Plateauphase“ in Elvis' Karriere. Detailreich und mit vielen, bislang unbekannten Fotos versucht Guralnick, das Phänomen Elvis Presley zu beleuchten. Guralnick hat Archive durchforstet und mit unzähligen Zeitzeugen gesprochen, das Ergebnis ist eine einzigartige Biografie, für deren Lektüre man ein Sabbatjahr einlegen sollte.
Peter Guralnick: Last Train to Memphis.
Elvis Presley – Sein Aufstieg 1935-1958
Übersetzt von Michael Widemann (Bosworth Edition, 641 Seiten, € 24,90)
Ute Röller: Mein Leben ist ein Roman
Achtung, Wissenschaft! Das vorliegende Buch von Ute Röller ist eine Doktorarbeit mit jeder Menge Fußnoten und Verweisen, also kein easy reading, und um Popmusik geht es auch nicht. Ute Röller untersucht Musikerbiografien auf ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede; Wolfgang Hildesheimers Mozart-Biografie, Hans J. Fröhlichs und Peter Härtlings Bücher über Schubert und Dieter Kühns Werke über Beethoven und Clara Schumann. Wie wird Musik literarisch ausgedrückt? Steht das Werk oder das Leben der jeweiligen Komponisten im Vordergrund? Diese und viele andere Fragen werden fundiert historiographisch, musik- und literaturwissenschaftlich beantwortet.
Ute Röller: „Mein Leben ist ein Roman …“
(Königshausen & Neumann, 280 Seiten, € 39,80)