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Oktober 2007
Christina Mohr
für satt.org

Zehn Jahre Hazelwood Vinyl Plastics

Hazelwood

Huch, Hazelwood Vinyl Plastics, das Frankfurter Label für den “toleranten Stoiker” (Eigenwerbung) wird schon zehn Jahre alt!? Oder erst, je nach Zeitempfinden, im Lauf der Jahre haben uns die vier Rödelheimer Jungs (nein, nicht die Hartreimer) mit so vielen tollen Platten begeistert, für die manch anderes Label seine Omas verkaufen würde. Im vergangenen Jahr erschienen bei Hazelwood unter anderem neue Alben von King Khan & The Shrines, Bobby Bare Jr., The Audience und Puts Marie, in Kürze wird Hazelwood die erste Platte von Hoodoo Girl, einer Hamburger All-Star-Frauen-Rock'n'Roll-Band veröffentlichen, auf die man sich schon sehr freuen kann. Ihr Zehnjähriges feiert Hazelwood aber nicht allein im stillen Kämmerlein, sondern beglückt die Gemeinde mit dem Werkschau-Sampler “Showroom Rebels”, der sich wirklich gewaschen hat: 23 Tracks von Labelhelden wie Kool Ade Acid Test, Low 500, House Williams, John Q. Irritated, Jerobeam und vielen anderen sorgen für 74 Minuten pure Freude. Anläßlich des runden Jubiläums gab Gordon Friedrich satt.org ein langes Interview, das kaum Fragen offen läßt …


CM: Zehn Jahre Hazelwood - erst oder schon? Sind die Jahre schnell verflogen oder zogen sie sich?

Gordon Friedrich: Wie der alte Albert, dieser Fuchs, ganz richtig feststellte, Zeit ist relativ. Rückblickend lösen sich die Geschehnisse von der Zeitachse und nehmen zeitlose Plätze in der Erinnerung ein. Es gibt keine chronologische Kontinuität der Gedanken. Begebenheiten, die Jahre auseinander liegen, erscheinen synchron oder sogar zeitlich invertiert. Die Anfänge von Hazelwood sind weiter weg als manche Kindheitserinnerung und gleichzeitig näher als vieles, was erst vor Tagen, Wochen, Monaten geschah. Hazelwood gab’s schon immer und dieses Immer ist furchtbar schnell vergangen.

CM: Gibt es ein "Geheimnis" des Hazelwood-Erfolgs?

Gordon Friedrich
Foto: Gordon Friedrich

GF: Wir verfügen über ausreichend Wahnwitz, sind komplett beratungsresistent und Trend ist für uns ein Fremdwort. Zudem sind wir gut, weil wir es uns nie leicht machen. Uns geht’s um was, das spüren die Leute. „What goes up must come down“ spricht der Volksmund nicht von ungefähr. Der Vorteil daran, weder Sparten zu bedienen noch eigentlich Trend zu sein, ist der, dass man den Gesetzmäßigkeiten des Business ein Schnippchen schlägt. Klar ist das der härtere Weg zum Erfolg – aber auch ein fundierter. Wo sind all die Label heute, die gestern noch im Trend lagen? Auf Züge aufzuspringen ist nicht unsere Sache, dafür sind wir zu alt. Wir bleiben lieber da, wo wir sind: „Six feet deeper than Underground“. Außerdem hat Hazelwood eisenharte Signing-Kriterien. Ein Hazelwood-Künstler hat Sinn für Humor, liebt die Ironie des Lebens und ist offen für das Absurde. Er ist großzügig, zuvorkommend und ausgestattet mit jeder Menge Anstand und Taktgefühl. Kein Auftischer, kein arroganter Schnösel, kein Maulheld oder Dicktuer. Ein Künstler bei Hazelwood hinterfragt sich selbst, ist neugierig und sich stets bewusst, dass er die Welt nicht nur nach seinen Maßstäben gestalten kann – ein genauer Beobachter mit einem Gefühl für Fairness, jemand der sehr feine Unterschiede macht, wenn es um Angelegenheiten der Moral geht.

CM: Wenn Ihr Eure Haltung vor zehn Jahren und jetzt vergleicht: was würdet Ihr anders machen, was habt Ihr Euch ausgemalt, was nie (respektive viel toller als ausgedacht) passiert ist?

GF: Wir haben uns eigentlich kontinuierlich radikalisiert. Früher hatten wir unumstößliche Werte, jetzt haben wir Dogmen. Am Anfang waren wir jung, eitel und autonom – heute sind wir älter, eitler und autark. Damals dachten wir noch, unsere Haltung sei die einzig vertretbare, heute wissen wir das. Eigentlich haben wir uns ausgemalt, wir würden älter und weiser werden und eines Tages das, was wir einst in jugendlichem Übermut für unumstößlich hielten, mit einsetzender Altersmilde mehr oder weniger nachsichtig belächeln. Das ist aber nie eingetreten. Stattdessen sitzen wir oft stundenlang in der Hazelwood-Küche, blättern in verstaubten Fotoalben und rühmen uns unserer Großtaten.

CM: Gab es jemals Momente, wo Ihr dachtet, Ihr hört lieber auf - oder wart Ihr immer davon überzeugt, daß Hazelwood alle Mühe lohnt?

Showroom Rebels
Hazelwood 2007

Showroom Rebels (Hazelwood)
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GF: Wütende oder verzweifelte Momente gibt es immer wieder. Zum Beispiel im Auto, auf Reisen, wenn die Empfangsweite des Info-Quassel-Radios mal wieder nicht ausreicht und man in die Verlegenheit kommt, das Gedudel der verschiedenen „Anstalten“ (der Name ist wirklich oft Programm!) über sich ergehen zu lassen. Da fragt man sich dann, ob man nicht in der falschen Branche ist. Wir nehmen ja berufsbedingt öfter mal Kontakt zu den Hütern dieser Anstalten auf und es fällt nicht leicht zu beurteilen, was haarsträubender ist: das ewige Gefasel der Programmdirektoren, die erzählen, sie müssten diesen künstlerischen Ausschuss ausstrahlen, weil die Hörer nun mal doof seien – obwohl sie ja maßgeblich zum Bildungstand ihrer Hörer beitragen – oder die Lethargie und ästhetische Unverwundbarkeit der Leute, die sich sowas tagein tagaus reinziehen, obwohl sie doch merken müssten, dass die Damen und Herren Radiomacher sie ganz augenscheinlich für blöd halten. Klar wissen wir, dass Kunst immer schon ein Zeitvertreib für Eliten war und dass Konsalik immer mehr Leser haben wird als Tolstoi, dass der Sturm der Liebe mehr bewegt als Fassbinder – und dennoch, wenn uns das irgendwann nicht mehr auf die Palme schickt, dann ist was kaputt.

CM: Wenn Ihr zurückblickt: was war der für Euch bedeutendste Hazelwood-Moment?

GF: Als wir plötzlich Platten mit unseren Idolen aufnahmen, als sich Steven Gaeta (Universal Congress Of) Mike Watt (heute The Stooges), Earl Hudson (Bad Brains) … in den Hazelwood Studios einfanden, wir untereinander Anekdoten austauschten und gemeinsam im Morgengrauen versackten – das waren schon magische Momente, die unser Tun in der Folge maßgeblich beeinflussten. Und klar, die allerersten Veröffentlichungen, als wir dann unsere Platten überall besprochen fanden, gar als „Platte des Monats“ oder „des Jahres“ tituliert – das bedeutete schon was. In den Jahren darauf produzierten wir Weltstars wie Eumir Deodato (den Produzenten von Björk und Kool And The Gang), hatten Barry White und Motörhead vor den Mikrophonen – aber das war dann irgendwie alles schon selbstverständlich. Was nicht bedeutet, dass wir irgendwie abgestumpft wären, oder dass uns das Leben nichts mehr böte. Es sind nur immer mehr die netten Kleinigkeiten, die uns Freude bereiten. Gerade im letzten Monat schrieb eines der bedeutendsten US-amerikanischen Musik-Magazine, dass es eine Schande sei, dass die Amerikaner als Erfinder des Rock’n’Rolls seit 30 Jahren vergeblich nach dem Sound suchen, der dann ausgerechnet aus einem deutschen Studio in Form des neuen King Khan-Albums zu ihnen hinüberschallt. Oder als ich mal wieder endlos in irgendeiner Telefonschleife hing und mit unerträglichem Gedudel der Marke „hold the line please“ geknechtet wurde, so dass ich das Telefon einfach nicht am Ohr behalten konnte und lieber den externen Lautsprecher aktivierte und mein vierjähriger Sohn Leonid prompt fragte: „Papa, warum kommt da so komische Musik aus dem Telefon?“, woraufhin ich völlig entnervt entgegnete: „Weil diese Leute scheiße sind. Leute, die scheiße sind, machen Scheiß-Musik.“ Daraufhin der kleine Mann: „Nein, Leute die scheiße sind, machen gar keine Musik. Die sind zu blöd, Musik zu machen!“
So was eben …

CM: Welche Eigenschaften braucht man als Labelgründer/-chef? Wie ist die Dynamik zwischen Euch Vieren?


Die vier “Macher” von
Hazelwood Vinyl Plastics:
  • Gordon Friedrich aka Two Horses
  • Wolfgang Gottlieb aka Kaneoka One
  • Denis Gudlin aka Don Günstig
  • Peter Loiselle aka 3 ft. Pete

GF: Schwer zu sagen, weil wir ja im eigentlichen Sinne gar kein Label sind. Für das, was wir sind, fehlt allerdings eine treffende Bezeichnung. Die Musikwelt ist da nicht besonders eindeutig. Nimm nur den Begriff des Produzenten. Das kann derjenige sein, der die Aufnahmen finanziert oder aber auch eine Person, die nur administrativ die Produktion begleitet oder aber jemand, der vornehmlich soundmäßig eingreift. Dann gibt es den Produzenten, der tatsächlich künstlerisch Hand anlegt, bis hin zu solch einem, der quasi die gesamte Musik im Alleingang macht und eigentlich nur die Puppen tanzen lässt. All das nennt sich Produzent. Der Film ist da schon eindeutiger. Deshalb hat so ein Streifen auch meist eine minutenlange Cast of Characters. Beim Begriff „Label“ verhält es sich ähnlich wie beim Begriff des Produzenten. Du kannst als Buchhalter erfolgreich ein Label führen, wenn Du einen gescheiten A&R hast, gute kreative Leute im Graphikbereich, gute Fotografen, gute Info-Schreiber, gute Promoter und gute Auftrags-Produzenten, die in guten Tonstudios mit guten Technikern gute Platten aufnehmen. All das brauchst Du natürlich nur dann, wenn Du nicht sowieso, was viele tun, bereits fertige Platten lizenzierst. Bei Hazelwood verhält sich das anders. Wir übernehmen nicht nur von wenigen Ausnahmen abgesehen, sämtliche aufgezählten Tätigkeiten selbst, sondern haben zudem auch noch den Musikverlag, die Filmproduktion, wo wir unsere eigenen Filme und Videos selber drehen und schneiden, übernehmen zu einem guten Teil das Management unserer Bands und hier und da sogar das Booking. Was brauchst Du also, um ein Label zu führen? Das kommt ganz drauf an, was Du unter „Label“ verstehst, würde ich sagen.

CM: Was würdet ihr jungen Menschen raten, die etwas Ähnliches machen wollen?

GF: Vor zehn Jahren hätte ich beinahe uneingeschränkt zugeraten, aber mittlerweile gibt es ja noch andere erbauliche Tätigkeiten, um sich mal richtig auszuleben. Fundamentalismus ist zum Beispiel ganz groß im Kommen. So ein Trainingscamp für radikal Gestörte zu leiten, ist bestimmt ein Heidenspaß. Schön und ähnlich bizarr wäre auch für den Kreis-Vorsitz der Jungen Liberalen zu kandidieren. Wenn sich jemand also vorstellen kann, mit Wester-Fönwelle ein Ausbildungslager in Pakistan zu leiten, um dort Terror-Rekruten die Selbstregulierung des „freien“ Marktes näher zu bringen, ist er total geeignet für unseren Job und soll’s auf jeden Fall versuchen.

CM: Krise der Musikindustrie: betrifft die Euch auch?

GF: Betrifft es den Fisch, wenn das Meer austrocknet? Klar, aber wir sind Tiefsee-Fische und leben ganz unten im Meer. Uns trifft’s bestimmt als Letzte!

CM: Welchen Künstler (tot oder lebendig) würdet Ihr gern signen?

GF: Ich finde, Jesus war live total überzeugend. Und ein einprägsames Logo hat er auch. Stell' Dir vor, Brother J. mit einer Truppe Gospelsänger und den Meters als Backing-Band. Gott, das wäre eine Show! Einen Bandnamen hätte ich auch parat: JESUS A GO-GO …und der Albumtitel: GOTT IST TOT WAR SCHON

CM: Erfolgreichste Hazelwood-Platte: (Die erfolgloseste wäre natürlich auch interessant, aber ich verstehe vollkommen, wenn Ihr das nicht preisgeben wollt …)

GF: Erfolgreich waren alle, weil wir uns auch nach Jahren für keine zu entschuldigen brauchen und es wirklich für jede Platte Fans gibt da draußen, die das Album nicht missen möchten. Die erste Mardi Gras.bb haben wir mittlerweile über 30.000 mal verkauft, die letzte King Khan ging dafür binnen 3 Monaten alleine 3.000 mal in den USA über die Ladentheke ( …welches deutsche Label verkauft überhaupt in die USA?!). Die Super Preachers wollte in Deutschland niemand verstehen, wir haben also kaum Platten verkauft, aber 250.000 € mit internationalen Filmscores verdient. Mann kann Erfolg nicht an Verkaufszahlen festmachen. Dieter Bohlen hat x-mal so viele Platten verkauft wie Frank Zappa, Miles Davis oder Louis Armstrong, niemand würde ihn aber ernsthaft als erfolgreicher bezeichnen. Es kommt nämlich nicht einzig darauf an, wie viele Platten man verkauft, sondern auch, an wen man Platten verkauft. Bohlen ist ein bauernschlauer Prolet mit Hang zum Sang, der dumme Musik an Leute verkauft, die noch ein bisschen dümmer sind als er selbst. Der berühmte Einäugige unter den Blinden. Dagegen sind Armstrong, Davis und Zappa Jahrhundertkünstler vom Range eines Beethoven, Goethe oder Picasso. Auch in hunderten von Jahren wird man sich ehrfürchtig mit ihren Werken befassen, während Bohlen als Treppenwitz der Musikgeschichte längst vergessen sein wird. Dass Bohlen mehr Platten verkauft, macht ihn reicher aber nicht erfolgreicher und sagt nichts über die Qualität seiner Musik aus, eher schon etwas über den Geisteszustand der Gesellschaft.

CM: Wenn Ihr kein Label gegründet hättet, was würdet Ihr stattdessen tun?

GF: Was wir auch gerne geworden wären?! Asket, Fakir, Philosoph in der Tonne, Vorsitzender der Jungen Liberalen, Religionsführer, Verfasser von Schmähschriften, Heringsfänger, Kardinal, Verführer keuscher Alpinisten-Gattinnen, Olympionike, Samenspender, Raubtierdompteur, Wunderheiler …
Da gibt es einige interessante Professionen, die genau unsere Talente erfordern und viel damit zu tun haben, womit wir uns derzeit beschäftigen.

CM: Welchen Glückwunsch (ausser Sampler + Feiern) schickt Ihr Euch selbst? Bzw. was wünscht Ihr Euch für die Zukunft - Pläne, Ziele, Wünsche …

GF: Was wir uns schicken? Wir schicken uns an so weiter zu machen wie bisher. Was wir uns wünschen?! Warme Sommer, kalte Winter, Gesundheit, Weltfrieden, Teil einer Jugendbewegung zu sein und Dir, Christina, alles Gute!



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