Buchmesse-Nachlese Teil II:
Peter Hein: Geht so.
Wegbeschreibungen
Keine versteckte Botschaft.
Ein Gespräch mit Peter Hein
„Ist es nicht komisch, daß auf dieser ganzen Messe keiner liest?“ Peter Hein, Fehlfarben- und Family*Five-Sänger, Düsseldorfer Punkrocklegende der ersten Stunde, wundert sich. Hein sitzt am Stand des Lilienfeld-Verlags, einem kleinen feinen Newcomer aus Düsseldorf, der sein Buch „Geht so“ veröffentlicht. „Und wenn mal an irgendeinem Stand ein Autor eine Lesung macht, brummt und rauscht alles um den herum, das ist wirklich absurd. Gestern war ich in der Angeberhalle unterwegs (er meint Halle 3, dort haben KiWi, Piper, S.Fischer und andere Publikumsverlage ihre Stände/Anm. cm), um die Autobildbände* zu suchen. Dort hab' ich einen Freund getroffen, und wir haben so laut geredet, daß die Leute von der Lesung, die gerade in der Nähe stattfand, garantiert nichts mitbekommen haben. Hat aber auch keiner was gesagt, also war das wohl okay.“
Tja, zum Lesen kommt tatsächlich kaum jemand zur Frankfurter Buchmesse, vielmehr zum Geschäfte machen, Promis gucken, Sekttrinken und – seit einigen Jahren schwer angesagt – zum Kochen und Essen. Auch der österreichische folio-Verlag, der mit seinem Stand gegenüber von Lilienfeld residiert, kocht, was das Zeug hält und die Hallenfeuerwehr erlaubt. Es ist laut und riecht nach Suppe – hätte man verbundene Augen, man wähnte sich nicht unbedingt auf der Buchmesse. Hein ruft mit unverwechselbarer „Paul ist tot“-Stimme in Richtung folio: „Ab 17.11 Uhr wird zurückgelesen!“
Hast du denn selber schon erste Lesungen hinter dir? „Gestern abend in Darmstadt, das hatte sich zufällig so ergeben. Ich hatte mir vorher Gedanken gemacht, wie lange ich wohl für ein paar ausgewählte Texte brauche und habe dann insgesamt zweimal 45 Minuten gelesen. Ich wußte nicht, wieviel die Leute bezahlt hatten und wollte sie nicht mit einer zu kurzen Lesung abspeisen. Als ich dann erfuhr, daß der Eintritt doch ziemlich niedrig war, dachte ich, 'hättste auch weniger lesen können.' Außerdem hab' ich mir extra – meine Augen sind ja nicht mehr so gut** – die Seiten, die ich vorlesen wollte, in einer größeren Schrift ausgedruckt. Und dann vergeß' ich die Kopien natürlich – aber es ging auch so ganz gut.“
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Hein ist großer Autofan, in „Geht so“ befindet sich auch ein Text über Silverstone
** Peter Hein ist Jahrgang 1957
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Die beiden frischgebackenen Lilienfeld-Verleger Viola Eckelt und Axel von Ernst sind Nachbarn und Freunde von Peter Hein und überzeugten ihn, aus den kurzen Städtebeschreibungen, die hauptsächlich während Fehlfarben-Tourneen entstanden, ein Buch zu machen.
Hein: „Die beiden brauchten noch dringend einen vierten Titel für ihr erstes Programm, haha. Ich hab gesagt, wenn Ihr das wollt, dann mache ich das, kann ich ja. Aber macht mich nicht dafür verantwortlich, wenn's sich nicht verkauft!“
Das heißt also, wenn die beiden dich nicht gefragt hätten, hättest du von dir aus kein Buch geplant?
„Nein. Und ich wollte auf keinen Fall so einen westfälischen Koch-Krimi schreiben, wie es jetzt alle machen. Ich kann ja keine langen Texte schreiben, also keine Romane oder sowas. Ich mache Texte aus dem, was ich beobachte, ich denke mir keine Geschichten aus. So entstehen dann Songtexte oder kurze Skizzen, 'Wegbeschreibungen', wie sie mein Verlag genannt hat. Aber ich kann mir schon sehr gut so eine Schriftstellerexistenz á la Joseph Conrad vorstellen: auf einer Südseeinsel mit 'ner Zigarre im Mund in der Hängematte liegen …oder den ganzen Tag in einem Wiener Kaffeehaus rumsitzen und Zeitung lesen, das würde mir auch gefallen.“
Doch soweit ist es noch nicht gekommen, Hein und die Fehlfarben ziehen durch die Provinz und durch Metropolen, Wetzlar, Hamburg, Zürich oder München sind die Stationen. Hein ist ein begeisterter Flaneur, getrieben zuweilen, mit interessiertem Blick für die ortstypische Architektur, für Schlösser, Plätze, Denkmäler. Manchmal droht beim langen Herumstromern „Unterhopfung“, dann muß schleunigst eingekehrt werden – auch wenn Hein keinen „Koch-Krimi“ schreiben wollte, spielt die Nahrungsaufnahme doch eine große Rolle, das liest sich dann so: „ …Hurra!!! - Gastronomie in Gestalt eines Brauhauses. Dort ist der Braumeister an diversen Kesseln und Ventilen zugange, und das erste von der Schankwalküre kredenzte Helle erfüllt, im Gegensatz zum Espresso, alle Ansprüche an selbiges, es labt, erfrischt und löscht den ersten Hunger. Die Speisekarte verwirrt so früh am Morgen: Keine Weißwurst? Aber man sieht doch auf allen Autonummernschildern die blauweiße Raute? Statt dessen allerlei schwäbisches Dingsbums …“ (aus dem Kapitel „Augsburg“). Heins Sprache changiert zwischen rheinischer Frohnatur und Punkrock-Zorn, er liebt Wortspiele und brilliert im Erfinden neuer Begriffe wie beispielsweise die „bejogginganzugten Hartzer“. Hein wertet nicht, das kleine Provinznest ist der Berichterstattung genauso würdig wie zum Beispiel Hamburg, das er nach zwanzig Jahren zum ersten Mal wieder besucht und ihn an längst historisch gewordene Konzerte von Elvis Costello, den B52's und Suicide erinnert. Hein schreibt zwar keine so-war-es-früher-Autobiographie, zuweilen poppen aber durchaus Erinnerungen auf, so zum Beispiel an einen Auftritt mit Family*Five in Bochum als Support der Flamin' Groovies. Das passiert aber eher en passant als dezidiert rockhistorisierend, sehr angenehm und witzig. Als er im Text über Magdeburg überraschend loswettert – ein Mitglied der Fehlfarben-Crew wurde von Neonazis angegriffen – erinnert er glatt an Rolf-Dieter Brinkmann: „Diese Arschstadt entpuppt sich als genauso verschissenes Volldeppen-Scheißnazidrecksnest, wie ich es von dieser verdammten Scheißzone nie wirklich glauben wollte, aber in meinen wüstesten Angstvorstellungen immer imaginiert hatte. Es hatte schon seine Richtigkeit, diese Scheißwende zu ignorieren, außer wenn man nach Scheißberlin muß, hat das doch keine Vorteile gebracht, Nichts und Niemandem.“
Kennst du Brinkmann, frage ich, „Nein, habe aber schon öfter von dem gehört – ist das nicht der, der vom Fahrrad gefallen und dann überfahren wurde?“ Genau der. „Und was haben jetzt auf einmal alle mit dem Fauser? Das verstehe ich nicht – jetzt wird er überall 'neu entdeckt' – so ein Quatsch. Will doch nur keiner zugeben, dass alle die Jörg-Fauser-Gesamtausgabe zuhause stehen haben, die es vor Jahren billig bei 2001 gab!“
Wie kommt der Text aus Heins Kopf aufs Papier, will ich wissen, besagter Brinkmann hatte immer ein kleines Diktiergerät dabei, in das er hineingeschimpft hat …“Das passiert oft Monate später, aus der Erinnerung. Während ich unterwegs bin, schreibe ich nichts auf.“ Du sitzt also nicht auf dem gerade erklommenen Hügel und notierst deine Eindrücke und die Aussicht? „Auf keinen Fall.“
Nimmst du denn deine Bandkollegen mit, wenn du losgehst, frage ich: „Nein, nie. Es sei denn, einer muss mal Socken kaufen oder sowas. Ich bin ja auch immer viel früher wach als die anderen. Früher war das anders, da sind wir mit dem Auto immer ganz knapp vor den Auftritten losgefahren. Jetzt sind wir tagelang mit dem Nightliner unterwegs, sind also selten in Hotels, sondern oft morgens schon um 7.00 in irgendeiner Stadt. Um diese Zeit hat natürlich noch nichts offen – aber ich muß morgens immer frühstücken, deswegen laufe ich los und suche den nächsten Bäcker. Das Rumlaufen ist meine Art, dem ungesunden Rock'n'Roll-Lifestyle zu begegnen. Ich habe echt keine Lust, den ganzen Tag über schon in irgendeiner Kneipe rumzusitzen und Karten zu spielen.“
Geht man sich auf Tourneen schnell auf den Wecker?
„Oh ja. Wenn nur einer austickt, ist das nicht so schlimm. Übel wird's, wenn zwei oder drei gleichzeitig ihren Koller kriegen. Das ist dann abends auf der Bühne immer wieder ok. Wenn ich selber schlecht drauf bin, bemerke ich Fehler, bei mir oder bei den anderen. Das ist ein ganz deutliches Anzeichen für schlechte Laune, wenn ich mir auf der Bühne Gedanken über sowas mache. Wenn die Stimmung richtig geil ist, passiert das nicht.“
Fühlt Ihr Euch als Legenden?
„Ja, klar! Und vor allem die Veranstalter, die die Fehlfarben buchen, hoffen, daß die Legenden auch ordentlich den Laden vollkriegen, haha! Wir werden ja ständig auf 'früher' angesprochen. Aber das nervt total, vor allem, wenn man heutzutage schließlich auch noch Platten aufnimmt. Ich habe keinen Bock drauf, ständig auf die Zeit vor dreißig Jahren angesprochen zu werden.“
Früher war nicht alles besser?
„So ein Quatsch. Guck' dir doch mal die Charts von 1977 an – da gab's doch auch jede Menge Mist. Und auf gar keinen Fall wollte ich ein Punk-Enthüllungsbuch schreiben, so nach dem Motto, 'Hein erzählt, wie es wirklich war' oder so was in der Art. Sowas was wird's von mir nicht geben.“
Ein letzter Satz? „Peter Hein hat keine versteckten Botschaften!“
Peter Hein: Geht so. Wegbeschreibungen
Lilienfeld Verlag 2007, 125 Seiten, € 16,90
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