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Oktober 2007
Christina Mohr
für satt.org

Neue Sampler
Oktober 2007


The A-Z of Bestival 2007
(Sunday Best)

The A-Z of Bestival 2007

Seit 2004 findet auf der Isle of Wight jedes Jahr im Spätsommer das Bestival statt – Organisator Rob da Bank, BBC-Radio-1-Moderator und Gründer von Sunday Best, einem zuerst in Südlondon angesiedelten Elektro-Club, der später häufig zu “Gastspielreisen” auszog, verwirklicht mit den “Bestivals” seine Vision des modernen Open-Air-Festivals. Wer wissen möchte, wie das aussieht und was dort vor sich geht, möge sich die entzückend gestaltete Bestival-Website anschauen, dort gibt es jede Menge Infos, animierte Comics und Fotos: jedes Jahr wird der Besucher geehrt, der mit dem abgedrehtesten Kostüm aufkreuzt, der karnevalistischen Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Ebenso wichtig wie das angemessen ausgeflippte Outfit ist das Bestival-Line-up, das mit Fug und Recht schon jetzt “legendär” genannt werden darf. 2005 traten auf der Isle of Wight neben vielen anderen Röyksopp, Soulway, The Magic Numbers und The Go! Team auf, 2006 headlineten die Scissor Sisters, die Besucher durften sich ausserdem über stilistisch so unterschiedliche Acts wie Gogol Bordello und die Pet Shop Boys freuen. Jedes Jahr wird ein Bestival-Sampler kompiliert, 2005 übernahmen die Cuban Brothers diesen Job, 2006 Annie Mac. Den aktuellen Sampler stellte Rob da Bank höchstselbst zusammen, das Doppel-CD-Album versammelt Live- und Studioaufnahmen von Fujiya & Miyagi, The Go! Team, John Foxx, Soul II Soul, Robyn, Bonde do Role, Horace Andy, den Chemical Brothers und vielen anderen. Einer der (dicht gedrängten) Höhepunkte ist der Specials-Klassiker “Gangsters” in einer Liveversion der Dub Pistols mit dem echten Terry Hall am Mikrofon. Clou des Samplers: die Künstler sind in alphabetischer Reihenfolge gelistet.


» www.bestival.net
» www.sundaybest.net



Permanent Vacation 2
(Permanent/Groove Attack)

Permanent Vacation 2

“Permanent Vacation” hiess der Film, mit dem 1980 ein junger amerikanischer Regisseur namens Jim Jarmusch debütierte – ob Tom Bioly und Benji Fröhlich, Labelchefs des Münchner Dancelabels Permanent Vacation, an Jarmuschs Film dachten, als sie diesen Namen wählten, kann man nur mutmassen. Bioly und Fröhlich gelang es binnen kürzester Zeit, mit Permanent Vacation grösstes Renommée zu erlangen, die Zeitschrift Groove erkor den ersten Labelsampler zur Compilation des Monats, internationale DJs und Künstler zeigten sich begeistert von PV-Releases. Für die zweite Labelcompilation trafen Bioly und Fröhlich eine Auswahl aus kommenden Veröffentlichungen, die für die Wintersaison 07/08 anstehen, dazu packten sie einige Lieblingsstücke wie “Loosing the Will to Survive” von Findlay Brown (im Beyond the Wizard Sleeve Remix), das die beiden gern bei ihren eigenen DJ-Sets auflegen. Der labelcharakteristische Sound ist leicht und hell und schwebt auf einem moderat angehousten Elektroteppich. Höhepunkte gibt es viele auf PV 2, zum Beispiel Tomboys “Flamingo” (Tomboy ist Drummer der dänischen Discopunkband WhoMadeWho) oder der angefunkte Discotrack “Rolling Down the Hills” der amerikanischen Band Glass Candy. Besonders hervorzuheben sind die zwei Hot Chip-Remixe: Hot Chip nehmen sich Junior Boys' “In the Morning” und Stephen Malkmus' “Kindling for the Master” vor und schaffen es mit unaufdringlicher popgenialer Lässigkeit, ihren unverwechselbaren elastischen Bounce auf Stücke anderer Künstler zu übertragen, ohne den eigentlichen Song zu erdrücken.


» www.perm-vac.com
» myspace.com/permanentvacationrecords



On the Road Again Mama
(Trikont)

On the Road Again Mama

Ebenfalls in München residiert Trikont, mit über 33 Jahren im Geschäft durchaus als alte Hasen zu bezeichnen. Vor allem als Hasen mit guter Spürnase (sorry für das schiefe Bild): die legendären Trikont-Sampler überraschen und begeistern immer wieder durch originelle Themen und exorbitant gute Songauswahl. Gerade neu erschienen ist “On the Road Again Mama”, vierter Teil der Reihe “Perlen deutschsprachiger Popmusik”, zusammengestellt vom verdienten Franz Dobler. Die 23 Tracks führen aufs Schönste vor Augen (und Ohren), dass deutscher Pop nicht allein aus Annett Louisan und Roger Cicero besteht, aber eben auch – leider – dass die Qualität der Musik noch lange nichts mit dem Bekanntheitsgrad ihrer UrheberInnen zu tun hat. So zählen Bernadette La Hengst, Felix Kubin, Jacques Palminger und Arne Zank (Tocotronic) zu den populärsten Künstlern dieser Compilation, auch Nils Koppruch dürfte vielen als Sänger von Fink im Gedächtnis geblieben sein. Fred Adrett, Christian Wirlitsch, Stimmgewitter, Apparat Hase oder das Projekt Rock (bestehend aus Kristof Schreuf, Martin Buck und Stefan Feser) hingegen sind schon eher Fälle für Spezialisten. Kompilator Dobler führt mit erfahrener Hand durch den deutschen Indiepop und sorgt für jede Menge Aha-Erlebnisse, zum Beispiel durch den Fehlfarben-Song “Sonntag morgen”, der für die Bandretrospektive “26 1/2” von Gudrun Gut eingesungen wurde; oder mit dem Hamburger Huss und seinem wunderbaren Song über die – zwangsläufig geldlose - Freizeitgestaltung des Prekariats, in dem es heisst, “Was uns bleibt ist Sex / was uns bleibt, das sind die einfachen Freuden …” Die Band Kamerakino konnte vor einiger Zeit schon mal schnuppern, wie es ist, vor grossem Publikum zu spielen: vor drei Jahren wurden Kamerakino von Franz Ferdinand als Toursupport eingeladen. Wer damals beim FF-Konzert war und in der Zwischenzeit vergessen hat, wer die tolle Vorband war, bekommt hier mit dem Song “Naked Train” Gelegenheit zum Neu- und Wiederhören.


Import Export á la Turka
(Trikont)

Import Export á la Turka

Ausserdem neu bei Trikont: “Import Export a la Turka”, ein 19-Song-Sampler mit einer Auswahl deutsch-türkischer Musik aus den achtziger Jahren bis heute. Zusammengestellt wurde der Sampler von DJ Ipek Ipekciouglu, der als Resident im Berliner SO36 schon für so manchen völkerverständigenden Abend gesorgt hat. Dieses Album ist ein eindrucksvoller Beweis für die (verbindende) Kraft der Musik und zeigt, wie selbstverständlich türkische musikalische Traditionen mit westlich geprägtem Pop zusammengehen. Die Rap-Pioniere Fresh Familee aus Ratingen (ihr Debütalbum “Falsche Politik” erschien bereits 1993, also noch vor den Fantastischen Vier und anderen) sind mit ihren legendären Polit-HipHop-Tracks “Ahmet Gündüz I und II” vertreten, die Berliner Rapperin Aziza A. (die inzwischen wieder hauptsächlich in Istanbul lebt) liefert mit “Elektrik” absolut charttauglichen R'n'B mit Popappeal und VolkanikMan mit seinem Ragga-Dancehall-Track “Oriental Lady” kann sich ohne Probleme neben Ragga-Heroen wie Beanie Man stellen. Stoneheads und Ünlü sind waschechte Hardrockbands, Metin Candan zeigt sich mit seinem Ökobewußtseins-Spoken-Word-Stück “Ein Lied an uns” deutlich von Xavier Naidoo beeinflußt. Die siebenminütige Liebeskummerelegie “Warum kannst du mich nicht lieben?” des Bremen Immigrant Orchester mit Sängerin Sema Mutlu überträgt türkische Klagelyrik ins Deutsche, auf “Import Export” finden sich auch rein auf türkisch vorgetragene Songs wie “Ayrilik” von Hülya. Insgesamt ein durch seine schillernde stilistische Vielfalt beeindruckendes Porträt deutsch-türkischer Musiker, das verkrampfte Politiker-Integrationsprogramme obsolet erscheinen läßt. Linernotes in deutsch und türkisch!

Und wer immer noch einen Beweis dafür braucht, dass Trikont eins der tollsten deutschen Labels ist, sollte zur Einführung den Labelsampler “Expose Yourself to Trikont. Our Own Voices Vol. 3” für ganz kleines Geld (Jubiläumspreis!) ausprobieren: darauf befinden sich ganze 21 Songs von Trikont-Stars wie Rocko Schamoni & Little Machine (“Muster” vom letzten Album), die deutsch-libanesische Spoken-Word-Künstlerin Lydia Daher mit “Ich will die Sonne”, Huss mit “Ich bin tot”, Bands wie Rocket Freudenthal, Sender Freie Rakete, Apparat Hase und, und, und.


» www.trikont.de