Oktober 2007, zweite Hälfte:
Bob Dylan: Dylan
(Columbia/SonyBMG)
„I'm Not There“, Todd Haynes' Filmbiographie über Bob Dylan wird hierzulande erst im kommenden Frühjahr zu sehen sein. Bis dahin kann man sich mithilfe der bei Columbia erschienenen Werkschau „Dylan“ die wichtigsten Songs des legendären Hutträgers, Nörglers, Folkpoeten, geläuterten Christen, Antirockstars Bob Dylan zu Gemüte führen – falls Dylans Oevre nicht ohnehin im heimischen Plattenregal steht. „Dylan“ liefert einen guten, umfassenden Überblick über Bob Dylans Arbeit und gibt den Jüngeren Nachhilfe: „Knockin' on Heaven's Door“ stammt keineswegs von Guns'n'Roses, Jimi Hendrix hat „All Along The Watchtower“ genial interpretiert, aber nicht komponiert und die Hippie-Hymne „Mr. Tambourine Man“ wurde zwar durch die Byrds zum Welthit, hört sich in Dylans Original aber ganz anders und viel weniger lieblich an. Im Zweifelsfalle gilt also: „Wer hat's erfunden?“ Ole' Bob natürlich! Auf der beiliegenden Bonus-CD befindet sich Mark Ronsons Remixversion von „Most Likely You Go Your Way (And I'll Go Mine), der erste und bis dato einzige von Bob Dylan abgesegnete Mix eines seiner Songs.
Róisín Murphy:
Overpowered
(EMI)
Spiegel-Rezensent Jan Wigger bezeichnet Róisín Murphys neues Album „Overpowered“ als „ewigen Gewinner in der Kategorie 'Super Platte, die man niemals zu Hause auflegen wird'“. Das ruft nach Gegenbeweis – und tatsächlich funktioniert Murphys fett produzierter Discokugelsound auch zu Hause und unterwegs. Seien es die hypnotischen Synthiefanfaren des Titelsongs oder das an Prince und „Ring My Bell“-Anita Ward erinnernde „Footprints“, stets fühlt man sich von Miss Murphy auf eine imaginäre, glitzernde Bühne gehoben, die sich überall befinden kann, nicht nur im Club. Die charakteristisch-heisere Stimme der Ex-Moloko-Sängerin verströmt kühle Erotik und Sexyness, die man bei Moloko liebte und die jetzt lässig für sich steht. Murphys erstes, von Matthew Herbert produziertes Soloalbum „Ruby Blue“ verschaffte ihr viele Fans, „Overpowered“ wird die Gemeinde noch vergrößern.
Tracks wie „Let Me Know“ und „Checkin' On Me“ mit dezentem Eighties-Discoflair und dickdaumig gezupftem Bass rücken Róisín Murphy in die Nähe von Elektro-Soul-Diva Lisa Stansfield; „You Know Me Better“ spielt souverän und kitschfrei mit Eurodiscoelementen. Beim überschäumenden „Movie Star“ werden Erasure und T. Rex gleichzeitig zitiert - „Overpowered“ verdient es, nicht „nur“ in der Disco genossen zu werden: so manches Detail entdeckt man doch erst beim intimen Tête-à-tête ….
Maceo Parker: Roots & Grooves
(Intuition/Sunny Moon)
Altsaxofonist und Funklegende Maceo Parker erfüllte sich mit diesem Doppelalbum einen langgehegten Traum: Parker spielte schon mit James Brown und P-Funk-Größen wie Bootsy Collins und George Clinton, aber noch nie war er als Frontman einer Bigband zu hören. Gemeinsam mit der WDR Big Band Köln und den Gastmusikern Dennis Chambers und Rodney „Skeet“ Curtis verwirklichte er dieses ambitionierte Projekt. Die Aufnahmen für „Roots & Grooves“ entstanden während einer ausgedehnten Europa-Tournee, die Anfang dieses Jahres stattfand. CD 1 ist eine Hommage an Ray Charles, Parker verpaßt Charles' Soulklassikern „What I'd Say“, „Hit the Road, Jack“ oder „You Don't Know Me“ ein knackiges, wildes Funkkostüm, das den Songs hervorragend zu Gesicht steht. Üppig arrangiert, aber nie überladen wird der Funk zelebriert, erstaunlich, wie tight eine Bigband klingen kann. Auf CD 2 werden Alltime-Faves, zum Teil Parker-Kompositionen wie „Uptown Up“, „Advanced Funk“ oder „Shake Everything You Got“ in die Neuzeit transferiert, ohne Jazz- und Funktraditionen über Bord zu werfen.
Michaela Melián:
Los Angeles
(Monika)
„In der Kontemplation liegt die Kraft“ könnte als Motto über dem großartigen neuen Album von FSK-Bassistin Michaela Melián stehen – im Gegensatz zum Vorgängeralbum „Baden Baden“, auf dem sie mit tanzbaren Housebeats experimentierte, fließen auf „Los Angeles“ minimal aufgebaute, zurückhaltende Akustikklänge ineinander, zu denen die kleine Kurstadt Baden Baden namensmäßig besser zu passen scheint als die amerikanische Glamourmetropole. „Los Angeles“ ruht in sich selbst, bei jedem Hören entfalten sich neue Facetten, die Meliáns souveränem und gleichzeitig verspielten Umgang mit Ukulele, Melodica, Gitarre, Orgel oder Violoncello entspringen. Aus zuweilen mehr als 80 Tonspuren entwickelt sich ein Drone, ein dynamischer Sog, die Loops bauen Soundscapes, die beim Track „Stift“ Erhabenheit ausstrahlen wie ein Kameraschwenk in einem Karl-May-Film, ohne jegliche Cowboy-und-Indianer-Anmutung. Urban (hier sind sie wieder, die Beats von „Baden Baden“) wird es bei „Convention“, Melián kreiert durch dezenteste Versatzstücke (Piano, Trompete) ein völlig anderes Setting, dieser Track verläßt das Umland, zieht in Richtung Stadt. Wie auch auf „Baden Baden“ befindet sich auf „Los Angeles“ ein Roxy Music-Cover, diesmal „Manifesto“, mit dem sie ganz nebenbei durch den Einsatz ihrer Stimme einer anderen Nichtsängerin, Nico, huldigt. Melián, die mit ihrem Gatten Thomas Meinecke seit fast 30 Jahren mit FSK unterwegs ist, arbeitet neben ihren musikalischen Aktivitäten als bildende Künstlerin (das Cover von „Los Angeles“ stammt von ihr), was man ihrer Musik anmerkt: ihre Tracks als sonische Gemälde zu bezeichnen, ist nicht übertrieben.
For Against:
In the Marshes
(Words on Music)
„In the Marshes“ ist ein Re-Release der bereits 1986 erschienen LP der aus Lincoln, Nebraska stammenden Post-Wave-Band For Against. In Europa und Deutschland wurden For Against nie in größerem Rahmen bekannt, in den USA hingegen gelten sie als Pioniere gitarren- und synthielastigen Darkwaves an der Schnittstelle zwischen Punk und Dance. Die acht Songs auf „In the Marshes“ erzeugen wohlige Erinnerungsschauer vor allem für in den achtziger Jahren junggewesene Menschen: For Against, bestehend aus Jeffrey Runnings (Vocals, Bass, Keyboards), Harry Dingman III (Gitarre, Vocals) und Greg Hill (Schlagzeug, Vocals) orientieren sich stilistisch an Vorbildern wie The Chills, The Cure, Joy Division, New Order, Durutti Column, Felt oder Echo and the Bunnymen, Kompositionen wie „Amen Yves“ oder „Amnesia“ präsentieren For Against als eigenständige Band, die dem Epigonen-Vorwurf souverän begegnen kann. „In the Marshes“ wird von einer hallend-kühlen, melancholischen Stimmung dominiert, Runnings' klare, „far away“-Stimme erzeugt sphärische Momente, die auch heute, zwanzig Jahre nach den Aufnahmen, noch packen und faszinieren. Perlende Gitarrenläufe, die Cure-Fans begeistern werden, bilden ein flirrendes Gewebe, in das sich Synthies und Bass einfügen und große Melodien entstehen lassen, bei denen man nur verwundert feststellen kann, daß man sie noch nicht kannte. Das vom grammygekrönten Musiker und Designer Bruce Licher gestaltete edle Digipak rundet die überraschende Neuentdeckung „“In the Marshes“ ab. For Against gibt es heute noch, im Herbst wird ihr neues, siebtes Album erwartet, das in bewährter Manier von Words on Music veröffentlicht wird, für November ist eine Europatournee geplant.
» www.words-on-music.com/foragainst.html
» www.myspace.com/foragainst
Kate Nash
Made Of Bricks
(Universal)
Manchmal stößt man durch Zufall auf grandiose Musik. Bei Kate Nash war es das Video zu „Foundations“, das auf diversen Blogs und bei youtube.com zu sehen war. Sofort verliebte man sich in Song und Sängerin mitsamt ihrem entzückenden Akzent. Als kurzfristig angekündigter Act überraschte sie auf dem diesjährigen Haldern-Festival als Opener. Die frechen, spitzen Songs ihres Debuts „Made Of Bricks“ schmecken wie saure Apfelringe und sind bunt wie eine Tüte Gummibärchen. „Foundations“ handelt von Beziehungen, von denen man die Nase gestrichen voll hat, von den Dingen, die man einst am Anderen gemocht hat, sie nun aber nicht mehr ausstehen kann. Auch im letzten Song des Albums „Merry Happy“ geht’s um solche Entwicklungen. Das klingt selten traurig, eher versetzt Kate Nash mit ihren Songs und ihrer schnippischen Art kleine Tritte, streut Sarkasmus darüber und zeigt ihre Krallen. Genau wie die sauren Apfelringe; sauer und süß zugleich. Anspieltipps neben dem schon erwähnten „Foundations“ ist das zuckrige „Mouthwash“ und „Mariella“. [Maria Sonnek]
The Robocob Kraus:
Blunders and Mistakes
(Anti/SPV)
Das Jahr 2006 hatte es in sich für The Robocop Kraus. Zuerst der Zusammenbruch ihres Labels Lado, dann der Weggang von Tobias Helmlinger. Kurzzeitig stand die Auflösung der Band zur Debatte. Zum Glück für uns alle kam es jedoch nicht dazu: Mit Anti wurde ein neues Label gefunden und für den verlorenen Bassisten sprang Peter Tiedeken (vormals One Man And His Droid) in die Bresche. Auch musikalisch hat sich auf dem mittlerweile fünften Album der Band einiges geändert. „Blunders And Mistakes“ heißt es, „Schnitzer und Fehler“. Sachen, die es zu vergeben gilt, auch musikalisch. Alles etwas lockerer zu sehen, ist hier die Devise. Und so richtig locker ist auch der neue Output von The Robocop Kraus. Da wird der Tanzfaktor im Vergleich zu den früheren Aufnahmen erheblich zurückgeschraubt, ohne den Drive zu verlieren. Wave-Post-Punk, der erwachsen wird. Ein klein wenig schleichen sich britische Einflüsse ein. Aber auch sehr ungewöhnliche Stilmittel werden von den Nürnbergern eingesetzt. So endet „Changes“ in einem wahren Rave-Rausch. Es scheint, als entdecken sich the Robocop Kraus neu, da auch kleinere Spielereien wie Chöre bei „Ease The Pain“ eingebaut werden (wobei mich dieses Lied stark an Prince Mitte der 80er erinnert …). In seiner Gesamtheit wirkt „Blunders And Mistakes“ verspielt und unbekümmert, als ob man der Musik einfach freien Lauf gelassen hätte, um sich zu entfalten. [Thomas Stein]