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Oktober 2007
Uwe Staab
für satt.org

streetBEATS I

Es rumort kräftig im Untergrund der HipHop-Szene. Große Namen werfen neue Produktionen auf den Markt und scheinen kleinere zu überdecken, doch wer sein Ohr auf die Straße legt, kann den Bass förmlich hören. Vorbei an Auge und Ohr der Öffentlichkeit zeigt sich einmal mehr die Bandbreite, in der Rap funktionieren kann. Die Releases der letzten Wochen beinhalten einige geradezu geschichtsträchtige Alben, die nicht nur auf Grund ihres Szene-internen Stellenwertes interessant sind. Vielmehr bedeuten unabhängige Veröffentlichungen immer auch einen experimentellen und alternativen Stil.

„This is a journey into sound ….”


Well Deep
Ten years of Big Dada
(Ninja Tunes/Rough Trade)

Well Deep – Ten years of Big Dada

So feiert zum Beispiel das britische Indie-Label Big Dada heuer seinen zehnten Geburtstag. Das 1997 von Musikjournalist Will Ashon gegründete Label stellt die musikalische Heimat von Namen wie Roots Manuva, MF Doom, Ex-Companie Flow-Memeber Big Jus oder Busdriver dar; jeder für sich bereits ein Name, den man mal auschecken darf.

Anlässlich des zehnjährigen Bestehens geben sich nun alle Artists auf einer Doppel-CD plus DVD die Ehre. Das dabei entstandene Stück Musik ist, wie man es vom Musik-Meltingpot London erwarten kann, eine echte Herausforderung für DJs: einige Stücke passen samt Dubby-Sound ohne Probleme in jedes Ragga-Set, wieder andere sind sehr Drum'n'Bass-lastig und erinnern an Projekte wie Roll Deep-Crew. MC Wiley, ein Mitglied der Roll Deep, veröffentlicht seine Solo-Abenteuer über Big Dada, und ist auch auf der Compilation mit dem spätestens seit dem The Streets-Remix „Let’s push things forward“ bekannten Sound vertreten. Auch wenn oft mit Elementen wie Scratches gearbeitet wird, sorgt allein der teilweise ungewöhnliche Sound in Verbindung mit dem britischen Akzent für das Gefühl, ganz andere Musik zu hören. Und wenn dann doch mal ein Stück mit gewohnten Mustern läuft, ist es schön, sozusagen dasselbe Rezept mal von einem anderen Koch zu hören: viele der Raps sind melodisch in den Beat eingefügt und scheinen sich aus anderen Einflüssen wie zum Beispiel Elektro oder Dub zusammenzusetzen. Das sorgt für eigenen Sound und vor allem häufige Tanzbarkeit. Wer prinzipiell weiß, dass er auf Dirty-South und Gangster-Rap steht, wird hier nicht das richtige finden. Überhaupt ist „Well Deep“ keine einfache Rap-Platte. Wer dagegen den London-Sound „diggt“ und/oder sich für Drum'n'Bass interessiert, findet hier eine Bereicherung. Einige Stücke sind zwar etwas schwieriger zu genießen, mindern den Spaß aber nicht. Im Gegenteil: die Zusammenstellung der Trackliste ist stimmig und die Lieder lassen sich gut hintereinander weghören. Ob man mit der grundsätzlich ungewohnten Machart der Songs ein Problem hat, muss man selbst herausfinden. Ansonsten eine gute Möglichkeit, gleich mehrere interessante Tracks abzugreifen.


MOR: Simply the Best
(HipHop Vinyl/Groove Attack)

MOR, Simply the Best

Ähnlich verhält es sich mit dem neuen Album der „Masters of Rap“: grosse musikalische Bandbreite, einfach dadurch, dass alles möglich ist. Nachdem das Album schon seit zwei Jahren angesagt wird, hat schon fast keiner mehr mit einem Lebenszeichen der MOR gerechnet. Und dann kommt es plötzlich, und noch dazu ganz anders als erwartet: während „NLP – Neolinguitisches Programmieren“ im Jahre 2001 sich noch stark auf Battle-Raps konzentrierte, steht „Simply the best“ im Zeichen des Positiven.

Zur Besetzung bei NLP zählte damals noch der heutige Solo-Rapstar und Optik Records-Gründer Kool Savas, und es war die Zeit, als Berlin sich mit Ellenbogen Platz in der HipHop-Szene sicherte. Es wurde also gebattlet, gedisst und representet, was das Zeug hielt. Der erste Track des neuen Albums („Moves“) knüpft zwar noch dort an, doch bereits Track 2 „Halstattoos“ wirft den geneigten Hörer aus der Bahn, hört man da doch ein leicht ironisches Liebesbekenntnis zum Rockerlifestyle. Irritiert lauscht man dem nächsten Song, der von einem Homer Simpson-Sample eingeleitet wird. Doch wieder kaum zu glauben: „Wir packens an“ ist musikalisch und textlich eine einzige Aufbruchsstimmung. Es fallen Zeilen wie: „Wer seine Arbeit nicht erledigen kann/ist für mich weniger Mann als schäbiger Punk!“, dazu ertönt ein Marsch-artiger, klangvoller Beat. Andere Rapper halten ihren Assi-Lebensstil hoch, während hier die Faulheit gedisst wird. Was sagt man dazu …


MOR sind:
  • Jack Orsen
  • Ronald Mack Donald
  • Big Derill Mack
  • Justus Jonas
  • Fumanschu
  • Illo

Und wenn die eigenen Vorstellungen bis dahin noch nicht gesprengt sind, passiert es spätestens bei „Jump“, einer HipHop-Coverversion des Klassikers von Van Halen inklusive Gitarrensolo. Ab dieser Stelle wiederholt sich diese Achterbahnfahrt noch einmal: „Superman“ ist wirklich kein Easy-Listening für den Kaffeeklatsch, kommt auf dem gleichen Sample wie Snoops „Ups&Downs“ (Rhythm & Gangsta) ziemlich schmierig und erinnert eher an gewohnte Berliner Kaliber. Hält aber nicht lange. Direkt nach dem Carpe-Diem-Song „Jeden Tag“ kommt mit „So verrückt“ ein langsames funky Liebesgeständnis, das durch die ungekünstelten Texte noch ein Schmunzeln entlockt. Erinnert musikalisch ein wenig an „Relativ schön“ auf „Direkt aus dem Knast du Spast“ (Taktloss und Jack Orsen feat. Fumanschu), ist aber textlich viel harmloser und kann auch mal gemeinsam mit der Freundin gehört werden. Bevor „Bei MOR“ uns mit einigen Represent-Ansagen aus dem Album entlässt, sticht „Gib’s auf“ noch besonders ins Ohr: fast schon künstlerisch steht jede Textpassagen des Stücks in einem anderen Bezug zu „Gib’s auf“, von der Leere des Lebens über das Aufgeben des Drogenkonsums bis hin zum entgegengesetzten „ich geb’ nicht auf“. Immer schön, wenn hinter der Fassade was zu finden ist.

Heute wie damals ist es ein Markenzeichen der MOR-Realeses, dass sie das Spaßgefühl einer Untergrund-Produktion haben: Rapper, die privat auch Freunde sind, tragen ihren Teil bei. Auf Beats aus eigener Produktion versteht sich. Und auch „Simply the best“ bedient sich der Basics wie Keyboardsounds, Beat-Samples und Achtzigerjahre-Samplebutton. Die Musik ist melodiöse und leichte Kost, also auch für das nicht-eingerappte Ohr geeignet, und reicht von Funk über Synthesizer-Sounds bis zur Streicheruntermalung. Gespickt mit Snare und Clap entsteht ein ganz eigener Sound, der den Charme der Produktionen ausmacht. Gleichzeitig nimmt keiner der Mitglieder ein Blatt vor den Mund, was für den ungeübten Hörer eventuell ein Problem darstellen könnte. Wer sich davon aber nicht abhalten lässt bekommt dafür Abwechslung und einige schöne Flows serviert. Gerade die Beiden, die mit dem Berliner Rapper und Ex-MOR-Mitglied Taktloss Alben gemacht haben (Jack Orsen, Justus Jonas) zeigen ein paar stylishe Stücke, und wo das mal nicht ganz klappt, klingt die Sache trotzdem eher authentisch als verzockt. Fehler passieren auch den Besten, ist schließlich kein Geheimnis. Prädikat: Reinhörtip. Man braucht eine Weile zum Einhören, wer sucht, wird aber nicht enttäuscht. Die anfängliche Skepsis schlägt später in begrüßende Entspannung um und wer NLP gefeiert hat, wird auch auf dem Nachfolger den MOR-Flair spüren.


» www.masters-of-rap.de
» de.wikipedia.org