Anzeige:
Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




November 2007
Robert Mießner
für satt.org

DISCO 3000
09

So fängt Freiheit an
The Ex: Berlin, Festsaal Kreuzberg,
08. November 2007

The Ex Live
Foto © The Ex

Das ist natürlich nicht der Eingang zum Festsaal Kreuzberg.
So sehen Flyer in Äthiopien aus.

Am falschen Ort hätte diese Musik, die so gänzlich ohne Vergleich ist, Pech. The Ex spielen eine waghalsige Mischung aus ost- und westafrikanischen, nordarabischen und osteuropäischen Elementen, aus Dubstep, Dancehall, Hip Hop und Moderner Klassik (O-Ton Andy Moor). Ambitionierte Veranstalter könnten für einen Moment versucht sein, sie auf eine akademische Bühne zu stellen. Als Lektion in Wildheit für Studienräte, gehüllt in vornehm zerknittertes Leinen und Cool Wool, am Rotwein nippend und sich das Kinn kratzend. Dabei ließen sich dann Reminiszenzen anstellen an die Tage, da man jung und dumm war, als der Tag mit Transparentmalen begann, beim Entwerfen von Flugblättern seinen verspäteten Mittag erreichte und mit Coltrane und als frei gedeuteter Liebe ausklang. The Ex waren jung, Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger. Sie waren Punks, haben Häuser besetzt und wollten mit dem Erlös einer frühen Single den Widerstand in El Salvador unterstützen. Dumm waren sie nie, altersmilde sind sie noch lange nicht.

Am richtigen Ort kann ihre Musik leuchten, eine Kraft und Magie entfalten, die es dieser Tage nur noch ganz selten gibt. Anfang November sind The Ex im Festsaal Kreuzberg, einem der letzten Refugien aufregender Musik und Kunst in der Hauptstadt, aufgetreten und haben ein Konzert gegeben, das seinesgleichen sucht. Auf früheren Alben, Scrabbling At The Lock (1991) und And The Weathermen Shrug Their Shoulders (1993), beide mit Tom Cora (1953 – 1998), auf Instant (1995) oder Ex Orkest (2001) haben sie fast schon als Bigband musiziert, verwendeten Streicher, Akkordeon, Tapes und alles, was sich sonst noch zu Klang verwandeln lässt. Mittlerweile aber gibt es The Ex auch reduziert als Quartett: Terrie Ex und Andy Moor an Gitarre und Baritongitarre (einst von Duane Eddie und Johnny Cash benutzt), Sänger G. W. Sok und Katherina Ex an Schlagzeug und Gesang. Sie tragen ihre Instrumente selber auf die Bühne. Ihr Dresscode ist immer noch schwarz und rot. Und beinahe nimmt es einen bösen Anfang. Beim Gang auf die Bühne stolpert Terry Ex über einen der Verstärker, fällt fast der Länge (in seinem Fall eine beachtliche) nach hin. Ein mit Humor quittiertes Versehen, das Punkelixier, käuflich zu erwerben in kleinen grünen Flaschen, scheint nicht im Spiel zu sein. Nebenbei bemerkt darf auf ausdrücklichen Wunsch der Band nicht geraucht werden. Das fördert die Konzentration und geht gut. Wer den Schreiber dieser Zeilen kennt, weiß, dass er es selber nicht geglaubt hätte.

The Ex: Turn (2004)
The Ex


Getatchew Mekuria & The Ex & Guests: Moa Anbessa (2006)
The Ex

Was folgt, ist dann tatsächlich eine Lektion. Allerdings eine, die den Kopf über die Hüften erreicht. The Ex singen nach wie vor davon, dass die bessere aller Welten nicht Rupert Murdoch gehört. Das Publikum tanzt dazu. Wer unbedingt will, kann das auch ruhig wieder Punk nennen. Es klingt entgrenzt und entfesselt, hat dabei aber stets Logik und Struktur. Was The Ex auf ihren musikalischen und geographischen Exkursionen mit Han Bennink, dem Bennink auf Machine Gun, The Peter Brötzmann Octet (1968), Tristan Honsinger, Cellist bei Cecil Taylor und dem äthiopischen Saxofonisten Getatchew Mekuria gesucht und gefunden haben, die Freiheit, die noch nicht zum billigen Schlagwort auf Wahlplakaten und in Parteiprogrammen geronnen ist und es auch nie tun wird, ist an diesem Abend in verdichteter Form zu hören. Irgendwann in der Mitte kippt G.W. Soks Gesang in eine mehrminütige Lautmalerei. Silben eines Schamanen, die viel mehr sagen als gestanzte Worte. Wenn er, bei Bedarf auch ein Megafon benutzend, in den längeren Instrumentalpassagen nichts zu sagen hat, geht er an den hinteren Bühnenrand, Richtung Backstage. Das ist Bescheidenheit. Terry Ex fängt an, mit den Gitarrenhals an der Bühnenwand Kratz- und Schabgeräusche zu produzieren. Eine Performance wird es noch lange nicht. Katherina Ex hält das Brodelnde, das Kochende am Schlagzeug zusammen. Die beiden Gitarristen, sie spielen nicht gegeneinander an, sie hören aufeinander, liefern sich präzise und wohlplatzierte Duelle. Dabei springen sie über die Bühne, als wollten sie Hardcore neu definieren. The Ex sind dabei keine Krachintelligentsia, ihr Sound ist körperlich. Sie frickeln nicht, sie spielen. Darin liegen Wut und Hoffnung, der Schrei und die Stille. Es ist die Musik zur Zeit.



Den umfangreichen Backkatalog von The Ex, Soloprojekte der Bandmitglieder, die Wiederveröffentlichung von Mental Blocks For All Ages (1991) der Dog Faced Hermans (mit Andy Moor), Bücher und DVDs gibt es direkt bei den Erzeugern: www.theex.nl.



Getatchew Mekuria & The Ex & Guests Live:
  • 08. Dezember: Rennes (FRA), Salle de la Cité
    Transmusicales de Rennes Festival
  • 13. Dezember: Brussels (BEL), Recyclart Festival
  • 15. Dezember: Den Haag (NL), Paard (State X Festival)
  • 16. Dezember: Nijmegen (NL), Doornroosje
  • 19. Dezember: Tilburg (NL), Paradox
  • 20. Dezember: Paris (FRA), Africolor Festival
  • 21. Dezember: t.b.a.
  • 22. Dezember: Pont Sainte-Maxence (bei Creil, FRA), La Mannekine