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November 2007
Christina Mohr
für satt.org

Hoo Doo Girl … Calls the Shots

Hoo Doo Girl ist eine dreiköpfige Frauen-Rock'n'Rollband aus Hamburg, die ihren Namen dem Dr. John-Song „I Been Hoodood“ entlieh – diese Verbindung gibt die Richtung vor, die Hoo Doo Girl musikalisch einschlägt: kein modischer Elektropop wird hier gespielt, die Grundstimmung ist deutlich sixtiesorientiert, ohne dass in realitätsferne Nostalgie abgedriftet wird.

Hoo Doo Girl … Calls the Shots (Hazelwood)


Hoo Doo Girl
Foto: Hazelwood




HOO DOO GIRL live:

Silke Thoss, Susie Reinhardt und Peta Devlin sind keine Novizinnen im Popgeschäft, seit vielen Jahren spielen sie in verschiedenen Formationen und beschlossen in 2005, gemeinsame Sache zu machen. Ihr Debütalbum „Hoo Doo Girl … Calls the Shots“ (übersetzt ungefähr: „Hoo Doo Girl sagt, wo's langgeht“) ist gerade bei Hazelwood Vinyl Plastics erschienen, dem Frankfurter Label „für den toleranten Stoiker“, wie Hazelwood sich selbst bezeichnet. Die vierzehn Songs auf „ … Calls the Shots“ sind bestens dazu geeignet, auch den stoischsten Stoiker aus dem Sessel zu schubsen: Hoo Doo Girl spielt eine wilde, leidenschaftliche, mitreißende Mischung aus Sixties-Garagenbeat, Girlgroup-Gesang, Stax- und Motown-inspiriertem Soul und jeder Menge Rock'n'Roll. Dazu singen Thoss, Reinhardt und Devlin aufrührerische Texte, die zum Beispiel dazu anstiften, den verdammten Job hinzuschmeissen, wenn er anfängt zu nerven. Auffälligstes Merkmal des Hoo Doo Girl-Sounds ist das von Silke Thoss gespielte Akkordeon, ein für den Rock'n'Roll eher ungewöhnliches Instrument, das dafür sorgt, dass man sich Hoo Doo Girl sowohl in einer Hafenbar und einem Saloon gleich gut vorstellen kann. Im Dezember gehen die drei wilden Damen auf Tournee, vorab gibt es hier ein Interview mit Silke Thoss über Vorbilder und das Leben als Frau im Musikbusiness.

Wann und wie seid Ihr drei zusammengekommen - habt Ihr eine gemeinsame Geschichte?

Silke Thoss: Wir wussten schon seit vielen Jahren voneinander, da wir alle in unterschiedlichen Bands spielten. Peta spielte bei Die Braut haut ins Auge, Oma Hans und in ihrer eigenen Band Cow. Susie spielte eine selbstgebaute Slide und wilde Gitarre bei DM Bob and the Deficits und ich war mit den Watzloves unterwegs. Wir fanden uns gegenseitig gut und jedesmal, wenn wir uns auf Konzerten trafen, waren wir uns einig, dass wir doch unbedingt mal zusammen Musik machen sollten. Als ich dann vor zwei Jahren nach Hamburg zog, war es dann so weit.

Was tut Ihr, wenn Ihr nicht gerade Musik macht?

ST: Peta arbeitet als Musikproduzentin und Toningenieurin unter anderem im Musikstudio Soundgarden in Hamburg. Susie ist Journalistin und schreibt auch Bücher und ich bin als freischaffende Künstlerin tätig, reise viel durch die Gegend, um Ausstellungen zu machen.

Wie wichtig ist Hamburg für Euch?

ST: Da wohnen wir alle, das ist praktisch zum Proben – ausserdem ist Hamburg einfach eine tolle Stadt!

Warum ist Hazelwood das ideale Label für Euch? Hoodoo Girl ist jedenfalls ideal für Hazelwood, ein paar Musikerinnen haben diesem Laben wirklich gefehlt!

ST: Einige Bands, die wir kennen, schätzen und mit denen wir uns musikalisch verwandt fühlen wie zum Beispiel King Khan and the Shrines, BBQ, DM Bob and Country Jem sind dort auch zu Hause. Das war für uns ein überzeugendes Argument, zu Hazelwood zu gehen und es war auch eine gute Entscheidung. Und was die Frauen angeht, so sind tatsächlich nur ganz wenige Musikerinnen auf diesem Label vertreten. Vielleicht wird ja durch uns ein Stein ins Rollen gebracht …

Wie wichtig ist es für Euch, "stilecht" zu sein - in Bezug auf Eure Klamotten, Bühnenshow, den Sound der Aufnahmen …

ST: Wir sehen uns nicht als eine Retro-Sixties-Band. Wie fast alle aktuellen Bands verbinden wir diverse Stile aus verschiedenen Epochen. So stammen zum Beispiel unsere Verstärker aus den Fünfzigern, unser Chorgesang ist sixties-inspiriert, unsere Kleidung sieht eher nach den Siebzigern aus, unsere Attitude befindet sich irgendwo zwischen 1977 und 1981 und mit den Gedanken sind wir schon im 22sten Jahrhundert!
Ausserdem setzen wir ein Akkordeon als Leadinstrument ein, was in der klassischen 60’s-Beat- und Soul-Musik nicht zu hören war. Übrigens ist das Akkordeon generell eher selten in der Pop- und Rock-Musik zu hören, ausser bei Zydeco und Cajun-Musik aus den US-Südstaaten. Allein das ist ein grober Bruch mit der Stilechtheit.

Was macht Eure Musik für die heutige Zeit interessant – und warum seid Ihr nicht „retro“?

ST: Tja, vielleicht sind wir ja retro-nostalgisch, aber in den heutigen Zeit werden uns doch von allen Seiten seltsame Bedürfnisse eingeredet. „Geiz ist geil“, den Burger gibt es in der Super-Doppel-XL- Größe. Rabattpunkte werden gesammelt, jeder braucht eine Latte Macchiato To Go, Flatrates, Discounts etcetera, etcetera. Wir müssen feststellen, dass wir uns nach so etwas wie einer – ja, fast naiven Schlichtheit sehnen, wo tiefe, wahre Gefühle wie Liebe, Leidenschaft, Wut, Schmerz und der Wunsch, jemanden umzubringen, weil er nicht anruft, zur Tagesordung gehören.
Wenn wir nach den Reaktionen auf unsere Musik urteilen, scheint es unseren Zuhörern, unserem Publikum ähnlich zu gehen. Die Suche nach Liebe, Respekt, dem eigenen Platz auf diesem Planeten, Spass, Entertainment und die Möglichkeit, vergessen zu können, wie hart das Leben sein kann - wenn auch nur für eine kurze Zeit -, gehört nicht nur einer Epoche an. Diese Suche ist heute genau so aktuell wie damals. Eine Songzeile wie „My baby left me“ muss ja nicht ausschlieslich „mein Baby hat mich verlassen“ bedeuten: Dieses Gefühl der Verzweiflung kann man auch auf andere Lebenssituationen übertragen. Die Geschichten, die wir erzählen und die Musik, die wir spielen, sind sozusagen ein Vehikel für diese Grundgefühle. Und die sind, unser Meinung nach, zeitlos.

Auf Eurem Album „Calls the Shots“ sind ausschliesslich eigene Stücke - spielt Ihr live auch Coverversionen?

ST: Ja wir spielen Bobby Powell's "You better do something", "I'm gonna get you yet" von den Dixie Cups und andere tolle Songs. Wir haben mit Coverversionen angefangen, um herauszufinden, was wir machen wollen und vor allem wie, denn unsere Besetzung ist ja schon etwas besonderes.

Welcher Song von „Calls the Shots“ ist Euch am liebsten? Und warum?

Sie sind alle gut! Es sind traurige, glückliche, wütende, verletzende, tragische und lustige Geschichten darunter, zum Beispiel von der Frau, die nach einem One-Night-Stand schwanger wird, und dann später vom Kindsvater nicht erkannt wird („Who Are You?“); oder ein Song über eine andere junge Frau, die ihrem Freund das Studium finanziert und dieser „Freund“ macht sich hinter ihrem Rücken darüber lustig, dass sie so hässlich sei („Girl's got Money“). Oder die Durchdeklinierung der fünf Regeln für die grosse Liebe („1-2-3-4-5“). Oder der Rat, deinen Job zu kündigen, wenn er Dich nicht glücklich macht („Quit that Job“) und die lautstarke Beschwerde über ein eingeschlafenes Liebesleben („Somebody's Waiting“). Und am Ende, wie der Plattentitel schon erklärt, sagt Hoo Doo Girl, wo es lang geht!

Welche Platten aus den Sechzigern sind wichtig für Euch?

Silke: Etta James, Willie Tee, Ernie K-Doe
Susie: Die Ikettes und Tina Turner, Arthur Alexander, Bobby Powell
Peta : Dusty Springfield, The Staple Singers, Bobby Gentry

Habt Ihr das Gefühl, dass sich für Frauen im Popgeschäft in den letzten Jahren etwas verändert hat? Ist es leichter oder schwieriger, wahrgenommen zu werden? Oder gehen Euch Fragen zum Thema "Frauen im Pop" auf die Nerven?

ST: Wir haben den Eindruck, dass in Deutschland öfter Frauen in den Promotion- und Marketingabteilungen der grösseren Musiklabels zu finden sind. Aber leider sieht man immer noch selten Frauen, die auf der Bühne stehen und Instrumente spielen. Sängerinnen und DJanes, ja, die gibt es, und Frauen stehen sogar gelegentlich am Mischpult. Doch nach wie vor fehlt es an aktiven Musikerinnen. Wir finden das sehr schade und fragen uns, wo sind sie eigentlich? Allerdings ist das kein neues Thema, wir bekommen die Frage zum Frau-sein in der Musikbranche seit fünfzehn Jahren immer wieder zu hören und natürlich nervt es irgendwann gewaltig, immer erst als Frau und dann als Künstlerin eingeordnet zu werden. Es ist auffällig, dass selten unsere Texte oder unsere aussergewöhnliche Instrumentierung angesprochen wird. Dafür werden wir sehr oft gefragt, was denn wohl dahinter steckt, dass wir eine Frauenband sind. Und doch wissen wir, dass es wichtig ist, diese Sache weiterhin zu thematisieren, denn wir wollen auch gerne Jüngere dazu ermutigen, selber auf die Bühne zu gehen oder hinter dem Mischpult zu stehen. Hoffentlich müssen die dann später nicht mehr so viel darüber reden wie wir!
Bei der Gründung von Hoo Doo Girl standen musikalische Gemeinsamkeiten und gegenseitige Sympathie im Vordergrund. So wie es immer ist, wenn eine Band gegründet wird, egal ob Männer oder Frauen dabei sind. Wir ergänzen uns eben sehr gut. Ob das daran liegt, dass wir Frauen sind, oder einfach weil die Kombination passt, ist schwer zu sagen. Aber warum auch immer, es funktioniert.

Eine letzte Frage zum Thema Frauen und Rock'n'Roll: Ist es Euch schon passiert, dass Männer bei Konzerten Sachen sagen wie "für 'ne Frauenband nicht schlecht"? Wie reagiert Ihr auf solche Äusserungen?

ST: So etwas traut sich doch kein Typ, uns das ins Gesicht zu sagen. Das haben wir noch nicht gehört!


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