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MW: Es war von Anfang an eine bewusste Entscheidung, sich eher in einem Kunstkontext zu präsentieren, wenn dies auch eher ein humoristischer Umgang mit den sprachlichen Codierungen und Zeichen des Kunstbetriebs war. Ich bin in Düsseldorf geboren und in einem kreativen Umfeld aufgewachsen, das Blinky Palermo, Beuys, Kraftwerk und Punkrock als gleichberechtigte Einflüsse betrachtet hat, die sich eher ergänzen als ausschließen. Die elektronische Musik und die Kunstszene haben sich in den Neunzigern gegenseitig sehr befruchtet. Wir selbst waren und sind allerdings kein aktiver Bestandteil des Kunstbetriebs, sondern eher ein klassisches Beispiel für ein Projekt, das inhaltlich zwischen allen Stühlen sitzt. Sozusagen zwischen Konzerthalle und Club, wobei der Club eigentlich nur noch als historische Wurzel zu betrachten ist, die Konzertanfragen sind fast ausnahmslos aus dem Kontext der Neuen Musik, Film und neuen Medien. Wenn es um Aufsprengen und Befreiung gehen sollte, dann im ehesten um die Verwischung der überholten Begrifflichkeiten von E- und U–Musik, beziehungsweise E- und U-Kultur. Wenn man sich ansieht, wie viel Geld drittklassige Stadttheater und überdimensionierte Opernhäuser verschlucken, während die agile sogenannte „neue Mitte“ auf eigenes Risiko ihre musikalisch-kulturellen Netzwerke bauen darf, mit denen sich unsere Hauptstadt so brüstet, ohne auch nur einen Cent dafür zu geben, wird mir wirklich schlecht. Wenn wir dann in einem solchen E-Musik/Hochkulturrahmen auftauchen, kann das natürlich auch zu Irritationen führen, denn erfahrungsgemäß arbeiten subventionierte Institutionen ineffektiver als kleine bewegliche Zellen. In wieweit seid Ihr noch Pop? MW: Ich habe mir nie um solche Begrifflichkeiten Gedanken gemacht hinsichtlich meiner eigenen Arbeit. Man sollte seine eigenen Ansätze immer so gut wie möglich und so erfolgreich wie möglich versuchen umzusetzen. Ist es dann erfolgreich, nennt man es Pop, ist es nicht erfolgreich, wird es Underground genannt. An dieser Definition kann man schon erkennen, wie wenig man selbst als Künstler in der Hand hat, um das zu steuern. Pop bedeutet inhaltlich natürlich auch Relevanz, aber in einer Zeit der fortschreitenden Atomisierung von Genres und sinkender Halbwertzeiten kultureller Güter ist auch dieser Begriff nicht mehr wirklich griffig. Elektronische Musik aus Deutschland ist im "Ausland" sehr erfolgreich - auch und gerade Visualkünstler wie Ihr. Was glaubt Ihr, woran das liegen könnte? MW: Elektronische Musik hat in Deutschland eine lange Tradition. Das Studio für elektronische Musik in Köln, wo KarlHeinz Stockhausen gearbeitet hat – bei dem unter anderem der Can–Keyboarder Irmin Schmidt studiert hat - , Komponisten wie Ligeti, Nono, Kagel (auch wenn das alles keine deutschen Komponisten sind, so arbeiteten sie doch vornehmlich in Deutschland), Eberhard Schoener, Neu!, Kraftwerk, Ashra Tempel etcetera bis hin zu Tresor, Kompakt, Basic Channel und andere als europäische Plattformen in Berlin, die Techno hier bei uns und vielleicht sogar weltweit bekannt gemacht haben. Von der Aussenwirkung her scheinen wir als Produzenten aus Deutschland natürlich an diese Tradition anzuknüpfen, wenn ich auch nicht glaube, daß sich wirklich viele Künstler selber in dieser Tradition sehen oder in ihr arbeiten. Meine eigenen Wurzeln als geborener Düsseldorfer liegen eher im Punk: DAF, Der Plan und allem, was John Peel uns so damals durch den Äther an interessanten Dingen rübergeschickt hat. Historisch gesehen war der mediale Fokus durch die Wiedervereinigung auf Berlin sicherlich hilfreich für die Vermarktung der Stadt und auch der elektronischen Nischenmusik, die wir ja letztendlich sind. In welche Richtung wird sich elektronische Musik weiterentwickeln? Und wird die Kombination aus Bild und Ton weiterhin existieren - gibt es neue Entwicklungen, die Ihr beobachtet oder vorantreibt? wenn ja, welche? MW: DIE elektronische Musik an sich gibt es ja eigentlich nicht. Von Klangkunst, Noise, Club bis hin zu Jazz ist das Feld ja sehr weit gesteckt, und man kann eine solche Frage nur für ein definiertes Genre beantworten. Wir selber bewegen uns ja schon immer amöbenartig zwischen diesen Genres und versuchen, die systemimmanenten Gesetzmässigkeiten für uns zu nutzen, um uns eine eigene Position zu erarbeiten, die weit ausserhalb solcher Definitionsfelder liegt. Ich glaube an die Kraft der unabsehbaren Koalitionen mit Musikern aus völlig fremden Szenen. Durch meine Zusammenarbeit mit dem Zeitkratzer–Ensemble habe ich ja bei jedem Konzert genau diese Koalitionen in Reinform, wenn zehn Musiker aus so unterschiedlichen Bereichen wie Klassik, Freejazz, Impro und meine Wenigkeit am Sampler aufeinandertreffen und ein zeitgenössisches Stück von Terre Themlitz oder Fennesz neu interpretieren sollen. Voraussetzung für ein positives Gelingen ist natürlich die Respektlosigkeit der Einzelmusiker dem Material gegenüber. Das ist auf der Bildebene eigentlich analog zu sehen. Da wir als Projekt kein Interesse an den technischen Aspekten unserer Arbeit haben, besitzen wir das Glück, diese freigewordene Energie in die Entwicklung einer asynchronen, abstrakten Poesie zu stecken, die sich aus Musik und bewegten Bildern zusammensetzt. Der Begriff der Asynchronizität ist in diesem Zusammenhang sehr wichtig für uns. Bilder, Werkteile und Materialien unterschiedlichster Beschaffenheit und Oberfläche miteinander zu kombinieren und zueinander in Verbindung zu setzen, ohne sie zu synchronisieren ist eigentlich das Hauptmerkmal unserer Arbeitsweise. In diesem Quadranten ist noch eine Menge zu entdecken, da man glücklicherweise nicht auf das Diktat der Synchronizität Rücksicht nehmen muss. Am Ende des Tages ist es der Mensch, der die beiden Medien in seinem eigenen Gehirn zueinander in Verbindung setzt. Ihr bezeichnet Euch als Multikunstprojekt - was ist der Unterschied zu einer "Band" und warum trefft Ihr diese Unterscheidung? MW: Ich glaube, da hast du etwas falsch verstanden. Wir verstehen uns in erster Linie als Band. Das Wort „Multikunstprojekt“ würden wir für uns selber nicht verwenden. Eine Band ist eine Einheit, die ohne die Einzelzellen nicht existiert. Die gefühlte Summe der Einzelteile ist mehr als die rein rechnerische Addition der Einzelteile. Die Musik ohne die Bilder hat eben nicht annähernd die selbe Intensität wie die Verbindung beider Medien. Man muss das auch ein wenig im zeitlichen Kontext sehen, weshalb wir auf den Begriff „Band“ solchen Wert legen oder gelegt haben. Als wir vor zehn Jahren mit dem Projekt angefangen haben, war der künstlerische Fokus doch sehr auf Verschleierungstaktik des Künstlers ausgerichtet. Der Künstler hat versucht, sich hinter der Anonymität der Musik zu verstecken und es dem Publikum als Zeitgeist verkauft. Anonyme Projekte ohne Gesichter mit menschenleeren, rein graphischen Oberflächen waren damals das Mass aller Dinge. Bands wurden dagegen als ein anachronistisches Relikt aus rockistischen Zeiten betrachtet. Heute haben wir natürlich wieder das Gegenmodell. Was bedeutet der Titel "Silence" - ist das als Wunsch oder Feststellung (silence is the new loud) zu verstehen? MW: Im Gegensatz zu den älteren Veröffentlichungen haben wir mit „Silence“ versucht, eine in sich geschlossene Geschichte zu erzählen, die ihre Ausgangspunkte in alten mystischen schriften, Ikonenmalerei und dem russischen Filmemacher Tarkovski hat. Ich habe Musik schon immer als einen flüssigen Raum betrachtet, dessen Aussenhülle durch Visualisierungen begrenzt beziehungsweise definiert wird. Der anfängliche akustische Aggregatzustand in diesem Raum ist Stille, die selbstverständlich nicht existieren kann, aber als Ausgangspunkt angestrebt werden sollte. um von dort aus die weiteren Schritte der Expedition in den raum zu unternehmen. Ein musikalischer, aber auch existentialistischer Urzustand des Geistes sozusagen, der als Gegenentwurf zur materialistischen Jetztzeit gedacht ist. Der russische Ikonenmaler Andrej Rjubev - warum ist er für Euch so wichtig, was fasziniert Euch an ihm und seinem Werk? MW: Zum einen natürlich die handwerkliche Seite seiner Arbeiten, aber in erster Linie hat mich der Ausdruck der Gesichter, beziehungsweise diese weltabgewandte, in sich schauende Ausdruckslosigkeit sehr stark beeindruckt. Ich habe immer das Gefühl, jemand beobachtet mich aus einem undefinierbaren Zeitfenster, und mit einigen Stücken auf der DVD habe ich versucht. eben in dieses Zeitfenster hineinzusehen. Aber auch die Haltung der Ikonenmaler grundsätzlich ist für mich bei der Entscheidung, sie als Inspirationsquelle offenzulegen, von großer Bedeutung gewesen. Sie sehen sich eben nicht als Künstler, die subjektive Erfahrungen ausdrücken wollen, sondern als ausführendes Organ einer höheren Macht, welche den Maler als Gefäß für metaphysische Inhalte benutzt. Also genau das Gegenteil unseres zeitgenössischen, überprofilierten und überindividualisierten Künstlerbegriffs. |
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