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November 2007
Ronald Klein
für satt.org

Sandow: Kiong.
Gefährten der Liebe

(Dunefish/edel)

Acht Jahre nach dem von Andrej Tarkowskijs Film "Stalker" inspirierten Meisterwerk "Stachelhaut" meldet sich die Cottbusser Independent-Formation Sandow mit einem aussergewöhnlichen Album zurück. Pünktlich zum 25. Bandjubiläum erscheint der achte Longplayer. 25 Jahre! Während andere Bands nach einem Vierteljahrhundert schwerfällige Rockdinosaurier darstellen, präsentiert sich die Combo im neuem Soundgewand frischer denn je. Von dem Zeitpunkt an, als Kai-Uwe Kohlschmidt und Chris Hinze im zarten Alter von zwölf Jahren Sandow in einem Cottbusser Neubaugebiet aus der Taufe hoben, verweigerten sie sich sowohl den im Business normalen Abläufen als auch den Schubladen. Noch zu DDR-Zeiten entstanden mit "Schweigen und Parolen", "Harmonie und Zerstörung" und "Kinder des Verbrechens" Underground-Hits, die durch subversive Texte und kompakte Post-Punk-Arrangements den Nerv der renitenten Jugend trafen. Die staatliche Plattenfirma Amiga verzögerte das Erscheinen der ersten LP, indem sie die Masterbänder von "Stationen einer Sucht" verschwinden liess. Die Scheibe erschien erst nach dem Mauerfall.

Sandow: Kiong – Gefährten der Liebe

Sandow galten kurze Zeit als heisser Act, tourten mit Rio Reiser und den Toten Hosen. Doch statt die Medien-Maschinerie zu bedienen, warfen die vier Musiker erst die Reporter der Teenie-Postille BRAVO hochkant aus ihrem Proberaum und trieben anschliessend ihren Produzenten zur Verzweiflung. Denn statt griffiger Songs lieferten die Cottbusser komplexe Kompositionen und poetische Texte, die sich dem aktuellen Zeitgeschehen verweigerten. Dies schien notwendig. Denn ihr bekanntester Hit "Born in the GDR", ein Spottlied über die Endzeit der DDR, wurde von den Nostalgikern okkupiert.

Sandow wendeten sich dem Theater zu ("KänGuru", 1991) und veröffentlichten mit "Fatalia" 1992 ein dunkles Konzeptalbum, das in seiner Kompromisslosigkeit der Zeit voraus war. Es folgten die Musik zu einem Artaud-Hörspiel ("Schluss mit dem Gottesgericht", 1994), sowie zwei weitere Alben ("Anschlag", 1995 und "Stachelhaut", 1998). Ein Jahr nach ihrer letzten Veröffentlichung löste sich die Band auf und hinterließ eine Lücke, die andere Künstler weder textlich noch musikalisch zu schließen vermochten. Die 2005 angekündigte Rückkehr dauerte dennoch zwei Jahre, in denen die Band, verstärkt durch Klang-Tüftler Z.A.P., an den Songs feilte. Das Warten hat sich gelohnt!

"Karakul" eröffnet den Reigen neuer Kompositionen. Ein hymnischer, eingängiger Pop-Song, der Aufbruch symbolisiert. Mit "Divve" schliesst sich eine sympathische Rausch-Hymne an, in deren Refrain es "Lass uns fliegen" heisst. Alten Fans fällt sofort die intertextuelle Referenz auf ("Fliegen", 1988). Die über sieben Minuten lange, sinnlich geflüsterte Verführung "Honey" besticht durch den langsamen, hypnotischen Beat, bevor das Album mit "Sunny" und dessen eingängiger Hookline wieder in rockige Gefilde driftet. Knackige Breakbeats eröffnen den beschwörend arrangierten nächsten Song: "Krieg". Kohlschmidt und Gast-Sängerin Angie Reed spielen Ping-Pong mit Begriffen wie "Djerba", "Barschel", "World Trade Center" oder auch "Herrhausen, Alfred". Hinter jedem Textfragment steht eine Verschwörungstheorie, die politische Operationen verdeckt. Das dem 2005 verstorbenen Musiker Chris Whitley gewidmete "Am Grab des Lizzard" stellt hingegen das gefühlte Herzstück dar - der "Raum aller Dinge" auf "Kiong". Ein stilvolles Adieu für einen engen Freund. Ungewohnt geradeaus präsentiert sich "Bastard", in dem zornige Fragen dominieren: "Wo warst du als die Lager blühten / Wo warst du als die grosse Welle kam". Die Antwort gibt geben Sandow selbst: "Nur die Einfalt stellt hier Fragen / Du bist ein Teil von ihr / Ich bin ein Teil von Dir", denn: "Gott ist ein BASTARD". Angenehm verraucht, Soul und Blues atmend, kommt "Doo und ich" daher. Mit dem grossartigen Refrain: "Mach das Licht aus reiss das Haus ein / und wenn es ihn noch gibt / Vergiss den Boden unter meinen Füßen nicht / Wer hält mich, ich falle / Denn ich will tief fallen". Insgesamt elf Songs verzaubern den Zuhörer. Elf Songs, die für sich stehen, die aber am Stück gehört die Geschichte von Vertrauen, Verrat, Misstrauen und natürlich Freundschaft und Liebe erzählen. Musikalisch wagt die Band, neue Pfade zu betreten. Das macht sich bezahlt.

Sandow klingen anno 2007 auch dank der exzellenten Produktion modern und trotzdem vertraut. Selbst, wenn es sich nicht um die stärkste Veröffentlichung der Band handelt, so liegt "Kiong" meilenweit über dem deutschen Standard. Willkommen zurück, Jungs!


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