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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




November 2007
Christina Mohr
für satt.org

Short Cuts-Logo
November 2007, erste Hälfte:


Dave Gahan:
Hourglass
(Mute/EMI)

Dave Gahan: Hourglass

Dave Gahans zweites Soloalbum „Hourglass“ (nach „Paper Monsters“ von 2003) zu hören, ohne dabei an Depeche Mode zu denken, ist schier unmöglich – zu prägnant, zu bestimmend ist Gahans Stimme, die seit den ersten DeMo-Tondokumenten von 1980 in Würde gereift (nicht gealtert) ist. Das letzte DeMo-Album „Playing the Angel“ stellte für Gahan einen bedeutenden emanzipatorischen Schritt dar, zum ersten Mal stammten drei Songs aus seiner Feder, der bisherige Hauptkomponist Martin L. Gore rückte ein bisschen zur Seite. Ob nun Gahans eigene Songs gut oder gar besser sind als Gores Stücke, ob Gahans Ego schlicht und einfach nach mehr Platz und Anerkennung ruft, darüber ließe sich lange diskutieren. Die zehn Songs auf „Hourglass“ zeigen jedenfalls einen selbstbewussten Sänger und Komponisten, der seine eigene Version des Blues gefunden hat. Dunkel, druckvoll, teilweise mit Hardrockgitarren untermalt, drängen Gahans Dämonen nach draußen. Es gibt keine träumerischen Martin Gore-Synthie-Melodiebögen, die bei Depeche Mode das Schwere zum Schweben bringen. Dave Gahan sucht Katharsis und Erlösung, seine schwere Drogensucht ist überwunden, doch die Erfahrungen aus dieser Zeit sind nicht weg, sie dräuen in Songs wie „Endless“, „A Little Lie“ und „Down“. „Hourglass“ ist kein leichtes Popalbum geworden, die musikalische Psychotherapie Dave Gahans verlangt den Hörern einiges ab.


» www.davegahan.com



Bat For Lashes:
Fur and Gold
(EMI)

Bat For Lashes, Fur and Gold

Die 27-jährige Natasha Khan aus Brighton, die unter dem Band-/Projektnamen Bat For Lashes* gerade ihr Debütalbum „Fur and Gold“ veröffentlicht hat, wird gerne mit Björk oder Kate Bush verglichen – Vergleiche wie diese führen in die Irre, wenn sie auch dazu dienen sollen, die Besonderheit der Musik von Bat For Lashes und der Stimme Natasha Khans zu beschreiben. Khan, die als eine ihrer Hauptinspirationen den Film „Donnie Darko“ angibt, zaubert mit sparsamen Mitteln eine spooky Atmosphäre, die die gesamte Spieldauer von „Fur and Gold“ bestehen bleibt. Ob sie mit dunkel waberndem Bass, 60's-Phil-Spector-Teenage-Drama-Anleihen wie auf der Single „What's a Girl to Do“, dezenten Dschungel-Drums, zartem Pianospiel und nicht zuletzt ihrer sanften und gleichzeitig rauhen Stimme arbeitet, Bat For Lashes befinden sich stets in einer Twilight-Zone. Neben den surrealen Effekten, die durch far-out-voices, Handclaps und teils kryptische Texte über Liebe und Tod entstehen, ist der Grundton des Albums definitiv pop-farben. Eine hinreißende Mischung also. Bat For Lashes sind/ist für den renommierten Mercury-Prize nominiert, die Chancen stehen gut – auch wenn gewiss wieder Vergleiche mit Björk bemüht werden.

* live wird Khan von Ginger Lee, Abi Fry und Lizzie Carey unterstützt; auf der Bat For Lashes-Website inszenieren sich die Musikerinnen als Band, nicht als reines Soloprojekt


» www.batforlashes.co.uk
» Video zu „What's A Girl to Do“



The Beautiful Girls:
Ziggurats (Crownn Recordings)

The Beautiful Girls, Ziggurats
The Beautiful Girls Live:
  • 27.11. Hamburg, Hafenklang
  • 28.11. Berlin, Kato
  • 29.11. Frankfurt, Cooky's
  • 30.11. Köln, Prime Club
  • 1.12. CH-Solothurn, Kofmehl
  • 4.12. München, Atomic Café
  • 5.12. A-Wien, B72

Die drei Australier Mat Mc Hugh (Gitarre & Gesang), Bruce Braybrooke (Drums, Percussion & Gesang) und Paulie B (Bass & Gesang) wecken mit ihrem neuen Album „Ziggurats“ Erinnerungen an eine Zeit irgendwann während der achtziger Jahre, als es Bands gab, die enormen Erfolg hatten, viele Platten verkauften und oft im Radio gespielt wurden, ohne dass die Betreffenden ihre Seelen komplett an den Mainstream verkauft hätten – zum Beispiel Fisher Z, Midnight Oil, mit Abstrichen Level 42. The Beautiful Girls vermengen mit großer Lässigkeit und Versiertheit an den Instrumenten Reggae, Soul, Ska und „Weltmusik“ (im Sinne Manu Chaos oder Johnny Cleggs). Der Band gelingen mit leichter Hand tolle und eingängige Songs, wie „Spanish Town“, „Bring Me Your Cup“ oder „Sir, Your Fashion Has the Cold Heart of a Killer“, die an oben genannte Bands erinnern, dabei nicht zu tief in die Retrokiste zu greifen, sondern für ein zeitloses Verständnis von Musik stehen. „Ziggurats“ wird Menschen gefallen, die mit The Clash und den Dexy's Midnight Runners aufgewachsen sind (wie mutmaßlich auch die drei Beautiful-Girls-Musiker selbst), sich für „Bring' mir das Gefühl zurück“-Parties oder -Radiosendungen allerdings zu schade sind.


» www.thebeautifulgirls.com
» myspace.com/thebeautifulgirls



Jack Peñate:
Matinee
(XL/Beggars)

Jack Peñate, Matinee

Woo-hoooo! Jack Peñates Debütalbum „Matinee“ ist eine der umwerfendsten und mitreißendsten Platten dieses Jahres – der 22-jährige Südlondoner bringt den 3-Minutes-Popsong zurück, orientiert sich dabei an großen Vorbildern wie den Housemartins oder Edwyn Collins/Orange Juice, ohne jemals ins Plagiieren zu verfallen. Seine erste Single „Torn on the Platform“ stürmte die britischen Charts, die nächste, „Second, Minute or Hour“ entwickelt sich genauso rasant. Überschwenglich, immer knapp an der Grenze zum Überschnappen, rockt und soult sich Peñate auf „Matinee“ durch elf Songs, von denen einer charmanter ist als der andere. Große und kleine Liebesdramen bestimmen seine Lyrics, meist steht er als „fool“ allein im Regen. Peñates inzwischen berüchtigten, linkisch-durchgedrehten Tanzeinlagen auf der Bühne festigen seinen Ruf als liebenswerten loser, der er privat vielleicht sein mag, musikalisch auf keinen Fall. Jack Peñate schreibt wirbelnde, zeitlose, northern-soul-beeinflußte Pophymnen, die durch die erfreulicherweise ziemlich roughe Produktion von Jim Abiss (der auch schon die Arctic Monkeys, Editors, Kasabian, also eine ganze Riege junger Hoffnungsträger im Studio betreute) ein wehrlos machendes Gesamtpaket ergeben, zu dem man weinen, lachen, tanzen, Gitarre spielen sollte – also genau das, was Jack Peñate auch tun würde!
Die Cover- und Bookletzeichnungen des sehr hübsch gestalteten „Matinee“-Digipaks stammen übrigens vom Künstler selbst ( nur so als Tipp, falls jemand über Download nachdenken sollte).


» www.jackpenate.com
» myspace.com/jackpenate
» Video zu „Spit at Stars“



Jens Lekman:
Night Falls Over Kortedala
(Secretly Canadian/Cargo)

Jens Lekman, Night Falls Over Kortedala

Jens Lekman ist kein alter, sondern ein noch ziemlich junger Schwede (haha), der seinen Heimatort Kortedala sehr lieben muss (siehe Albumtitel), aber doch damit hadert, diese Stadt bisher zu selten verlassen zu haben. Als größtmöglichen Kontrast zu Schweden hat er sich Australien als künftigen Wohnort ausgesucht – welche Auswirkungen der Umzug ins trocken-heisse Klima auf seine Musik haben wird, werden wir demnächst erfahren. Bis dahin kann man mit „Night Falls Over Kortedala“ testen, wie das schwedisch-kühles Wetter die kompositorischen skills von Herrn Lekman beeinflusst hat. „Night …“ ist ein charmantes Crooner-Zitatpopalbum mit schönen Songs wie „Shirin“, in dem es heißt „When Shirin cuts my hair / it's like a love affair“ - wann gab es zuletzt ein Liebeslied für eine Friseurin? Diese, zumindest ihre „heavenly hands“ tauchen sogar auf dem Covermotiv auf, das Lekman dabei zeigt, wie er die Haare geschnitten bekommt. Lekman ist ein Meister im Erzählen kleiner Geschichten, Jonathan Richman-ähnlich erzählt er von Nina, dem lesbischen Mädchen, dessen Vater noch nichts von ihrer sexuellen Orientierung weiß und glaubt, Jens würde sein Schwiegersohn; oder davon, wie er sich beim Avocadoschnipseln in den Finger schneidet, weil seine Freundin lautlos ins Zimmer kommt. All' diese Stories bettet Lekman in augenzwinkernd-pompös arrangierte Popsongs, die er liebevoll mit Lambada-Snippets oder mit einem Sample von „By the Time I Get to Phoenix“ von Jimmy Webb ausstaffiert.


» www.jenslekman.com



Edwyn Collins:
Home Again
(EMI)

Edwyn Collins, Home Again

Edwyn Collins ist – wie Dave Gahan – ein survivor, ein Überlebender des Popgeschäfts. Wie Gahan hat er für sein musikalisches Engagement gesundheitlichen Tribut gezollt: Im Jahr 2005 erlitt Collins zwei Schlaganfälle, von denen er sich glücklicherweise gut erholt hat. Zur erfolgreichen Rekonvaleszenz hat zu weiten Teilen Sohn Will beigetragen, der Vaters myspace-Seite einrichtete und am Anfang, als Edwyn Collins noch nicht selbst schreiben konnte, auch betreute. „Home Again“ ist in Anbetracht seiner Krankheit der passende Titel für Collins' aktuelles Album, kann er doch die Rückkehr aus dem Klinik genauso meinen wie ein musikalisches Comeback. Aus den Linernotes zu „Home Again“ wird nicht klar, wann die Songs aufgenommen wurden, ob sie vor oder nach Collins' Erkrankung entstanden, aber das spielt keine Rolle. Man freut sich so sehr, dass er wieder zurück ist – Home Again, Welcome Back! Edwyn Collins kann mit Fug und Recht als Vorläufer, Vorbild, Vater oder großer Bruder-im-Geiste von Pop-Songwritern wie Jens Lekman und Jack Peñate (s.o.) angesehen werden – in den frühen achtziger Jahren war Collins mit seiner Band Orange Juice auf der Suche nach dem perfekten Popsong. Die Realisierung dieses Ideals gelang ihm in vielen Fällen, zum Beispiel mit „Rip it Up and Start Again“, dessen Titel sich Simon Reynolds für sein berühmtes Post-Punk-Buch auslieh. Bittere Ironie der Popgeschichte: weil Edwyn Collins häufig nur mit seinem Superhit „A Girl Like You“ von 1994 in Verbindung gebracht wird, gilt er vielen als One-Hit-Wonder. Das ist natürlich eine schreiende Ungerechtigkeit, aber Collins beklagt sich nicht, sondern spielt und produziert unverdrossen weiter. „Home Again“ beinhaltet zu gleichen Teilen zurückgenommene, getragene Balladen wie den Titelsong, „Leviathan“, „Then I Cried“ und „It's In Your Heart“ und lebendige Midtempo-Gassenhauer wie „One Track Mind“, den Slideguitar-Shuffle „7th Son“ und „Superstar Talking Blues“. Höhepunkt der Platte ist das phillysoul-beeinflusste „You`ll Never Know My Love“, mit dem Collins beweist, dass auch weiße Männer Soul singen können, ohne dass es peinlich wird. Collins schreibt in seinem myspace-Blog von Anfang Oktober, dass er erste Livekonzerte bestreitet – sollte er tatsächlich irgendwann auch in Deutschland auftreten, gebt ihm ein warmes Willkommen! Eine Gemeinsamkeit mit seinem „Erben“ Jack Peñate: auch Collins zeichnet, im Booklet von „Home Again“ befinden sich seine entzückenden, sehr naturalistischen Tierzeichnungen von Hyänen, Fröschen, Löwinnen und Fledermäusen.


» www.edwyncollins.com
» myspace.com/wwwmyspacecomedwyncollins