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Dezember 2007
Robert Mießner
für satt.org

Das Lachen der Anderen
Feeling B: Grün & Blau

Feeling B: Grün & Blau

Im Osten fehlte es an nichts. Zeit war ein Butterberg. Es gab einen Gegner, der sich einig, stierblutbeseelt und sehr moralisch ins verbale Visier nehmen ließ. Dandys und Denker gingen in Bataillonsstärke um, waren am Ende eines Oktobertags im Sonderangebot zu haben. Und es gab Feeling B: Aljoscha Rompe († 2000), Christian "Flake" Lorenz und Paul Landers, Christoph Zimmermann († 1999), Alexander Kriening, Winne Knoll und Christoph Schneider waren nicht tatenarm und gedankenvoll, sie schmiedeten kühne Pläne und setzten sie um. Feeling B schenkten AMIGA, der staatlichen DDR-Plattenfirma, die erste Punkplatte (oder taten das bereits Keks?) und verwandelten das Tonstudio in der Berliner Brunnenstraße in ein Bacchanal. Wo sie hinkamen, wurde getanzt, dass die Gedanken gleich Funken eines fröhlichen Feuers flogen, wurden die Verzagten zum Lachen gebracht (nicht ver- oder ausgelacht) und die Müden wieder munter gemacht. Ihr Ruf war legendär und eilte ihnen voraus. Mitte der Achtziger kam ich von einem dieser Samstagnachmittage nach Hause und stand im Fahrstuhl einer Gruppe verwegen ausschauender Gestalten gegenüber, die Instrumente in den Wohngebietsklub trugen. Bevor sie ausstiegen, pappten sie einen Aufkleber an die Wand. Feeling B stand darauf. Zehn Stockwerke später entfernte ich ihn und klebte die Beute an einen Schrank in meinem Kinderzimmer. Ich war höchstens zwölf Jahre alt und kam mir, ohne die Musik zu kennen, schon sehr wild vor. Als ich sie dann das erste Mal hörte, wurde der Grauschleier jäh zerissen, zum Verzehr von Alkohol und Kohlehydraten eingeladen.

Der Einladung lässt sich jetzt wieder nachkommen. Flake, wie Paul Landers und Christoph Schneider mittlerweile bei Rammstein, ist ins Archiv und in den Keller hinabgestiegen, hat ein liebevoll gestaltetes, freudvolles Erinnerungsbuch herausgegeben und gleich noch eine CD beigelegt. Wenn sich mittlerweile auch nicht mehr ganz junge Wilde an ihren Aufbruch erinnern, kann das schnell in Heldenkult abgleiten. Das beste Gegengift dagegen ist immer noch Humor. Hätte jemand dem Keyboarder und Sänger 1985 prophezeit, er würde einmal seine Memoiren vorlegen, so hätte er ihn herzlichst ausgelacht, sagt Flake am Telefon. Die Erinnerung empfindet er nicht als Last, von Wehmut kaum eine Spur: "Meistens habe ich bei der Arbeit gelacht und mich gefreut." Flake hat seine Vergangenheit, einen atmosphärischen Text Kay Pankonins (Gitarre und Gesang bei Ichfunktion und Die Firma), einen schönen Artikel Mark Biehlers über das sprichwörtliche Aufbacken alter DDR-Tonbänder, Fotos, Anzeigen, Gebrauchsanleitungen, ein Etikett Berliner Klarer des VEB Bärensiegel und Skizzen auf seltsamem Grün und Braun ausgebreitet. Das unzeitgemäß wirkende Design lieferten alte Papiertüten des Ostberliner Einzelhandels, aus Gemüse-, Buch und Musikaliengeschäften (Takt und Ton), aufbewahrt von seinem Vater. Die Mutter hat ein persönliches Kapitel zu dem Buch beigesteuert. Im Gespräch betont Flake, dass ihm der Rückhalt und die Unterstützung seiner Eltern immer wichtig gewesen sind. Allerdings: "Klar hatte man es da nicht einfach, wenn man abends gemeinsam am Abendbrottisch saß, so richtig als Punk ernstgenommen zu werden ..."

Flake

Christian "Flake" Lorenz
(Fotos aus dem besprochenen
Band © Motor Music)
Flake und Aljoscha

Broterwerb auf Hiddensee:
Flake und Aljoscha (v.l.n.r.)
basteln und verkaufen Ohrringe.

Als Flake, noch nicht volljährig und ohne vollständige ärztliche Untersuchung, für wehrdiensttauglich erklärt wurde, schickte die Mutter den Wehrpass nebst einer Beschwerde an die zuständigen Organe zurück. Mitmachen war nicht die erste Bürgerpflicht. In der Mitte des Buchs ist Flakes Stasiakte abgedruckt. Liest man die Ansammlung alltäglicher Nichtigkeiten, das verdruckste Vokabular, verliert sich in der Tat noch nachträglich jede Ehrfurcht vor dem Apparat. Zitat: "Er ist stets sauber gekleidet. Oft trägt er Jeans die jedoch nich verschmuzt [Original] sind. Der L. ist auch noch nicht negativ aufgefallen, auch nicht durch Lärmbelästigung." Flake betont, dass Feeling B einigermaßen geschützt waren. Sänger und Spiritus rector Aljoscha war Sohn einer Schweizerin. Die Eltern vergaßen, für ihr Kind die DDR-Staatsbürgerschaft zu beantragen. Ein Formfehler, der sich als Glücksfall herausstellen sollte. Nach einem abgebrochenem Physikstudium drei Monate Haft für einen subversiven Kalender, danach Anstellung als Privatsekretär des Adoptivvaters (Robert Rompe, Kernphysiker und Mitglied des ZK der SED). Aljoscha wurde zum Grenzgänger – sein Schweizer Pass erlaubte ihm, zwischen Ost- und Westberlin zu wechseln. Osten und Westen wurden ihm Synonyme für lackierte Langeweile. Der Lack hieß Ideologie oder Geld.

Mix mir einen Drink. - Feeling B. Das Ende einer Legende

Die ausführliche Geschichte von Feeling B erzählen Ronald Galenza und Heinz Havemeister in: Mix mir einen Drink. - Feeling B. Das Ende einer Legende. (Schwarzkopf & Schwarzkopf, September 2002)
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Was hat Aljoscha seinen Mitstreitern über seine Zeit im Westen erzählt? Flake: "Wir fanden es immer wieder unglaublich, dass er überhaupt zurückkam. Im Grunde ist Aljoscha mitverantwortlich dafür gewesen, dass wir nicht irgendwann doch nach drüben gegangen sind. Er sagte immer: 'Ihr glaubt, im Osten leben die Spießer? Im Westen leben sie. Asphaltieren ihre Waldwege, rufen wegen jeder Kleinigkeit nach dem Anwalt. Ihr wisst gar nicht, wie gut ihr es hier habt.' Im Nachhinein hatte er recht." Es gibt nicht die eine Geschichte des DDR-Punk. Wie fand Flake Too Much Future, das Buch und den Film Henryk Gerickes und Michael Boehlkes? "Das Buch habe ich nicht gelesen. Aber ich war in der Premiere des Films. Der Szenenapplaus kam völlig zu recht. Der Film ist gut und hat mir großen Spaß gemacht. Uns betrifft er allerdings nicht. Das war die Generation vor uns, die, die uns erst den Weg bereitet und dafür noch in den Knast gegangen sind. Die Leute, die uns dann natürlich doppelt doof fanden, als wir Faxenjungs dann ihren Lohn kassiert haben."

Waren Feeling B überhaupt eine Punkband im streng richterlichem Sinne? Sie wurden so wahrgenommen, das soll zählen. Wobei Flake einschränkt: "Am Anfang stand eigentlich NDW. Ideal waren sozusagen an unserer Gründung mit beteiligt. Und wir waren alle große Fans von Trio." Der anarchische Wortwitz, der auch vor sich selbst nicht halt macht, kurz das, was an NDW so schön war, das findet sich auf der beigelegten CD. Im Grunde lassen sich Feeling B, jene fahrenden Händler in Sachen unverkäufliche Freiheit und unbezahlbares Vergnügen, in einem Wort zusammenfassen. Wenn Flake auf Langeweile, einem 1992 in der Fehrbelliner Straße, Prenzlauer Berg entstandenem Kleinod, das Wort "Gelehrter" ausspricht, wird fast ein "Geleerter" daraus. Feeling B hielten wenig von Expertentum. Sie tranken Bier. Bierernst waren sie nicht. Flake erinnert sich, wie sie lieber auf Dörfern spielten, sich in den Kultursälen langsam ein Stammpublikum erspielten und unter Bluesern und Kutten ihr eigenes Programm entwickelten. Die Flucht aufs Land hatte ihren Grund: "In Berlin sind wir vielleicht drei- oder viermal im Jahr aufgetreten. Mal im Franz-Club [jetzt frannz], mal im HdJT [Haus der Jungen Talente, später Podewil, jetzt Tesla]. Da stand dann immer die Musikerpolizei an die Wand gelehnt und hat uns sehr kritisch gemustert." Grün & Blau wird Puristen aller Lager schlaflose Nächte bereiten. Vieles kann als Punk durchgehen. Dufte, Frosch im Brunnen, Gipfel und Wieder keine Zeit klingen, Mark Biehlers und Flakes Produktion wie Bo Kondrens Mastering sei Dank, um Längen besser als auf ihrem AMIGA-Debüt. Dann Songs, die eine Vorahnung von Rammstein gewesen sein könnten und die Aljoscha nicht singen wollte. Mittelalterrock steht neben einer raren und spaßigen Aufnahme aus dem Friedrichstadtpalast 1983. Und vorher noch Space Race, ein komplett irrsinniges Stück für Schlagzeug, Bass, Telefon, Keyboard, Geigen, Tabla und Schalmeien. Stereolab würden leuchtende Augen kriegen. Es gibt Menschen, die haben sie jetzt schon.



Feeling B: Grün & Blau
Buch und CD (Motor Music/Universal 2007)
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