Ulver: Die Hüter der Verwandlung
Wer Ulver nicht kennt, kann „Shadows of the Sun“ nach „Blood Inside“ eigentlich nur als das Album einer völlig anderen Band hören. Waren sie es nicht, die letzthin die geflügelten Worte „Viva Megalomania“ zum Motto ihrer Arbeit gemacht hatten? Und nun dieses, ist man versucht zu sagen, altersweise Werk, dessen Erscheinen die vorweihnachtliche Zeit um einige Wochen vorwegnahm und damit nur umso schmerzlicher ins Bewusstsein ruft, wie sehr der Advent allen religiösen Gefühls, aller Besinnung und Besinnlichkeit entleert ist. Mit Schleiermacher lässt sich religiöses Empfinden als „Sinn und Geschmack für das Unendliche“ definieren. Ulvers „Shadows of the Sun“ vermittelt nicht nur eine Ahnung davon, was diese Worte bedeuten können. Es transportiert keine Ideen, sondern vollzieht sie.
I.
Ulver: Shadows of the Sun Jester/Soulfood
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Schon 1976 hatte der große Dichter Elias Canetti herausgearbeitet, dass die moderne Welt dem Individuum jede Verwandlung unmöglich mache, weil eine auf Spitzen und Leistungen fokussierte Gesellschaft das Vielfache, das Danebenliegende, das Eigentliche nicht mehr erlaube. Hier kommen bei Canetti die Dichter ins Spiel, denen an dieser Stelle die Musiker an die Seite gestellt sein sollen. Als Hüter der Verwandlung können sie zu jedem werden, selbst, wie Canetti sagt, zum Kleinsten, zum Naivsten, zum Ohnmächtigsten: „Nur durch Verwandlung in dem extremen Sinn, in dem das Wort hier gebraucht wird, wäre es möglich zu fühlen, was ein Mensch hinter seinen Worten ist, der wirkliche Bestand dessen, was an Lebendem da ist, wäre auf keine andere Weise zu erfassen. Es ist ein geheimnisvoller, in seiner Natur noch kaum untersuchter Prozess und doch ist er der einzige wahre Zugang zum anderen Menschen.“
Im Abstand von nur einem Jahr haben Ulver kurz vor der Jahrtausendwende die beiden Werke vorgelegt, die tief in ihrer Vergangenheit wurzeln und gleichsam weit in ihre weiterhin ungewisse Zukunft weisen. Während „Themes From William Blake’s the Marriage of Heaven and Hell“ sich alle nur denkbaren musikalischen Formen zu eigen macht und somit Blakes mythisch-religiöses Weltbild Musik werden lässt, ist „Metamorphosis“ ein klanggewordenes Echo des Gewesenen und Kommenden, mit dem Ulver sich, Jahre nach Canetti, als moderne Hüter der Verwandlung offenbaren: „Note: Ulver is obviously not a black metal band and does not wish to be stigmatized as such. We acknowledge the relation of part I & III of the Trilogie [sic!] to this culture, but stress that these endeavours were written as stepping stones rather than conclusions. We are proud of our former instincts, but wish to liken our association with said genre to that of the snake with Eve. An incentive to further frolic only.“
II.
Timo Kölling liest („Das Tönen der Differenz“, 2005) das „Before“ in Ulvers kryptischer Ankündigung „Before birds bring back beauty“ („A Quick Fix of Melancholy“) als ein infinites. (Dass dieses „Before“ vielmehr auf „Shadows of the Sun“ als auf „Blood Inside“ vorausgedeutet hat, zeigt sich erst heute; die im Booklet des neuen Werkes abgebildeten Vögel wirken wie Boten des Himmels.) Und in der Tat: In Ulvers Werk einen Anfangs- und Endpunkt bestimmen zu wollen, ist zum Scheitern verurteilt. Leicht lässt sich auf die Norweger anwenden, was Peter Ackroyd über den englischen Dichter William Blake sagt. Es existieren bei Ulver keine Geburt, kein Tod, sondern einzig eine unentwegte Pilgerschaft.
„The ancient tradition that the world will be consumed in fire at the end of six thousand years is true, as I have heard from Hell. For the cherub with his flaming sword is hereby commanded to leave his guard at the tree of life; and when he does, the whole creation will be consumed and appear infinite and holy, whereas it now appears finite & corrupt”, heißt es in „The Marriage of Heaven and Hell”. Apokalypse und Millennium bedingen einander bei Blake in dem Maße, wie das Körperliche des Menschen nicht von seiner Seele zu trennen ist. Wer nur ein Prinzip von beiden preist, verkennt, dass beide sich in einem dynamischen Fluss befinden. Ulver spielen darauf an, wenn sie auf „Blood Inside“ singen: „For the record / No one will understand / What it is all about / The dead name / Backwards / Amen / It just happened / A long time ago / 33 years / Again and again and again / What it is all about / It is a promise / Of a lifetime / Never recorded.”
Es ist die Leidenschaft“, sagt Kristoffer Rygg, Sänger und Sprecher von Ulver, in „Jenseits der donnernden Stille“, „etwas Neues zu kreieren, einen nächsten Schritt vorwärts statt rückwärts zu gehen. Das ist das Prinzip der Energie.“ Soviel zur Theorie.
III.
In einer frühen Pressemeldung zu „Shadows of the Sun“ konnte man lesen, dieses Album sei Ulvers eingängigstes geworden. Natürlich stimmt das nicht. Ulver waren schon immer gut im Fährten legen und Fallen stellen: Kritiker sind leicht zu durchschauen und käuen gerne wieder, was ihnen in mundgerechten Häppchen vorgeworfen wird. Tatsächlich aber verlangt diese Musik ihren Hörern vieles ab – und gibt denjenigen, die sich wirklich auf sie einlassen können, umso mehr zurück.
Mit „Eos“ beginnt „Shadows of the Sun“ weniger kühn als „Perdition City“ und „Teachings in Silence“, droht nicht im Experiment, nicht in Stille zu versinken. Der sprechende, die griechische Göttin der Morgenröte anrufende Titel nimmt Musik und Text vorweg; langsam schwelende Melodien bilden die Morgenröte nicht nach, sondern sind Morgenröte. Obgleich die Stimme gerade dort, wo die Musik in ihrer schönsten Blüte steht, elektronisch verfremdet ist, klingt sie so beseelt wie weniges, was man heute hört. „All the Love“ bezieht sich mit Samples und einem sehr rhythmischen Fundament offensiv auf „Perdition City“. Freilich hätte niemand sich gewagt, in der nachtschwarzen Dunkelheit der dem Untergang geweihten Stadt ein Zeile wie diese auszusprechen: „For love / The only thing / That makes us human“. Wir erinnern uns: Nur die Verwandlung, nennen wir sie an dieser Stelle Empathie, vermag zu offenbaren, was der Mensch hinter seinen Worten ist.
Wie aber klingt nun das Unendliche, vom dem oben die Rede war? „Vigil“ muss nicht nur rechnerisch das Herz von „Shadows of the Sun“ geheißen werden: „For all who used to be / And now are / In the dark / Light a candle / And say their name / One last time / Let them go / We will follow / When time comes / To pray for life / To begin again / A flower / Will open / On the grave.“ Kein Lied haben Ulver hier geschrieben, sondern ein erdendes Gebet, in dem es gelungen ist, Unsagbares in Klänge zu fassen und dem infiniten „Before“ einen neuen, tieferen Dreh zu geben. „Solitude“ stammt ursprünglich von den Doom-Urvätern Black Sabbath. Ulver verwandeln das Stück in ihr eigenes, arbeiten ihm eine sakrale Schwere ein, die man im Original vergeblich sucht. Das konnte nur gelingen, weil Rygg und Co. vom Geist von „Solitude“ durchdrungen sind; lange vor „Shadows of the Sun“ bekannte Rygg in einem Interview, ästhetisch und spirituell mit Ulver alleine auf weiter Flur zu stehen. Was die musikalische Suggestivität betrifft, erreichen Ulver nicht nur hier einen neuen Zenit: „Funebre“ und „What Happened?“ sind am Ende himmelwärts strebende Elegien, die vor allem von Piano und Streichern getragen werden. Sollten Ulver den Weg zu ECM-Records suchen – diese Musik würde ihn ebnen! Die gleichsam theatralischen und tragischen, fragilen und kargen Melodiebögen stünden auch einer Eleni Karaindrou gut zu Gesicht.
Wie sich nun dieses Album zum großen und großartigen Gesamtwerk dieser Gruppe verhält, ob es eher Ambient, eher Jazz, eher Rock, eher Pop, eher TripHop, eher Black Metal ist? „Wo keine Götter sind“, schreibt Novalis, „walten Gespenster.“ Genau das scheint der Unterschied zwischen „Perdition City“ und den „Teachings in Silence“ auf der einen und „Shadows of the Sun“ auf der anderen Seite zu sein. Alles andere ist im ewigen Wandel, im ewigen Werden begriffen.
Ulver: Shadows of the Sun
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