Leise Mädchen, laute Mädchen
Im vergangenen Jahr erschienen viele schöne Platten von jungen Musikerinnen, die man im weitesten Sinne unter dem Begriff "Folk" zusammenfassen könnte, allen voran die hochgelobte Scout Niblett. Petra Zimlich hat sich um die Veröffentlichungen dreier Künstlerinnen gekümmert, die (noch) nicht so viel öffentliche Anteilnahme erfahren haben wie Niblett - lest hier, was sich Petra Zimlich beim Hören der Alben von Anais Mitchell, Lisa Knapp und Tiny Vipers gedacht hat:
Lisa Knapp:
Wild & Undaunted
Erleben wir bald die Rückkehr des Irish-Folk? Jenseits kitschiger Irish-Pubs, dem obligatorischen Guinness und verstaubter Cliff-of-Mohair-Romantik? Beim Einlegen des Albums von Lisa Knapp jedenfalls war ich erstmal verwundert: Die Art und Weise, wie sie auf Wild and Undaunted alte Folk-Songs interpretiert ist innerhalb oder am Rande der so genannten Nu-Folk-Bewegung sehr ungewöhnlich. Fühlt man sich hier doch mal nicht erinnert an Bob Dylan oder Nick Drake, sondern vielmehr an alte irische Folk-Weisen. Denn die Britin agiert wesentlich traditioneller als ihre Kollegen aus den USA. Allein die Geige, Violine, Fiddel, wie immer man sie nennen mag, setzt andere Akzente als die Akustikgitarre. Lisa Knapp, aufgewachsen in London, ist verwurzelt in der eher traditionellen britischen und irischen Folkszene. Sie hat Songs des frühen 20. Jahrhunderts genauso wiederentdeckt wie solche des Folkrevivals der 60er und 70er Jahre.
Nach eigener Aussage fasziniert sie dabei vor allem die Tatsache, dass diese Songs bereits seit Generationen gesungen werden. Vielleicht gelingt es ihr aus diesem Respekt heraus, jedem Song ein Stück eigenes Songwriting zu implementieren und trotz des eher puristischen Ansatzes die eigene Kreativität geschickt einzubringen. Mit ihrem Debüt liegt Lisa Knapp zwischen den Welten von Singer-Songwriting, Nu-Folk und traditionellem Folk. Zwischen den Stühlen kann es schon mal unbequem werden, es können aber auch interessante Brüche entstehen. Letzteres ist hier geschehen. Alles in allem also ein vielversprechendes Album, dass allerdings jedoch nur mögen kann, wer Irish-Folk nicht von vorneherein negativ gegenübersteht. Ein Faible für die grüne Insel sollte man schon haben.
» www.alive-ag.de
» myspace.com/eartogroundrecords
Anaïs Mitchell:
The Brightness
(Righteous/Indigo)
Anaïs Mitchell? Ein Name, der mir bisher – zugegebenermaßen – nichts sagte. Mit „The Brightness“ hat sich das nun grundlegend geändert. Ist mir da doch eine kleine Perle ins Haus geflogen. Das wurde gleich bei den ersten Takten klar... Die Eckdaten: Anaïs Mitchell kommt aus Vermont, war 2003 unter den Gewinnern des New Folk Awards in Kerrville, Texas. Ihre Biographie liest sich spannend: Vermont, Beirut, Kairo, Texas – USA, Lateinamerika, Mittlerer Osten. Da reihen sich Orte und Länder aneinander und man gewinnt den Eindruck, dass Anaïs Mitchell unterwegs zuhause ist. Ob dem so ist, sei dahingestellt, klar scheint aber, dass sie neugierig ist auf die Welt, und ihre Eindrücke in Musik umsetzt. Und dies ausgesprochen eindringlich. Akustische Gitarre und Klavier sind die dominierenden Instrumente des Albums. In den Songs finden sich Facetten aus Jazz, Blues und Old-School-Country, variiert und adaptiert in Mitchells eigene musikalische Sprache. Diese ist zart und fordernd zugleich, unschuldig und dabei unglaublich klug. Gleiches gilt für die Texte. Sehr poetisch, intelligent und ausdrucksstark malt die Amerikanerin Bilder des Alleinseins, aber auch der Hoffnung, der Sehnsucht und Enttäuschung. Außergewöhnlich ist die politische Ausrichtung ihrer Songs. Sie nimmt sich aktuellen gesellschaftsrelevanten Themen an, ohne dabei jedoch eine klassische Protestsongs abzuliefern. Ihre Stimme hat etwas Magisches, durchaus eigenwillig und ist sicher für viele gewöhnungsbedürftig. Man kann kaum glauben, dass Anaïs Mitchell erst 25 Jahre alt ist. Ein großes Talent. Das Album überzeugt im Einerlei der Popindustrie mit seiner Schnörkellosigkeit, Intensität und glaubhaften Homogenität.
Tiny Vipers:
Hands Across the Void
(Sub Pop / Cargo Records)
Tiny Vipers aka Jesy Fortino aus Seattle zeigt auf ihrem Album minimalistischen Folk. Das Motto „Natürlichkeit“ scheint sowohl ihr Äußeres als auch ihre Musik zu bestimmen. Behutsam einfach klingen ihre Songs. Das Album ist so unaufgeregt, dass man meinen könnte, man hört nebenan die Nachbarin an der Gitarre. Tiny Vipers ist angenehm normal, ihre Stimme manchmal fein, manchmal voller Kraft. Schmerz und Trauer, Wut und Empörung liegen darin. Das ist außergewöhnlich für eine erst 24-Jährige. Sehr akustisch und wenig dramatisch sind ihre Arrangements. Der ein oder andere mag das eintönig finden. Man kann sich aber auch von dieser speziellen Schlichtheit gefangen nehmen lassen. Dazu muss man sich natürlich einlassen auf das Album. Dass es melancholisch daherkommt, ist wohl keine Überraschung. Hier steckt eine Menge Potential. Doch gänzlich ungetrübt konnte ich das Album nicht genießen. Die Lärm-Klang-Fläche am Ende des Songs „Forset On Fire“ fand ich absolut unpassend und eher nervig. Beim ersten Song stört die hinterlegte Stimme, die leider mehr Kitsch als Gewinn ist. Der zehnminütige Schlusssong "The Downward" schließlich hätte ruhig ein wenig kürzer ausfallen können. Was soll ich sagen? Eine solide Platte. Vergleiche mit Cat Power kann ich nicht bekräftigen. Dazu fehlt mir das Besondere, die Verstörtheit, der Sog. Noch spielt Tiny Vipers also nicht in der ersten Damen-Riege, aber das Zeug hätte sie dazu.
Wem nach so viel zurückhaltender Musik der Sinn nach von Frauenhänden gemachtem Krach steht, wird an den folgenden beiden Veröffentlichungen großen Spaß haben. Meine Oma pflegte zu sagen, „Mädchen, die pfeifen und Hühnern, die krähen, soll man beizeiten den Hals umdrehen.“ Das sollte wohl heißen, dass die wichtigste Eigenschaft eines Mädchens respektive einer „Dame“ vornehme Unauffälligkeit ist. Mädchen sollen nicht auf Bäume klettern, nicht Fußball spielen und – am allerwichtigsten – nicht laut sein, weil sich das nicht gehört (schlüssige Begründung wurde keine geliefert). Zum Glück haben sich die Zeiten geändert. Meine Oma (die ich ja sehr liebte) ist schon lange tot, singt mit den Englein sittsame Liedchen und wird von ihrer Wolke Helen Love und Robots in Disguise mit vorwurfsvollen Blicken bedenken...
Helen Love: It's My Party
and I'll Play What I Want to
(Elefant Records)
Helen Love aus Swansea/Wales sind mit ziemlicher Sicherheit älter als das knallbunte Manga-Design ihres neuen Albums „It's My Party and I`ll Play What I Want to“ vermuten läßt. Ihre erste Single „Formula One Racing Girls“ erschien bereits 1993 und seitdem reiten Helen Love (benannt nach ihrer Sängerin und Chefin Helen Love) im Prinzip dieselbe Welle: Überschäumender, energiegeladener Bubblegum-Punkpop mit deutlichen Verweisen an alte Heroen wie die Ramones und Blondie, garniert mit fröhlichen Achtziger-Jahre-Synthies und elektropoppigen Samples. Der Albumtitel spielt ganz offensichtlich auf Lesley Gores Hit „It's My Party (and I'll cry if I want to)“ von 1963 an, Helen Love variieren diesen Titel noch einmal mit einer selbstironischen Hymne auf das wochenendliche Ausgehen namens „It's My Club“. Am Ende dieses Songs zählen die Mädels auf, was ihren Club so ausmacht, natürlich gehören „Doc Marten's Boots“ genauso dazu wie „Ramones records“. Helen Love mögen aber auch Paul McCartneys Wings, vor denen sie im Song „Jet“ den Hut ziehen; der legendäre Radio-DJ Rodney Bingenheimer hat einen kurzen Auftritt in „Rodneys English Disco“, in „Honolulu Superstar“ lassen sie ihrer Liebe zur Surfmusik freien Lauf. Nach den 16 (!) Songs von „It's My Party...“ ist man zugegebenermaßen etwas erschöpft, aber man muß Helen Love einfach lieben: für ihre unerschütterlich gute Laune, für ihr augenzwinkerndes Altmodischsein, für die mit britischem Akzent vorgetragenen Teenage-Dramen, die doch nur zu früher Ehe und Elternschaft führen...
» www.helenlove.com
Robots in Disguise:
We're in the Music Biz
(President/Cargo)
Ebenfalls aus England stammen Robots in Disguise, bestehend aus Dee Plume (Gitarre und Vocals) und Sue Denim (Bass und Vocals), die sich an der Liverpooler Uni kennen lernten und im Jahr 2000 beschlossen, gemeinsam elektronisch verstärkten Krach zu machen. Ihre ersten beiden Alben (“Robots in Disguise”/2001, “Get Rid!”/2005) wurden mit großer Begeisterung aufgenommen und brachten ihnen Vergleiche mit Peaches, Chicks on Speed, Le Tigre und Princess Superstar ein – also mit anderen wilden Weibern, für die Feminismus kein Schimpfwort ist und der Spaß am Selber-Musikmachen der Grund fürs allmorgendliche Aufstehen ist. Dee Plumes versiertes Gitarrenspiel und der meist geschrieene, aber wohl akzentuierte Gesang sind die Hauptmerkmale des Robots in Disguise-Sounds, der am besten zur Geltung kommt, wenn alle Regler so weit hochgerissen werden, wie es nur geht. Disco, Punk, Elektronik und Funk gehen eine knackig-knallige Allianz ein, für die man starke Nerven braucht, die einem aber dafür ein Superheldinnen-Selbstbewußtsein schenkt. “We're in the Music Biz” beginnt mit einem rockigen Gitarrenriff, beherztem one-two-three-four-Geschrei und einer bassdominierten Hookline, die man so schnell nicht mehr vergisst. Die Single “The Sex has made me stupid” geht von den zehn Tracks am stärksten in Richtung Le Tigre, der Text ist eine bissig-bittere Abrechnung mit Frauen, die nie Verantwortung übernehmen wollen: “The weather's made me stupid / whatever's made me stupid / he has made me stupid (....) / I have made me stupid!” Elektropoppig und ein wenig düster geht es bei “The Tears” und “I Don't Have a God” zur Sache; “I Live in Berlin” ist eine piepsende, pluckernde, rockende Hommage an die Stadt, die Plume und Denim so lieben (Pauline von Rhythm King and Her Friends wird genamedroppt) und “Don't Copy Me” ist eine Feier weiblicher Originalität mit Handclaps und entfesseltem Gekreische über flockig-federndem Discobeats. “We're in the Music Biz” wurde von Chris Corner (Sneaker Pimps/ I AM X) produziert und ist ein Wake-up-Call für alle Girls, Mädchen, Frauen, Mütter und Töchter da draußen!
» www.robotsindisguise.co.uk
» myspace.com/robotsindisguise