Februar 2008, zweite Hälfte:
Die aktuelle Short Cuts-Ausgabe ist eine echte Gemeinschaftsarbeit: Petra Zimlich, Thomas Backs und Christina Mohr hörten sich durch die neuen Platten von Goldfrapp, Torpedo, Chris Walla, Vampire Weekend und Los Campesinos!
Goldfrapp:
Seventh Tree
(Mute / EMI)
Was wohl Alison Goldfrapp gerade macht? Keine Ahnung. Bei den Aufnahmen des vierten Goldfrapp-Albums „Seventh Tree“ in einem Bungalow aus den 1960er Jahren im englischen Bath hat die 39-Jährige sich jedenfalls ins Wunderland geträumt. Gemeinsam mit Will Gregory, Producer-Legende Flood („Violator“ und „Songs of Faith and Devotion“/Depeche Mode) und Harfenistin Ruth Wall. Alison im Wunderland ist nicht die Disco-Diva der letzten Jahre, sie nimmt die Zuhörer ähnlich wie bei „Felt Mountain“ (2000) mit auf eine lange, chillige Reise durch ihr Universum. Und erzählt dabei Geschichten. Auch von anderen Frauen. „Little Bird“ ist die Geschichte einer ihrer Freundinnen, die ständig on the road ist. Vorher hatte der kleine Vogel Besuch bekommen: „The shiny blackest crow/Flew down to say hello/Though much to her surprise/He had two mouths for eyes“. “Caravan Girl” handelt von einem Mädchen mit Amnesie, das mit einem anderen Mädchen in einem Wohnwagen durchbrennen will. Meist sind es wunderbare, zuckersüße Synthie-Pop-Perlen, die hier von Goldfrapp serviert werden, etwa bei Tracks wie „Happiness“, das ein schöner Soundtrack für lange Autofahrten am Mittelmeer sein könnte. Aber Alison ist zwischendurch auch ganz schön nachdenklich und arbeitet mit Tracks wie „Eat yourself“ und „Monster Love“ offenbar gescheiterte Beziehungen auf: „I never thought I would return/To be consumed by you again" Alle Tracks werden präsentiert im psychedelischen, dicken fetten Cinemascope-Sound. Das haben Will Gregory und Flood wirklich toll hinbekommen. Jetzt können die Fans gespannt sein, wie dieses Werk auf der Bühne präsentiert wird. Alison Goldfrapp: „Ich könnte mir leicht bekleidete Volkstanzgruppen mit Bändern und Blumen vorstellen, die um Maibäume herumtanzen....“
(Thomas Backs)
» www.goldfrapp.co.uk
» www.goldfrapp.com
» www.mute.com
Torpedo:
In the assembly line
(Riptide / Cargo Records)
Torpedo aus Schweden schenken uns lässigen New-Wave-Punk-Pop. Sänger Andreas Hogby ist mit seiner extravaganten Stimme geradezu prädestiniert für diese Art Musik. Sehr cool, mit leicht überheblicher Attitüde klingen die Songs aus den Lautsprechern. Und natürlich bewusst monoton. Es überrascht nicht, dass die Band, gefragt nach ihren Einflüssen, Düsseldorf, London und New York nennt. Die Pose ist perfekt. Nur beim Versuch, düster und No-Future zu klingen, scheitert Andreas Hogby. Aber das ist gut so. Alle fünf Jungs haben Erfahrungen in anderen Bands wie Tiger Lou, Firefox AK oder Starmarket gesammelt. Nach eigener Aussage empfinden sie sich als Kollektiv. Zwei Jahre hat die Band über diesem Album gebrütet und herausgekommen ist wirklich was extrem Selbstbewusstes. „Wir waren auf einer langen Reise und haben nach diesem Sound gesucht“, sagte die Band in einem Interview mit einer schwedischen Zeitschrift. Angekommen sind sie „in der Republic of Torpedo. Einer einsamen Insel mit unbegrenzten Möglichkeiten”. Genutzt werden diese mit Saxophon, toller Gitarre, sanftem Klavier. Auch Keyboard und Computer kommen nicht zu kurz und erzeugen herrliche Synthesizerklänge. Wer hätte gedacht, dass man die mal wieder gut finden würde? Eine Band, die Songtitel wie „I don't dig the heartache but the heartache digs me” im Repertoire hat, kann nur gut sein. Im Nachhall von Anton Corbijns Film „Control“ und der damit einhergehenden Neurezeption von Ian Curtis, Joy Division, New Order und Co. kommt dieses Album genau zur richtigen Zeit.
(Petra Zimlich)
Chris Walla: Field Manual
(Barsuk Records / Rough Trade)
Das Warten auf die neue Scheibe von Death Cab for Cutie, die im späten Frühjahr 2008 erscheinen soll, verkürzt Gitarrist Chris Walla nun mit seinem Solo-Debut. „Field Manual“, das schon lange erwartet wird. Denn: Die ersten Aufnahmen für dieses Album verschwanden und sein Werk konnte nicht wie geplant vor einem Jahr in den Läden stehen. Fans von DCfC können sich nun freuen, denn die zwölf Songs zeigen, welch entscheidende Rolle Chris Walla bei dieser Band spielt. Er ist ein Songwriter, der hier schöne atmosphärisch sehr dichte Werke wie „Sing again“ oder „Archer vs. Light“ abliefert. Walla hat fast alle Instrumente auf „Field Manual“ selbst eingespielt, am Schlagzeug saßen Jason McGerr (Death Cab for Cutie) und Kurt Dahle (The New Pornographers). Zum ersten Mal sind die schönen Solo-Melodien von Chris Walla nun also auch in einem echten Studio vertont worden, denn unter dem Namen „Martin Youth Auxiliary“ waren bisher nur kleine Stücke in Lo-Fi-Qualität online zu hören und runterzuladen. Nicht nur mit Death Cab for Cutie hat sich Chris Walla vor diesem Debut bereits einen Namen gemacht. Er produzierte schon Alben von The Decemberists, Nada Surf, The Long Winters, Hot Hot Heat, The Thermals und Tegan and Sara.
(Thomas Backs)
» www.barsuk.com
Los Campesinos!:
Hold On Now, Youngster...
(V2)
„Los Campesinos“ heisst auf spanisch „die Bauern“ - kein wirklich hipper Name für eine Rockband. Die jungen Waliser Gareth, Tom, Harriet, Aleksandra, Ellen, Neil und Ollie finden das im Jahr 2006 aber doch, geben sich nach Ramones-Manier alle den Nachnamen „Campesinos!“, um fortan als fröhliche Indie-Rappelkiste durch die Lande zu ziehen. Los Campesinos! mussten keine Demos an Plattenfirmen schicken, um einen Deal zu ergattern. Ihr Ruf als hibbelige Schrammelkapelle im Geiste von Architecture in Helsinki eilt ihnen voraus – das Label Wichita griff schnell zu, um das Campesinos!- Debütalbum „Hold On Now, Youngster“ zu veröffentlichen. Die rasche und bisher problemlose Entwicklung ihrer Karriere ist den walisischen Jungbauern fast ein wenig peinlich, doch zum Schämen besteht kein Anlass: die elf Songs auf „Hold On Now...“ preschen überdreht und hyperaktiv aus den Lautsprechern, Gareth und Aleksandra kieksen und kreischen um die Wette, Luftholen ist nicht drin! Mit Gitarre, Händeklatschen, Keyboard, Glockenspiel und Violine werden mitreißende Indie-Dancefloorhymnen gebastelt, die voll jugendlichem Überschwang und unerschütterlicher guter Laune stecken. Depressive und ältere Musikhörer bitte obacht: diese Musik ist von Jugendlichen für Jugendliche gemacht. Wer vor 1990 geboren wurde, sollte dieses Album nur in kleinen Dosen von circa drei Songs pro Tag zu sich nehmen, um keine Herzrhythmusstörungen zu provozieren. Gleich am Anfang heißt es „Death to Los Campesinos!“, die anderen Tracks tragen Namen wie „.... And We Exhale and Roll Our Eyes in Unison“, „We Are All Accelerated Readers“ oder „This Is How You Spell 'Hahaha, We Destroyed The Hopes And Dreams Of A Generation Of Faux-Romantics“ - das klingt ein bisschen zu stark in Richtung Broken Social Scene gedrechselt, dabei brauchen Los Campesinos! solch zauselbärtig-intellektuellen Überbau gar nicht. Aber Songtitel wie „You! Me! Dancing!“ oder „Don't Tell Me To Do The Math(s)“ rücken alles wieder ins richtige „Youngster“-Licht.
Los Campesinos! live:
27.2.08 Köln, Prime Club; 28.2.08 Berlin, Lido;
29.2.08 München, Atomic Café; 1.3.08 Haldern/Indoor Festival
» www.loscampesinos.com
» myspace.com/loscampesinos
Vampire Weekend
(XL/Beggars)
Dass David Byrne grosser Fan der jungen New Yorker Band Vampire Weekend ist, verwundert nicht: alles an Vampire Weekend überrascht und irritiert. Die Irritation beginnt schon mit dem Bandnamen, der an Barbie-Gothic-Combos gemahnt, deren Sängerinen aussehen wie Emily the Strange. Doch weit gefehlt: Vampire Weekend sind freundliche Jeans- und T-Shirt-Träger, die Paul Simons epochales Afro-Pop-Album „Graceland“bewundern, aber auch genuin newyorkishe Bands wie The Strokes lieben. Als sich Ezra Koenig, Rostam Batmanglij, Chris Bajo und Christopher Tomson vor drei Jahren an der Columbia University kennenlernten, wollten sie ausprobieren, wie die Musiken aus verschiedenen Teilen der Erde zusammenpassen – zum Glück ist Pop eine Kugel, auf der kongolesischer Soukous genauso Platz findet wie urbaner Rock'n'Roll und spanische Volksmusik. Aus diesen Ingredienzien (und vielen mehr) entstand eins der begeisterndsten Debütalben seit langem. Von Ethno-Idyllik und aufschneiderischem Wir-können-alles-Gehabe weit entfernt, bezaubern die elf Songs durch ein so noch nicht gehörtes/gekanntes Spektrum von Pop bis Palmweinmusik (wer über diesen Begriff stolpert, möge zum besseren Verständnis in Jonathan Richmans Platte „Modern Lovers 88“ reinhören). Die Single „A-Punk“ bietet schneidigen Wave-Beat und Strokes-ähnliche Gitarrenriffs, in die sich afrikanisch beeinflusste Rhythmen schlängeln; „Cape Cod Kwassa Kwassa“ ist eine ehrerbietige Verbeugung vor dem Schaffen Paul Simons; „M79“, ein Song über eine Buslinie in Manhattan, läßt wirbelnde Violinen erklingen und auf „The Kids Don't Stand A Chance“ erklimmt Ezra Koenigs Stimme schwindelnde Falsett-Höhen. Vampire Weekends Debüt klingt so verheissungsvoll, dass weder David Byrne noch wir Angst haben müßten, dass danach nichts mehr kommen wird. Vampire Weekend befinden sich gerade erst am Anfang ihrer musikalischen Forschungsarbeit!
» www.vampireweekend.com
» myspace.com/vampireweekend