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März 2008
Robert Mießner
für satt.org

Kein Frühlingslied


Von Zeit zu Zeit muss das sein: Nicoffeine vertonen das Recht auf schlechte Laune. Dabei macht »Admiring Those Artholes« sogar Spaß.

Nicoffeine – Admiring Those Artholes

Dem Märzen wohnte auch schon mehr Verheißung inne. Shakespeares Brutus hatte recht, der warme Tag ist’s, der die Natter zeugt. Die tritt am liebsten grüppchenweise auf, penetrant gutgelaunt und die Winterhaut in die fahle Sonne haltend. Alle Welt soll sehen, dass wir uns noch auswärtiges Kaffeetrinken leisten können. Deshalb frisch auf die Stühle und breit an die Tische gepflanzt, draußen vor der Tür bei maximal 10 Grad über Null. Dann hat bis heute kein Radfahrer kapiert, dass er oder sie auf dem Gehweg partout nichts verloren hat. Wie zum Hohn stellen Linkin Park ihre Tour unter das Motto »Projekt Revolution«. Und Roland Koch musste sich noch immer keine neuen Visitenkarten drucken lassen. Soll man gähnen? Soll man gehen? Oder einfach zu Hause bleiben, mit Musik, die einer gewissen Übellaunigkeit zu ihrem Recht verhilft und zum guten Ende für befreites Lächeln sorgt?

Wer sich für die letzte Variante entscheidet, zu ihr sei dann am ehesten geraten, sollte Nicoffeine aus Koblenz, Soheyl Nassary, Gesang und Gitarre, Christian Jung, Bass, Jörg A. Schneider, Norman Achenbach, Schlagzeug und einem Menschen, der sich hinter dem Pseudonym The Errorist verbirgt, 47 Minuten Gehör schenken. Sie sind Fans von King Crimson und The Birthday Party. Plagiatoren sind sie zum Glück keine. Wer unbedingt auf Vergleiche aus ist, sollte sich eher bei den auch nicht mehr ganz neuen, herrlich-verrückten Metallern umtun, die auf Southern Lord die Trommelfelle attackieren: Boris, Earth und Sunn O))), Langhaarige und Rauschebärte, für die Black Sabbath und Sun Ra kein Widerspruch sind. Ältere Semester mögen sich noch an die Hamburger vom Rossburger Report erinnern, die in den Neunzigern mit zwölf Gitarren, einem Bass und zwei Schlagzeugerinnen progressivst lärmten und einen dieser unvergesslich-lauten Abende mit Caspar Brötzmann im Berliner Tacheles eröffneten.

Ein Jahr, nachdem Brötzmann junior sein bis jetzt letztes Album »Mute Massaker« (1999) veröffentlichte, haben sich Nicoffeine gegründet. »Admiring Those Artholes« ist ihre fünfte, zählt man die »Pornoise EP« der Vorgängerband Midian hinzu, ihre sechste Platte, wieder erschienen auf Blue Noise Records, Guido Lucas’ Label mit dem stilsicheren Logo, das uns seit längerem mit schillernden Klängen zwischen Experiment, Kraut und Psychedelic versorgt. Das Wortspiel im Titel steht nicht umsonst da. Ganz klar ist das Kunstmusik, zum Glück aber solche, mit der man nicht unbedingt schicke Berlin-Mitte-Galerien eröffnen sollte. Es sei denn, um den anwesenden Käufern zu signalisieren, dass es wirklich nur ihr Geld ist, was ihnen Eintritt verschafft. Mit einer aufs Böseste verzerrten Gitarre fängt das Album an, mit Knirschen und Brummen aus den Verstärkern endet es. Dazwischen wehen Fetzen von Gesang durch das Klanginferno, sorgt man sich um die Haltbarkeit des Schlagzeugs und stellt schon mal vorsorglich zwei, drei Bier für die Nachbarn kalt, wenn man ihr Klingeln denn hören könnte. »Admiring Those Artholes« ist eine Platte, die aufs Schönste für Platz im Kopf sorgt. Von mir aus darf es jetzt auch Frühling werden.



» www.nicoffeine.com
» myspace.com/nicoffeinemusic