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März 2008
Christina Mohr
für satt.org

DISCO 3000
11

nuBox
feat. DJ Illvibe, hr-Bigband, Ed Partyka:
Limbic System Files
(Enja/Soulfood)


Das Limbische System ist eine Funktionseinheit des Gehirns, die der Verarbeitung von Emotionen und der Entstehung von Triebverhalten dient. Dem Limbischen System werden auch intellektuelle Leistungen zugesprochen. Die Sichtweise, bestimmte Funktionen (wie die Triebe) nur auf das Limbische System zu beziehen und als vom Rest des Gehirns funktionell abgegrenzt zu betrachten, gilt heute als veraltet. Andere kortikale und nicht-kortikale Strukturen des Gehirns üben einen enormen Einfluss auf das limbische System aus. Die Entstehung von Emotion und Triebverhalten muss also immer als Zusammenspiel vieler Gehirnanteile gesehen werden und darf nicht dem Limbischen System allein zugesprochen werden. Das Limbische System ist auch für die Ausschüttung von Endorphinen, körpereigenen Morphinen, verantwortlich. (Quelle: wikipedia.org)

nuBox: Limbic System FilesTracklisting „Limbic System Files“:
  1. Zimperk's Hunt 7:30
  2. Gribingo 5:22
  3. Coneblow 6:21
  4. Remembrance 6:58
  5. Limbus 7:08
  6. Priviledge 4:55
  7. Snaixperience 5:53
  8. Swallover 6:47

Credits: Reiner Winterschladen: Trumpet, Alois Kott: Bass, electronic Bass, Guitar, Electronics Peter E. Eisold: Drums, Electronics, DJ Illvibe: Turntables, & hr-Bigband arranged and conducted by Ed Partyka. Soloists: Julian Argüelles, Tony Lakatos, Oliver Leicht, Reiner Winterschladen

Bereits in den achtziger Jahren experimentierten die Jazzmusiker Reiner Winterschladen, Alois Kott und Peter E. Eisold – damals unter dem Bandnamen Blue Box – mit Dancegrooves und jazzig-funkigen Trompetenlinien und gelten als Wegbereiter des Acid Jazz. Blue Box traten bei unzähligen Konzerten und renommierten Festivals rund um den Globus auf; Anfang der Neunziger ließen Winterschladen, Kott und Eisold Blue Box ruhen, um sich anderen Projekten zu widmen. 2003 kamen die drei wieder zusammen und nannten sich fortan NuBox, um den Neuanfang auch durch den Namen deutlich zu machen. Das Album „Sonic Screen“ basierte größtenteils auf computergenerierten Rhythmen und baute mehr auf den Einsatz moderner Elektronik. Damals begann auch die Zusammenarbeit zwischen NuBox und dem damals gerade mal 23-jährigen Illvibe, der durch sein Deejaying für Seeed, Moabeat und Lychee Lassi zu Ruhm und Ehre gekommen war (Illvibes „bürgerlicher“ Name lautet in voller beeindruckender Länge Vincent Graf von Schlippenbach – er ist der Sohn des Jazzpianisten Alexander von Schlippenbach). Mit Illvibe an den Turntables entstand das Album "Next Twist", das Jazz, Dance und Elektronik neu zusammendachte. Die Kooperation machte allen Beteiligten so viel Spaß, daß man schon bald mit der Arbeit an einem neuen Projekt begann. Olaf Stötzler, Jazzgitarrist und Leiter der hr-Bigband, wurde mit ins Boot geholt, um die neuen Ideen von nuBox zu verwirklichen: das musikalische Konzept von nuBox sollte um Bigband-Sounds erweitert werden. Dirigiert und arrangiert vom Orchesterleiter der hr-Bigband Ed Partyka entstanden aus den Kompositionen von Kott und Eisold die „Limbic System Files“, die jetzt bei Enja veröffentlicht werden. Das Album präsentiert eine furiose Kombination aus elektronisch-akustischem Jazz, Improvisation, computergesteuerten Grooves und von DJ Illvibe gesetzten Samples und Soundsplittern; Tradition und Hypermoderne gehen eine irrwitzige Fusion ein, die mit fusselbärtigem Keller-Jazz und behäbigen Bigband-Klängen rein gar nichts zu tun hat. Prägnante Bläsersätze dominieren den nuBox-Sound, wilde, ekstatische Momente wechseln sich mit opulenten Teilen ab und dazwischen ist noch genügend Platz für Experimente mit HipHop und Funk. Das Konglomerat aus ehrwürdigen Orchestermusikern, einem Elektro-Jungspund und den drei wagemutigen Jazzern sorgt für eine große sonische Überraschung in diesem Frühjahr, die das limbische System rockt. Bass-Koryphäe Alois Kott gab satt.org ein Interview:

satt.org: Können Sie uns ein paar Details zur Geschichte von nuBox verraten?

Alois Kott: nuBox, bis 2004 Blue Box, existiert seit 1984 in der gleichen Besetzung: Reiner Winterschladen (Trompete), Alois Kott (Bässe) und Peter Eisold (Drums/Percussion). Diese Besetzung ist äußerst selten, da ja kein Harmonieinstrument mit von der Partie ist. Für uns war also schon immer eine musikalische Herausforderung, dies zu unserem Vorteil umzumünzen. Daher erklärt sich auch unser frühes Einbauen elektronischer Elemente und Klangerzeuger und das Verfahren, wie dies in einen überzeugenden Zusammenhang mit unseren akustischen Ambitionen zu bringen ist. Dass uns dies gelungen gelungen ist, meinen nicht nur wir, sondern ist auch die weit verbreitete Kritikermeinung.

satt.org: An den Limbic System Files sind eine Menge Leute beteiligt – hat das die Zusammenarbeit manchmal erschwert? Oder waren sich alle einig, in welche Richtung das Projekt gehen soll?

AK: An LSF sind zwar rein äußerlich viele Leute beteiligt, real aber eigentlich nur Peter Eisold und Alois Kott als Komponisten, die in ihrer Komposition die elektronischen Anteile generierten, die Räume für Soli bedachten und auch die DJ-Anteile einplanten - also die Richtung bestimmten -, und natürlich der Arrangeur Ed Partyka, der unsere Vorpartitur hervorragend auf die Big Band übertrug.

satt.org: Wie kam es zur Zusammenarbeit mit DJ Illvibe, der ja aus einem ganz anderen Bereich zeitgenössischer Musik kommt? Kannten Sie seine Musik?

AK: Ich hatte schon lange - also seit den neunziger Jahren - die Idee, mit einem DJ zusammen zu arbeiten. Leider existieren in der Szene (auch heute noch) vorwiegend allein rhythmisch agierende DJs. Das war also nicht das, was wir brauchten. Beim Vorgespräch für unsere Tour mit unserem Berliner Promoter im Frühjahr 2004 kam von ihm der Tipp "Illvibe" (aka Vincent v. Schlippenbach). Wir kannten sowohl seine Arbeit für SEEED (das war für uns weniger interessant) als auch seine Arbeiten für Moabeat und Lychee Lassi. Das gefiel mir und wir gaben im Oktober 2004 zwei Konzerte in Berlin zusammen, das zweite Konzert wurde vom Deutschlandradio mitgeschnitten. Hohes Risiko also.... aber es hat sich gelohnt und die Chemie hat auf anhieb gestimmt.

satt.org: Kennen Sie das Projekt des Drummers Christian Prömmer, Drumlesson? Prömmer und seine Mitmusiker kleiden auf diesem Album House-Songs in ein Jazzgewand - ein Projekt in umgekehrter Richtung ist geplant. Was halten Sie von solchen stilistischen Grenzüberschreitungen? Sind strenge Stilgrenzen heute überhaupt noch zeitgemäß?

AK: Nein, die Arbeiten von Christian Prömmer kenne ich nicht, ich bin aber schon immer ein Anhänger stilistischer Grenzüberschreitungen gewesen, wenn sie zu einem künstlerisch neuen Ganzen führen.

satt.org: Die Musik auf "Limbic System Files" lässt sich nicht wirklich einordnen - wie würden Sie sie bezeichnen?

AK: Vielleicht wirklich "Bigbandtronics". Ist immer schwierig, so etwas Komplexes in eine Schublade zu bekommen.

satt.org: Was macht Ihnen mehr Spaß - Tüfteln im Studio oder Liveauftritte?

AK: Beides... und es hat beides seine spezifischen Eigenheiten. Wie Glenn Gould schon in den Sechzigern bemerkte: "...dass man seine Arbeiten im Studio und auf der Bühne getrennt sehen müsse, da sie unterschiedliche Anforderungen an Ihn stellten."

satt.org: Wie sah die Arbeit zu „Limbic System Files“ im Studio aus? Welcher Schritt kam zuerst? Wann kam Illvibe ins Spiel? Und wie hat die hr-Bigband reagiert?

AK: Mit Illvibe haben Peter Eisold und ich in längeren Berliner Arbeitseinheiten Material erarbeitet, das dann später von Peter und mir ausgiebig weiter verarbeitet und zu schlüssigen Kompositionen geformt wurde. Gilt vor allem für unsere Quartett-CD "next twist". Beim Big Band Projekt war - wie ich eingangs schon erwähnte - alles von Peter und mir komponiert und die Big Band hat phantastisch reagiert - und wie es sich für ein solches Profiensemble gehört - in Weltklassemanier unsere Ideen umgesetzt.

satt.org: Improvisieren Sie, wenn die „Limbic System Files“ live aufgeführt werden?

AK: Ja, es gibt bei LSF für die Solisten einschließlich Illvibe große Freiräume.

satt.org: Gehen Sie selbst gern zu Jazzkonzerten? Finden Sie den "Szenenapplaus", der ja noch immer üblich ist, angemessen oder störend?

AK: Leider nicht so oft, wie ich's gern täte. Szenenapplaus gehört dazu, wenn er die Konzentration nicht stört. Ist wie in Verona bei der italienischen Oper: Verdi ohne Szenenapplaus.... nicht denkbar.

satt.org: Was unterscheidet ein nuBox-Konzert von "üblichen" Jazzkonzerten?

AK: Es gibt große Freiräume in unserer Musik. Das bedeutet hohes Risiko, aber auch enormen Spaß für uns. Für's Publikum ist jedes Konzert von uns ein Unikat. Dabei gewesen sein ist alles!

satt.org: Wohin geht der moderne Jazz?

AK: Dazu fehlt mir - ehrlich gesagt - der Überblick. Gibt's noch einen roten Faden??.... ich glaub: im Moment nicht.

satt.org: Was hat sich seit Ihren Studienzeiten verändert? Was ist im Jazz heute möglich, was in den siebziger und achtziger Jahren eventuell noch nicht möglich war?

AK: Ich habe ja ein volles klassisches Studium inclusive Komposition absolviert. Zu meiner Zeit gab's einen sehr guten Jazz- Studiengang nur in Graz. In den siebziger und achtziger Jahren war ich - glaube ich - einer der ersten, der sein künstlerisches Niveau an klassischen Maßstäben orientiert hat. Heute - und da fühl ich mich bestätigt - treten immer mehr junge Musiker unseres Genres ins Rampenlicht, die eine ähnliche Ausrichtung für sich in Anspruch nehmen.

satt.org: Und wer sind Ihre "Helden" (egal, aus welchem Genre)?

AK: Bach, Schubert, Stravinsky, Schostakowitsch, Billy Joel, Buena Vista Social Club, Ensemble Modern, Amon Tobin und das Münchener Rosamunde Quartett. Um nur einige zu nennen.

satt.org: Ich mag Track 8 („Swallover“) von „Limbic System Files“ besonders gern, weil in ihm Jazz und HipHop eine so kühne Symbiose eingehen - welches ist Ihr Lieblingstrack?

AK: Meine beiden „Limbic System Files“-Lieblinge sind: „Remembrance“ und „Snaixperience“.

Vielen Dank für das Interview!



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