Mai 2008, zweite Hälfte:
Die aktuellen Short Cuts sind alles andere als short: vier RezensentInnen haben nicht weniger als zehn Alben gesichtet und probegehört. Lest hier, was Petra Zimlich, Thomas Backs, Ralf Pfeifer und Christina Mohr zu White Williams, Beady Belle, Estelle, Radiohead, Adem, Flight of the Conchords, Tokyo Police Club, The Miserable Rich, Neon Neon und Blaktroniks eingefallen ist.
Estelle: Shine
(Homeschool/Atlantic/Warner)
Seit einigen Wochen läuft im Musik-TV das Video zu dem etwas simpel gestrickten, aber ungemein eingängigen Song “American Boy”. Den Herrn erkennt man gleich – Kanye West – aber wer ist diese hübsche junge Frau, die mit heiserer Stimme Kanye charmant darum bittet, sie mit nach Brooklyn zu nehmen und seiner Hood vorzustellen? Rätsel gelöst: Die 28-jährige Estelle Swaray stammt aus London und sorgte mit ihrem Debütalbum von 2004 “The 18th Day” für Furore, zumindest in Großbritannien. Mit ihrer zweiten Platte “Shine” dürfte sie größere Kreise ziehen: mit den zwölf perfekt produzierten Tracks, die zwischen R'n'B, Soul, Funk, HipHop und ganz viel Pop changieren, kann Estelle die Welt erobern. Mit im Studio waren neben Kanye West Wyclef Jean, Swizz Beatz, Mark Ronson und an erster Stelle John Legend, der Estelle nach New York einlud, um dort das Album aufzunehmen. Trotz der für den amerikanischen Markt wegpolierten Ecken und Kanten, die das Debüt noch aufwies, ist “Shine” eine abwechslungsreiche Überraschung in der übersättigten R'n'B-Landschaft. Man hört deutlich Estelles britische Wurzeln, dort wo sich amerikanische Soul-Chanteusen zwischen den Satinlaken verirren, würzt Miss Swaray ihre Tracks mit karibischen Reggae- und Ska-Elementen und pusht die Soul- und R'n'B-Arrangements in unerwartete Richtungen. Der von Will.i.am prodzierte Opener “Wait a Minute (Just a Touch)” schlängelt sich um ein prägnantes Sample aus “I Put a Spell on You” von Screamin' Jay Hawkins, “No Substitute Love” ist ein souliger Ohrwurm, in dem Estelle George Michaels “Faith” zitiert, auf “So Much Out the Way” (mit Wyclef Jean) gibt sie über einem monstermäßigen Basslauf Kostproben ihres Rap-Talents. Weniger gut als die tanzbaren Tracks funktionieren die Soulballaden, die auf einer Platte wie dieser natürlich nicht fehlen dürfen. Trotzdem muß an dieser Stelle dick unterstrichen werden, dass Estelles rauhe, gleichzeitig smoothe Stimme auch aus schwächeren Songs noch kleine Perlen macht: Estelle ist nicht Mariah, jodelt deshalb nicht in 15 verschiedenen Oktaven die Tonleitern rauf und runter und inszeniert sich auch nicht als “bitch” oder “chick”: sie ist eine Lady, die es sich leistet, im Trenchcoat für das Albumcover zu posieren. Schon allein dafür: fette Credz! (Christina Mohr)
» www.estellemusic.com
» www.homeschoolrecords.net
Blaktroniks: Mechanized Soul
(Rubaiyat/Phazzadelic/Groove Attack)
Das Heidelberger Label Rubaiyat veröffentlicht ein Jahr nach “Arts & Sciences” des Duos The Student Body Presents wieder ein bemerkenswertes Black Music-Album: “Mechanized Soul” ist die mittlerweile fünfte Platte der Black Muslim – Black Christs – Black Atheists-Truppe Blaktroniks aus Oakland/USA. Blaktroniks-Gründer Edd Dee Pee holte seinen 60-jährigen Vater Edward Robinson als Vokalisten ins Studio: Senior Robinson sang schon in den sechziger Jahren Soulmusic, zur Hochzeit von Motown und Gruppen wie den Supremes, die in derselben Straße wohnten wie er (Familie Robinson stammt aus Detroit; Edd Dee Pee ist dort aufgewachsen, bevor es ihn nach Oakland zog). Heute ist Edward Robinson ein christlicher Priester, und auch wenn “Mechanized Soul” keine religiösen Konnotationen aufweist, trägt Robinsons sehnsuchtsvolle, alterslose Stimme Blues- und Gospelstimmung in die Tracks. “Mechanized Soul” verbindet Techno und Soul, Dub und Blues, HipHop und Elektronica, Street und Avantgarde; bringt Gestern und Heute, Seele und Maschine zusammen. Dabei ist der Grundton dunkel, die Lyrics liefern explizite Gesellschaftskritik, die kunstvoll dekonstruierten Beats und sorgfältig geschichteten Loops laden weniger auf den Dancefloor als zum Tanz mit dem Gehirn. Vater und Sohn Robinson haben “Mechanized Soul” nicht alleine produziert: Gudrun Guts Stimme ist auf dem von ihr komponierten Deep-Dub-Track “Noon” zu hören, Onyx Ashanti spielt Wind Synthesizer auf “Easy Street”, das Mastering hat Moritz von Oswald übernommen. “Mechanized Soul” ist, wenn man es als Generationenprojekt versteht, ein Spannungs-, aber kein Schlachtfeld. »Don’t imitate your parents past, create your own generation of memories«, heißt es an einer Stelle. Dem ist nichts hinzuzufügen. (Christina Mohr)
» www.rubaiyat.de
White Williams: Smoke
(Domino Records)
Zugegeben: das pseudo-psychedelische Covermotiv mit den beiden entrückt blickenden, bongrauchenden Damen und der aus ihren Mündern aufsteigende Qualm, der das Wort “Smoke” formt, war schuld daran, dass die Rezensentin das Album des 24-jährigen Soundbastlers und Multiinstrumentalisten Joe “White” Williams aus Cleveland, Ohio zunächst ignorierte. Obwohl das Cover nichts gutes verhieß, siegte schließlich doch die Neugier und siehe da, “Smoke” macht sehr viel Spaß! Die ersten beiden Songs, “Headlines” und “In the Club” vermengen auf hinreißend witzige Art Siebzigerjahre-Sounds á la David Dundas und T. Rex – wer jetzt aufschreit und sagt, das passe doch gar nicht zusammen, dem entgegne ich: stimmt! Paßt null zusammen und funktioniert trotzdem großartig – genauso wie die folgenden Songs, die dynamisch-wavig (“Violence”), poppig wie einst Orange Juice (“Going Down”, “Violence”), im nostalgischen Funk-Gewand (“Smoke”) oder als sinnfreies Synthiegefiepe (“Lice in the Rainbow”) um die Ecke kommen. “Smoke” unterliegt keinem erkennbaren Konzept außer dem des hemmungslosen Wilderns und Zitierens. Williams ist ein hochbegabter Eklektiker, der mit Verve und Chuzpe die Gärten seiner Lieblingsmusiker plündert: bei “The Shadow” erkennt man Versatzstücke aus Paul Simons “Graceland”* , bei anderen Songs Hooklines, die von Duran Duran stammen könnten. So gelingen ihm charmante Pophits, allerdings zum Preis der Nicht-Wiedererkennbarkeit. Aber vielleicht hat White Williams, der seinen Stil selbst als “Happy Hardcore” bezeichnet, genau das im Sinn: einer Rauchschwade gleich (“Smoke”!) durch die Luft zu ziehen und verschwinden, ohne Spuren zu hinterlassen. (Christina Mohr)
(* Notiz am Rande: White Williams war kürzlich mit den Simon-Fans Vampire Weekend auf Tour!)
» myspace.com/whitewilliams
Flight of the Conchords
(Sub Pop/Cargo)
Flight of the Conchords verfolgen noch drastischer als White Williams das Konzept “Songs im Stil von...” : Flight of the Conchords ist eine amerikanische TV-Comedy-Serie, in der das real existierende neuseeländische Folkpop-Duo Jermaine Clement und Bret McKenzie (a.k.a. Flight of the Conchords) ausgedachte Abenteuer erlebt. In jeder Folge präsentieren Jermaine und Bret verschiedene Songs, die mal mehr, mal weniger zur Szenerie passen. Die beiden albern auf hohem Niveau herum, amüsieren sich über bärtige Singer/Songwriter, machen einen auf dicke Gangsta-Rap-Hose oder imitieren täuschend echt Neil Tennants britischen Akzent (bei der Pet Shop Boys-Hommage/Persiflage “Inner City Pressure”). Sehr amüsant (bitte auch das aufwändige, liebevoll gestaltete Ausklappcover + Poster beachten), wenn auch nicht klar wird, wer Flight of the Conchords überhaupt sind und was sie wollen. Ist aber vielleicht auch egal. (Christina Mohr)
» www.conchords.co.nz
Radiohead: The Best of
(Parlophone/EMI)
Am Anfang stand ein Gitarrenriff: der schnarrende Laut im Mittelteil von “Creep” sagte mehr als tausend Worte und machte Radiohead, eine Handvoll blasser Buben aus Oxford/GB, zur kultisch verehrten Band der Slacker-Generation. Das war 1992; in den Jahren danach entwickelten sich Radiohead zu einer der wagemutigsten, experimentellsten und antipopstarmäßigsten Bands aus England, die so gar nicht in die Schublade “Britpop” passen wollte. Zum einen lag und liegt das am charismatischen, überspannten Sänger Thom Yorke, zum anderen an Radioheads mehr als anspruchsvoller Musik, die im Kern zwar aus den Rock-Grundelementen Gitarre, Bass, Schlagzeug, Keyboards besteht, damit aber wesentlich grenzüberschreitender umgeht, als es Oasis und Verwandten jemals in den Sinn gekommen wäre. Mit Alben wie “OK Computer”, “Kid A”, “Amnesiac”, Hits wie “Paranoid Android” oder “Karma Police” und den außergewöhnlichen Videos gelang Radiohead der Spagat zwischen Weirdness und Massenkompatibilität, ein Spannungsfeld, das gerade Thom Yorke nicht immer aushalten konnte. Besonders der Überhit “Creep” entpuppte sich als Fluch für Radiohead, dem die Band zwar ihre Popularität verdankte, dadurch aber auch auf einen Stil festgenagelt wurde. Radiohead befreiten sich aus der „Creep“-Falle vor allem durch intensive Arbeit, zusammen als Band oder jeder für sich. Alle Nebenprojekte der Radiohead-Mitglieder aufzuzählen, würde den Rahmen sprengen, deshalb an dieser Stelle nur der Hinweis auf Jonny Greenwoods hochgelobten Soundtrack für „There Will Be Blood“, der unter anderem Anfang dieses Jahres mit dem silbernen Bären ausgezeichnet wurde. 2007 unternahmen Radiohead einen für eine Band ihres Kalibers unerhörten Schritt: Sie veröffentlichten das Album “In Rainbows” zunächst ausschließlich als Download, erst einige Monate später gab es physische Tonträger zu kaufen.
Das Doppelalbum “The Best of Radiohead”, das auf herkömmliche’ Weise veröffentlicht wird (eine DVD mit allen Videos wird ebenfalls bald erhältlich sein), beinhaltet nicht weniger als 29 Songs, die die beeindruckende Entwicklung der Band dokumentieren – und den hohen Standard von Anfang an. Und ja, “Creep” ist auch drauf. (Christina Mohr)
» www.radiohead.com
Neon Neon: Stainless Style
(Lex Records/Rough Trade)
Gruff Rhys ist immer für eine Überraschung gut: 15 Monate nach seinem Soloalbum “Candylion” legt der Sänger und Songwriter der Super Furry Animals, deren wunderbares neuntes Album “Hey Venus!” ebenfalls im letzten Jahr erschien, gemeinsam mit dem Produzenten Boom Bip nun „Stainless Style“ vor. Zwölf zumeist tanzbare Tracks über das Leben des amerikanischen Managers und Sportwagenbauers John DeLorean, die Elektropop, HipHop und Euro Disco vermischen und bei engstirnigen Gitarrenmusikliebhabern ganz sicher für Verwirrung sorgen. Menschen mit einem breiteren musikalischen Horizont werden begeistert sein, wie die britische Musikpresse, die Neon Neon mit den Gorillaz vergleicht und in den höchsten Tönen lobt. Dem können wir uns anschließen. Allein die Idee, ein Konzeptalbum über DeLorean zu produzieren, ist klasse. Das berühmteste Kind des 2005 verstorbenen Amerikaners kennt jeder, der in den 1980er Jahren ins Kino gegangen ist: Der DMC-12, ein damals supermoderner Sportwagen, der als Zeitmaschine in der Trilogie „Zurück in die Zukunft“ fungierte. Der DMC-12 war John DeLoreans wahr gewordener Traum des perfekten Autos, finanziert mit 85 Millionen britischen Pfund, die er von der britischen Labour-Regierung für die Gründung der DeLorean Motor Company in Belfast bekam. Das Projekt DMC-12 wurde nach anfänglichen Erfolgen ein Riesenflop. Konkurs, Schuldenberge, Verhaftung durch das FBI unter dem Vorwurf des Drogenhandels (1982) und ein skandalumwittertes Privatleben. Einen Vorgeschmack brachten Neon Neon mit der Disconummer „Raquel“ über DeLoreans Beziehung mit Schauspielerin und Sexsymbol Raquel Welsh, der zu den Highlights auf „Stainless Style“ zählt. Genau wie „Trick for Treat“, ein HipHop-Track mit den Rappern von Spank Rock und Har Mar Superstar, und die Hammer-Single „I Lust U“ mit Sängerin Cate Le Bon, die die oberflächliche Glamour-Welt der Stars und Sternchen vertont. Gitarrenmusik-Puristen sollten sich nicht durch den Hinweis fehlleiten lassen, dass Drummer Fab Moretti von den Strokes und Mitglieder von The Magic Numbers bei „Stainless Style“ mitgewirkt haben. Viel größer ist der Einfluss von Rappern wie Yo Majesty (auf „Sweat Shop“) und Fatlip (auf „Luxury Pool“). Fazit: Wenn Gruff Rhys als Kopf der Super Furry Animals schon mit der Ignoranz der Gitarrenfans auf dem europäischen Festland leben muss, die auf die neuesten Trend aus GB aufspringen und bei all den superhippen Retrobands der letzten Jahre den Blick für die wirklich großen Künstler vermissen lassen, dann wäre es schön, wenn die Elektro-Fraktion und Dancefloor-Freunde Neon Neon mit offenen Armen empfangen. Wer das Glück hat, in diesem Jahr zum Melt!-Festival zu fahren, kann Neon Neon live erleben. Dort stehen Gruff Rhys und Boom Bip am 20. Juli auf der Bühne.
(Thomas Backs)
Neon Neon live: 2. Juli: Five Days Off-Festival, Amsterdam, 3. Juli: Massive-Attack-Festival, Amsterdam, 20. Juli: Melt!-Festival, Ferropolis (Sachsen-Anhalt)
» myspace.com/neonx2
» myspace.com/candylionmusic
» www.superfurry.com
» www.lexrecords.com
» www.verstaerker.com
The Miserable Rich: 12 ways to count
(Hazelwood Vinyl Plastics/ Indigo)
“Unglücklich, elend, jämmerlich, erbärmlich oder armselig”. Sagt das Dictionary zu „Miserable“. James De Malplaquet, Sänger und Songwriter aus Brighton, der auch das Elektroprojekt Bonobo hat, und Cellist Will Calderbank fanden den Projektnamen „The Miserable Rich“, als sie mit ihrer Band The Grape Authority bei der Hochzeit eines römischen Großgrundbesitzers spielten. Das Kammerquintett für moderne Songs, das ohne Schlagzeug und Bassgitarre auskommt, war komplett, nachdem Violinspieler Mike Siddell, der auch bei Lightspeed Champion und Kate Nash spielt, Lindsey Oliver (Kontrabass) und Gitarrist Jim Briffet von Clearlake mit an Bord kamen. Leicht zugänglich ist das Debüt des Quintetts nicht. Wer sich Zeit nimmt, wird aber belohnt. Der Opener „Early morning“ prägt die verträumte Stimmung des Albums, das zeigt, dass sich mit alten Streichern, Glockenspiel und Maultrommel durchaus neue, aufregende Musik machen lässt. „Pisshead“ ist ein tragisch-komischer Trinkersong, mit dem James De Malplaquet zeigt, dass er ein sehr vielseitiger Songwriter ist, der auch stimmlich begeistern kann. Genau wie bei „Monkey“, einem der schönsten Songs des Albums mit der Liebeserklärung „If you want to take me to the top of the tree, I'll be your monkey for you“. Very british und folktronisch klingen die dreizehn Songs (inklusive Bonustrack) des Albums, genau wie der Download-Track “Over and Over”, eine Cover-Version des Hits von Hot Chip, der es in der Version von The Miserable Rich in die Playlisten einiger Radiosender geschafft hat. „Over and Over“ fehlt allerdings auf „12 ways to count“. Vielleicht spielen James De Malplaquet, Will Calderbank und Co. ihn ja live.
(Thomas Backs)
The Miserable Rich auf Tour: 20. Mai: Halle, Objekt 5, 21. Mai: Nürnberg, MUZ, 23. Mai: Bielefeld, Leinewebermarkt, 24. Mai: Leipzig, Pop Up-Messe, 25. Mai: Berlin, Festsaal, Kreuzberg, 27. Mai: Kiel, Prinz Willy, 28. Mai: Hamburg, Grüner Jäger (im Rahmen von About Songs), 29. Mai: Hannover, Feinkostlampe, 30. Mai: Duisburg, Steinbruch, 31. Mai: Saarbrücken, Sparte 4 Theater, 1. Juni: Freiburg, KTS
» www.themiserablerich.com
» myspace.com/themiserablerich
Beady Belle: Belvedere
(Jazzland/Universal Music)
Beady Belle aus Norwegen gehören zu den Lieblingsgruppen des britischen Jazz-Pop-Stars Jamie Cullum. Er hatte Sängerin Beate S. Lech und Bassist Marius Reksjø bereits gebeten, ihn als Support-Act auf seiner Tour für das Album „Catching Tales“ zu begleiten. An „Belvedere“, dem vierten Album der Norweger, das sanft und soulig und so gar nicht nordisch-kühl daher kommt, ist Jamie Cullum nun erstmals auch als Gastsänger und Piano-Player vertreten. Gemeinsam mit Beate S. Lech singt er „Intermission Music“ im Duett. Ein schöner Song, aber der Höhepunkt des Albums heißt „Tower of Lament“, in dem Beate S. Lerchs zeigt, dass ein Klagelied auch ganz schön entspannt groovend rüberkommen kann. Beady Belle-Fan India.Arie ist auf „Belvedere“ ebenfalls erstmals dabei, gemeinsam mit Beate S. Lech hat der US-Soul-Star „Self-fulfilling“ eingesungen, das für einen Beady Belle-Song fast funky klingt. Lech, die mittlerweile Mutter geworden ist, hat einen Teil der Songs mit der Band in einem dänischen Tonstudio unter live-ähnlichen Bedingungen aufgenommen. Neu ist, dass Beate und Bassist Marius Reksjø, die Beady Belle 1999 als Duo gestartet haben, Schlagzeuger Erik Holm, der auch schon beim letzten Album „Closer“ mit von der Partie war, nun zum festen Mitglied der Band gemacht haben. Gemeinsam mit Anders Engen (Dobro- und Akustikgitarre), Geir Sundstøl (Lap-Steel-Gitarre, Banjo, Mandoline, Marxophone) und Arne Rasmussen (Harmonica) haben sie ein sehr poppiges Jazz-Album eingespielt, das den Mainstream und einige Radiosender erreichen dürfte und live sicher viel Spaß macht.
(Thomas Backs)
Beady Belle live: 29. Juli: Colos-Saal, Aschaffenburg, 30. Juli: Würzburg, Festival
» www.beadybelle.com
» myspace.com/beadymusic
Adem: Takes
(Domino)
Nach längerer Pause gibt es 2008 ein neues Album vom türkisch-englischen Songwriter Adem Illhan: Takes. Eine Sammlung von Coverversionen. Ist das nun gut oder schlecht? Die Originale der Songs stammen aus den Jahren 1991 bis 2001. Und von so illustren Namen wie PJ Harvey, den Smashing Pumpkins, Björk, Yo La Tengo oder Aphex Twin. Musik, die ihn und uns in unserer Jugend begleitet hat. Eine Platte mit Coverversionen zu machen, ist laut Adem so komplex, wie ein Mixtape aufzunehmen. Das kann ich mir gut vorstellen. Man kennt sie noch, die Gedanken, die man sich um die Auswahl der Songs machen konnte. Wen mit welchem Song auswählen? Thematisch oder chronologisch vorgehen? Welche Zeiträume überhaupt zulassen? Kontrastreiche oder aufeinander abgestimmte Songs aufnehmen? Das waren die wichtigen Fragen vor dem Kassettenrekorder. Schließlich legte man von sich selbst ja ziemlich viel offen. Dies macht nun auch Adem Illhan, der übrigens auch in der Folk-Soupergroup The Memory Band und bei den Post-Rockern Fridge aktiv ist. Als Solokünstler bleibt er weiter seinem Singer-/Songwriter-Stil treu. Seine Versionen der Songs sind sorglos und fragil zugleich. Die dahin geklimperten Tonfolgen gehorchen seinen eigenen speziellen Interpretationen. Ganz offensichtlich ist er ohne Ehrfurcht an die Songs herangegangen und hat sogar vor Textänderungen nicht halt gemacht. Zum ersten Mal hat er seine Musik in einem professionellen Studio aufgenommen, alle Instrumente dabei selbst eingespielt. Fans kennen die Coverversionen, die Adem regelmäßig in seine Konzerte einstreut. Sind die Songs auf der Bühne auf Gesang und ein Instrument reduziert, wurden sie im Studio nun etwas voller unterlegt. Auf dem Album sind weit mehr Instrumente als nur eine Gitarre zu hören: Klavier, Violine, Ukulele kommen ebenso zum Einsatz wie Vibraphon oder Drumcomputer. Ruhig, betont eigenständig und trotzdem die Originale nicht vergessend sind Adem so schöne Coverversionen gelungen. Das ganze Album ist wunderbar arrangiert. Und mir gefällt seine Auswahl. An vorderster Stelle für mich der Yo La Tengo-Song „Tears Are In Your Eyes”.
(Petra Zimlich)
» www.adem.tv
Tokyo Police Club: Elephant Shell
(V2/Cooperative Music)
Absolut gelungen, dieses erste Album des Tokyo Police Club in voller Länge. Wären sie Engländer, das nächste Titelblatt des NME wäre ihnen gewiss. Der Vierer kommt allerdings aus Kanada, Newmarket in Ontario, um genau zu sein. Nach ihrer Gründung 2005 hatte die Band 2007 eine EP veröffentlicht, „A Lesson In Crime“ betitelt, die von der Musikpresse schwelgerisch besprochen wurde. Von nonchalanter Eleganz war die Rede und Vergleiche mit Pavement und den Strokes wurden gezogen. Man verkaufte 70.000 Kopien und damit 69.000 mehr als die Musiker, nach Eigenaussage, selbst erwartet hatten. Es verwundert nicht, dass der TPC darauf hin in den USA als Opener von Cold War Kids und Bloc Party spielt und auf der Bühne des Lollapalooza ebenso zu sehen ist wie auf dem Hurricane in Deutschland und dem Glastonbury-Festival. Eine ausverkaufte Tour im Mutterland der jungen, vierköpfigen Rockkapelle schließt sich an, die Band tourt nahezu eineinhalb Jahre ununterbrochen durch Europa und Nordamerika.
Das Gitarrenspiel ist treibend, flächig, aber auch im ständigen Wandel. Stolpernde Drums, flankierende Keyboardfiguren und der eigenwillige Gesang David Monks, der ebenfalls Bass spielt, scheinen, jedes Element für sich gesehen, ihre eigene Dynamik und ihr eigenes Tempo zu besitzen, ja gegeneinander zu arbeiten. Die Melange der einzelnen Komponenten ergibt jedoch ein harmonisches Gesamtbild und besitzt dazu eigenen Charakter. Joy Division sind von ihrer Intensität und Spielweise, abzüglich ihrer depressiven Grundstimmung, hier vielleicht Vorbilder gewesen - zumindest naheliegend. Punk und Pop leben in dieser Riesenmuschel des Police Club gleichberechtigt nebeneinander und pflegen ganz offensichtlich ein sehr gutes Verhältnis zueinander. Nur eines der 11 Stücke, das hymnische „Your English Is Good“, ist länger als drei Minuten, die Songs sind allesamt frisch und knackig, Abwechslung und Kurzweil prägen das komplette Album. Wäre schön, wenn den Jungs weiterhin die Aufmerksam zuteil würde, die sie verdient haben. Keine Massenware, aber durchaus Musik für die Massen.
(Ralf Pfeifer)