Seit Anfang dieses Jahres sendet ByteFM, das in Hamburg ansässige Internetradio. ByteFM bietet all jenen eine Plattform, die vom Formatradio die Nase voll haben, aber auch mit „consumer friendly“ Internetangeboten wie last.fm nicht viel anfangen können.
Der große Vorteil eines Internetsenders wie ByteFM liegt auf der Hand: die buchstäblich grenzenlose Hörbarkeit macht Rauschen und Knistern am Rande des Sendegebietes zu einem Problem von vorgestern. Und seit eine bekannte Kaffeerösterkette Internetradio-Geräte zum Kauf anbietet, muß man auch nicht mehr den ganzen Tag vorm Computer verbringen, um Webradio zu hören. WLAN genügt.
Initiator und Gründer Ruben Jonas Schnell, der seine Laufbahn beim „ältesten freien deutschen Radiosender“, Radio Dreyeck aus Freiburg begann, ist stolz auf sein „Baby“, das sich prächtig entwickelt und dessen Potenzial noch längst nicht ausgeschöpft ist. „Das Feedback ist rundweg positiv, das Medieninteresse riesig und die Zugriffszahlen steigen“, freut sich Schnell, wobei die Zugriffe durchaus moderatorenabhängig sind und ein Stadt-Land-Gefälle besteht, Hochburgen sind Hamburg, Berlin und Frankfurt (in dieser Reihenfolge). Ruben Schnells Leben dreht sich derzeit fast ausschließlich um ByteFM, „in letzter Zeit war ich nur sehr selten abends mal ein Bier trinken“, lacht er und deutet an, was auch für die anderen Mitarbeiter von ByteFM gilt: viel Arbeit aus Leidenschaft und Idealismus, leider (noch) ohne Honorar. „Ich wünsche mir schon, dass ich die Leute künftig bezahlen kann, zumindest eine Stammredaktion in Hamburg“, sagt Schnell. Derzeit verfügt ByteFM über einen Sponsor (Panasonic), in Zukunft sollen es mehr werden, um der Wirtschaftlichkeit Rechnung zu tragen. ByteFM war ursprünglich als „Recycling“ für Sendungen des bayrischen Radio Zündfunk gedacht, doch bald wurde klar – vor allem wegen der begeisterten Rückmeldungen der angesprochenen Moderatoren -, dass ByteFM ein eigenständiger Sender werden soll. „Wer wirklich will, darf bei ByteFM Sendungen machen“, so Schnell, wobei es klare qualitative Unterschiede zum „selbstgestrickten“ Alternativradio gibt: „Chaos kann auch kontraproduktiv sein.“ Bei ByteFM steht die Qualität der Sendungen im Vordergrund, was man an Themenauswahl und Moderatorenriege feststellen kann. 1LIVE-Legende Klaus Fiehe ist ebenso im byte-Boot wie Klaus Walter aus Frankfurt (hr3, Der Ball ist rund) und DJ ClickClickDecker, Gudrun Guts Oceanclub ist zu hören, Susie Reinhardt präsentiert seltene Rock'n'Roll-Singles. Thematisch ist grundsätzlich alles möglich, auch Literatursendungen sind für Schnell vorstellbar, allerdings mit einer klaren Verbindung zur Musik, die gespielten Songs solten mehr sein als „Kleber zwischen den Textbeiträgen“. Schnell will keine stilistischen Begrenzungen, auch das Alter der Hörer soll keine Rolle spielen. „Mein Traum ist es, eine Rundumabdeckung zu bieten. Morgens mit Swing zu starten, mittags Klassik zu spielen und abends HipHop und House. Und Nachrichten soll es auch geben!“ Am beliebtesten sind zurzeit die dreistündige Themensendung „Was ist Musik“, der „Tourkalender“, in dem täglich Bands live zu hören sind, die gerade auf Tournee sind, „Die runde Stunde“ mit Götz Bühler, Jan Müllers „Von Bullerbü nach Babylon“ und „Mixtape“, dessen Programm von Redakteuren und Musikjournalisten zusammengestellt wird.
Auch satt.org macht mit bei ByteFM: zwei „satt.org-Mixtapes“ wurden bereits gesendet, weitere sind in Planung, die nächste Sendung mit Christina Mohr und Klaus Walter läuft am 8.8.2008 um 17.00. Klaus Walter berichtet hier, was ByteFM für ihn bedeutet und was er sich für die Zukunft wünscht:
satt.org: Wie bist du mit Ruben Jonas Schnell in Kontakt gekommen, wann und wie entstand die Idee, etwas zusammen zu machen?
Klaus Walter: Mit Ruben habe ich seit Mitte der Neunziger für die hr1-Musiksendung „Schwarz Weiss – Musik in Farbe“ zusammengearbeitet, die 2004 eingestellt wurde. Als er die ByteFM-Idee hatte, hat er mich gefragt, ob ich mitmachen will. Wollte ich!
satt.org: Was ist das tolle an ByteFM für dich, was ist der Vorteil gegenüber dem "normalen" Radio? Gibt es Überschneidungen zu Deiner Sendung auf hr3, "Der Ball ist rund"?
KW: Das Tolle ist zunächst mal die völlige inhaltliche Freiheit und der Raum, auch längere Sendungen zu gestalten. Bei „Der Ball ist rund“ habe ich zwar auch inhaltliche Freiheiten, aber die Sendung dauert eben nur rund 50 Minuten. Überschneidungen gibt es sicher, spannende neue Musik taucht in beiden Sendungen auf.
satt.org: ByteFM als Spielwiese - was kannst du dir im Rahmen von ByteFM vorstellen? Was wünschst du dir, was sollte noch kommen? Und was lieber nicht?
KW: Vorstellen? Alles. Was möglichst schnell passieren sollte: dass noch mehr Leute das Potential von ByteFM erkennen. Dass noch mehr Leute – d.h. Individuen, Redaktionen, Gruppen, Bands, MusikerInnen, etc...- erkennen, dass ByteFM eine Plattform sein kann, auf der man nicht nur selbst senden kann, sondern auch einen Austausch, einen Diskurs hinbekommen kann. Dass mehr Leute erkennen, dass ByteFM eine Plattform sein kann, auf der auch Printmedien ihre Inhalte verbreiten können. Ich würde mir wünschen, dass da irgendwann mal neben der taz, jazzthing, Stern und all den anderen, die bereits jetzt senden, auch – sagen wir – de:bug, Spex, Intro, Groove, Rolling Stone und andere senden. Bis jetzt ist es ja eher so, dass diese Medien mit Radio gar nichts anfangen können oder eigene Wege gehen, die aber kaum jemand kennt...
Wenn sich ByteFM in diese Richtung entwickelt, dann kann es eine zentrale Plattform für alle sein, die sich für eine, sagen wir, avancierte Art des Redens und Verhandelns, Hörens von/über/mit Musik interessieren. Eine Plattform, eine Institution, bei der man weiss, dass da wichtige Dinge kompetent und meinetwegen kontrovers behandelt werden, bei der man weiss, dass dort Leute zu Wort kommen, die wissen, wovon sie reden und die eine, nun ja, Liebe haben für den Kram, den sie da machen.
Lieber nicht: Regression zum Nischenradio, zum „if you like this, try this“-Identity Scan-Radio. Aber die Gefahr sehe ich nicht.
satt.org: Die desolate Situation des sogenannten Formatradios wird immer wieder thematisiert - wie kann ein Internetradio wie ByteFM dagegenwirken?
KW: Ich glaube nicht, dass es die Aufgabe von ByteFM ist, gegen das Formatradio zu wirken. Wenn ByteFM gut ist, wird es ein Publikum (und Mitwirkende!) finden, das sich für Formatradio nicht interessiert.
satt.org: Deine Pläne für ByteFM - gibt es "Traum"-Interviewpartner, die du gern einladen würdest?
KW: Trauminterviewpartner habe ich nicht, aber die angenehme Gewißheit, dass ich, wenn mir wie gerade heute ein Interviewpartner wie Jon Savage* angeboten wird, mit dem dann auch drei Stunden reden und Lieblingsplatten spielen kann. Extremer Luxus, und das ganz ohne Geld...
* „Teenage“, das neue Buch von „England's Dreaming“-Autor Jon Savage, erscheint im Herbst beim Campus Verlag (übersetzt von Conny Lösch)
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satt.org: Das "Problem" Selbstausbeutung: derzeit funktioniert ByteFM noch ohne Bezahlung für die Mitarbeiter - wenn das so bliebe, würdest du trotzdem dabei bleiben?
KW: Wenn ich einen Job finde, der mir so ein Hobby gestattet...das ist ja nicht nur mein Problem, ich denke, auf Dauer wird es nicht ohne Geld gehen und Geld kommt nur rein, wenn ByteFM gehört wird, also: spread the news!
satt.org: Deine Lieblingssendungen bei byte (ausser deinen eigenen):
KW: Solche, die noch fehlen: fundierte Sendungen aus dem weiten Feld R'n'B und HipHop, insgesamt ist mir ByteFM ein bisschen zu (indie)weiß. Sendungen, die über das Medium Musik auch andere Dinge verhandeln, andere Medien (Bücher, Film), Sendungen, die sich weniger an den Konventionen des Popradios orientieren (da sind wir manchmal Opfer der eigenen deformation professionelle). Super finde ich alle Sendungen, die die inhaltlichen und musikalischen Freiheiten von ByteFM nutzen und sich mit ihren Themen intensiv beschäftigen, Zeit nehmen, auch in die Geschichte zurückgehen, also das leisten, was im Rest-Radio immer seltener wird.
satt.org: Dein schönster byte-Moment:
KW: Sehr schön war es, als Robert Forster ungefragt vom Englischen ins Deutsche wechselte und zwei Stunden dabei blieb, nicht ohne gelegentlich ein frreilick einzustreuen, sein Deutsch hat er in Regensburg gelernt.