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Die in den Jahrespolls vieler Musikzeitschriften auftauchende Kategorie "peinliches Lieblingslied“, ist mir zutiefst suspekt. Bedeutet "peinlich" in diesem Zusammenhang doch, dass man es - zwinker, zwinker - qua selbst bestätigtem Expertentum natürlich besser weiß und nur, weil man ja auch nur ein Mensch ist, gerieten Monrose oder Mark Medlock in die ansonsten tadellose Liste. Und da Monrose neben amtlichen Auskennerbands wie (hier bitte persönliche Lieblingsgruppe eintragen) irgendwie deplatziert wirken, erfand man vor langer Zeit in der Spex- oder Rolling Stone-Redaktion besagte "peinlich"-Kategorie, die - zack, die Bohne - die eigene Unfehlbarkeit rehabilitiert. Ich möchte ein Zeichen gegen solches Gebaren setzen und gestehe an dieser Stelle, nicht nur ein peinliches Lieblingslied, sondern einen peinlichen Lieblingsstar zu haben: William Broad, besser bekannt als Billy Idol. Der ehemalige Sänger der britischen Punkband Generation X wagte in den frühen achtziger Jahren den Schritt in Richtung Mainstream und wurde dafür von "echten" Punks voll Inbrunst gehasst. Mit Chartbreakern wie „Dancing With Myself“ und „Flesh for Fantasy“, die eingängige Melodien mit rockigen Gitarrensoli und aufrührerischem Gesang kombinierten, unterwanderte Billy Idol die reine Lehre des Punk. Mann und Musik wurden „Discopunk“ genannt, was als Schmähung gemeint war und nicht wie heute ein kredibles Genre bezeichnete. Billy Idol deshalb visionär zu nennen, scheint selbst mir übertrieben, doch der Erfolg gab ihm recht. Idol brachte meine Freundinnen und mich dazu, verabscheuungswerte Dinge wie Machogehabe und ein fragwürdiges Frauenbild vorbehaltlos gut zu finden, aber Idol wirkte mit seiner hochgezogenen Lippe, der wasserstoffblonden Stachelfrisur und den Lederklamotten so übertrieben und over the top, dass ich ihn immer als Comicfigur oder als Karikatur eines Rockstars wahrnahm – also eher lustig als ernst gemeint. Dass Mr. Broad sich selbst viel ernster nahm, als ihm guttat, zeigte sich rasch. Drogeninduzierte Abstürze, ein beinah tödlicher Motorradunfall und immer mieser werdende Musik zeugten vom Niedergang der Kunstfigur Idol. 2001, als niemand mehr mit ihm rechnete, vollzog sich das wundersame Comeback Billy Idols: er trat bei VH-1-Storytellers auf, veröffentlichte wieder halbwegs okayes Material und absolvierte erfolgreiche Tourneen. Obwohl Billy Idol in diesem Jahr nicht wie Prince, Madonna, Michael Jackson, Paul Weller und Jello Biafra seinen 50. Geburtstag feiert (er ist es seit 2005), gibt es schon wieder ein Greatest-Hits-Album mit immerhin zwei neuen Songs (das elegisch rockenden "John Wayne" und das an bewährten Hitsound erinnernden "New Future Weapon") + DVD mit allen Videos, die eine schöne Zeitreise in die wundersame Welt der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts bietet. P.S.: Den schönsten Moment als Billy-Fan erlebte ich dieses Jahr am 1. Mai, nachts in Berlin, irgendwo am Kotti: in ohrenbetäubender Lautstärke dröhnte „Rebel Yell“ durchs posttrevolutionäre Kreuzberg. Dazu tanzten und grölten jede Menge Punks, denen das kein bisschen peinlich war. Wer hätte das gedacht? ◊ ◊ ◊
Leila: Blood, Looms and Blooms
Die 1971 in Teheran geborene und später mit ihren Eltern nach London ausgewanderte Elektrokünstlerin Leila Arab bezeichnet sich selbst als kompromisslos, ihre Musik sei nicht dazu da, den Erwartungen anderer Menschen gerecht zu werden, sondern einzig und allein, dem Noise zu huldigen. Ihre ersten Platten „Like Weather“ (Rephlex, 1998) und „Courtesy of Choice“ (XL Recordings, 2000) verschafften ihr Respekt und Anerkennung, so wurde Leila von Björk eingeladen, um sie live zu supporten. Als kurz hintereinander erst Leilas Mutter, dann ihr Vater starben, war sie so wütend und traurig über die Unkontrollierbarkeit von Krankheit und Tod, dass sie beschloss, nie wieder Musik zu machen. Doch weil Leila Arab eine Getriebene, eine Musikbesessene ist, brach sich die Musik von selbst Bahn. Leila kehrte ins Studio zurück, drehte an den Maschinen und fand wieder Spaß am Kreieren neuer Sounds. Sie lud alte Freunde wie Specials-Sänger Terry Hall, Trickys Muse und langjährige Kooperateurin Martina Topley Bird, Andy Cox (Fine Young Cannibals, The Beat) und Verwandte plus Kinder ins Studio ein, um in mehreren Livesessions „Blood, Looms & Blooms“ aufzunehmen. Die so entstandenen 14 Tracks gehören zum Spannendsten und Interessantesten, was man in diesem Jahr bisher zu hören bekam: Noise spielt nicht mehr die erste Geige, nur manchmal dräut und lodert es von hinten und von unten, wie bei der gewaltigen Soundlawine „Mettle“, die mit plätschernden Wassertropfen, singender Säge und enormer Break-Dynamik an die Anfänge Bristoler TripHops erinnert. Insgesamt überwiegen versponnene Experimente mit dunklem Grundton, aus den Geräten kommt weniger Lärm, dafür poetischer Pop. Leila läßt verstolperte Tangorhythmen durch ein ansonsten jazzig gefärbtes Chanson wehen („Teases Me“) oder schiebt eine massive Bassdrum mitten in ein mit Vogelgezwitscher untermaltes Kinderlied („Daisies, Cats and Spacemen“). Luca Santucci, deren Stimme bei „Teases Me“ zu hören ist, singt außerdem auf der schrägen Coverversion des Beatles-Songs „Norwegian Wood“ und zu den Spinettklängen von „Ur Train“. Überhaupt, die Gastvokalisten: Martina Topley Bird macht aus „Deflect“ ein berührendes Modern-Soul-Stück, Leilas Schwester Roya Arab klingt auf „Daisies, Cats...“ wie ein Kind, das die Hauptrolle in einem Gruselfilm spielt. Den schönsten Gastauftritt hat Terry Hall, dessen unverkennbare Stimme das verschrobene „Time to Blow“ mit verschlepptem Walzerrhythmus, gesampelten Trompeten und der Textzeile „Each time I open my mouth I regret it“ schon jetzt zu einem Klassiker macht. ◊ ◊ ◊
David Bowie: Live Santa Monica ' 72
David Bowies Konzert in Santa Monica am 20.10.1972 gilt als legendär: zum einen begründete es Bowies Siegeszug als junger Hoffnungsträger des Glampop in den USA, andererseits gab es von diesem Auftritt, der damals im Radio ausgestrahlt wurde, bisher ausser -zig Bootlegs keine vernünftigen Aufnahmen. Jetzt, 36 Jahre später, hat EMI die verschrabbelte Cassette aus Santa Monica doch nochmal hervorgekramt, ein bisschen abgestaubt, auf CD gebrannt und alles in eine schicke Geschenkbox inklusive Fotos von Mick Rock und einer Konzertreview aus der Los Angeles Times von '72 gepackt. Man erlebt den jungen Bowie in der Hochphase der „Ziggy Stardust“-Ära, viele seiner besten Songs stammen aus dieser Zeit: „The Jean Genie“, „Suffragette City“, „Changes“, „John, I`m Only Dancing“ und natürlich „Space Oddity“, was diese Liveplatte zu einem Quasi-Best-of-Album macht. Bowies damalige Band, bestehend aus dem Gitarristen Mick Ronson, Trevor Bolder (Bass) und Mick Woodmansey (Schlagzeug) klingt für heutige Ohren erstaunlich schrammelig und rau, den Stooges näher als Bowies eleganten Arrangements späterer Schaffensperioden. Bowie covert wenig überzeugend Lou Reeds „Waiting for the Man“, was verzeihlich ist, denn schließlich befinden wir uns 1972 erst in der Frühphase des Thin White Duke. (CM) ◊ ◊ ◊
I am Kloot: Play Moolah Rouge
I am Kloot aus Manchester haben sich seit 1999 vor allem durch zwei entscheidende Punkte einen Namen gemacht: Mit Sänger und Gitarrist Johnny Bramwell hat die Band einen Songwriter, der die hohe Kunst des britischen Pop beherrscht und I am Kloot aus der Masse der in UK monatlich auftauchenden und schnell wieder untergehenden Kurzzeitstars hebt. Punkt zwei: I am Kloot sind eine wunderbare Liveband, die mit ihrem melancholischen Gitarrenpop auf der ganzen Welt begeistert gefeierte Tourneen erlebt hat. „I am Kloot play Moolah Rouge“ ist die logische Kombination dieser beiden Punkte zu einem Paket, das an „Natural History“ (2001) anknüpft und mit Songperlen wie „Hey little bird“ und „Someone like you“ erneut Ohrwürmer liefert, die den genannten Unterschied ausmachen. Eingespielt wurde das Album live und ungeschminkt innerhalb weniger Tage in eben jenen Moolah Rouge Studios in Stockport, um so authentisch wie möglich zu klingen. „One year we played 200 gigs; the next 150. We became aware that the audience and that live feeling were actually better than our records – and that was a big frustration. So we took a gamble”, erklärt Johnny Bramwell. Gewidmet ist das Album dem 2006 verstorbenen Singer-Songwriter Bryan Glancy, mit dem die Band befreundet war. Besonders schön: Die in Deutschland erhältliche Version der neuen CD erscheint inklusive einer 56 Minuten langen DVD mit einem Dokumentar-Film über die Entstehung des Albums, der I am Kloot im Studio zeigt. (Thomas Backs) ◊ ◊ ◊
Weezer: Red Album
Rivers Cuomo ist gut drauf, kreativ und als Künstler ungemein produktiv: Mit dem wunderbaren Album „Make Believe“ (2005) feierte er mit Weezer ein tolles Comeback, heiratete seine langjährige Freundin Kyoko Ito, beendete sein Literaturstudium an der Harvard University erfolgreich und setzt nun nach dem schönen Solo-Album „Alone – The Home Recordings of Rivers Cuomo“ (2007) im Siebenjahresrhythmus die Farbenspiele fort: Nach dem „Blue Album“ (1994) und „Green Album“ (2001) ist jetzt also Rot dran. Wem sollte dieser begnadete Songwriter aus New York City, der nach diversen Beinoperationen festgestellt hat, dass er ein exzellenter Fußballer ist, noch irgendetwas beweisen müssen? Der Fachpresse, die für die Besprechung des roten Albums einen wissenschaftlichen Ansatz wählt und Sterne, Punkte oder gar Schulnoten verteilt, um wie einige User im offiziellen Forum der Band-Website zu nörgeln, das rote Album reiche als Gesamtwerk nicht an das blaue und „Pinkerton“ (1996) heran? Die Antwort geben Cuomo und Weezer mit dem Single-Hit „Pork and Beans“. ◊ ◊ ◊
Spiritualized: Songs in A & E
Jason Pierce meldet sich eindrucksvoll zurück. Auf „Songs in A & E“ verarbeitet J Spaceman seine eigene Leidensgeschichte und setzt fort, was seine „Acoustic Mainlines“-Gigs, mit denen er 2007 unter anderem beim Haldern Pop Festival begeisterte, bereits angekündigt haben. Nicht psychedelischer Rock, Soundspielereien und komplizierte Songstrukturen bilden den Schwerpunkt des neuen Werks. Jason Pierce begeistert auf „Songs in A & E“ in erster Linie als Singer-Songwriter, natürlich mit opulent instrumentierten Songs. Die fast alle vor seiner schweren Lungenentzündung, mit der auf der Intensivstation um sein Leben gerungen hat, entstanden sind. Auf einer 1929 Gibson, die Pierce in Cincinatti gefunden hat. „The songs came really quick after that, within about two weeks or so. This record is the first one where I just sat down and wrote songs on a guitar, usually I just get ideas in my head and put them onto tape. So doing it this way, writing on an acoustic guitar, seemed like something I hadn't really done,” sagt Pierce. Entstanden ist Songtrilogie, die thematisch mit dem Feuer spielen (“I gotta fire, “Soul on fire” und „Sitting on fire“). Während die „Songs in A & E“ harmonisch mit dem „Sweet talk“ eröffnet werden, scheint das schwermütige „Death take your fiddle“ eine direkte Aufarbeitung der überstandenen Krankheit zu sein. Pierces Stimme steht hier eigentümlich eindringlich im Zentrum. Auffällig: Nur ein Song („Baby I'm just a fool“) überschreitet auf diesem Werk, dessen Artwork an eine Medikamentenverpackung erinnert und im Inneren mit Kanülen bebildert ist, die Sieben-Minuten-Marke. „You lie, you cheat“ ist der einzige Song, der an die bekannten psychedelischen Ausflüge, mit denen J Spaceman einst gestartet ist, erinnert. Zusammengehalten werden die Songs durch fünf Harmony pieces, eine Referenz an Regisseur Harmony Korine, der Pierce nach dessen schwerer Krankheit um den Soundtrack für seinen Film „Mr. Lonely“ gebeten hatte. (Thomas Backs) ◊ ◊ ◊
Schräglage: Ohne Schutzschicht
Eines der bestgehüteten Geheimnisse des süddeutschen Pop-Undergrounds ist immer noch die Band Schräglage. Mit ihrem neuen Album „Ohne Schutzschicht“, in bester DIY-Punk-Manier komplett selbst produziert und vertrieben, sollte sich das ändern. Es wäre mehr als verdient. ◊ ◊ ◊
Knarf Rellöm Trinity: Internetvinyl
Ganz kurz, aber ganz wichtig: als Vorgeschmack auf das bald erscheinende neue Album der Knarf Rellöm Trinity gibt es bei Audiolith eine 4-Track-Maxi-EP (nur auf Vinyl oder als Download). Watch out! |
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