Geometrie, Baby
Wer darf sein neues Album »Object 47« nennen? Wire dürfen. Sie spielen auf den Punkt genau, sind geradlinig und bleiben dabei kantig.
Der Mensch, der heute noch das Etikett Kunstpunk im Munde führt, hat am falschen Klebstoff geschnüffelt. Nichts war künstlicher und künstlerischer als Punk. Jamie Reids berühmte Collage der Queen, ihr die Augen und den Mund mit Schriftzügen wie aus einem Erpresserbrief zukleisternd, wäre ohne Dada schwer möglich gewesen. Reid hätte aller Wahrscheinlichkeit nach auch kein Problem damit, das zuzugeben. Malcolm McLarens geniale Marketingstrategie für die Sex Pistols verriet die genaue Kenntnis anarchistisch-situationistischer Unterwanderungstechniken. Und der Vielgescholtene würde dem ebenso zustimmen. Trotzdem geistert, seit es Punk gibt, der elendige Zwist zwischen Authenzität und Künstlichkeit durch die Szene. Eine Band, an der das gerne immer durchexerziert wird, sind Wire. Es gibt dabei die freundliche Variante: Diplomaten werden frühe Liveaufnahmen und das Debüt »Pink Flag« (1977) noch als ehrlichen Dreck durchgehen lassen, danach aber den Geist der Kunsthochschule obsiegen sehen. Die unfreundliche Variante trat 1979 auf den Plan, als Wire im Kreuzberger SO36, damals von Martin Kippenberger betrieben, spielten und ein selbsternanntes »Kommando gegen Konsumterror« den Saal stürmte, Bambule machte und die Abendkasse mitnahm. Lässt sich heute drüber lachen, dämlich bleibt es trotzdem.
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v. l. n. r.: Graham Lewis, Robert Grey, Colin Newman (Fotos: Adam Scott) |
Mit Konsumismus hatten und haben Wire, ihre Musik kann getrost als Kunst bezeichnet werden, nichts am Hut. Viel mehr dafür mit der Punkphilosophie, unter widrigen Umständen, seien diese politisch, ökonomisch und / oder privat, kreativ zu werden und zu bleiben. Was auch heißt, das Heute und Morgen wichtiger als das Gestern zu nehmen. Deshalb, und nur weil es die Vollständigkeit verlangt: Ja, Wire waren Post-Punk. Ja, Drummer Robert Grey, der Mann mit dem schönen Pseudonym Gotobed, hatte in den Siebzigern nach zwei Semestern sein Studium geschmissen, war in ein besetztes Haus in London gezogen und kümmerte sich erst mal um das, wofür er sich schon immer interessierte, Photographie, Musik, Schauspielerei und Land Rover. Beinahe hätte er sogar ein Stück Eugene Ionescos mit auf die Bühne gebracht, lernte dann aber doch Schlagzeug spielen. 1976 traf er auf einer Party Colin Newman, Sänger, Gitarrist und Songwriter. Newman, er würde sich später weniger als Songschreiber denn als Manipulator von Informationen bezeichnen, suchte einen Drummer und fand ihn mit Grey. Bassist Graham Lewis und Gitarrist Bruce Gilbert machten das Quartett komplett, das im mythischen Jahr 1977 »Pink Flag« herausbrachte. Sage und schreibe 21 Songs sind darauf, der kürzeste, »Field Day For The Sundays« ist nicht mal 30 Sekunden lang. Wire trieben den Minimalismus von Punk auf die Spitze. »12XYou« kommt mit drei Zeilen Text aus, »The Commercial« braucht gar keinen. Die Tracks auf »Pink Flag« sind kurze, wütende Splitter. Und sie sind von einer Exaktheit, die es nirgendwo anders gibt. In der Mitte von »Strange«, REM sollten den Song später covern, erklingen an die zehn Altflöten, gespielt von Kate Lukas, Interpretin zeitgenössischer Musik in London und Lehrerin des Produzenten Mike Thorne. Der trommelte im selben Track mit Greys Drumsticks auf der Brandschutztür des Studios. Es kam noch besser. Für »Chairs Missing« (1978) schraubten Wire das Tempo herunter, versuchten sich mit »I Am The Fly« an Disco, ließen Glocken läuten und Keyboardflächen durch die Songs wabern, handelten sich das Etikett »Pink Floyd Of The New Wave« ein. Bei »154« schließlich spielte Tim Souster, ein Schüler Karl-Heinz Stockhausens, elektrische Viola. Und Graham Lewis lief mit einem Hammer in der Hand durch das Studio, brachte auf »Once Is Enough«, einem göttlichen Industrial-Noisepop-Track, mühsam aufgebauten Metallschrott zum Klingen. Das ist die Sorte Punk, an der auch Hippies wieder Gefallen finden konnten. Robert Smith, und was ist Gothic, wenn nicht schwarzromantisches Hippietum, bekannte, dass eigentlich niemand The Cure bräuchte, wenn es doch Wire gäbe.
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v. l. n. r.: Colin Newman, Graham Lewis, Robert Grey |
Statt bei Pink Floyd landeten Wire im Vorprogramm von Roxy Music. Wobei es dann plötzlich doch noch Oldschool-Punk gab. Das Publikum konnte mit aufgerauhter Psychedelic wenig anfangen und behielt diese Meinung auch nicht für sich. Es kam zum Tumult, Flaschen wurden zu Wurfgeschossen umfunktioniert. Was Irritation so gebiert. Danach sollten Wire pausieren, um seit den Mittachtzigern mehr und mehr elektronisch zu werden. Das ging so weit, dass sich Robert Grey 1991 verabschiedete, sah er doch keinen Bedarf mehr für einen wirklichen Schlagzeuger. Erst 1999 konnten Fans ihre Band wieder vollzählig erleben. Ein Jahrzehnt später wird Post-Punk wohl zum Namen der nächsten H&M-Kollektion. Wire, mittlerweile im Trio ohne Bruce Gilbert, haben ihre bisherigen Veröffentlichungen gezählt und ihr neues Album ohne viel Federlesens »Object 47« genannt. Was darauf passiert, ist, je nachdem, wo man sich geschmacklich verortet, ungewöhnlicher Rock oder Pop. Rock oder Pop, weil Wire die Elektronik zurückgefahren, ungewöhnlich, weil sie ihre auf Gitarre, Bass und Schlagzeug basierende Musik mit einigen ausgesuchten Fallstricken versehen haben. »One Of Us« und »Circumspect«, die ersten beiden Songs, kommen recht eingängig daher. Auf »Mekon Headman« geht es schon verzahnter zur Sache, bis bei »Perspex Icon« (ihre Titel!) das Bohren, Kratzen und Sticheln beginnt. Dann plötzlich kippen sie mit dem wunderbaren »Four Long Years« in einen funkigen, an die Neunziger erinnernden Beat und drosseln das Tempo. In »Hard Currency« überfallen sie mit einem Break, bei dem man man versucht ist, die genaue Minute und Sekunde zu notieren. Aber das behalten wir dann doch für uns. Nur soviel: Der Bruch ist da und will gefeiert werden. Mit »Are You Ready« nehmen sie nach »Patient Flees« wieder an Fahrt auf, Page Hamilton (Helmet) spielt ein stürmisches Feedback zu »All Fours«, und das war’s. Wer gerade mal neun Songs zählte, liegt richtig. Dieses Album ist 35 Minuten lang. Wire reden nicht herum, leisten sich den Luxus, kurz und bündig zu sein. Hingerotzt wird dabei nichts. »Object 47« ist, als würde man zu Geometrie oder einem Uhrwerk meditieren. Das geht. Für alle, die zum Punkrock lieber Rotkäppchen als Sternburg trinken.
» www.pinkflag.com
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