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6. August 2008
Martin Jankowski
für satt.org

streetBEATS
Gauner: In Wirklichkeit Träumer

Gauners Paradies – auf der anderen Seite des deutschen Rap

Interview mit Gauner zu
„In Wirklichkeit Träumer“

Den Berlinern ist er seit 1989 bekannt, mit seiner zweiten Scheibe Tricktracks, Battleraps wurden Soundpoeten und HipHop-Freunde deutschlandweit auf ihn aufmerksam: Der Freestyler und Wortperformer Gauner aus Berlin gehört mittlerweile zum bunten Ur-Kanon des deutschen Rap. Nicht nur seit seiner Zusammenarbeit mit Da Germ (Brothers Keepers), Sido, B-Tight oder der Berliner Vokalrunde, wo Gauner mit P.R. Kantate, Ganjaman, Pyranja und anderen mit „Berlin, Berlin“ 2006 einen Sommerhit landete, spielt Gauner in erstaunlich vielen Varianten in der Oberliga mit. Neben gemeinsamen Auftritten unter anderem mit Torch, Blumentopf, Clueso oder DJ Tomekk steht er ebenso als Slam Poet solo oder im legendären Berliner Slam-Trio Agrar Berlin auf den Bühnen deutschsprachiger Länder.

Agrar statt Aggro, Gauner statt Gangster – das ist definitiv mal nicht möchtegernamerikanisch, sondern glaubhaft und eigenwillig und erklärt viel über Gauners authentischen Stil mit Herz und Schnauze... Zur Veröffentlichung seiner aktuellen CD „In Wirklichkeit Träumer“, die unter Mithilfe zahlreicher Koryphäen der deutschen Rhythm ’n Word Szene entstand (u. a. Marcello und Lunte von Funkviertel, sowie Urgestein S-Rok) ließ Gauner sich unter großem Tamtam vor Publikum seine berühmte Rasta-Mähne von Starfriseur Udo Walz abmähen – die Episode wurde im (wirklich ergreifenden) Video zum Track Karlshorst über den Abschied von der Kindheit verwendet. Doch auch live kommen die Stücke seither unters Volk, und zwar mit eigener Band: Gauner plus Schlagzeug, Kontrabass, Gitarre, DJ und Sampler.

19 frei fließende Texte voller Emotionen und 24 Tracks mit allerlei Zugaben ergeben auf „In Wirklichkeit Träumer“ 70 Minuten geballte Rap-Poesie. Die Texte stehen im Vordergrund, doch die einfühlsamen Beats und Sound-Lines sind mehr als Illustrationen, sie führen ein Eigenleben und ergänzen (trotz der vielen verschiedenen Kontributoren, siehe oben) die Message der Versöhnung von Wunschtraum und Wirklichkeit aufs vortrefflichste. Gauner bleibt in jeder Hinsicht down to earth, erzählt berührende Geschichten aus dem wahren Leben und blickt von der kleinen in die große Welt. Und eben weil er sich dabei an keine Regel hält, gibt es viel zu entdecken – genaueres, mehrmaliges Hinhören lohnt sich und plötzlich ist für jeden ein Lieblingstrack dabei (meiner ist, neben Karlshorst, derzeit Komische Menschen). Dieser postmoderne Nachfolger wandernder Geschichtenerzähler und fahrender Sänger kommt uns nicht in der Pose eines Anklägers, Propheten, Gurus oder obercoolen Außenseiters daher, sondern als einer von uns. Er flunkert uns mit warmen Worten seine rhythmischen Wahrheiten ins Ohr, und er tut es als das, was wir eigentlich alle sind, wenn wir ehrlich sind... als Gauner.

satt.org: Gauner, Du bist als Slam Poet mit Spoken Word Poesie deutschlandweit mittlerweile ebenso bekannt wie schon seit Jahren als Rapper und HipHop-MC, der mit Jugendlichen arbeitet. Wie verhalten sich diese drei Betätigungsfelder aus Deiner Sicht zueinander?

Gauner: In der Slam-Szene erlebe ich eine ganz ähnlich herzliche, familiäre und kollegiale Stimmung, wie ich das aus der Hip-Hop-Szene der neunziger Jahre kannte und jetzt dort sehr vermisse. Das gibt mir viel und macht riesigen Spaß.
Mit der Musik ist es viel anstrengender geworden. Alles ist Geschäft, die Herzlichkeit ist nur das Sahnehäubchen oben drauf. Ich will aber eine ganze Sahnetorte. Trotzdem mache ich immer noch sehr gern Musik. Als Abwechslung und weil ich mich auf dicken Beats einfach wohl fühle. Nur, sich Auftritte zu beschaffen, ist sehr anstrengend geworden. Jams gibt es nicht mehr. Slams gibt es.
Insofern ist mir das Slammen mittlerweile mehr ans Herz gewachsen als ich je gedacht hätte. Und auch das Publikum ist dort viel heterogener. Obwohl letzteres auch mit meiner neueren Musik anders geworden ist. Ich spreche jetzt auch andere Kreise an, als nur den Hip-Hop-Head.
Die Workshops mit Jugendlichen wiederum geben meiner kreativen Arbeit eine Struktur. Viel von meiner Art zu rappen, zu slammen und zu schreiben musste ich erst einmal analysieren und den Trick dabei selbst erkennen. Wenn man also in einem Workshop etwas erklären will, was man vorher nur aus dem Bauch heraus gemacht hat, kann einem das selbst auch einen Kick nach vorn geben, weil man plötzlich bewusst Methoden anwendet. Und die funktionieren und man weiß "neuerdings" auch, warum.

Gauner
Gauner (Foto von Sabine Schnitzler)

satt.org: Wie entstand Deine CD aktuelle "In Wirklichkeit Träumer"“, welche Geschichten und Leute stecken dahinter?

Gauner: Die Texte haben ziemlich lange gebraucht, die meisten sind in den zwei, drei Jahren davor entstanden. Und alle hatten auch schon ausgiebig Slam-Bühnen gesehen. Das ist mir wichtig, dass ein Text erst auf der Bühne reift, ehe er auf eine Platte kommt. Die Platte und die Texte sind in einer Reifungsphase entstanden, so ist jedenfalls im Nachhinein mein Gefühl. Das Album klingt deutlich anders als die Alben davor. (Es waren genau genommen zwei, wenn es auch das erste nur im Handverkauf gab.) Ich bin erwachsener geworden, so schade das ist. Aber das haben wir dann auch in dem Clip zu "Karlshorst" und in den Interludes auf dem Album thematisiert. Beides ist erst nach dem Kern des Albums entstanden, sozusagen als eigene Reaktion auf das neue Material. Hauptproduzent war Iso: Er saß an den Reglern im Emotion Studio und hatte die Produktion in der Hand. Iso ist einer der Produzenten für Damion Davis, HBL, Sichtbeton und andere, produziert also viele der derzeit aktiven Berliner Hip Hop-Gruppen, die nichts mit dem Gangsta-Image zu tun haben. Musik hat er auch beigesteuert, aber das war eben nicht sein Hauptanteil am Album. Und wenn es mal noch eine Gitarre brauchte, dann hat er auch ganz schnell einen Gitarristen bei der Hand gehabt. Super, dieser Gitarrist und DJ ist Riot 21 und jetzt auch Teil meiner Band. Es war das erste Mal, dass ich nicht selbst die gesamte CD-Produktion in der Hand hatte, sondern mich auf meine künstlerische Arbeit konzentrieren konnte, das heißt, "nur" die Stimme, die Texte und zwei bis drei Beats beigesteuert habe. Ich hab diese Situation wirklich als Luxus empfunden. Ansonsten gab es Beats von sieben verschiedenen Produzenten. Den größten Anteil der Musik hat XFarm aus Kopenhagen vorproduziert. Übrigens steht das Emotion Studio tatsächlich in Berlin-Karlshorst. Das ist reiner Zufall, aber es hat mich sehr gefreut, in meiner alten Heimat dieses Album aufnehmen zu können.

satt.org: Mir fällt auf, dass Deine Rap-Songs oft ernster und pathetischer, mit einem weiteren Blick performt wirken, als die Slam Texte, die Du ohne Musik auf der Bühne vorträgst. Worin unterscheiden sich die Wortkaskaden auf „In Wirklichkeit Träumer“ von Deinen Slam-Sachen?

Gauner: Genau genommen gar nicht. Ich mache eigentlich auf Slams die gleichen Texte, die auf dem Album als Musik drauf sind. (Ich sage hier, nebenbei bemerkt, nicht zufällig: Texte "als Musik" statt "mit Musik"...) Ich denke aber schon, dass meine Slam-Aktivitäten in den Jahren davor einen Einfluss hatten auf meine Art, Texte zu schreiben. Ich habe dort ein Publikum, das genau auf den Text hört. Diese neue Erfahrung hat natürlich eine Wirkung. Auch die Art, meine Texte vorzutragen ist anders geworden. Auf der Bühne sowieso - eben ohne Musik und für nicht-Rap-gewöhnte Ohren - aber auch auf dem Album. Der Flow hat sich verändert.

satt.org: Welche Rolle spielt für Dich die Musik? Wie siehst Du Dich als Musiker?

Gauner: Musik ist mein einziger Zugang zum Textschreiben. Ich hatte als Kind zwar ein paar Gedichte geschrieben, aber dann für lange Zeit nichts. Und erst über die Musik kam ich wieder dazu. Ich habe mit sonstiger Literatur auch gar nichts am Hut. Ich besitze kein einziges Buch. Für mich ist es immer noch gleichzeitig spannend und befremdlich, von der Literaturszene wahrgenommen zu werden. Plötzlich werde ich öffentlich "Autor" genannt. ("Huch... Meinen die mich? Na gut, warum auch nicht...") Mir fällt es bis heute schwer, Texte ohne Musik zu schreiben. Ich mag es, wenn Sprache auch ins Ohr geht und klingt, ohne deswegen gleich singen zu müssen. Und ich finde immer die Beziehung von Sprach- zu Musikrhythmus spannend. Insofern will ich trotz all dem Spaß, den mir Slam-Auftritte machen, auch weiter mit Band auf der Bühne stehen.

satt.org: Wie funktioniert die Zusammenarbeit der Wortkünstler in Eurem Gemeinschaftsprojekt Agrar Berlin?

Gauner: Agrar Berlin sind seit dem Ausscheiden von Felix Römer nur noch zu dritt - außer mir noch Frank Klötgen und Wolfgang Hogekamp -, aber trotzdem ein echt bunter Haufen. Sowohl stilistisch, als auch charakterlich. Und das ist gut so! Unsere Texte sind weniger homogen als es bei anderen Slam-Teams der Fall ist. Auch deswegen, weil jeder an den Texten zu einem Drittel mitschreibt. Keiner unserer Texte stammt nur aus einer Feder. Das ist nicht immer gut, aber meistens...

satt.org: Was sind Deine nächsten Projekte und wo kann man Dich live erleben?

Gauner: Momentan wird mein erster Poetry-Clip fertig gestellt. Der Filmemacher Rolf Wolkenstein hat mit mir und fünf weiteren Poeten im Auftrag des Pergamon-Museums zum Thema Babylon Poetry-Clips gedreht. Im Rahmen dessen wird es dann im September auch eine Slam-Show geben, auf der ich auftrete... Ansonsten gibt es noch zwei wichtige Slam-Events in diesem Jahr: Die alljährliche Internationale SLAM!Revue, die ich dieses Jahr für das internationale literaturfestival berlin als Comoderator bestreiten darf, und die deutsche Slam-Meisterschaft, dieses Jahr in Zürich, bei der ich im Einzel- und natürlich mit Agrar Berlin im Teamwettkampf antreten werde.

satt.org: Vielen Dank, Gauner, let it flow!



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» www.inwirklichkeittraeumer.de
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