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15. August 2008
 

  Madonna: Hard Candy
Madonna: Hard Candy
Warner 2008

Madonna Sticky & Sweet Tour: » madonna.com


Happy Birthday, Madonna!

Das hatte ich nicht erwartet: meiner Aufforderung, zu Madonnas 50. Geburtstag ein paar Zeilen für einen satt.org-Gratulationsartikel zu verfassen*, folgten nur wenige. Entschuldigungen wie „ich bin gerade auf Tour / im Urlaub / muss mein Buch fertig schreiben“ wechselten sich ab mit harscher Ablehnung: „die Frau sagt mir gar nichts“, „habe eine völlig andere Sozialisation“, „also dann lieber Paul Weller“ oder einfachem Schweigen. Nullreaktion. Oder, in der letzten mir zugegangenen Absage: „habe absolut nichts zu Madonna zu sagen. Es wurde eh' schon viel zu viel über sie gesagt und geschrieben.“ Aber ist das so? Und warum konnten – wie hier bei satt.org geschehen – die runden Geburtstage von Grantler Mark E. Smith und Nick Cave mehr emotionale Beteiligung wecken als der 50. Ehrentag des größten weiblichen Popstars aller Zeiten, Madonna Louise Ciccone Ritchie? Hat man über das Material Girl wirklich schon zuviel gehört und gelesen? Fällt sie mit ihrer Eiserne-Lady-Omnipräsenz allen auf den Wecker oder beschleicht einen eher das Gefühl, man könne ihr mit dürren Worten ohnehin nicht gerecht werden? Umso mehr möchte ich mich an dieser Stelle bei denen bedanken, die mitgemacht haben – die Ergebnisse sind weiter unten nachzulesen.

Ich selbst kann mir ein Leben ohne Madonna kaum vorstellen – wie es Kollege Ronald Klein so treffend beschreibt, war sie „einfach immer da“. Madonna war während ihrer 25 Jahre langen Karriere niemals weg vom Fenster, egal, ob sie Kinder bekam, sich scheiden ließ oder einer obskuren Religion folgte: Madonna nahm niemals Auszeiten, hatte keine nennenswerten Krisen, und künstlerische Fehlgriffe wie zum Beispiel ihre hartnäckigen Versuche, als Schauspielerin zu reüssieren, parierte sie stets nonchalant. Man muß es nochmal deutlich sagen: Madonna war immer da.


* 1958 war ein guter Jahrgang für die Popmusik: nicht nur Michael Jackson, Paul Weller, Jello Biafra und Prince feiern in diesem Jahr ihren 50. Geburtstag, auch Madonna, der größte weibliche Popstar aller Zeiten, wird in 2008 ein halbes Jahrhundert alt. Genauer: am Samstag, den 16.8. Gelegenheit, ihr zu huldigen? Ich meine ja, und bitte aus diesem Grund um subjektive, lästerliche, freundliche, gemeine, bewundernde Glückwünsche für Madonna Louise Ciccone Ritchie, die ich gerne sammeln und in einem schönen Happy-Birthday-Artikel für satt.org zusammenstellen möchte.

Als Teenager verfiel ich ihrem damals noch unperfekten Virgin-Charme, Madonna signalisierte, dass man alles erreichen konnte, wenn man nur wollte. Zu „Holiday“, „Into the Groove“ und „Material Girl“ tanzten meine Freundinnen und ich uns die Füße wund, und so lässig wie Miss Ciccone in „Papa don't preach“ wollten wir unseren Eltern auch gegenübertreten, falls wir viel zu jung schwanger geworden wären. Etwas später (wir überspringen gnädig „La Isla Bonita“) lieferte eine inzwischen muskelbepackte und gleichzeitig hochelegante Madonna mit „Express Yourself“ die erste Hymne des Popfeminismus. Als sie noch ein wenig später mit dem Buch „SEX“ und Platten wie „Erotica“ libidomäßig ein wenig durchdrehte, schauten wir verschämt weg, na gut, die ältere Schwester zeigt der ganzen Welt, wie und wo sie es am liebsten hat, das wird auch vorbeigehen. Tat es ja dann auch: in Bezug auf Madonna verwendet man gern Begriffe wie „sich neu erfinden“ oder „Verwandlungskünstlerin“ - ich dachte immer, und das denke ich auch heute, dass Madonna sich einfach wahnsinnig schnell langweilt. Das schnelle Gelangweiltsein gepaart mit enormer Disziplin und Durchsetzungsvermögen sorgt für die immer neuen Erscheinungsformen Madonnas, die heute mit 50 jünger aussieht als 1983, als sie mit „Lucky Star“ antrat, die Welt zu erobern. Ihr Händchen für Trends bewies sie durch die Auswahl ihrer Producer und Studiokollaborateure, mit deren Unterstützung sie Dancefloor-Meilensteine wie „Music“ und „Ray of Light“ schuf und ebenso selbstverständlich wie en passant stets dort präsent war, wo der Zeitgeist spielte, mehr noch, den Zeitgeist bestimmte. Musikalisch ist sie heute – für mich jedenfalls – kaum noch interessant. Klar, „Hung Up“ mit dem „Gimme Gimme Gimme“-Sample war schon ein ziemlicher Coup. Und sie war schlau genug, sich für „4 Minutes“, die erste Single ihres neuen Albums „Hard Candy“ den zwar talentierten, aber kreuzbraven Justin Timberlake an die Seite zu holen, neben dessen personifizierter Harmlosigkeit sie auch mit satten 50 Jahren wirkt wie eine schaumgeborene Sexgöttin. „Madonna hat mir mit ihrer blöden Selbstdisziplin das Älterwerden versaut“ schimpfte unlängst eine meiner Freundinnen. Tja, das ist wohl wahr, Madonna legt die Messlatte verdammt hoch. Für sich jedenfalls – ich werde am 16.8. meine olle verkratzte Maxisingle (Vinyl!) von „Holiday“ auflegen und mich ein paar Minuten lang so fühlen wie mit 14. Danke, Madonna und alles Gute!

Christina Mohr


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Madonna und wir-CoverMadonna und wir

Texte von: Elke Buhr, Dietmar Dath, Jens Friebe, Thomas Meinecke, Adriane von Schirach, Inga Humpe, Bernadette la Hengst, Adriano Sack, Detlef Diederichsen, Alissa Walser und anderen.
Herausgegeben von Kerstin und Sandra Grether
Suhrkamp, 390 Seiten, € 12,-
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Kerstin und Sandra Grether waren nicht der Meinung, dass zu Madonna schon alles gesagt und geschrieben wurde: sie luden eine stattliche Anzahl MusikerInnen, JournalistInnen und PublizistInnen ein, ihre ganz persönlichen Sichtweisen rund um die Kunstfigur Madonna aufzuschreiben. Die Anthologie „Madonna und wir“ versammelt auf fast 400 Seiten subjektive, wissenschaftliche, liebevolle und auch abrechnende Beiträge. Ein besonderes Schmankerl dieses Buches sind die Illustrationen zeitgenössischer KünstlerInnen wie Shannon Bool, Andrew Gilbert, Michaela Meise und vielen anderen.
„Madonna und wir“ wird auf einer großen Lesetour präsentiert – Termine und Details zur Tour mit den Grethers und Gästen auf kerstin-grether.de und suhrkamp.de.

Madonnas Musik, vor allem aber ihre Person, war ein ganz wichtiges Erlebnis für mich als Jugendliche. Endlich war da mal eine Frau, die nicht nur sexy war, sondern schön, stark, unabhängig, eigensinnig und lässig zugleich. Madonna hat das Frauenbild revolutioniert wie kaum eine vor ihr: Auf der Bühne war sie sowohl als Marilyn Monroe als auch als Marlene Dietrich zu sehen; sie inszenierte ihre Sexyness auf eine selbstbewusste und nicht dümmliche Art. Ich erinnere mich an viele wilde Videos von Madonna, in denen Männer ihr zu Füßen lagen. Das war wirklich das endgültige Ende der Frau im Popgeschäft als Backgroundgirl oder als hübsche Bühnendeko. Aber Madonna war nicht einfach nur eine Domina. Sie konnte in sehr unterschiedliche Rollen schlüpfen: von „Like a Virgin“ und „Angel“ übers „Material Girl“ bis hin zum „Bad Girl“ und „Evita“. Auch in männliche Rollen. Lange vor David Beckham hat sie die Metrosexualität ins Rampenlicht gesetzt und uns gezeigt, wie langweilig und beengend starr festgelegte Geschlechterrollen sind. Madonna war verrückt, unmöglich und faszinierend wie vorher, außer vielleicht Janis Joplin, nur männliche Popstars. Das hat schwer imponiert.
Happy Birthday, Madonna!!


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Wer hauptsächlich nur noch leere Flaschen und Vattenfall-Mahnungen erlebt, verpasst natürlich, was vor der Haustür alles so los ist. Folgerichtig ist es mir völlig entgangen, dass Madonna die Berlinale-Premiere von »Filth And Wisdom«, ihrem Regiedebüt, in der »Burger Bar« feierte, zehn Minuten vom Mießnerschen Kühlschrank entfernt. Nadja Auermann war auch dabei. Mitte Februar war das. Wahrscheinlich lag ich zur selben Zeit auf meiner luxuriösen schwarz-roten Ottomane und hörte Lydia Lunch. Frau Lunch nämlich ist mit einigen anderen Nachtschattengewächsen schuld daran, dass ich 1988 mein Verhältnis zu Chartspop (es hat eins gegeben) endgültig beendete. Deshalb habe ich von Madonna viele Jahre gar nichts mitbekommen. Als »Justify My Love« 1990 für einen mittleren Skandal sorgte, hörte ich »The Velvet Underground & Nico« in Endlosschleife. Dem heimlichen Hippie in mir hat aber 1998 »Frozen« und Chris Cunninghams Video doch sehr gefallen. Bis heute warte ich allerdings auf die gemeinsame Single mit Sonic Youth, die ja schon mal in Madonna-T-Shirts gesichtet worden sind. Madonna könnte z.B. »Skink« covern und im Video ein SY-Shirt tragen, Sonic Youth sich nach »Into The Groove« »Push« widmen. Mittlerweile sage auch ich »Pop« und verziehe nicht mehr automatisch die Mundwinkel. Und solange Peter Hahne und Eva Herman noch keine Umschulungsmaßnahme aufgedrückt bekommen, brauchen wir Madonna. Hätte ich es mitbekommen und wäre dann noch ins Burger reingelassen worden, hätte ich ihr das sogar selber gesagt. Happy birthday, tanti auguri!


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Nachdenken über Madonna ist für mich vor allem eine Zeitreise, zurück in meine Schulzeit. Damals, Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre, war Madonna immer präsent. Songs wie „La Isla Bonita“ und „Like a Prayer“ waren Megahits. Mir ist vor allem eines in Erinnerung geblieben: Madonna war Vorbild für viele Frauen in meinem Alter. Jedes Interview wurde gelesen und zitiert, ihre Poster hingen an der Wand, es gab Foto-Sessions im Madonna-Stil, ihre Platten wurden Tag und Nacht gehört. Rückblickend denke ich, dass es gut so war, auch wenn sie für mich persönlich keine Bedeutung hatte. Es hätte ja auch wirklich viel schlimmer kommen können: Whitney Houston und Mariah Carey fand ich zur gleichen Zeit einfach unerträglich. Gibt es heute eigentlich eine Frau, die Madonnas Rolle übernommen hat? Mir fällt keine ein. Dass Madonna immer noch diese Bedeutung hat, kann ich mir schwer vorstellen. Am Rande registriere ich recht belanglose Platten, die immer mit möglichst angesagten Produzenten aufgenommen werden, zuletzt war es wohl Timbaland. Frauen im Musik-Bereich, das waren für mich relativ schnell Tanya Donelly, Kim Deal und Hope Sandoval. Letztlich ist das eine andere Welt, in der Madonna nicht vorkommt. Aufmerksam gelesen habe ich jedoch zuletzt das Interview, das Musiker wie Michael Stipe, Ian Brown und Johnny Marr im Frühjahr 2008 für das britische Q Magazine mit Frau Ciccone geführt haben. Für die Ausgabe „Women in Music“. Bemerkenswert fand ich Madonnas Antwort auf Johnnny Marrs Frage nach ihrer heutigen Sicht zum Thema „Ruhm“. Ihre Antwort: “Fame is a by-product. Fame is something that should happen because you do work that speaks to people and people want to know about your work. Unfortunately the personality of people has taken over from the work and the artistry and it's this thing now that stands on its own. I don't think one should ever aspire to being famous.[...] But if you're just known for being famous... it's just too ephemeral. It's like a flavour of ice cream. It's not very memorable.”


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Madonna – Happy Birthday
Soweit ich mich erinnern kann, war Madonna immer da. Schon in den 80ern. Mein Gott, ist das lange her. Auf Klassenfahrten dröhnte aus den Kassettenrekordern „Material Girl“, „True Blue“ oder „La Isla Bonita“. Mein Kumpel Stefan tanzte an einem Abend ganz langsam mit Tanja, die neonfarbene Schweißbänder trug. Ich erinnere mich noch an den Geschmack des Fruchtkaugummis, der eine ähnliche Farbe aufwies und zu jedem der Abende dazugehörte. Die Pubertät lag zwar noch in weiter Ferne, aber das amerikanische Wunderkind Madonna Louise Ciccone artikulierte mit ihrer Körpersprache mehr als uns die Gespräche mit den Eltern vermittelten. „Papa Don’t Preach“ verstanden wir als Zehn-, Elfjährige. Der Rest des Textes blieb uns verschlossen. Aber es klang nach einem Mutmacher, nach der Aufforderung, den Kopf hoch zu halten. Das war lange bevor wir Punk entdeckten. Das Bild verstärkte sich durch „Like A Prayer“ und dessen Video, das in den Medien kontrovers diskutiert und von uns umso mehr geliebt wurde. „Justify My Love“ und „Erotica“ bescherte uns rote Ohren – zu einem Zeitpunkt als wir glaubten schon alles zu kennen, was für 13-jährige natürlich ziemlich anmaßend erscheint. So holte uns Madonna auf den Boden zurück und zeigte uns, dass nicht nur das Provokante seinen Reiz hat: Das Zerbrechen der ersten großen Liebe begleitete „Love Don’t Live Here Anymore“, das kombiniert mit dem kleinen Meisterwerk „You’ll See“ die Melancholie in eine trotzige Entschlossenheit transformiert: „You think that I can never laugh again / You’ll see / You think that you destroyed my faith in love. / You think after all youve done / I’ll never find my way back home, / You’ll see / Somehow, someday“. Das funktionierte! Und Jahre später, kurz nachdem das letzte Pausenklingeln für uns verklang, erschien mit „Frozen“ eine andere Madonna. Sie streifte das Image des schillernden Popsternchens ab wie eine Schlange die alte Haut. Madonna verlangte förmlich danach, die Apposition „Künstlerin“ zu benutzen, wenn man über sie sprach. Es schien klar, dass sie nicht nur den Soundtrack unserer Schulzeit komponierte, sondern uns noch lange erhalten blieb. Ich schmunzelte in Hamburg, wohin es mich mittlerweile verschlagen hatte, beim Zappen durch die Kanäle, als ich „What It Feels Like For A Girl“ entdeckte. Madonna präsentierte noch einmal frechen Kampfgeist. Kein Wunder, dass sich die Hotel-Zimmernummer 669, deren Tür sie energisch zuschlug, in „666“ wandelte. Das hatte noch einmal etwas Subversives, Verschmitztes. Danach verlor ich sowohl Madonnas Werdegang, wie auch Stefan aus den Augen. Beide verfolgten ehrgeizig ihre Karriere. Mein alter Kumpel als angehender Unternehmensberater am Neckar, Madonna als Dancefloor-Queen mit den angesagtesten Produzenten. Aber je glatter der Sound wurde, umso mehr verschwand Madonna dahinter. Und die Apposition „Künstlerin“ sowieso. Sie beherrschte ihr Handwerk perfekt. Knallige Sounds, ein perfektes Lächeln. Etwas Maskenhaftes befiel die einstige Verwandlungskünstlerin.
Vor ein paar Wochen traf ich Stefan wieder. Ganz zufällig auf der Straße. Hier in Berlin. Irgendwie sah er aus wie früher. Bei einem Kaffee meinte er, dass er es jetzt entspannter angehen lasse. Er spiele wieder Gitarre. Er war unrasiert. Aber sein Lächeln präsentierte eine Lässigkeit, die zeigte, dass er den Druck hinter sich gelassen hat. Irgendwann steigt man aus dem Hamsterrad wieder aus. Und dieses Relaxte wünsche ich wieder in Madonnas Musik zu hören. Ich wünsche es Madonna, der Künstlerin. Madonna, dem Menschen! - Alles Gute zum 50.!