
Anne Hahn, Frank
Willmann (Hrsg.):
Satan, kannst du mir
noch mal verzeihen?
Schleimkeim waren eine der ersten und kompromisslosesten Bands der DDR. Im Gegensatz zu „staatlich geprüften Punk-Combos“ mit offizieller Spielgenehmigung blieben die Thüringer in den Kellerclubs des Untergrunds, spielten bei Kirchenveranstaltungen oder auf illegalen Partys.
Dieter Ehrlich gründete die Band bereits 1980 und avancierte in den folgenden Jahren zu einem der ebenso berühmtesten, wie auch berüchtigsten Protagonisten der Szene: Respektiert und gefürchtet von Freund und Feind. Seinen Spitznamen „Otze“ erhielt Ehrlich erst einige Jahre später. In Kombination mit verschiedenen Konsonanten bleibt die Semantik des jeweiligen Wortes aggressiv bis unappetitlich und somit programmatisch: Punk pur!
Als sich Schleim-Keim 1996 auflösten, war ihr Sänger bereits stark gezeichnet von jahrelangem Alkohol- und Drogenkonsum. Nach mehreren Klinikaufenthalten erschlug er 1998 seinen Vater mit einer Axt und starb selbst 2002 unter unaufgeklärten Umständen in der Psychiatrie.
Fast alle Songs der Band, mit Titeln wie „Abfallprodukte der Gesellschaft“, „Wohnzimmer-Revolutionär“ oder „Werkzeug der Macht“ entstanden noch zu Mauer-Zeiten. Dabei erscheint „Prügelknaben“ (1988) fast visionär die Parolen der Leipziger Herbst-Demos ein Jahr später vorwegzunehmen: „Wir wollen nicht mehr, wie ihr wollt / wir wollen unsere Freiheit / wir sind das Volk, wir sind die Macht / wir fordern Gerechtigkeit / Wir sind das Volk, wir sind die Macht / Es ist zu spät, wenn es erst mal kracht“.
Anne Hahn und Frank Willmann interviewten ehemalige Bandmitglieder, Freunde und Wegbegleiter. Aus den Gesprächen ergibt sich ein bisweilen widersprüchliches Bild, das ebenso viel über die persönliche Zerrissenheit des Musikers erzählt, wie auch über die absurden Abwehrversuche der DDR gegen Punk, der die verstaubte Zufriedenheit der kleinbürgerlichen Ordnung in den Grundfesten erschütterte.
Die kurzweiligen Erinnerungen formieren sich auf knapp 200 zu einem Mosaik, das
neben der persönlichen Tragik Ehrlichs auch das Unvermögen des DDR-Undergrounds abbildet, sich nach dem Mauerfall mit den Strukturen des westlichen Musik-Business’ zu arrangieren.
Anne Hahn, Frank Willmann (Hrsg.):
Satan, kannst du mir noch mal verzeihen?
Ventil Verlag, 175 Seiten, 11,90 €
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