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27. September 2008
Uwe Staab
für satt.org

streetBEATS

„Ahhh...Nett, Sie kennenzulernen!
Ohhhhh, schön Sie wiederzusehen!“

Alte Bekannte und neue Freunde...

Es ist wie eine Stehparty: da sind die, die man nicht kennt, die man auch gar nicht kennen muss, natürlich kann man nett oder fies zu denen sein, aber letztlich braucht man diese Konversation einfach gar nicht. Dann die, die einen schon immer begleiten, alte Bekannte, bei denen du leicht das Gefühl bekommst, dass sich eigentlich außer ein bisschen vergangener Zeit wenig zwischen euch verändert hat, auch wenn man sich lange nicht sieht. Und schließlich die, die man nicht kennt, die einem aber spontan sympathisch erscheinen, mit denen man einen trinken oder einfach ein bisschen abhotten kann. Eben zumindest potentiell die Kandidaten, bei denen man eines Tages feststellt: „Mensch, Junge, wir kennen uns nu aber auch schon lang...“

 

DJ Muggs & Planet Asia:
Pain Language

(!K7)
DJ Muggs & Planet Asia: Pain Language



Jan Delay:
Pop Portrait

(Pias/Rough Trade)
Jan Delay: Pop Portrait



SDP: Die Rache
des kleinen Mannes

(SMD/SonyBMG)
SDP: Die Rache des kleinen Mannes


Umso erfreulicher ist es, gerade wenn man den alten Zeiten nachhängt, wenn man plötzlich relativ unerwartet einen Bekannten von früher mal wieder hört und das nicht am Telefon, sondern aus den Boxen. Da sei zunächst von DJ Muggs die Rede, musikalischer Fädenzieher hinter Cypress Hill und Gründer sowie verantwortlicher Beatspender der Soul Assasins-Sampler. Der rauchschwaden-geprägte Sound des Produzenten ist erkennbare Marke wie der eines DJ Premier, allerdings doch nicht so gefeiert. Schön bei seinem neusten Treffer in Zusammenarbeit mit Planet Asia ist, dass Muggs seinen Sound erkennbar ursprünglich gehalten hat, ohne dabei rückständig zu erscheinen. Das heißt in seinem Fall: düstere Loops mit ein wenig Melodie bzw. werden auch schon mal Posaunen aus einem Römerschinken gesampelt und dem Beat untergeschoben. Die Machart der Beats ruft tatsächlich Wu-Tang-Assoziationen hervor, sodass es gar nicht verwundert, dass Muggs’ letzter Streich eine Collabo mit Wu-Tangs Mastermind GZA war (The Grandmastaz). „Pain Language“ erinnert an den Sound der SoulAssassin-Scheiben und funktioniert mit Planet Asia als Vocalist wunderbar. Rap der vom Aussterben bedrohten Boom-Bap-Kategorie. Ich freu mich zumindest so sehr darüber, dass ich das Album meistens durchlaufen lasse, auch wenn ich mir eigentlich nur einen einzigen Track anhören möchte. Vor allem der Titeltrack „Pain Language“ ist Dauergast in meiner Playlist.

Und dank einem anderen alten Bekannten werden dem geneigten Hörer zur Zeit weitere alte Bekannte erneut zugänglich gemacht. In Begleitung seiner Band Disko No.1 tourte Jan Delay noch bis vor kurzem durch Deutschland, neben seinem Live-Album „Mercedes Dance Live“ liegt derzeit ein weiterer mit seinem Namen gezierter Sampler in den Läden: „Pop-Portrait“ nennt sich das gute Stück und ist eine Zusammenstellung „handverlesener Titel“, wie ein Sticker auf der CD verrät. Ob Werbespruch oder nicht: Tatsache ist, dass sich auf „Pop-Portrait“ nicht nur einige Raritäten, sondern vor allem auch fast versunkene Schätze der deutschen HipHop-Geschichte finden. Allen voran steht dabei Torchs „Kapitel 1“, der wohl meist gesamplete deutsche Rap-Song und Manifest einer heute kaum noch zu findenden HipHop-Auffassung. Aber auch jüngere Ikonen mischen sich unter die abwechslungsreiche Playlist: Stieber Twins, Freundeskreis und sogar Tobi & das Bo („Ist mir egal“ im unfassbar seltenen Adolf Noise-Remix!!) geben ein amtliches Bild von HipHop aus der Zeit vor dem Repräsentieren von Städten und Drogen wieder. Die heute so viel gerühmte „Straßenauthentizität“ interessiert hier (zum Glück) einfach mal gar nicht. Zwar wirkt die Abfolge der Tracks manchmal etwas gewollt, aber in Verbindung mit Tocotronic, Die Sterne, Selig und gleich zweimal Udo Lindenberg ergibt sich so ein Portrait deutscher Musikalität, in dem der Sprechgesang eben nicht ausgeblendet wird.

Ein Kandidat, der in dieser Playlist auch gut aufgehoben wäre und mein erfreulicher neuer Bekannter auf dieser Party ist ein Berliner Duo mit dem unscheinbaren Kürzel „SDP“, die Abkürzung für „Stone-deaf-Productions“. Einen guten Eindruck von ihrer musikalischen Herangehensweise kann man sich bei Youtube.com holen, wo die Songs „Antifriedensmusik“, „Antiknutmusik“ oder „Ich bin ne Biene“ neben vielen anderen die spaßige Einstellung der Beiden gut portraitieren. Schon Ende Juli veröffentlichten die Lebemänner von SDP ihr viertes Album „Die Rache des kleinen Mannes“. Mit viel guter Laune und positiver Einstellung führt die Trackliste durch Nachdenkliches und Fröhliches, gesungen oder auch erzählt in Reimen, die einen Rap-Hintergrund vermuten lassen, untermalt mit Musik zwischen Liedermacherflair und schweren Klängen, die ihre Wirkung eher wie Songs von Glashaus entfalten. Einziger Kritikpunkt: es scheint eine Folge der großen Leichtlebigkeit des Albums zu sein, dass die Gags und doch eigentlich sehr gekonnten gebastelten Texte ihren Charme schneller abnutzen als mir lieb ist. Aber macht ja nichts, einfach mal ein paar Tage im Schrank stehen lassen und dann wieder raus holen und in zehn Jahren feststellen, dass die Zeit, als man den ganzen Tag und im Auto und am See SDP gehört hat, auch schon wieder zehn Jahre her ist.