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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




30. September 2008
 

It is a Woman's World – Is It?

Es war wieder an der Zeit für einen Artikel, der sich ausschließlich mit Künstlerinnen beschäftigt – Anlaß sind unter anderem frisch veröffentlichte Werkschauen von Patti Smith und Lydia Lunch, aber auch zwei Ausstellungen zum Thema weiblicher Inszenierungen in der Bildenden Kunst:

  Patti Smith: Original Album Classics
Patti Smith:
Original Album Classics

5-CD-BoxSet
Arista/SonyBMG
» pattismith.net

Lydia Lunch Video Hysterie: 1978 – 2006
Lydia Lunch Video Hysterie: 1978 – 2006
DVD, MVDvisual
» lydia-lunch.org
» myspace

Teenage Jesus and the Jerks / Beirut Slump: Shut Up And Bleed
Teenage Jesus and the
Jerks / Beirut Slump:
Shut Up And Bleed

Cherry Red Records


Shut Up And Bleed

Will man die New Yorker Musikszene Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre beschreiben, also von Prä- bis Postpunk, kommt man an zwei Protagonistinnen nicht vorbei: Patti Smith und Lydia Lunch. Es wäre vermessen, zwischen beiden Künstlerinnen Bezüge herzustellen, die es nicht gibt, dennoch sind Smith und Lunch in ihrer Radikalität und Unmittelbarkeit durchaus vergleichbar. Smith (geboren 1946 in Chicago) verließ ebenso wie Lunch (geb. 1959 in Rochester/NY als Lydia Koch) ihre Familie, um traumatische Erlebnisse hinter sich zu lassen. Smith stammt aus armen Verhältnissen, bricht die Schule ab, um in einer Fabrik zu arbeiten (ihre Erfahrungen fließen später in den Song „Piss Factory“ ein), das Baby, das sie mit 17 bekommt, gibt sie zur Adoption frei.

Lunch entflieht so früh wie möglich einem Elternhaus, das keines ist: die Darstellung sexuellen Mißbrauchs und Gewalt bestimmen ihr Werk bis heute. Beide verarbeiten Schmerz und Zorn mittels der Kunst, schreiben Tagebuch und Poesie, komponieren erste Songs und wollen nur eins: nach New York, um Gleichgesinnte zu suchen. Smith findet einen Leib- und Seelenfreund in Robert Mapplethorpe, lebt einige Jahre mit dem 1989 an den Folgen von AIDS verstorbenen Fotografen zusammen. Von Mapplethorpe stammen auch die Fotos, die ikonographischen Charakter erreichen: Smith,ein hagerer Tomboy mit wildem schwarzem Haar und weissem Hemd schaut mit hungrigem Blick in die Kamera. Mann oder Frau? Auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Obwohl sie im Lauf ihrer Karriere zur Galionsfigur der „women in rock“ werden soll, arbeitet Patti Smith vorwiegend mit Männern zusammen: als 1975 das erste Album der Patti Smith Band, „Horses“ erscheint, sind neben Smith Lenny Kaye, Ivan Kral, Richard Sohl und Jay Dee Daugherty zu hören. Smith, die sich fast ausschließlich an männlichen Vorbildern orientierte (sie sah sich lange Zeit als Reinkarnation des Dichters Arthur Rimbaud und verehrte Keith Richards, Jimi Hendrix und Iggy Pop), verleibt sich den Rock'n'Roll ein, dekodiert den genuin maskulinen Sound zu einem Mannweib-Bastard. Smith kreiert eine ureigene Ausdrucksform, die bis auf wenige Abwandlungen stets gleich bleiben soll: frei assoziierte Texte, ein Stream-of-Consciousness über Stooges-ähnlichem, rauem Punkrock-Blues. Sie interpretiert sogenannte Klassiker des Rock („Gloria“/Them, „My Generation“/The Who) auf eine Weise, die die Originale blass erscheinen lassen.

Lydia Lunch rettet sich mit 16 nach New York, zieht in eine Künstlerkommune und sucht nach Mitstreitern, um ihre „Teenage Terrorist“-Lyrik auf die Bühne zu bringen. Schon mit ihrer ersten Band Teenage Jesus & The Jerks kommt sie ihrem Ideal, der Dekonstruktion des Rock'n'Roll und der Zerstörung musikalischer Konventionen generell, sehr nahe: Lunch schreit und deklamiert in schon damals unvergleichlicher Form, die Band synkopiert splitternde Punk-Funk-Fragmente. Auch ihre späteren Bandprojekte wie Beirut Slump gehören zu den eindrucksvollsten Vertretern der New York No Wave. Wie Patti Smith arbeitet Lunch meist mit Männern*, zu ihren Kooperateuren gehören James Chance/White, J.G. Thirlwell/Foetus, Nick Cave, Rowland S. Howard, Die Haut und die Jazzband Anubian Lights; sie spielt in Richard Kerns Filmen des „Cinema of Transgression“, ihre Position ist ambivalent: sie bekämpft patriarchale Verhältnisse, bezeichnet Sex als „Kampf, ja Krieg zwischen den Geschlechtern“, setzt Sex aber als Waffe ein, wie sie unverblümt in Interviews offenbart.

Unvorstellbar, dass Lunch sich wie Patti Smith in eine Familienpause zurückgezogen hätte (Smith heiratet 1980 ihren Bandkollegen Fred „Sonic“ Smith, bekommt mit ihm zwei Kinder und kehrt erst nach dem frühen Tod ihres Mannes ins Musikgeschäft zurück): Lunch, die „Anti-Madonna“, wie sie sich selbst nennt, verachtet leidenschaftlich jegliche bürgerlich-tradierten Rollen, die für Frauen angeblich vorgesehen sind. Kleinfamilie und Fortpflanzung stehen Lunchs künstlerischem Entwurf diametral entgegen – auch heute ist das Thema Familie/Paarbeziehung neben Religion, Krieg und Politik Teil ihrer Spoken-Word-Shows, die sie mit nicht versiegendem Furor auf Ladyfesten zeigt. Lydia Lunch ist furchtlos, voller Zorn und Abscheu gegenüber Lüge, Betrug, Gewalt – wobei ihr Haß vor Frauen nicht haltmacht: unlängst wehrte sie sich vehement dagegen, mit Courtney Love verglichen zu werden, sie (Lunch) hätte schließlich niemals langweilige Rocksongs gesungen, die ihr toter Ehemann geschrieben hätte. Das ist hart und vielleicht ungerecht, doch Lunch würde niemals gute Miene zu einem aus ihrer Sicht bösen Spiel machen. Wie scharf ihre Worte sein können, kann man neben den Spoken Word-Performances auch in ihren Bücher wie „Paradoxia“ nachlesen (Lunchs Bücher sind auf Deutsch zum Teil beim Verlag Mox und Maritz erschienen).


* nicht unter den Tisch fallen sollen Lunchs gemeinsame Projekte mit Kim Gordon, Exene Cervenka und anderen.

Trotz aller Unterschiede: Lunch und Smith sind unerschrockene Pionierinnen, deren musikalisches und textliches Schaffen ungezählte junge Frauen dazu inspirieren sollte, selbst auf Bühnen zu steigen anstatt nur den Jungs zuzujubeln. Beide erfanden künstlerische Ausdrucksformen, die es vor ihrem Auftreten im Pop/Rock so nicht gegeben hatte. Das geschriebene und gesprochene Wort steht im Zentrum der Arbeit beider, die Musik ist „nur“ das Medium, der Kanal, der ihre Botschaften transportiert.

Patti Smiths wichtigste Alben sind jetzt in einer 5-CD-Box erschienen, darin enthalten: „Horses“ (1975), „Radio Ethiopia“ (1976), „Easter“ (1978), „Wave“( 1979) und ihr Comebackalbum „Dream of Life“ (1988).

Lydia Lunchs musikalisches Frühwerk mit Teenage Jesus & The Jerks und Beirut Slump ist auf der Compilation „Shut Up and Bleed“ (Cherry Red) versammelt; zeitgleich erschien die DVD „Video Hysterie: 1978 – 2006“.


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Schwenk in die Gegenwart: ob die folgenden Musikerinnen von Patti Smith und Lydia Lunch beeinflußt sind, ist nicht bekannt und auch nicht wichtig. Bemerkenswert sind die neuen Alben von Kaki King, Those Dancing Days und Myra Davies vor allem wegen ihrer jeweiligen Unverwechselbarkeit in Form und Stil:

  Those Dancing Days: In Our Space Hero Suits
Those Dancing Days:
In Our Space Hero Suits

Cooperative / Universal
» myspace

Those Dancing Days live:
Berlin, Postbahnhof: 8.10.08
München, Atomic Café: 10.10.08
Stuttgart, Schocken: 13.10.08


Those Dancing Days: In Our Space Hero Suits

Hier kommt die Charme- und Gute-Laune-Offensive! Those Dancing Days sind Linnea Jönsson, Rebecka Rolfart, Cissi Efraimsson, Lisa Pyk und Mimmi Evrell, fünf sehr junge Damen aus Schweden, genauer aus Nacka, einem Vorort Stockholms. TDD zitieren sich beherzt durch die letzten Jahrzehnte Popmusik, wobei ihre Vorlieben beim Girlgroup-Sound der Sixties einerseits und beim Wavepop der achtziger Jahre andererseits liegen: die zwölf Tracks ihres Debütalbums hören sich an, als hätten sich die frühen Blondie mit Joan Jett, Transvision Vamp, den Ronettes und Fairground Attraction im Übungsraum getroffen und fröhlich drauflos gejammt. Die Verquickung verschiedener Epochen sorgt dafür, dass TDD nicht mit Nostalgie-Projekten wie den Pipettes oder Kitty, Daisy und Lewis vergleichbar sind - besonders zwingend gelingt die Kombination aus alt, mittelalt und neu bei „Those Dancing Days“. Der Bandnamen-Titel basiert auf kirmesmäßig fiependen Synthies, einem nach vorne preschenden Beat und einer eingängigen Melodie, die man schon nach einmaligem Hören nicht mehr aus dem Kopf bekommt. „Actionman“ trägt den Geist des Sixties-Rock'n'Roll in heutige Clubs, bei „Duet under Water“ erklingen Disco-Kuhglocken zu Cissys derart rohem und archaischem Schlagzeugspiel, dass einem die Raincoats in den Sinn kommen, aber TDD wollen nicht die experimentelle Dekonstruktion gängiger Popklischees erzielen. Im Gegenteil: die fünf Schwedinnen suchen den perfekten Popsong und finden ihn fast immer.


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  Kaki King: Dreaming of Revenge
Kaki King:
Dreaming of Revenge

Cooking Vinyl
» kakiking.com
» myspace


Kaki King: Dreaming of Revenge

Müssen Revolutionen immer laut und dramatisch sein? Die Sensation auf Kaki Kings neuem Album „Dreaming of Revenge“ besteht darin, dass die New Yorker Gitarristin, die sich sich in den vergangenen Jahren einen Namen als grandiose Instrumentalistin machte, zum ersten Mal ihre Stimme einsetzt. Kaki King entwickelte auf ihren bisherigen Platten einen sehr eigenwilligen und charakteristischen Stil: sie entlockt ihrem Instrument (für Spezialisten: KK spielt vorwiegend auf Ovation-Akustikgitarren) nicht nur mit ihrem ambitionierten Fingerpicking Töne zwischen Surf, Western, Blues und Folk, sondern verwendet den Korpus der Gitarre auch als perkussives Element. Zu ihren technischen Ausnahmefähigkeiten kommt ihr Talent als begnadete Songwriterin, was dazu führte, dass sie Stücke zum Soundtrack von Sean Penns Film „Into the Wild“ und anderen Filmen beisteuern durfte. „Dreaming of Revenge“ ist Kings zugänglichstes Album, was nicht nur an ihrem Gesang liegt: sie verbindet unwirklich-schwebende Melodien mit überraschend treibenden Schlagzeugrhythmen („Pull Me Out Alive“, „Sad American“, „Bone Chaos in the Castle“), setzt elektronische Spuren, Violinen und Piano ein und erzählt dazu verschrobene Geschichten. Kaki Kings Songs sind leicht und erdverbunden gleichzeitig, erinnern an Stereo Lab, Galaxie 500 oder Lush, doch Vergleiche wirken eher hinderlich, man sollte ihre Musik urteilsfrei genießen. Ein Track wie „Montreal“ (auf dem sie übrigens nicht singt) mit seiner flirrenden Gitarre, der Ferne und Weite evozierenden sehnsüchtigen Melodie und dem unermüdlich vorwärtstreibenden Drumming dürfte Kaki King einen Platz im Indie-Olymp sichern.


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  Myra Davies: Cities and Girls
Myra Davies:
Cities and Girls

Monika Enterprises
» monika-enterprise.de
» moabitmusik.de
» myspace


Myra Davies: Cities and Girls

Die kanadische Spoken Word-Künstlerin Myra Davies und die Berliner Elektro-Visionärin Gudrun Gut arbeiten schon seit einiger Zeit zusammen: auf der „Miasma“-Trilogie unterlegte Gut Davies' Stories mit organischen Beats. Für Davies' neues Album „Cities and Girls“ gingen neben Gudrun Gut auch Guts ehemalige Malaria!-Kollegin Beate Bartel und das Künstlerpaar Danielle de Piciotto & Alexander Hacke ins Studio, um die Texte in musikalische Arrangements zu verpacken. Der Albumtitel „Cities and Girls“ vereint die kreativen Triebkräfte Davies': Myra Davies sieht die Stadt als „social heart und creative core“, was ein wenig seltsam klingt, wenn man weiß, dass Davies in einem winzigen Kaff in den Rocky Mountains lebt. Doch sie erlebt Städte mit unverbrauchtem Blick, wenn sie sich aus der Natur auf den Weg in die Metropolen der Welt begibt; nimmt typisch urbane Gegebenheiten anders und klarer wahr, als diejenigen, die sich Tag für Tag in der „City“ bewegen. „Girls“/Mädchen wird ebenfalls schlüssig erklärt: Myra Davies war natürlich selbst einmal ein Mädchen, heute als erwachsene Frau sieht sie Dinge, die in ihrer Jugend passierten, in einem anderen Licht. Außerdem ist „Cities and Girls“ Davies' toter Freundin Sherry gewidmet, die ihr immer wieder in Träumen erscheint. Mit ruhiger, warmer Stimme erzählt Myra Davies Geschichten aus dem urbanen Alltag, sie beobachtet Menschen beim Shoppen und Essengehen, thematisiert aber auch deren Verzweiflung und Einsamkeit. Davies' Texte sind trotz aller Alltäglichkeit nie banal, sondern im Gegenteil höchst intensiv und politisch explizit. Dazu passen Gudrun Guts sanft swingende Elektrobeats ebenso gut wie Hacke/Piciottos berlineske Entwürfe mit Akkordeon und Walzerrhythmus. Das anspruchsvolle Experiment, Spoken Word-Lyrik mit zeitgenössischem Electro zu kombinieren, ist auf „Cities and Girls“ mehr als gelungen.


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For further reading and watching:

  Cooling Out: On the Paradox of Feminism
Cooling Out: On the
Paradox of Feminism

JRP Ringier Kunstverlag
Gebunden, 272 Seiten
» kunsthausbaselland.ch


Cooling Out: On the Paradox of Feminism

Beide hier vorgestellten Bücher sind Ausstellungskataloge – weibliche und/oder explizit feministische, künstlerische (Selbst-)Inszenierungen sind „hot topics“ zurzeit. Die bis zum 1.10. im Kunsthaus Baselland, bis zum 29.10. in der Halle für Kunst Lüneburg und danach in der Lewis Glucksman Gallery Cork laufende Ausstellung „Cooling Out – On the Paradox of Feminism“ nimmt einen Begriff als Aufhänger, der in den sechziger Jahren vom amerikanischen Forscher und Soziologen Erving Goffman geprägt wurde. Goffman sprach vom „Cooling Out“, um soziales, privates oder berufliches Rückzugsverhalten gesellschaftlich marginalisierter Personengruppen wie Arbeitsloser zu beschreiben. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu griff „Cooling Out“ etwas später auf, um in seinem Buch „Illusionen der Chancengleichheit“ die Integration oder eben Nicht-Integration von Frauen in höherer Bildung und Führungspositionen darzustellen. Die Kuratorinnen der Ausstellung - „Cooling Out“ ist ein Gruppenprojekt – gehen in Wort, Bild, Video und Installationen der Frage nach, weshalb es heutzutage, bzw. seit den letzten zwanzig Jahren so „uncool“ ist, sich selbst als Feministin zu bezeichnen und warum viele Frauen den Weg des „Cooling Out“, also des Rückzugs aus feministischen Debatten und Konzepten wählen. Neben Werken bildender Künstlerinnen und Fotografinnen wie der Kroatin Renata Poljak und der Finnin Aurora Reinhard oder dem Bandprojekt Mosh Mosh spielt der Text eine zentrale Rolle im Buch „Cooling Out“, das sich als Reader zu bereits stattgefundenen Podiumsdiskussionen versteht. Autorinnen wie Sonja Eismann und Bettina Steinbrügge finden popkulturelle Bezüge, Steinbrügge zum Beispiel überschreibt ihren Essay mit „School of Etiquette“, einem Songtitel der explizit queeren Frauenband Boyskout. Und Eismann stellt die berechtigte Frage, ob der (moderne) Feminismus „nicht mal einen Schritt vor statt zwei zurück“ gehen kann und plädiert für radikale feministische Aufklärung. Ob diese im musealen Raum stattfinden kann und soll, sei dahin gestellt, „Cooling Out“ ist zumindest ein cooler Schritt in die richtige Richtung.


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  Female Trouble: Die Kamera als Spiegel weiblicher Inszenierung
Female Trouble: Die Kamera als Spiegel weiblicher Inszenierung
Hatje Cantz
Broschur, 240 Seiten, € 35,-

Ausstellung in der Pinakothek der Moderne München bis 26.10.08
» pinakothek.de


Die Kamera als Spiegel weiblicher Inszenierung

Seit der Erfindung der Fotografie vor gut 170 Jahren nutzten vor allem Frauen die neue Technik, um sich in immer neuen Rollen, Masken und Verkleidungen vor der Kamera zu inszenieren – das ist die Ausgangsthese der Ausstellung „Female Trouble“, die noch bis Ende Oktober in der Münchner Pinakothek der Moderne zu sehen ist. Tatsächlich scheint diese These mehr als plausibel, wenn man die Ausstellung betritt und als erstes die riesigen Fotografien Cindy Shermans sieht, jener manisch produktiven Amerikanerin, die mit unerschöpflichem Erfindungsreichtum immer neue, immer groteskere Settings und Maskeraden erfindet, hinter denen man sie selbst (stets ist Sherman ihr eigenes Modell) niemals erkennt. Sherman tritt als Clown auf, oder als bitter-realistische Parodie des amerikanischen „White Trash“ oder inszeniert Fake-Filmstills in schwarz-weiß, die aus unentdeckten Filmen mit Marilyn Monroe oder Sophia Loren stammen könnten. Weitere zeitgenössische Künstlerinnen, die neben Sherman in „Female Trouble“ gezeigt werden, sind unter anderen Pippilotti Rist, Nan Goldin, Valie Export, Sarah Lucas, Tracey Moffatt und Sophie Calle; aber auch Werke männlicher Künstler, die sich mit der Darstellung des Weiblichen befassen, sind zu sehen: Robert Mapplethorpes und Andy Warhols Selbstporträts „in drag“ korrespondieren mit den „self performances“ des Kölner Künstlers Jürgen Klauke, der sich 1972 – also mitten in der Glamrock-Ära – mit langem Haar und ausgestopften Körperteilen als Mann-Frau-Hybrid inszenierte. Spektakulärer als die schon oft gesehenen Werke (das ist nicht abwertend gemeint) postmoderner KünstlerInnen der letzten fünfzig Jahre sind die Exponate von Comtesse de Castiglione, die sich bereits ab 1860 der Fotografie widmetet und sich in ihrem Boudoir in theatralischen Posen ablichtete. Die 1894 geborene Künstlerin Claude Cahun hingegen, die zum Surrealisten-Kreis um André Breton gehörte, wirkt auf den gezeigten Fotos wie ein Prototyp queeren Selbstverständnisses: mit raspelkurzem Haar oder Glatze, kühnem Profil und ohne Angst davor, nach gängigem Verständnis „häßlich“ zu erscheinen. Selbst heute, fast hundert Jahre nach Entstehen der Fotos, wirken Cahuns Selbstinszenierungen radikal, wie kubistische Gemälde.

Möglicherweise ließe sich eine ähnliche Ausstellung männlicher Inszenierungen vor der Kamera kuratieren – bis dahin liefert „Female Trouble“ den umfassenden Blick auf weiblich-feministische Arbeit vor und hinter der Kamera.


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