Buchmesse Frankfurt 2008, Teil I
Am 15.10.08 ist es wieder soweit: die Frankfurter Buchmesse öffnet ihre Pforten und spült unübersehbare Mengen gedruckten und gesprochenen Kulturguts in die Feuilletons und Buchhandlungen. satt.org/Musik wird in den kommenden Wochen häppchenweise Bücher bzw. Hörbücher vorstellen, die unserer bescheidenen Meinung nach unverzichtbar sind und/oder aus der Masse der Neuerscheinungen herausstechen. Eine Verbindung zu Pop + Musik sollten die Werke idealerweise haben, wir versuchen notfalls, den Bezug mit der Brechstange herzustellen.
Dieter Meier: Hermes Baby
„Meier heiß ich! Meier bin ich! Und immer war alles was ich machte, Meier!“ So beschreibt sich Dieter Meier, seines Zeichens Elektropionier mit Yello, Künstler, Schriftsteller, Lebemann und Winzer, in “La Forza del Destino”, einem Essay auf der Textsammlung “Hermes Baby” selbst. “Hermes Baby” erschien vor zwei Jahren im Ammann Verlag, für das renommierte Label Deutsche Grammophon las Meier seine Texte nun selbst für das vorliegende Hörbuch ein. Und man hört ihm gerne zu: Meier besitzt eine eindrucksvolle Lesestimme, voluminös und pointiert, mit minimalem Schweizer Zungenschlag; viele Zigarren und Whisky haben Patina auf seinen Stimmbändern hinterlassen. Der 1945 in Zürich geborene Dieter Meier versteht sich als Universalkünstler: dass er einen Allerweltsnamen wie “Meier” trägt, kommt seiner Haltung, sich niemals dem Grössenwahn anheim zu geben, für das, was man tut, allein verantwortlich zu sein, sehr zupass'. So nennt er sich – je nach Setting der Geschichte – mal “Meier Mach' Schon” oder “Meier Destino”, Selbstironie, Demut und das Wissen um das in-die-Welt-Geworfensein gehen im Meier eine höchst amüsante Symbiose ein. Meier, der Weltbürger berichtet über das New York der achtziger Jahre mit dem gleichen Kenntnisreichtum wie über Schweizer Nobelhotels, vom Pokertisch oder die Getriebenheit des Koks-Süchtigen. Seine Texte sind mal essayistisch-fiktional, mal autobiographisch; Meier gelingt es, in einem Atemzug über Adorno, Foucault und Willy Hagara zu reflektieren – was nicht nur den Universalkünstler, sondern auch den Universalgelehrten verrät. Mitreißend ist seine Eloge auf Philip Seymour Hoffman und dessen Darstellung Truman Capotes (im Film “Capote”): man sieht Meier förmlich vor sich, wie er zum hundertsten Mal den DVD-Player anwirft und mit derselben Begeisterung wie beim ersten Mal den Film anschaut. Ebenso interessant ist es, wenn Meier aus dem Nähkästchen plaudert und davon erzählt, wie er Boris Blank kennen lernte und mit ihm Yello gründete – bis heute die einflußreichste und erfolgreichste Band, die jemals aus der Schweiz kam. Dieter Meier ist ein Flaneur, ein wißbegieriger Beobachter des Weltgeschehens und gleichzeitig stets zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Man folgt ihm gerne überall hin, dem klugen Connaisseur, der niemals überheblich oder besserwisserisch wird – und ach ja, “Hermes Baby” ist eine Reiseschreibmaschine.
◊ ◊ ◊
|
Manuel Schreiner, Mirjam Kolb: Indie Travel Guide UK & Europa Rockbuch Verlag 500 S., € 19,90
» rockbuch.de
|
Indie Travel Guide UK & Europa
Ebenfalls ums Reisen geht es in Manuel Schreiners und Mirjam Kolbs “Indie Travel Guide UK & Europa”, dem etwas anderen Reiseführer: Kolb und Schreiner haben Bands nach ihren Lieblingsclubs, -shops, -bars und -plattenläden in ihren jeweiligen Heimatstädten befragt. So verrät zum Beispiel Gwenno, Sängerin der Pipettes, wo man in Brighton und Cardiff am besten ausgeht, in welche Kneipen sie am liebsten geht und wo sie die stilechten Sixtiesklamotten kauft, für die die Pipettes berühmt sind. In Brighton sind auch The Kooks zuhause, die wieder ganz andere Tipps parat haben als Gwenno; Chikinki führen durch Bristol und Art Brut durch Bournemouth und Poole. Großbritannien nimmt in diesem Buch erwartungsgemäß viel Platz ein, aber die Autoren zogen auch Finnland (Beispiel: Artturi Taira von Rubik führt die geneigten Leser durch Helsinki), Island, Irland, Schweden und natürlich Deutschland mit ein. Wer darf aus Hamburg, Berlin, Köln, Frankfurt und München berichten? Dazu sei an dieser Stelle nichts verraten, nur soviel: die Anschaffung des Indie Travel Guide lohnt unbedingt, nicht nur für Fashion Victims und Szenehopper! Und der nächste ITG ist bereits in Arbeit, ab November kann man nachlesen, welche Hotspots man in den USA und Kanada besuchen sollte.
◊ ◊ ◊
|
Dietrich Helms, Thomas Phleps (Hg.): No Time for Losers. Charts, Listen und andere Kanonisierungen in der populären Musik Transcript Verlag Broschur, 178 S., € 17,80
» transcript-verlag.de
|
No Time for Losers
Musikzeitschriften erzielen die höchsten Verkaufszahlen immer am Jahresende bzw. am Jahresanfang, jedenfalls dann, wenn die Ergebnisse der Leser- und Redaktionspolls abgedruckt werden. Listen, Charts, Votings: egal, wie man es nennt, Musikfans und -journalisten auf der ganzen Welt lieben es, Musik mittels zählbarer Umfragen zu klassifizieren und so (quasi durch Mehrheiten belegt) für gut oder schlecht befinden. Dietrich Helms und Thomas Phleps, Herausgeber der Reihe “Beiträge zu Popularmusikforschung” im Transcript Verlag, haben für “No Time For Losers” Texte gesammelt, die sich aus verschiedenen Blickwinkeln der Faszination des Kanonisierens von Musik und Bands widmen. Dabei beschränken sich die Autoren nicht auf Popmusik (Heavy Metal, HipHop, Punk), auch Jazz, Salsa und Klassische Musik werden mit einbezogen.
◊ ◊ ◊
|
Kathrin Passig und Sascha Lobo: Dinge geregelt kriegen ohne einen Funken Selbstdisziplin Rowohlt Berlin 272 Seiten, geb. € 19,90
|
Dinge geregelt kriegen
ohne einen Funken Selbstdisziplin
Wer zögert, sich all' die neuen Bücher zuzulegen, weil er/sie ahnt, dass die Papierberge ohnehin nicht zu bewältigen sind, schlimmer noch, dass Tonnen ungelesener Bücher und Zeitungen stumm und vorwurfsvoll im sogenannten “Arbeitszimmer” seit Jahren darauf warten, beachtet zu werden, sollte sich zunächst Kathrin Passigs und Sascha Lobos neues Werk zulegen. In “Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin” singen die beiden das Loblied der Prokrastination, sprich des Aufschiebens (unangenehmer) Aufgaben. Jeder, der ein vergilbendes Post-it mit der Aufforderung “To-do-Liste schreiben” am PC kleben hat, sich nicht traut, Behördenbriefe zu öffnen und aus Faulheit noch immer an der Uni (38. Semester Geologie) eingeschrieben ist, wird sich mit Passig/Lobos entlastenden Thesen schnell anfreunden. Passig/Lobo räumen mit dem Vorurteil auf, dass man angefangene Arbeiten unbedingt zu Ende führen müsse (unter der Kapitelüberschrift “Jedem Ende wohnt ein Zauber inne”), erklären schlüssig, dass gesunde Ernährung und die Mitgliedschaft im Fitneßcenter nicht zwangsläufig zu einem gesunden, schlanken Körper führen und vieles mehr, was haltlosen Schlunzern wie dir und mir wie Öl 'runtergeht. Prokrastination ist das neue “Simplify your Life”. Oder so. Muss gleich eine How-To-Procrastinate-Liste schreiben...
◊ ◊ ◊