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Brett Anderson: Wilderness Soundtrack für chillige Herbstabende, Teil eins: Endgültig verabschiedet von Glamour, Glitter und elektrischen Gitarren hat sich Brett Anderson. Auf seinem zweiten Soloalbum setzt der ehemalige Suede-Sänger in Albumform um, was er mit seiner Akustiktour im letzten Winter bereits live auf der Bühne präsentierte. „Wildnerness“ ist eine Sammlung verträumter, melodischer Songs, die Anderson innerhalb von nur sieben Tagen mit der Cellistin Amy Langley einspielte. Drei Songs des Albums gehörten bereits 2007 zum Liveset. Die Neuaufnahmen von „Clowns“, das bereits als B-Seite seiner ersten Solosingle „Love is dead“ veröffentlicht worden war, und des ebenfalls bereits vor Jahresfrist als Single veröffentlichten „Back to you“ gehören sparsam mit Piano und Streichern instrumentiert zu den Highlights des Albums. „Back to you“ singt Anderson diesmal im Duett mit Emmanuelle Seigner. Auch der wunderschöne Lovesong „Blessed“ mit typischen Anderson-Lyrics „You smile, and I am blessed/ You laugh, and I`m possessed/ You climb, the clouds caress” zeigt, dass Anderson, den der Popzirkus in den letzten Jahren immer mehr gelangweilt hatte, nun neue Wege für die Umsetzung seiner gefühlvollen, nicht selten traurigen Songs gefunden hat. London ist weiterhin die Wildnis, über die er singt. Was ebenfalls seit Andersons ersten Veröffentlichungen vor sechzehn Jahren erhalten geblieben ist, sind sein Gefühl für eingängige Melodien mit Ohrwurmcharakter und sein eindringlicher Gesangsstil. Andersons alter Partner Bernard Butler arbeitet heute lieber im Hintergrund und hat als Produzent massgeblichen Anteil am kommerziellen Erfolg von Newcomern wie Duffy und den Black Kids. Brett Anderson setzt seinen Weg als Künstler dagegen kompromisslos fort, was das Soloalbum und sein Statement vor der Veröffentlichung deutlich machen: „I made this album with the purest of intentions: to create a beautiful suite of songs untethered by second-guessing markets and playlists and music biz bullshit. I have no record company, no publisher and a smaller audience but I have never been more confident and focused about what I am doing as an artist.” (Thomas Backs) ◊ ◊ ◊
Mercury Rev: Snowflake Midnight Soundtrack für chillige Herbstabende, Teil zwei: Regentropfen, Schneeflocken, der Schlag eines Schmetterlingflügels: Zehn Jahre nach ihrem Klassiker „Deserter`s Songs“ haben Mercury Rev aus New York für ihr siebtes Album neue musikalische Welten entdeckt, und entführen mit elektronischer Space-Musik in eine Traumwelt. Synthesizer und Drumcomputer haben Jonathan Donahue, Grasshopper und Jeff Mercel statt klassischer Instrumente mit ihrem Produzenten Dave Fridmann genutzt. „I didn`t even touch a guitar for several months. We retained the power to shock, delight, and surprise ourselves”, erklärt Gitarrist Grasshopper zur Veröffentlichung von „Snowflake Midnight”, das mit Ambient-House („Butterfly`s wings”) und fast acht Minuten langen Opera wie „Dream of a young girl as a flower” und „People are so unpredictable (there`s no bliss like home)” begeistert. Donahues warme, freundliche Stimme ist weiterhin ein Markenzeichen der Band, Four-to-the-Floor und Tracks wie „Senses on fire“, die Richtung Dancefloor gehen, bringen neue Elemente. „There`s a little part of me/ that`s faraway from cars/ faraway from cash faraway from war/ faraway from tears faraway from the past/ faraway from here” singt Donahue in „Faraway from cars”. Eine Traumwelt, in der es noch mehr gibt als die neun Tracks auf „Snowflake midnight”. Mit „Strange Attractor“ stellt das Label zeitgleich ein weiteres Album auf der offiziellen Website der Band als kostenlosen Download zur Verfügung, das wohl demnächst auch im Vinylformat erhältlich sein wird. ◊ ◊ ◊
Ra Ra Riot: The Rhumb Line Das Debütalbum der Band Ra Ra Riot aus Syracuse/New York steht unter einem tragischen Stern: im Sommer 2007 starb der 23-jährige Drummer John Pike nach einem Badeunfall. Die Songs für „The Rhumb Line“ waren zu diesem Zeitpunkt schon fast fertiggestellt und sind jetzt für alle Ewigkeit so etwas wie Pikes Requiem, obwohl der enorm umtriebige und agile Musiker sicherlich kaum Gedanken an den eigenen Tod verschwendete. Ra Ra Riot entschlossen sich schweren Herzens, auch ohne Pike weiterzumachen – für Indie-Fans ist das ein großes Glück. „The Rumb Line“ ist einer jener seltenen, beim ersten Eindruck unaufdringlichen Schätze, die man nach zwei, drei Durchläufen nicht mehr missen möchte. Ra Ra Riot verbinden fein gesponnenen Indie-Gitarrenpop mit klassischen Sinfonieorchestereinsätzen, machen aus scheinbaren Gegensätzen ein intelligentes, charmantes Ganzes. Songs wie der Opener „Ghost Under Rocks“ und „Dying is Fine“ (das angesichts Pikes' Tod eine tragische Konnotation bekommt) sind perlende Ohrwürmer, zum Mitsingen und -tanzen wie gemacht. „Each Year“ basiert auf einem knackigen Wave-Funk-Rhythmus, hat aber einen sehr melancholischen Einschlag, bei „Winter 05“ hört man neben satten Streichern weihnachtliches Schlittenglöckchengebimmel, „Oh, la“ klingt wie ein Broken Social Scene-Stück mit etwas mehr Struktur. Eine Überraschung ist Song Nummer neun, eine Coverversion: Kate Bushs „Suspended in Gaffa“ haben sich Ra Ra Riot ausgesucht – eine große Aufgabe, die die jugendlichen Aspiranten mit Bravour meistern. ◊ ◊ ◊
Lambchop: OH (ohio) Sufjan Stevens verbreitete einst den Scherz, jedem Bundesstaat der USA ein eigenes Album zu widmen. Stevens handelte seinen Heimatstaat Michigan und Illinois ab und verlor danach die Lust an seinem ohnehin nicht ernstgemeinten Konzept. Ob Kurt Wagner mit seiner Band Lambchop das Sufjan-Konzept weiterführen will, ist nicht bekannt, nichtsdestotrotz heißt das neue Lambchop-Album „OH (ohio)“. Einmal mehr ist Kurt Wagner, der eine schwere Krankheit überstanden hat und bald seinen 50. Geburtstag feiern kann, ein stilles, unaufdringliches Kleinod gelungen: mit „OH (ohio)“ kehren Lambchop nach dem fragil-verstörenden Album „Damages“ zum klassischen Songwriting zurück, changieren zwischen Folk, Country, Americana und sogar zart angedeutetem Philly-Soul („Slipped, Dissolved and Loosed“). Songs wie „National Talk Like A Pirate Day“ und „Sharing A Gibson With Martin Luther King Jr.“ sind regelrechte Ohrwürmer mit schier übermütigen Gitarrenparts und den für Wagner so typischen skurrilen Lyrics. Kurt Wagners brüchige Stimme kommt immer mehr in die Nähe alter Helden wie Willie Nelson und Kris Kristofferson, die wie er selbst die etwas weniger patriotische Seite des Country verkörpern. Während der mittlerweile vierzehn Jahre andauernden Bandgeschichte hat Kurt Wagner die Struktur von Lambchop immer wieder verändert, neuen Gegebenheiten angeglichen; mal war Big-Band-Soul wichtig, dann wieder Lo-Fi-Folk, der fast keine Mitmusiker erforderlich machte – „OH (ohio)“ klingt so, als seien in nächster Zeit keine Korrekturen erforderlich. ◊ ◊ ◊
Sparks: Exotic Creatures of the Deep Humor in der Popmusik ist ja so eine Sache: meistens funktioniert er nicht und man wendet sich peinlich berührt ab. Auch das Cover des neuen Sparks-Albums lässt zunächst Schlimmes befürchten: ein Schimpanse im weißen Anzug begleitet den singenden Russell Mael am Klavier – man fühlt sich sofort an die in den achtziger Jahren so beliebten Poster mit bekleideten Affen in menschlichen Posen erinnert, die bevorzugt in Kellerbar-Toiletten hingen. Doch es wären nicht die Mael-Brüder alias Sparks, würden sie eine ästhetische Mutprobe wie das Affencover nicht mit Grandezza und ja, Humor bewältigen: „Exotic Creatures of the Deep“ ist ein Meisterwerk des Camp, des Dramapop und all dessen, wofür Queen zu prollig und Elton John zu konservativ war. Überdreht und trotzdem auf den Punkt, übermütig, aber musikalisch perfekt jagen die Mael-Brüder durch dreizehn Mini-Pop-Opern, die schon allein durch Titel wie „Lighten Up, Morrissey“ oder „(She Got Me) Pregnant“ zu überzeugen wissen. Der Starter „Good Morning“ präsentiert Russell in stimmlicher Hochform, „I Can't Believe That You Would Fall For All the Crap in this Song“ ist eine hochsynthetische Glamrock-Performance mit hypnotischem Discobeat, „Let the Monkey Drive“ brilliert mit Streichern, Ron Maels perlendem Pianospiel und mehrstimmigem Gesang und es wäre mehr als verdient, würden die Sparks mit diesem (oder einem anderen) Titel endlich wieder einen Welthit wie „When Do I Get to Sing 'My Way'?“ (1994) landen. Die Sparks verwirklichen auf einem Album so viele Ideen, wie sie die meisten Bands während ihrer gesamten Laufbahn nicht haben – ach ja, Ron und Russell Mael sind beide fast sechzig und spielen seit knapp vierzig Jahren zusammen. Kreativität ist also keine Frage des Alters ... ◊ ◊ ◊
Peter Bjorn & John: Seaside Rock Man kann dem schwedischen Trio Peter Bjorn And John nicht vorwerfen, dass sie es sich leicht machen: nach ihrem „pfiffigen“ Überraschungshit „The Young Folks“ von 2006 hätten sich die drei auf ihren Indie-Lorbeeren ausruhen und bis ans Ende ihrer Tage ähnlich klingende Songs veröffentlichen können. Aber Peter Bjorn And John „are not a real rock band“, wie es im Presseinfo heißt (und wird unter anderem damit erklärt, dass Peter ungern Brüste signiert und Bjorn schon 27 war, als er seine erste Lederjacke kaufte) und deswegen erinnert „Seaside Rock“ zu fast keinem Augenblick an den unbeschwerten Singalong-Song „The Young Folks“. „Seaside Rock“ ist ein introvertiertes, sperriges Album, über das Peter Bjorn And John sagen, dass es von den Themenkomplexen Wasser und Langeweile beeinflußt sei – also ein genuin schwedisches Album, könnten Spötter jetzt erwidern. Vor allem klingt „Seaside Rock“, als hätten es PBJ ganz allein für sich aufgenommen. Die Tracks sind fast komplett instrumental – bis auf drei Spoken-Word-Monologe oder besser Short Stories: ein Saxophonspieler, ein Großvater und eine Friseurin erzählen (auf Schwedisch natürlich) aus ihrem Leben. Musikalisch experimentieren PBJ auf hohem Niveau: „Inland Empire“ ist wie David Lynchs gleichnamiger Film eine dissonante Soundcollage (mutig: dieser Track eröffnet das Album), bei „Say Something“ und „School of Kraut“ ertönen Steeldrums und lebhafte Beats, „Needles and Pills“ könnte die Titelmelodie einer noch unentdeckten Siebzigerjahre-TV-Serie sein (inklusive eines klitzekleinen gepfiffenen Stücks aus „Needles and Pins“). Dass Peter Bjorn and John ein Händchen für perfekte Melodien und Harmonien haben, scheint auf „Seaside Rock“ immer wieder durch. Sie gönnen sich den Luxus (und das Wagnis), damit nicht hausieren zu gehen. ◊ ◊ ◊
Hot Club de Paris: Live at Dead Lake Das Quintette du Hot Club de France war das erste ausschließlich mit Saiteninstrumenten bestückte Jazzensemble, dem unter anderem der legendäre Gitarrist Django Reinhardt angehörte. Ob die Liverpooler Youngster von Hot Club de Paris Assoziationen in diese Richtung wecken möchten, kann nur gemutmaßt werden. Auf ihrem Zweitling „Live at Dead Lake“ klingen Hot Club de Paris wie schon auf ihrem Debütalbum „Drop it til it Pops“ very british und punkrockig-wavig, Paul Rafferty (Bass/Gesang), Matthew Smith (Gitarre) und Alasdair Smith (Drums) gesellen sich bruchlos zu Bands wie Maximo Park, Foals und den Arctic Monkeys. Angeblich fanden die Hot Club de Paris-Mitglieder über ihre Liebe zu den Misfits und den Minutemen zusammen, man kann aber auch Einflüsse von Orange Juice und XTC heraushören. Flirrende Gitarren, nervös-flackernde Beats, hymnische Melodien und der hinreißende britische Akzent machen Hot Club-Tracks zu einem unterhaltsamen Hörvergnügen mit hohem Sympathiefaktor. ◊ ◊ ◊
Finn.: The Best Low-Priced Heartbreakers You Can Own Patrick Zimmer alias Finn. hatte ein Konzeptalbum im Sinn, als er in einem alten Kellergemäuer unter dem Hamburger Stadtteil St. Pauli "The Best Low-Priced Heartbreakers You Can Own" einspielte. Ein Drama in fünf Akten ist „The Best...“ geworden, ein Kammerspiel des gewaltfreien Widerstands: keinerlei Elektronik wurde eingesetzt, ausnahmslos klassische Instrumente wie Geigen, Kontrabass, Pauken und Posaunen untermalen zart, zuweilen beinah unhörbar die versponnene Lyrik Zimmers und seine helle, fast körperlose Stimme. Um griechische und römische Helden geht es („Julius Caesar“ im dritten Akt), das Thema Liebe wird allem Irdischen enthoben und auf den Olymp gesetzt („For Mona“, fünfter Akt / „Olympus“), musikalisch nähert sich Finn. Sigur Rós an, orchestraler Pomp geht mit introvertiertem Lo-Fi-Folk Hand in Hand. Das alles ist schön und paßt wunderbar zur herbstlichen Depression, aber zuweilen wünscht man sich eine fiese E-Gitarre oder eine fette Bassdrum... entschuldigung, ich wollte nicht stören! ◊ ◊ ◊
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