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23. Oktober 2008
 

Woman's World

  4 Women No Cry Vol. 3
4 Women No Cry Vol. 3
Monika Enterprise
» m-enterprise.de


4 Women No Cry

Gudrun Gut, Gründungsmitglied von Malaria! und Electro-Pionierin, hat es sich mit ihrem Label Monika Enterprise zur Aufgabe gemacht, Künstlerinnen zu fördern, die wie sie selbst keine Scheu vor dem Hantieren mit technischem Gerät haben. Die mittlerweile in der dritten Ausgabe erscheinende Monika-Compilation „4 Women No Cry“ stellt folgerichtig vier Electro-Musikerinnen vor, die noch nicht populär oder nur einem kleinen Kreis Eingeweihter bekannt sind. Die Musikerinnen auf „4 Women No Cry Vol. 3“ stammen aus Pereira/Kolumbien, Los Angeles, Athen und Rio de Janeiro, was auf ein weiteres Steckenpferd von Labelchefin GG hinweist: das Reisen und damit einhergehend ein großes Interesse an der musikalischen Arbeit von Menschen, die nicht aus den üblichen Pop-Provenienzen wie Großbritannien und den USA stammen. Mit Julia Holter ist zwar eine Amerikanerin an Bord, die von asiatischer, orientalischer und mittelalterlicher Musik fasziniert ist und nur wenig Berührungspunkte mit angloamerikanischem Pop aufweist. Holter, die auch Co-Betreiberin des Labels Human Ear Music ist, spielt hauptsächlich Keytar, ein Mittelding zwischen Keyboard und Gitarre und verwendet ungewöhnliche Instrumente wie ein Clavinet oder chinesische Glöckchen. Ihre klare Stimme klingt mal spooky wie Julee Cruise, mal fest und hell wie eine Folksängerin, was besonders bei „Coyotes of the Canyon“ für irritierende, hinreißende Momente sorgt. Zugänglicher und poppiger, ohne konventionell zu sein, geht The Sound of Lucrecia vor – die Kolumbianerin Lucrecia startete ihr musikalisches Projekt vor fünf Jahren, singt spanisch und englisch und erinnert entfernt an Masha Qrella, eine der erfolgreichsten und typischsten Monika-Künstlerinnen. Lucrecias Songs sind sanft und dennoch spannungsreich, ein Track wie „Answering Machine“ verrät ihr großes kompositorisches Talent, das ihr hoffentlich ein breites Publikum beschert. Eleni Adamopoulou alias Manekinekod aus Athen genoß eine klassische Musikausbildung, arbeitete als Musiklehrerin und spielte in vielen griechischen Bands. Manekinekod beschreibt Athen als „lärmig und melancholisch“ und diese beiden Pole bilden auch das Spannungsfeld ihrer Musik: Manekinekod sammelt und samplet Geräusche, arbeitet mit Versatzstücken und Fragmenten, baut aus dem Geklapper einer Tastatur, dem Maunzen von Katzen und Gesprächsfetzen fragile Melodien, die meist von ihrem zurückhaltend gespielten Piano verbunden werden. Auch Eleni/Manekinekod reist gerne: der Titel „Room 302“ verweist auf ein Hotelzimmer, das sie in Berlin bewohnte, aus Berlin stammen auch die akustischen Fundstücke, die sie auf „B With An“ einsetzt.
Liz Christine, deren Tracks den Sampler beschließen, stammt aus Brasilien, doch Spuren von Samba, Capoeira oder Bossa Nova kann man in ihrer Musik kaum ausmachen. Sie selbst gibt Filme von Bunuel und Truffaut als größte Einflüsse auf ihre Arbeit an und tatsächlich klingen ihre Stücke wie gemacht zur Untermalung geheimnisvoller Filmbilder. Auch Liz Christine verwendet Tierstimmen (Katzen, Hunde), ihre Musik ist jedoch mehr Sound als Melodie, eher atmosphärisch als strukturell.
„4 Women No Cry“ ist eine bewußtseinserweiternde sonische Reise und beweist, dass die derzeit spannendste elektronische Musik von Frauen gemacht wird.


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  Heidelinde Weis: Der Supermann. Song Collection 1975 – 1979
Heidelinde Weis: Der Supermann. Song Collection 1975 – 1979
bureau b
» bureau-b.com


Heidelinde Weis: Der Supermann

Heidelinde wer? Das werden sich vor allem jüngere Menschen fragen, den Älteren dürfte Schauspielerin Heidelinde Weis aus Fernsehkrimis wie Der Alte, Derrick und Ein Fall für zwei noch gut im Gedächtnis sein. Neben ihren TV-Rollen stand die zierliche Österreicherin mit den großen braunen Augen und dem charakteristischen Pagenkopf häufig auf Theaterbühnen, unter anderem war sie in den siebziger Jahren bei den Salzburger Festspielen in Leonce und Lena zu sehen. Woran sich heute allerdings nur noch Spezialisten erinnern, ist Heidelinde Weis' Ausflug ins Gesangsfach: Kristian Schultze, Keyboarder bei Doldinger's Passport und vielbeschäftigter Filmkomponist, schrieb 1975 einige Jazz- und Bossa Nova-Stücke und fragte seine Freundin Heidelinde Weis, ob sie nicht auf diesen Liedern singen wolle. Weis traute sich und das Ergebnis war überraschend gut – so gut, dass das Album mit dem Deutschen Schallplattenpreis ausgezeichnet wurde. Ungewohnt lasziv hauchte und flüsterte Weis mehr als sie sang und machte aus Schultzes entspannten Bossas und angejazzten Chansons augenzwinkernde erotische Miniaturen. Lieder wie „Nimm mich einfach“ und „Heut passiert's“ sind von erstaunlicher Direktheit, ohne schlüpfrig oder ordinär zu wirken. In „Hans Emmerich“, einem kultigen Jazz-Schlager, der auch heute gerne von stilbewußten DJs aufgelegt wird, macht sich Weis über einen Herrn lustig, der sich beim Flirt in der Bar zwar äußerst forsch zeigte, in der Wohnung der Angebeteten aber verklemmt und schüchtern im Türrahmen stehen bleibt. Bei „Wann holst du mich?“ zeigen Weis und Schultze, dass sie auch auf dem Discoparkett eine gute Figur abgeben – alle Songs wurden übrigens mit der Unterstützung namhafter Jazzer wie Olaf Kübler, Curt Cress, Sigi Schwab und anderen eingespielt. Das Label bureau b hat jetzt die zwanzig schönsten Songs von Heidelinde Weis auf einer bemerkenswerten Compilation versammelt, das luxuriöse Digipak beinhaltet ein 20-seitiges Booklet, unveröffentlichte Fotos und Interviews mit Heidelinde Weis und Kristian Schultze.


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  Robyn
Robyn
Konichiwa Records
» robyn.com


Robyn

„Let me tell you how it be / You won't get with this you see / 'Cause you can't handle me“ singt die 29-jährige Schwedin Robyn auf ihrem jetzt endlich auch in Deutschland erhältlichen Album. Kann gut sein, dass Robyn „nicht leicht zu handlen“ ist, auf alle Fälle geht sie zielstrebig ihren Weg: als Siegerin verschiedener Talentwettbewerbe nimmt Robyn schon als Teenager Platten auf, ist 1997 Supportact von N'Sync. Ihre internationale Karriere will dennoch nicht recht in Fluß kommen und Robyn kauft sich aus ihrem Plattenvertrag frei, um ihr eigenes Label Konichiwa Records zu gründen. Ein ungewöhnlicher und mutiger Schritt für eine junge Künstlerin, doch das Wagnis hat sich gelohnt. Keine geringere als Madonna wird auf sie aufmerksam und lädt Robyn ein, sie im Sommer 2008 auf ihrer „Sticky & Sweet“-Tour zu begleiten. Das Publikum zeigt sich begeistert von der Schwedin mit der extravaganten Frisur – Robyn gönnt sich außerdem den Luxus, komplett bekleidet aufzutreten, ohne tiefes Dekolleté und bauchfreie Tops. Heutzutage schon ein feministisches Statement...
Robyns Musik ist augenzwinkernd und zutiefst aufrichtig zugleich: sie mixt cheesy Achtziger-Pop mit stampfenden Elektrorhythmen und Discoanleihen. Bei „Cobrastyle“ wird es wild: furios kombiniert Robyn Dancehall- und Raggaelemente und bouncende Beats, „my style is the bomb didi bom di geng di geng“ rappt sie mit sternenheller Stimme, fast so cool und streetwise wie M.I.A. Bei Songs wie „Bum Like You“ und „Be Mine“ zeigt Robyn, dass sie das Spiel mit dramatischen Posen – unterstrichen durch Violine und Piano – genauso beherrscht wie den charmanten Flirt mit Retrostilen: man achte auf den Drumcomputer bei „With Every Heartbeat“ und die Hommage an Sister Sledge's Discoklassiker „Lost in Music“, „Who's That Girl“. Robyn ist die perfekte Mischung aus Kylie Minogue und Peaches – und läßt Madonna ganz schön alt aussehen.


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  Monotekktoni: Different Steps to Stumble
Monotekktoni:
Different Steps to Stumble

Sinnbus Records
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Monotekktoni: Different Steps to Stumble

Kompliziert seien ihre Platten, vertrackt bis zur Unhörbarkeit – solche Aussagen liest man häufig über Tonia Reeh alias Monotekktoni. Und tatsächlich, die Musik der Berlinerin die kratzt, beißt und tritt, gefällig geht anders. Die Tochter eines Opernsängerpaars und ehemaliges Mitglied der Band Das Zuckende Vakuum, ist eine Agitatorin, eine moderne Protestsängerin oder besser -shouterin, die bei Demos, Benefizveranstaltungen und überall dort auftritt, wo kreative Räume in Gefahr sind. Monotekktoni ist ein zorniges Ein-Frau-Projekt, unmittelbar und in-your-face; Monotekktoni distanziert sich nicht, sie ist leidenschaftlich, bis es schmerzt. Live und auf Platte verwendet sie keine Computersounds, spielt alle Tracks mit ihrem alten Synthesizer oder auf dem Piano ein, immer mit „dem Verzerrerrauschen als liebste Melodie“. Die Lyrics wie Slogans durch ein Megaphon gebrüllt oder – Überraschung! - mit souliger, operngeschulter, voluminöser Stimme vorgetragen, die man der zierlichen Toni nicht unbedingt zutraut. Auch auf ihrem vierten Album „Different Steps to Stumble“ ist Monotekktoni meilenweit vom vorhersehbaren, für Berlin so typisch gewordenen Electroclash entfernt: Die ersten drei Tracks des Albums gehören zum Zugänglichsten, was Toni je aufgenommen hat, aber Vorsicht, Ecken, Kanten und Stachel gibt es immer noch. Der Opener „Where's the Hole“ basiert auf einem nervösen, hyperaktiven Beat, unterbrochen von leichtfüßigem Klaviergeplinker; dazu stellt Toni passende Fragen zum Zeitgeist: „why do you have to be poor to be rich in mind / why do you have to be sad to see the beauty inside?“ Bei „Your Colour Was not Strong Enough“ trifft ein dramatisches Piano auf hymnische Gesangseinlagen, „Chinese Afterburner“ bratzt und rockt, ungestüm und doch kontrolliert, wie einst DAF: mit viel Hall auf der Stimme verbreitet Toni Operetten-Hysterie, überwältigend und umwerfend. „Stupid Girl“ und „Häßlichent“ hinterfragen mediale Schönheitsideale nicht nur, nein, sie zerschreddern Vorurteile und stampfen sie in Grund und Boden. Monotekktoni ist eine mutige Dekonstruktivistin, die die Mauern der Dummheit sprengt.


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  Kiki Bohemia: All the Beautiful
Kiki Bohemia:
All the Beautiful

Matrosenblau
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Kiki Bohemia: All the Beautiful

Alice Prin alias Kiki de Montparnasse war während der 1920er Jahre die geheimnisumwobene Muse Pariser Bohèmekünstler wie Man Ray und vielen anderen. Ob Kiki de Montparnasse Vorbild für Karla Wenzels künstlerisches Alter Ego war, muß Spekulation bleiben: die knapp dreißigjährige Berliner Musikerin Kiki Bohemia ist eine One-Woman-Show, ausgestattet mit Akkordeon, Dictaphon, Stylophon, Sequenzern und ihrem Lieblingsinstrument, der Phillicorda-Orgel. Doch was Kiki Bohemias Musik so unverwechselbar macht, ist Frau Wenzels charakteristische rauchige Stimme, die die elektronischen Miniaturen zu atmosphärischen Shantys und wehmütigen Chansons verzaubert. Kiki Bohemia, die eigentlich Tänzerin werden wollte, von ihrem Körper aber Grenzen gesetzt bekam und sich deshalb dem Musikmachen verschrieb, verfremdet Tango- und Walzerrhythmen, samplet Elektrobeats und mischt all das mit klassisch anmutenden Violin- und Pianoparts, bis es sich anhört, als träfe sich Emily the Strange mit Anne Sophie Mutter auf einem verspukten Dachboden. Auf Kiki Bohemias Debütalbum „All the Beautiful“ verschmelzen Epochen und Stile zu einem geheimnsivollen und ungemein hinreissenden Gesamtkunstwerk: ob sie in „Spider Blues“ von ihrem „itsy-bitsy Spiderman“ singt oder in der lasziven Ballade „Cursed“ entrückt immer wieder haucht, „you touched my skin“, Kiki Bohemia macht Musik für die Kinder der Nacht, ganz gleich, in welchem Jahrhundert man sich gerade befindet.


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