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FSK im Festsaal Kreuzberg Kurz nach neun, Festsaal Kreuzberg. Alle Konzertlokationen, die den Bestandteil „Fest“ im Namen haben, scheinen auch eine Empore zu besitzen, die Festhalle Frankfurt z.B. umfasst meine Stichprobe. Hier ist zwar die Hälfte der Balustrade, vermutlich wegen Einsturzgefahr, abgesperrt, trotzdem handelt es sich aber um einen sehr repräsentativen, mondänen, schnuckeligen Konzertsaal mit Charme, ein Festsaal halt. Es läuft irgendwas von Killing Joke aus den 80ern - das erklärt mir der Mann am Mischpult, den ich frage, da ich dachte das Stück sei von Chrome, mir aber nicht sicher war. Das lässt einem ja dann häufig keine Ruhe. Der Mixer findet Chrome im übrigen „as good as Killing Joke“. Im Vorprogramm spielt Doc Schoko, ein durchaus sympathischer Gitarrenschrammler, der aussieht wie Mick Hucknall ohne Locken nach einem Griff in die Steckdose. Er spielt alleine und klingt zumindest am Anfang wie Tocotronic ohne Bass und Schlagzeug. Mir erschließt sich allerdings häufig generell nicht, warum Leute mit bratzigem E-Gitarrensound sich nicht noch schnell zwei Kumpels für Bass und Schlagzeug mit dazu holen. Das klingt besser, alleine spielen ist bei Akustikgitarre oder zumindest klaren Gitarrensounds schön, Niels Frevert auf seiner letzten Tour war ein gelungenes Beispiel für diese These. Hier aber hört man ein Gitarrensound, der irgendwie „Stuck in the middle“ ist – da gäbe es Optimierungspotenzial beim Doc. Auch die Texte wie „Kleiner Frosch, der zum Mond hüpft“ bewegen nicht unbedingt das Ohr des textinteressierten Musikhörers. Kurzum, nach einer halben Stunde schadet es nicht, wenn so langsam an die Hauptband, den Topact, gedacht wird. Bei FSK denke ich irgendwie an Country und natürlich an Thomas Meinecke, Pop-Literat, Kulturforscher und Mitglied von FSK. Gediegen fängt es an, mit einem Lied über den Disco-Star Sylvester („You make me feel“), wobei zunächst die schönen Instrumente, insbesondere natürlich der Beatles-Höfner-Bass ins Auge fallen. Aber die Instrumente sehen nicht nur gut aus, das wird ja sonst auch mehr auf die Musiker bezogen, sie klingen auch gut. Die Gitarre spielt dezent aber punktgenau und groovy, die Lieder haben tolle Titel wie „Aeropuerto Internacional Maria Montez“. Statt es erwarteten country-esquen Abend spielen FSK Disco. Mit der sonst im Country angesiedelten Pedal-steel-guitar wird wirklich Disco-Music gespielt und auch Drum-pads werden clever eingesetzt. Ich weiß gar nicht, wer sowas heute noch verwendet? Ich erinnere mich nur an Saga bei „Rock-Pop in Concert“ irgendwann in den frühen 80ern... Nach einigen neuen Stücken wechseln auch FSK alsbald in die 80er. In klassischem Munich-Disco-Sound werden einige Lieder neu arrangiert. Nach eigener Aussage traut sich FSK das heute, früher wäre das nicht opportun gewesen. Aber Disco ist heute auch bei einem angegrauten Indie-Publikum nicht schlimm, was man an den wippenden Körpern sieht. Funky endet der Set, bevor Technobeats den Zugabenblock eröffnen. „Moderne Welt“ aus dem Frühjahr 1980 ist das vorletzte Stück. Im Frühjahr 1980 war ich erstmals in Berlin, auf Klassenfahrt zum Abschluss der Mittelstufe, erinnere ich mich, das war noch, bevor Herr Lehmann kam, unglaublich. Der Leser fragt sich sicherlich, woher weiß der Autor das denn alles, wo er doch vorher behauptet hat, keine Musik von FSK zu kennen. Nun, Tomas Meinecke gibt zu jedem Lied ausführliche, verbale Liner-Notes, so dass man bestens informiert wird. Aber nicht nur bestens informiert auch bestens unterhalten wird das sehr zufrieden wirkende Publikum, was auch für den Autor gilt. Unter F sind in meiner Plattensammlung seit dem Abend in jedem Fall auch 0,6 cm mit der neuen FSK belegt.
Gallon Drunk im Café Zapata Am nächsten Abend zwar etwas müde, aber voller Tatendrang. Rumpelliger Blues-Punk ist heute die Erwartungshaltung. Das Café Zapata liegt in Berlin Mitte in der Oranienburger Straße, der neuen Touristenmeile. Pub-Crawling auf den Gaststätten-Werbetafeln und junge Damen in Skianzügen auf hochhackigen weißen Stiefeln, die offensiv ihre Dienstleitungen anbieten, begleiten den Konzertgänger auf seinem Weg zum Ort des Geschehens. Es handelt sich um ein gewölbeartig gestaltetes Etablissement, etwas düster und nicht so gemütlich wie der Festsaal, Café passt aber auch nicht. Ohne Vorprogamm legen Gallon Drunk gegen halb elf los. Dünne Männer in gut sitzenden grauen Anzügen* und Westernhemden machen filigranen Krach. Mit einer übersteuerten Gitarre, die ohne Hände nur durch Körperbewegungen zum Feedback gebracht wird geht es los. Ein durch einen Verzerrer gejagter Bass steigt ein und prügelt in exzessiver Weise bei diesem Stück und auch für den Rest des Abends durch. Auch beim Schlagzeuger muss man von Prügeln beim Umgang mit seinem Instrument sprechen, dies allerdings in einer sehr versierten, differenzierten Art und Weise. Vierter im Bunde ist ein Saxofonspieler, der vom Jazz zu kommen scheint und wie Blurt klingt. Dynamik und Tempo werden im Konzert kaum merklich gedrosselt und der Schweiß fließt bei Band und Publikum. Der Sänger kniet vor seinem Amp, hantiert mit Mikroständer vorne beim Publikum oder liegt auf dem Rücken - die Anzüge sitzen aber nach wie vor perfekt. Möchte man einen Vergleich strapazieren, so muss man Nick Cave nennen, dem der Sänger auch in Aussehen und Gestik nicht unähnlich ist, allerdings eher der frühe oder wenn man will der späte Nick Cave. Textlich ist natürlich nichts zu verstehen und auch die Kommunikationsfreude von Gallon Drunk ist nicht mit FSK zu vergleichen. Eigentlich heißt es nur einmal kurz vor Schluss: „Mic is broken“, was dann auch die Techniker in Bewegung bringt. Aber das alles spielt bei einem solchen Konzert natürlich keine Rolle. Energie und Wildheit stehen im Vordergrund und springen auf das zuckende Publikum über. Dazu passt auch schön der im Café Zapata an der Decke hängende Flammenwerfer, der ab und an Feuer spuckt. Die Lautstärke nimmt weiter zu, will nicht sagen „bis das Blut aus den Ohren läuft“, aber Ohrstöpsel wären heute nicht schlecht gewesen. Kurz vor zwölf ist Schluss, Gallon Drunk völlig ausgepowert und auch dieses Publikum inklusive des Berichterstatters zufrieden. Noch ein Bier in der Kneipe nebenan und dann irgendwie vorbei an den Damen mit den Skijacken zurück zur S-Bahn. * Beweis: Grauer Anzug geht immer, |
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