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18. November 2008
 

Sampler im November

  Pop Portrait Tocotronic
Pop Portrait: Tocotronic
Pias


Pop Portrait: Tocotronic

“Was ist Musik?” fragt Justus Köhncke zum Einstieg in das von Tocotronic zusammengestellte “Pop Portrait”, auf dem sie anhand von siebzehn Tracks zeigen, wie sie wurden, was sie sind. Beziehungsweise durch wen, wer sie beeinflußt hat und was sie heutzutage mögen: Sonic Youth scheinen da nur plausibel (“Schizophrenia”), auch über Magnetic Fields mit “Washington DC”, The Fall (“My New House”) und Aheads' “Minuteman” freut man sich sehr – dass Tocotronic aber nicht nur aus dem bewährten Indie-Gitarrenrock-Pool schöpfen, zeigen sie durch ihre Auswahl von Obskuritäten wie Klaus Beyers “Ballade von Struppi”, “Liebeswehen” der Krautrockband Faust und die ewig übersehenen Mutter mit “Ich Weiß Ja Wer Du Bist”. Die Tocos zollen Geistesverwandten wie JaKönigJa und aktuellen Acts wie Animal Collective ihren Respekt und spielen sich am Ende auch mal selbst: mit “Muzik” klingt das so stilvoll wie kühn kompilierte Toco-Mixtape aus, das man immer wieder gern auflegen wird.


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  Müssen alle mit. Vol. 5
Müssen alle mit. Vol. 5
Tapete
» tapeterecords.de

Ende November schickt Tapete die auf dem Sampler vertretenen Bands Samba und Delbo auf „Müssen alle mit“-Tour: Stationen sind unter anderem Berlin, Leipzig und Hamburg.


Müssen alle mit. Vol. 5

Das Cover der mittlerweile fünften „Müssen alle mit“-Compilation weckt unschöne Erinnerungen an Urlaubsreisen mit den Eltern, als die große Fahrt nach Benidorm, Rimini oder an die Kieler Bucht mit einem endlosen Stau begann. Man langweilte sich furchtbar, mußte aufs Klo und konnte nicht, aus dem Autoradio dudelten Roland Kaiser und Udo Jürgens. Die zwanzig Songs, die Dirk Darmstädters Label Tapete für „Müssen alle mit“ ausgesucht hat, sind hingegen alles andere als langweilig: mit Superpunks tragikomischem Altherrenbekenntnis „Ja, ich bereue alles“ geht es los, Frank Spilker meint danach, „Es sieht gut aus“, die wütend-geniale Band Ja, Panik aus Wien ist mit ihrem großartigen „Marathon“ ebenso vertreten wie die Youngster 1000 Robota. Außerdem dabei: Aktuelle Songs von PeterLicht, Die Türen, Gysbert zu Knyphausen, Tocotronic, Fotos, Wolke, Bratze, Niels Frevert... Schon die kurze Aufzählung verrät, dass Tapete nicht nur labeleigene Acts versammelt, sondern Platz für interessante Bands mit Schwerpunkt Gitarrensound aus deutschen Landen bieten will, egal bei welcher Plattenfirma sie erscheinen. Kleiner Wermutstropfen: nicht ein einziges musizierendes Mädchen durfte mit aufs Album – vielleicht klappt das ja beim nächsten Mal, damit das Wort „alle“ auch seine Berechtigung hat.


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   Kalk Seeds. Karaoke Kalk Compilation No. 2
Kalk Seeds. Karaoke Kalk Compilation No. 2
Karaoke Kalk
» karaokekalk.de


Kalk Seeds. Karaoke Kalk Compilation No. 2

Schlicht und schön – das azurblaue Cover bereitet perfekt auf den Inhalt der zweiten Karaoke Kalk-Werkschau vor. Siebzehn aktuelle Tracks von Bands und Künstlern wie Donna Regina, Omo, Pluramon, Hauschka, Max Rouen und Wechsel Garland sind drauf, die die ganze Palette des Kalk'schen Oevres aufzeigen: von sanfter Electronica über alternativen Country (Poto & Cabengo) bis hin zu dezent tanzbaren Rhythmen (Pascal Schäfers “l'homme oiseau”) und etwas knackigeren technoiden Beats (Roman, “Gridwalk”). Manchmal wird es sogar richtig lustig: Malucos Version von Boris Bukowskis “Kokain” schlingert so windschief wie ein abgehalfterter Schlagersänger vor einem sedierten Festzeltpublikum. Überraschungen wie Maluco konstrastieren wunderbar mit den ansonsten so stilsicheren Variationen in Karaoke-Kalk-Elektronik.


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  Secret Love 5. Compiled by Jazzanova
Secret Love 5.
Compiled by Jazzanova

sonar Kollektiv
» jazzanova.net
» sonarkollektiv.com


Secret Love 5. Compiled by Jazzanova

Jazzanova sind derzeit in aller Munde: mit ihrem aktuellen Album “Of All The Things” feiert das Berliner Musiker- und Remixerkollektiv große Erfolge bei Fans und Kritikern. Dass die Jungs von Jazzanova nicht nur selbst tolle Musik machen, sondern auch über exzeptionellen Geschmack und beeindruckene up-to-date-Plattensammlungen verfügen, beweisen sie seit einigen Jahren mit ihren für Sonar kompilierten “Secret Love”-Samplern: der Schwerpunkt liegt meist auf Modern Folk, angereichert mit Elektronika und Loungeelementen. Der mittlerweile fünfte Jazzanova-Sampler kann sich erneut sehen und hören lassen: Woolfy, Pop Levi, Quiet Village, Leslie Feist (als Gastsängerin der Band Rubies), Recloose & Joe Dukie sind nur eine kleine Auswahl aus der smoothen, lässigen und für kühle Herbstabende wie geschaffene Mixtur.


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  Sleepwalk. A Selection by Optimo
Sleepwalk. A Selection by Optimo
Espacio/Domino
» optimo.co.uk
» myspace


Sleepwalk. A Selection by Optimo

Der Glasgower Club Optimo (Espacio) ist keine gewöhnliche Disco. Zum Beispiel werden keine externen DJs gebucht, das Programm wird ausschließlich von den Residents DJ Twitch und Wilkes bestritten, um die Exklusivität zu wahren. Die bei Domino erschienene Club-Compilation”Sleepwalk” unterstreicht dem ambitionierten Ansatz der Optimo-Leute: Elektro- und Experimental-Acts wie Nurse With Wound, Chris and Cosey, Coil, Cluster, Tuxedomoon, Eno/Moebius and Roedelius und legendäre Jazzer wie Duke Ellington bringen weniger die bootys zum shaken als Gehirne in heavy rotation. Weil DJ Twitch und Wilkes bei aller Kopflastigkeit auch Spaß verstehen und wollen, dass das Publikum diesen auch hat, gibt es mit Wall of Voodoos epochaler “Ring of Fire”-Coverversion, Arthur Russells Folk-House-Track “This Is How We Walk On the Moon”, Lee Hazelwoods gruftiger Version von “Whole Lotta Shakin' Goin' On” und der Nitty Gritty Dirt Band (!) jede Menge Abwechslung und doch mal die Gelegenheit zum Tanzen...


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  Palermo Shooting (OST)
Palermo Shooting (OST)
CitySlang/Universal
» cityslang.com


Palermo Shooting

Ob es eine gute Entscheidung von Wim Wenders war, die Hauptrolle seines aktuellen Films “Palermo Shooting” ausgerechnet an Andreas Frege alias Campino zu vergeben, muß noch nachgeprüft werden. Campino spielt in dem “romantischen Thriller” den Fotografen Finn, der bei allem, was er tut, Musik hört – so weit, so unoriginell, aber jetzt ist auch schon Schluß mit dem Geunke, denn der Soundtrack zu “Palermo Shooting” ist Wenders-typisch geschmackvoll und überraschend gut gemischt: Grinderman eröffnen den 21-Song-Reigen mit “Dream (Song for Finn)” und klingen ein ganz klein bißchen wie U2 (sorry, Nick!!), darauf folgen jüngere und ältere musikalische Wunderkinder wie Get Well Soon, Portishead, Iron & Wine, Krautrock-Legende Irmin Schmidt (Can, Kumo), Bonnie Prince Billy, Calexico, Velvet Underground, Monta, Beth Gibbon & Rustin Man und viele mehr. Der Schwerpunkt liegt auf der getragenen, schwermütigen Ballade, hier und da akzentuiert durch Lebhafteres von Beirut und dem italienischen Musiker Fabrizio de André. Falls der Film blöd sein sollte: Augen zu und einfach der Musik zuhören.


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  Sprechen Sie Pop?
Sprechen Sie Pop?
Bureau B
» bureau-b.com


Sprechen Sie Pop?

Im vergangenen Jahr fragte das Label Bureau B per CD “Parlez vous Pop?”: auf diesem Sampler befanden sich sehr charmante (und auch hinreißend ungelenke) französische Songs, gesungen von Nicht-Franzosen. Jetzt dreht Bureau B die Fragestellung um und versammelt achtzehn deutsche Stücke, die – Überraschung! - von französischen Stars dargeboten werden. Der Focus liegt auf Schlagern der sechziger Jahre wie Graham Bonneys Gassenhauer “Das Girl mit dem La-La-La” und echten Hits wie Elisa Gabbais “Winter in Kanada”, das 1966 unsere Eltern zum Kuscheln vor den Kamin schickte. Vieles wirkt, nun ja, seltsam, manches übersteigt die Grenze des Erträglichen, Adamo (ein an und für sich grundsympathischer “Schlagerbarde”, so hätte man damals gesagt) mit seinem konsumkritischen Lied “Zeit ist Geld” wirkt für heutige Ohren eher rührend-niedlich als aufrüttelnd und der ewig junge Popstar France Gall hatte wesentlich coolere Songs zu bieten als den “These Boots Are Made For Walking”-Rip off namens “Wassermann und Fisch”, der auf “Sprechen Sie Pop?” gelandet ist. Die Grande Dame des französischen Chanson, Juliette Gréco, verströmt mit “Die Gammlerin” weniger Grandezza als beabsichtigt und das morbide “Wenn schon sterben dann sterben” von einer gewissen Barbara dürfte in Emo-Gruft-Discos zu verdienter Würdigung gelangen. “Sprechen Sie Pop?” ist insgesamt eher als Kuriositätenkabinett zu verstehen denn als witzige Partyuntermalung.


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  The Fabelhafte Weekender Compilation 2008
» weekenderrecords.de

The Fabelhafte Weekender Compilation 2008

Das noch junge Label Weekender Records Germany (2007 gegründet) unterstreicht mit dieser schmissigen Compilation seine Shooting Star-Position im Bereich Indie-Gitarrenpop und -rock: Starbands wie Eight Legs und Chikinki gehören zum Weekender-Roster wie die noch sehr jungen Wilden von Look See Proof und der schwedische Singer/Songwriter Kristoffer Ragnstam. Dogs mit “This Stone Is A Bullet” definieren Pub- und eleganteren Modrock á la the Jam neu, das Duo The Indelicates überzeugt mit poetischen Texten und dramatischem Arrangement (“America”), The Precious Mings (Nebenprojekt des Chikinki-Keyboarders) steuern den very british-zynischen Song “Quack Horse” bei und The Sugars beenden die abwechslungsreiche Compilation mit gruselig-witzigen Rock'n'Roll (“Monsters”).


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