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16. Dezember 2008
Robert Mießner
für satt.org

Christinenstraßenblues

André Greiner-Pol ist tot. Seine Musik war ein raues Fest und keine stille Einkehr. Er hätte Rock 'n' Roll dazu gesagt.

  André Greiner-Pol
André Greiner-Pol
(*1952 †2008)

Foto © Freygang

Die Lieder des Vaters standen im Schulbuch für Musik, Verlag Volk und Wissen, Ost-Berlin. Die seines Sohnes landeten auf dem Index. Kurt Greiner-Pol leitete das Ensemble der Nationalen Volksarmee Erich Weinert. Der Sohn André Greiner-Pol fuhr Wolga und Schwarztaxi. IM war er auch. Die Tür zu seiner Wohnung Ecke Christinen-/ Zionskirchstraße erinnerte an eine Berliner Freistil-Litfasssäule, übersät mit Aufklebern und Nachrichten von Besuchern. Im Herbst 1989 stand ich in der ersten Hofpause davor, wollte nach einer Kassette fragen und habe mich nicht getraut. Künstler stört man nicht frühmorgens um halb zehn, dachte ich mir. Hätte ich mal geklingelt. André Greiner-Pol war Individualanarchist, der die Leute aus der Vereinzelung reißen wollte. Das Mittel dazu war die Musik. Seine Band Freygang spielte Blues für Punks und Punk für Blueser. 1977 war Greiner-Pol bereits Mittzwanziger. Gitarrensolos und Songs über drei Minuten waren bei ihm nicht tabu, sondern schöne Regelmäßigkeit. Freygang vertonten Rainer Maria Rilkes »König«. Nur, dass sie daraus kein Weihespiel machten, sondern einen böse funkelnden Black-Sabbath-Brillanten. Sie waren mit Die Firma und Ichfunktion Teil eines subversiven Dreigestirns, das für Lust und Übertretung, Politik und Provokation stand. Freygang-Konzerte waren kein Hochamt, sie waren Bacchanal. Wer den Osten für grau und prüde hält, muss noch mal zur Umschulung.

Vor Freygang wurde gewarnt. Höchstamtlich sogar: 1983 schickte der Magistrat von Berlin ein Rundschreiben an alle Polizeidienststellen der DDR, um ein verhängtes Spielverbot umzusetzen. 1986, die Band durfte wieder Konzerte geben, wurde es sehr ernst. Vom damaligen Stadtamtsleiter für Kultur ist der Satz überliefert: »Sie, Herr Greiner-Pol, werden die Bühnen unseres Landes nie wieder betreten«. Greiner-Pol war von der Bühne weg verhaftet, wegen obszöner Äußerungen und Belästigung des Publikums, wegen Widerstand gegen polizeiliche Maßnahmen und Störung des sozialistischen Zusammenlebens ein Strafverfahren angestrengt worden. Verteidiger Gregor Gysi konnte den Knast, nicht aber das Auftrittsverbot auf Lebenszeit verhindern. Ein Versteckspiel unter Pseudonymen begann. Greiner-Pol spielte bei Die Firma. Ihr Konzert mit Element Of Crime in der Zionskirche im Herbst 1987 wurde von Rechtsradikalen überfallen. Als OK brachen Freygang in die Sowjetunion auf und schafften 1987/88, was einem heute auch niemand mehr glauben wird: Sie spielten zwei Wochen an der Erdgastrasse im Ural. Sie konnten sogar ihre Identität offen legen. Im Ausreisesommer 1989 dann scherte sich kein Amtsschimmel mehr um Dekrete und Verbote.

Greiner-Pol und Freygang waren im Osten Opponenten. Sie sollten es auch im Westen bleiben. 1990 besetzten sie mit Freunden ein Haus in der Rosenthaler Straße, dort wo heute die Neue Mitte merkantil verblödet. Eimer tauften sie das Refugium und nahmen dort später »Die letzten Tage von Pompeji« auf, das letzte Ostvinyl. Es gibt Menschen, die haben im Eimer mehr gelernt als in zehn Klassen Polytechnischer Oberschule. Freygang waren beim Tacheles mit dabei. Sie protestierten gegen Golfkrieg und Wiedervereinigung, traten im Berliner Ensemble in Thomas Heises Inszenierung von Bertold Brechts »Der Brotladen« auf. Mehrere Platten und eine Autobiografie folgten. Man konnte André Greiner-Pol in Berlin eigentlich ganz unkompliziert über den Weg laufen. Am Sparkassenautomaten oder beim Pere-Ubu-Konzert. Ganz sicher in seiner Stammkneipe Ecke Christinen- / Torstraße, wo er dreinschaute wie eine Mischung aus Pirat und Schelm. Irgendwie war er wohl beides. Der Stuhl wird jetzt leer bleiben. In der Nacht zum Montag ist André Greiner-Pol in Berlin einem Herzinfarkt erlegen. Er wurde 56 Jahre alt.



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