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„Wer hat an der Uhr gedreht, ist es wirklich schon so spät?“ Ja ja, wer jetzt kein Geschenk hat, der findet keines mehr, oder was wollte Rilke mit seinem Gedicht anderes ausdrücken als die Not des in die Welt geworfenen Geschenkesuchers... die Zeit drängt, es wird ernst: was jetzt noch geshoppt wird, muß geschickt zwischen den Polen „last minute“ und „Nummer sicher“ ausgependelt sein.
Wigald Boning: Jet Set Jazz
Schier unmöglich, über Wigald Boning zu schreiben, ohne Olli „Dittsche“ Dittrich zu erwähnen. Zu eng sind die beiden miteinander verstrickt, seit sie 1995 als „Die Doofen“ die Menschheit mit Kalauerhits wie „Mief“ erfreuten. Dittrich und Boning waren aber auch schon vor den Doofen ein kreatives Gespann: Dittrich produzierte Bonings erste musikalische Gehversuche wie die „Langspielplatte“ (1989), Anfang der neunziger Jahre gehörten beide mit Anke Engelke und Bastian Pastewka zur Stammbesetzung der Comedyshow „RTL Samstag Nacht“. Musik und Komik gehen bei Wigald Boning und Olli Dittrich eine fast untrennbare Symbiose ein – so gesehen ist Dittrichs aktuelles Soloalbum „Elf Richtige“ mit lauter no kiddin'-Songwriterstücken ein echtes Wagnis. Wigald Boning hingegen braucht nicht zu befürchten, dass seine Instrumentalplatte „Jet Set Jazz“ floppen könnte: vom Cover über den Albumtitel (eine Anspielung auf Dave Pikes Standardwerk „Jazz for the Jet Set“) bis zum Tracklisting balanciert Boning gewieft und schlitzohrig zwischen Ironie und ernstgemeintem Jazz, verschmilzt Easy Listening-Melodien mit „ahaaa-haa“-Chorgesang und Bigband-Sound mit Elektrogeknarze. Der Einstieg mit dem atmosphärischen „London“ ist mehr als gelungen, der wiegende „Waltz“ kontrastiert mit dem hypnotisch-treibenden „Kobra Dance“; „Avalanche“ und „Modern Talking“ experimentieren unternehmunglustig mit Elektro. Boning spielt auf „Jet Set Jazz“ sämtliche Blasinstrumente (Flöte, Tuba, Trompete), sein guter Freund Roberto di Gioia (Marsmobil) brilliert an Piano und Geige, als Gastsängerinnen wurden Martine-Nicole Rojina (ebenfalls Marsmobil) und Alexa de Puivert (französisches Topmodel) eingeladen. Produziert wurde „Jet Set Jazz“ von di Gioia und Christian Prommer (Drum Lessons, Trüby Trio), die eine offensichtlich perfekte Arbeitsgemeinschaft bildeten. Boning wünschte sich, dass „Jet Set Jazz“ möglichst „oft und verschleißarm“ und vornehmlich im Auto gehört werden kann – ein seltsamer Wunsch aus dem Mund eines Musikers, aber schließlich hat Boning auch mal eine Single über das „Moorhuhn“-Spiel veröffentlicht...
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Tom Jones: 24 Hours S-Curve/EMI
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Tom Jones: 24 Hours
Nein, wir werden an dieser Stelle keine Witze über des „Tigers“ Brust- und ondulierte Kopfhaare machen, auch nicht über sein immer leicht prolliges Machogehabe, das Eric Pfeil in der FAZ mit dem Auftritt eines Box-Promoters verglich. Für „24 Hours“ muss sich niemand schämen, weder der 68-jährige Tom Jones selbst noch diejenigen, die das Album unter den Weihnachtsbaum legen: Jones' donnerndes Organ fegt mit dem Opener „I'm Alive“, einer Komposition von Tommy James, erstmal den Weg frei. In der frischgeschlagenen Schneise perlen in herrlich altmodische Arrangements verpackte arrangierte Soul- und Popsongs wie „If He Should Ever Leave You“, „We Got Love“, die klingen, als schrieben wir das Jahr 1965 und der Film „What's New, Pussycat?“ sei gerade erst angelaufen. Bei „Feels Like Music“ und „Give A Little Love“ dürfen die Hüften geschwungen werden, fast meint man, Amy Winehouse und Duffy im Backgroundchor singen zu hören... Tom Jones kann über den derzeit angesagten Neo-Retro-Soul natürlich nur (donnernd) lachen: macht er diese Musik doch schon seit ungefähr 50 Jahren, als Amys und Duffys Omas noch kreischende Teenies in seinem Publikum waren. „The Road“ und „Seasons“ sind nachdenkliche, opulent instrumentierte Schnulzen übers Älterwerden und das Leben an sich, im Titeltrack begegnet Jones gar dem Schöpfer an der Himmelspforte. Bei „Sugar Daddy“ (geschrieben von Bono!) läuft Jones zur Hochform auf, protzt und prollt über „sexual ambition“ und macht sich über jugendliche Nebenbuhler lustig - ein lüsterner Knaller vom Schlage „Sex Bomb“, trotz Bonos Urheberschaft. „24 Hours“ ist überheblich, überschwänglich, trägt immer ein bißchen zu dick auf und macht richtig Spaß – nicht zuletzt wegen des hidden tracks, in dem Jones zu baßlastigem Discogroove „take me back to the party“ brüllt. Okay, Sugardaddy, schlafen kannst du, wenn du tot bist!
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Kingsley Amis: Anständig trinken Rogner & Bernhard übersetzt von Joachim Bessing, Illustrationen von Eugen Egner Geb., 137 S., 15,90 €
» rogner-bernhard.de
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Kingsley Amis: Anständig trinken
„On Drink“, Originalausgabe des unverzichtbaren Standardwerks von Kingsley Amis, erschien bereits 1972, weshalb manche Tipps und Weisheiten in „Anständig trinken“ möglicherweise ein wenig nostalgisch klingen. Dennoch ist Amis' Werk von bestechender Zeitlosigkeit und gerade zur Weihnachtszeit höchst aktuell. Amis (übrigens Vater des Schriftstellers Martin Amis) räumt mit vielen Vorurteilen rund ums Thema Alkohol auf, wobei eins immer klar ist: es muß getrunken werden und zwar so viel wie möglich. Für bedauernswerte Zeitgenossen, die „einfach nur nichts vom Trinken verstehen“, hält Amis „UGs“ - unumstößliche Grundsätze - bereit wie diesen, dass bei drohender Alkoholknappheit die Maxime „Quantität vor Qualität“ gilt, also lieber zwei Gläser mittelprächtigen Fusels abschütten als nur eins vom Jahrgangswein. Überhaupt sind Amis' Betrachtungen rund um den Wein wahnsinnig komisch; in drei Kapiteln seziert er genüßlich sogenanntes „Kenner“-Geschwätz: „Wer von zerklüfteten Bouquets und so weiter faselt, wird von echten Weinkennern noch herzhafter und fundierter verachtet als vom kleinen Mann in der Kneipe.“ Essenzieller ist Punkt 6 der Servierliste: „Suchen Sie den Korkenzieher“. Neben bissigen, bösen und very britishen Bonmots befinden sich in „Anständig trinken“ auch viele nützliche Notizen, zum Beispiel Rezepte für ordentliche Drinks, die so heißen wie Teenager-Tänze der sechziger Jahre (Lucky Jims, Dizzy Lizzys, Salty Dog) oder Tipps, wie man sich für langwierige Gelage wappnet (siehe Kapitel „Möglichst lange nüchtern bleiben“). Da Amis sich in dem Metier, über das er schrieb, gut auskannte, kann man seinen Auslassungen über die verschiedenen Erscheinungsformen des Katers („physischer“ und „metaphysischer Kater“) und die Bewältigung derselben vorbehaltlos vertrauen. Dieser schmale Band – von Eugen Egner mit stimmungsvollen Kulikritzeleien verziert – sollte auf keinem Gabentisch fehlen. In diesem Sinne: satt.org wünscht ein feuchtfröhliches Fest!
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