Patti Smith in München
Patti Smith traf Christoph Schlingensief und Adrian Brendel am 14./15.12.08 im Haus der Kunst in München
Mich interessiert Pop- und Rockmusik nicht mehr. Statt dessen Free Jazz, Improvisation, diverses Experimentelles, Neue Musik. Gelegentlich klassisches, amerikanisches Songwriting. Da allerdings lässt es sich nicht immer ganz vermeiden mit Pop und Rock in Berührung zu kommen. Es traf sich gut: Auch Patti Smith war gerade nicht in der Rockszene zu finden, sondern in München zum Gespräch mit dem Regisseur Christoph Schlingensief und dem Leiter des Haus der Kunst Chris Dercon im Kontext der Ausstellung "Spuren des Geistigen". Dort ist sie derzeit auch als bildende Künstlerin vertreten. Und war im Konzert mit dem Cellisten Adrian Brendel zu erleben.
Es ist eine Weile her, dass ich mir Musik von Patti Smith angehört hatte. Ihre kraftvollen Songs hatten mir in früheren Jahren etwas bedeutet. Sie selber lebte nach den Erfolgen ihrer Anfangsjahre zu Punkzeiten, begonnen mit vom John Cale produzierten Album "Horses", dann eine ganze Weile zurückgezogen. Musste den zu frühen Tod von Freunden wie Robert Mapplethorpe oder ihres Ehemannes Fred „Sonic“ Smith verkraften. Ihre letzte Veröffentlichung ist das 2007 erschienene Cover-Album "Twelve".
Bei dem Gespräch im Haus der Kunst, dem Rockjargon nahe und nicht komplizierten Intellektualismen, redete sich Patti Smith in Bühnenpräsenz. Sie erzählte vom Sturm, in den sie beim Aufenthalt bei den Bayreuther Festspielen geriet, über die sie für die Zeit berichtete und wo sie Schlingensief, der dort Regie führte, kennenlernte. Plauderte über Banales wie das rote Gitarrenschulterband, das das Berliner Filmfest ihr schenkte, genauso wie aussergewöhnliche Zwischenfälle schildernd, die sie als besondere Zeichen sah. Etwa eine Kobra sehen, einen toten Hasen beerdigen. Die Zufälle will und hat sie immer als etwas Spezielles auf ihrer Seite. Und das Schicksal. Und woran sie glaubt, ist die Imagination.
Christoph Schlingensief ging in den vergangenen Monaten getrieben von seiner schweren Erkrankung in seine aktuellen Inszenierungen. Sie sind mit "Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir" und "Der Zwischenstand der Dinge" betitelt. Schlingensief sprach von seiner Familie, in der die Eltern die Arbeit des Sohnes nicht verstehen und die Verwandten bigott in die Kirche rennen. Vom Filmen, wenn zu Beginn das Drehbuch weggeworfen und dann improvisiert wurde und Szenen aus Filmklassikern nachgedreht wurden. Und von der von ihm als „krank“ deklarierten Veranstaltung namens Politik. Als er seine Krebserkrankung erwähnte, wurden auch Sterben und Gott thematisiert: Er jedenfalls will noch nicht in den Himmel hochfahren, sondern hält die Arbeit im Hier und Jetzt, in dieser Welt, für das Bestmögliche. Geriet einen Moment in schiere Verzweiflung. Sieht sich im Spirituellen und das als eine Art Geborgenheit. Mit das Schwierigste, was es im Verlauf des Gesprächs zu verstehen gab, war ein Begriff wie "Möglichkeit der Selbstkomposition", den Schlingensief ins Gespräch brachte. Der sonst bei jedem Thema über einen ironischen Plauderton wenig hinausging. Obwohl er Dinge sagte wie, dass er vermute, bei der in Simbabwe ausgebrochenen Cholera handle es sich um Sabotage von Feinden.
Patti Smith, die sich selbst nicht als ironische Person und Künstlerin bezeichnen wollte, wollte auch bei Schlingensief Stilmittel wie Zynismus nicht sehen und diskutieren und zeichnete von ihrem Freund ein Bild wie in ein Kinderbuch: Er sei ein Peter Pan, der nur beschwörend zu suggerieren braucht: It will! Seine Arbeit sei einfach Freude und Freiheit Alles eine einzige Einladung: "Come on in! Come on into the ship!" Uns alles aus Liebe, nicht für Macht und Geld. Auch sie sei nur daran interessiert, ein guter Mensch zu sein, der sich als Künstler in jede extreme menschliche Rolle verwandeln könne. Und sie sagte: "To see with new eyes, that's what an artist needs continuously." Man hätte glatt noch einmal an die uneingeschränkte Kraft der Rockmusik glauben wollen. Besonders, als Patti Smith zum Abschluss für einen Song zur akustischen Gitarre griff: Die oft beschworene Macht der drei Akkorde und des Wortes. Geradezu zauberhaft wie im Märchen. Doch Märchen beginnen mit: Es war einmal. Patti Smith sah aus einiger Distanz im Scheinwerferlicht aus wie eine Frau, die angefüllt mit Wärme und Freude lebt. Eine Glücksfee. Die Lichter dazu hatte derweil eine Glaubensgemeinschaft in einer Demonstation vor dem Haus der Kunst angezündet. Gegen Blasphemie in der Ausstellung "Spuren des Geistigen". Eine Menschenansammlung vor einem mitgebrachten Jesus am Kreuz mit Kerzen in der Hand im Chor Lieder vom Notenblatt singend.
Als Smith gemeinsam mit Dercon nach der Veranstaltung direkt an mir vorbeiging, blickte ich in die Gesichtszüge einer über 60-jährigen Frau. Die Strapazen und Extreme des Rockmusikerdaseins sind nicht spurlos an ihr vorübergegangen. Ein Leben, von dem einer wie Alan Bangs im Gespräch mit Claudia Scholl und Michael Laufersweiler in Köln im Juni 2000 folgendes weitergab:"...wir haben durch Zufall gestern nochmal ein Band gesehen aus der Rocknacht, wo Du Patti Smith interviewt hast... Ach, hör' mir auf, die spritzte in der Garderobe, und war überhaupt nicht mehr ansprechbar. Und es kam dazu, das als sie das erste Mal in Deutschland war, 1976, da hab' ich sie in München besucht, und da haben wir uns total gut verstanden. Ich hatte damals auch die Haare in etwa so lang wie jetzt - aber nicht grau, und sah echt komischerweise wie Tom Verlaine aus, und sie hatte vorher eine Affäre mit Tom Verlaine, und irgendwie haben wir uns total gut verstanden.Ich sollte dann ein Interview mit ihr machen, und sie hat gesagt: "Wenn Du nix anderes vorhast, dann bleib' einfach wie wir hier in München. Ich möchte das Du bei den Interviews dabei bist." Ich war dann drei Tage bei Patti Smith. Bei allen Interviews saß ich immer da, egal wer reinkam, egal was für Journalisten, und das war auch genial mitzubekommen, weil egal, wie oft ihr die gleiche Frage gestellt wurde - sie hat jedesmal was anderes geantwortet. Also das war unglaublich, ich hab' sowas noch nie erlebt.Und jeden Morgen fragten mich die anderen Bandmitglieder: "Na, und? Hat's geklappt", und ich "Was jetzt?", ich wußte überhaupt nix davon, es kam erst später raus, wieso, weil ich eben Tom Verlaine so ähnlich sah. Gut, als sie dann in die Rocknacht kam, da hab' ich mir gedacht, ok, wir haben uns damals so gut verstanden. Das war echt für mich auch ne Riesenenttäuschung, das war weil sie auf Heroin war, sie hat mich einfach nicht mehr erkannt. Sie hat einfach nix mitbekommen... (WDR, Rockpalast)" Ob es so war oder nicht - Patti Smith jedenfalls hat den Kopf immer über Wasser gehalten. Beruflich. Privat.
Beim Konzert "Words 1"am nächsten Abend mit dem studierten und klassisch ausgebildeten Cellisten Adrian Brendel war sie dann wieder da, die Magie, die von Patti Smith in früheren Zeiten ausging. Sie deklarierte beschwörend Texte, zog in den Bann mit manischen, stimmungsvollen Akkordwiederholungen und Brendel improvisierte dazu Erlesenes auf seinem Cello. An die Bühnenrückwand projizierte Filmsequenzen und Bilder zeigten Smith, in Großaufnahme, Nahaufnahme, Einen Rosenkranz aus der Jeanstasche ziehend, ihr Gesicht, ihre Hände, sich in Zeitlupe bewegend. Zwischen Steinreliefgesichtern, Stilleben, Strassenszenen, Schriften, galoppierende Pferde geschnitten. Eines ihrer neuen Lieder kündigte sie mit den Worten an: „Der Song mag euch bekannt vorkommen. Aber das ist, weil ich nur fünf Akkorde kann.“ Ihr fehlt es also doch nicht an Ironie. Und auch nicht daran, sich als eine Art Schamanin, als die Dercon sie ansagte, zu zeigen und sich als Autorität in Szene zu setzen. Jedenfalls gelang ihr das vor dieser versammelten In-Crowd, in der man sich nach Möglichkeit Chic und berufliche Position ansehen liess. Man mischte das von mir verhasste überschwenglich-schrille Pfeifen der Rockkonzerte in den Applaus. Und bei den Zugaben klatschten alle den Rhythmus, sangen mit: leider kann man kaum etwas mehr erübrigen als so eine Version von "Because The
Night". Patti Smith selber stolperte über Textprobleme.. Und rettete sich und den Spannungsbogen dann durch eine weitere Zugabe: „Gandhi.“ Wünschte Frieden und ging. Was blieb da zu sagen: Eine heile Welt allen. Wenigstens für zwei Stunden.
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