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25. Januar 2009
Christina Mohr
für satt.org

It's a Woman's World

  Fly Girls! B-Boys Beware: Revenge of the Super Female Rappers
Fly Girls! B-Boys Beware:
Revenge of the Super Female Rappers

Doppel-CD, Soul Jazz
» anattitude.net


Revenge of the Super Female Rappers

Als im vergangenen Jahr das female-HipHop-Duo Yo! Majesty (zu recht) überall abgefeiert wurde, konnte leicht der Eindruck entstehen, dass Jwl. B und Shunda K die ersten Ladyrapper überhaupt seien. Doch weit gefehlt, Yo! Majesty haben jede Menge Vorläuferinnen, die leider (und völlig zu unrecht) weit weniger mediale Aufmerksamkeit genießen als männliche Gangsta-Rapper und goldkettenbehangene Superstars wie 50 Cent oder P. Diddy. Doch schon in den achtziger Jahren feierten All-Female-Bands wie Salt'n'Pepa und Wee Papa Girl Rappers Charterfolge, platzierten weiblichen HipHop im Pop-Mainstream, und selbst hinter dem legendären HipHop-Label Sugarhill Records stand eine Frau: Sylvia Robinson signte neben Grandmaster Flash & the Furious Five auch weibliche Acts wie wie Sequence.

Das nicht hoch genug zu lobende Doppelalbum „Fly Girls! B-Boys Beware: Revenge of the Super Female Rappers“ gibt Nachhilfe in Sachen weiblicher HipHop, aus ganzen vier Dekaden stammen die zwanzig Tracks: der älteste, „Ego Tripping“ von der afroamerikanischen Poetin Nicki Giovanni ist aus dem Jahr 1969, 1979 forderte Lady B' „To the Beat Y'all“ und spätestens ab Anfang der achtziger Jahre griffen die Lay-dees in großer Zahl zu den mikes: Sweet Tee, die legendäre MC Lyte, Cookie Crew, Sparky D, Queen Latifah, Missy Elliott und viele mehr enterten Bühnen und Studios. Auch der erste auf Vinyl gepresste Diss-Battle wurde von weiblichen Lippen gerappt: „Roxanne Shanté vs. Sparky Dee – Round 1“ gab den Startschuss für viele weitere sogenannte „answer songs“. Die „Fly Girls!“ kicken ass und rocken das Haus – und verweisen die Jungs in die zweite Reihe. Zur ergänzenden Lektüre dringend empfohlen: das Female-HipHop-Magazin Anattitude, herausgegeben von HipHop-Expertin Jeannette Petri alias Jee-Nice.

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  Lady Gaga: The Fame
Lady Gaga: The Fame
Interscope / Universal
» ladygaga.com
» lady-gaga.de
» myspace

Im Februar 2009 ist Lady Gaga als Support der Pussycat Dolls auch auf deutschen Bühnen zu bewundern: 10.2. Frankfurt, 14.2. München, 18.2. Düsseldorf, 19.2. Berlin


Lady Gaga: The Fame

Der amerikanische Klatschreporter und Kult-Blogger Perez Hilton versäumt bei keiner Gelegenheit zu erwähnen, dass Christina Aguilera und Madonna ihre jeweils aktuellen Styles bei der von ihm verehrten Lady Gaga abgeguckt haben. Tatsächlich ist die erst 22-jährige Stefani Germanotta aus Yonkers/New York, die sich nach einem Queen-Hit “Lady Gaga” nannte, eine echte Ausnahmeerscheinung: als Kind komponierte sie eigene Lieder auf dem Klavier, mit 14 Jahren trat sie in New Yorker Clubs auf. Bevor sie vom Label Interscope gesignt wurde, schrieb sie Songs für die Pussycat Dolls und arbeitete mit Produzenten wie Akon und Colby O' Donis zusammen. Dazu kommt ihre Vorliebe für extravagante Outfits, sexy und futuristisch – eine Verbeugung vor ihrem Lieblingsstar David Bowie. Auf ihrem Album “The Fame” zieht Lady Gaga alle Register ihres Könnens: ihre voluminöse Soulstimme, die sie auch gerne mal durch den Vocoder schickt und X-Tina und Pink ziemlich blass aussehen läßt, paßt zu pumpenden Discohymnen wie “Just Dance” und “Disco Heaven” genauso gut wie zu schwelgerischen Balladen wie “Brown Eyes”. Sie macht Ausflüge in R'n'B, Soul und HipHop (“Paper Gangsters”, “Money Honey”, “I Like it Rough”) und klingt dabei viel schwärzer als Beyoncé. Der bedeutendste Unterschied zwischen Lady Gaga und ihren “Konkurrentinnen” ist aber nicht nur die Tatsache, dass sie alle Songs selbst schreibt, sondern ihr Humor: Zeilen wie “Let's have some fun this beat is sick, I wanna take a ride on your disco stick” oder “I love this record baby but I can't see straight anymore” zeugen von einem erfrischend augenzwinkernden Umgang mit dem Themenkomplex “Dancefloor”, den andere so unangenehm ernst nehmen.

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  Telepathe: Dance Mother
Telepathe: Dance Mother
VS/Cooperative
» myspace


Telepathe: Dance Mother

Telepathe polarisieren: für die einen sind Melissa Livaudais' und Busy Gagnes' schwebende Sphärenklänge schlicht ungenießbar wie eine Überdosis Zuckerwatte, andere wiederum sehen in dem Brooklyner Duo würdige Nachfolgerinnen epochaler Shoegazer-Bands wie Galaxie 500 und My Bloody Valentine. Die Wahrheit – sofern es in puncto Musikempfinden überhaupt so etwas wie „Wahrheit“ geben kann – liegt wie so oft dazwischen. Telepathes erstes „langes“ Album nach der vielversprechenden EP „Farewell Forest“ entstand im Studio von David Andrew Sitek, seines Zeichens Gitarrist bei TV On The Radio und hingebungsvoller Fan altmodischer Synthesizer, bevorzugt aus den Achtzigern. Siteks historische Gerätschaften werden auf „Dance Mother“ verschwenderisch eingesetzt, flirrender Eighties-Elektro, Dubeffekte und Gitarrenpop sorgen dafür, dass die neun Tracks zeit-, ort- und körperlos wirken. Telepathe schaffen ihren ganz eigenen musikalischen Kosmos – und öffnen doch Vergleichen Tür und Tor: mal ist ihre Wall of Sound dicht und opulent wie von Phil Spector geschaffen, mal fragil und flüchtig wie bei Lush oder minimalistisch-rau wie bei den frühen Slits und Raincoats. Der Kontrast aus engelsgleichen Vocals und dunklem Drumgrollen verdreht einem den Kopf und man muß schon ganz genau hinhören, um die Variationen im Detail mitzubekommen: schwergewichtige Synthie- und Subbass-Sounds dominieren den Opener „So Fine“, bei „Chrome's On It“ wird mit komplett untanzbaren HipHop-Beats experimentiert, „In Your Line“ basiert auf tribalen Drums, „Michael“ und „Trilogy“ kombinieren Techno, Dubstep und schneidende Gitarren. Verschwörerisch und suggestiv wirkt „Lights Go Down“, hypnotisiert mit fragmentarischen oriental vibes; „Can't Stand It“ beginnt elegisch und düster wie ein Cure-Song aus der „Pornography“-Ära, wird aber von Melissas und Busys hellen Stimmen abgefedert und landet so in einer surrealen Zwischenwelt. Knochentrockene Synthiebeats peitschen bei „Trilogy: Breath of Life, Crimes and Killings, Threads and Knives„, zögerlich entwickelt sich so etwas wie Dark-Disco, Trockeneisnebel zieht vor dem inneren Auge auf, Telepathe wispern dazu schläfrig, „my agenda is so tight, I'm tired, I'm tired“. Der Schlußtrack „Drugged“ ist eine erhabene, erhebende Elektronik-Oper mit einem Hauch Neofolk - und auf einmal ist der Spuk vorbei, verzaubert und verwirrt bleibt man zurück. Telepathe sind die Sirenen des Indiepop: kein Wunder, dass sich so manche/r vehement gegen sie wehrt.

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  Cristina De Stefano: Abenteuerliche Amerikanerinnen
Cristina De Stefano:
Abenteuerliche Amerikanerinnen

SchirmerGraf Verlag
Geb., 256 S.n, € 18,80
» schirmer-graf.de


Cristina De Stefano: Abenteuerliche Amerikanerinnen

Man stutzt unwillkürlich über den Titel dieses Buches: sollte es nicht besser „Abenteuerlustige“ oder „Außergewöhnliche“ anstatt „Abenteuerliche Amerikanerinnen“ heißen? Passende Wortwahl hin oder her, die zwanzig Frauen, die von der italienischen Journalistin Cristina De Stefano in – teilweise sehr - kurzen Porträts vorgestellt werden, hätten sich mit solchen Kleinigkeiten sicherlich nicht aufgehalten. Die extravagante Innenausstatterin Dorothy Draper zum Beispiel kommentiert ihre schlechten Schulnoten lapidar, „Ich lese nicht, ich denke.“ De Stefano konzentriert sich in ihrer Auswahl auf die aufregende Epoche zwischen dem 19. und Mitte des 20. Jahrhunderts, als das moderne Amerika noch jung war und Frauen Bereiche für sich eroberten, die bis dahin Männern vorbehalten waren: die tollkühne Fliegerin Amelia Earhart wagte als erste Frau eine Atlantiküberquerung; Lee Miller, früheres Man Ray-Model, machte sich einen Namen als Kriegsberichterstatterin; die Chemikerin Rachel Carson deckte die krebserzeugende Wirkung des Pflanzenschutzmittels DDT auf; Margaret Sanger revolutionierte die chemische Empfängnisverhütung. Nicht zu vergessen die Damen der Bohème: Nancy Gross alias „Slim Keith“ bezauberte sogar den schwulen Truman Capote, die Lyrikerin Anne Sexton thematisierte tabulos die „Geheimnisse“ des weiblichen Körpers – Jahrzehnte vor Lydia Lunch, Annie Sprinkle und Charlotte Roche schrieb sie über Selbstbefriedigung, Menstruationsprobleme, ihre Gebärmutter und Abtreibung. Krönender Abschluß dieses Bandes: das Porträt von Schauspielerin Mae West, Urmutter aller It- und Bad Girls.

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  Anne Kreutziger-Herr, Katrin Losleben: History Herstory. Alternative Musikgeschichten
Anne Kreutziger-Herr, Katrin Losleben: History Herstory. Alternative Musikgeschichten
Boehlau Verlag
430 Seiten, € 39,90
» boehlau.de


History Herstory. Alternative Musikgeschichten

Aufhänger dieses sehr heterogenen Readers zur Musikgeschichte ist ein Text aus dem frühen 15. Jahrhundert: 1405 verfasste die französische Philosophin Christine de Pizan „Le Livre de la Cité des Dames“, eine Utopie, in der Frauen den Männern gleichgestellt sind. Liest man dieses Werk heute, scheint es unglaublich, dass „Le Livre...“ bereits sechshundert Jahre alt ist, so aktuell klingen de Pizans Forderungen. Die Mehrzahl der von Anne Kreutziger und Katrin Losleben zusammengestellten Texte bezieht sich allerdings kaum auf de Pizans „Stadt der Frauen“, vielmehr geht es darum, einen feministischen Blick auf die hauptsächlich männlich dominierte Musik-Geschichtsschreibung zu werfen, aus der History eine Herstory zu machen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Klassik und Oper: Eva Rieger dokumentiert den Einfluß Richard Wagners auf Geschlechterrollen in früher Filmmusik, Robert Adelson und Jacqueline Letzter erklären die Bedeutung der Harfe für musizierende Frauen im Frankreich des 18. Jahrhunderts. Aber es gibt auch griffige popkulturelle Artikel in „History Herstory“ wie Siri Hustveds Essay „Being A Man“, in dem sie darlegt, dass Kinder erst dann geschlechtsneutrale Kleidung wie Jeans und Pulli gerne anziehen, wenn sie eine identifikatorische Phase mit Barbie- oder Cowboy-Kostümierungen durchlebt haben. Die amerikanische Professorin Susan Fast widmet sich in „Girls: Rock Your Boys“ den noch immer sträflich übersehenen Rockgitarristinnen, als eindrucksvolles Beispiel dient Sister Rosetta Tharpe, die bereits in den vierziger Jahren mit der E-Gitarre so umging, wie Jimi Hendrix es erst viel später tun sollte. Florian Heesch sieht in der griechischen Frauen-Metalband Astarte Erneuerinnen des Sirenen-Mythos und zeigt, dass auch in der vermeintlichen Männerdomäne Hardrock Innovationen häufig von Musikerinnen ausgehen.

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