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20. Februar 2009
Robert Mießner
für satt.org

Die Welt von unten

Jowe Head, mit The Demi-Monde am Wochenende in Berlin-Brandenburg, über Oscar Wilde, Avantgarde ohne Bedeutung und die späte Ostmark

  Jowe Head

Jowe Head and the
Demi-Monde live:

21. Februar 2009, 20.00 Uhr,
Nil StudentInnenkeller, Potsdam
22. Februar 2009, 21.00 Uhr,
Live at Dot, Berlin-Kreuzberg

Die von Jowe Head erwähnte Ausstellung »Paintwork #2« findet vom 14. bis zum 28. Mai 2009 in der Londoner SWI Galerie statt. Details: » praxishagen.de.

Es gibt Musik, da möchte man hinterher den Mond anheulen oder der Sonne, so sie schon zwischen den Häusern hervorlugt, einen ausgeben. Exakt vor einem Jahr war das der Fall. Da spielten Jowe Head und Lee McFadden im Kreuzberger Trödler, zwischen Moritzplatz und Möbel-Olfe. Neues Material war dabei und Klassiker (Kevin Coyne, Sex Pistols, Jonathan King), wie man sie sonst nicht hört. Vorher gab es noch die wunderbaren Sister Chain & Brother John und The Shitty Listener. Und Kristof Schreuf (Kolossale Jugend, Brüllen) sang »Search and Destroy« zur Melodie von »The End«. Muss man auch erst mal drauf kommen. Es hat bestens funktioniert.

Jowe Head, Mitbegründer der Swell Maps, Mitglied der Television Personalities, Musiker und Maler extraordinaire, Bruder im Geiste Captain Beefhearts und Paul Klees, hat eine neue Band. Jowe Head and the Demi-Monde heißt sie und verspricht, bei ihr würde sich das Bestialische mit dem Himmlischen treffen. Wie das klingt, lässt sich auf ihrer MySpace-Seite herausfinden. Nicht vorher schon verzagen, es ist außerordentlich hörbar geworden. Zwar empfiehlt sich das in seiner tendenziellen Vertracktheit nicht unbedingt zu solch profanen Beschäftigungen wie Abwaschen, Bügeln oder Formblätter ausfüllen. Das war aber wohl noch nie der Fall.

Wenn Folk das Gegenteil von folkloristisch meint, ließe sich das sogar als solcher bezeichnen. Head ermutigt seine Hörer, sich selber adäquate Beschreibungen für seine Musik auszudenken. Also Folk im Sinne von: Hier ist Material, jetzt erzähle davon. Das darf fröhlich oder traurig, logisch oder obskur sein, darf drei Akkorde haben oder auch mehr. Nicht viel anders war es vor über dreißig Jahren. Auf »Messthetics #103« (einem der grandiosen Sampler mit britischem D.I.Y.-Post-Punk aus dem Hause Hyped to Death, dazu hier in Kürze mehr) findet sich »Camouflage Attack«, eine sehr frühe Swell-Maps-Aufnahme im Homerecording-Stil. Natürlich hat das niemand rauen Folk genannt, wohl, weil es in den Midlands keine Baumwollfelder gab. Stattdessen wurde Kohle gefördert. Und so klang auch die Musik.

Jowe Head and the Demi-Monde werden dieses Jahr auf Schnitzel Records ihr Debüt mit dem schönen Titel »Diabolical Liberties« herausbringen. Zu Heads Bildern kann man dieses Frühjahr nach London fahren. Alles andere erzählt der 52jährige Vater und Weitgereiste selber im eMail-Interview.

◊ ◊ ◊

»Demi-Monde«, die Halbwelt, assoziiert in der Literatur Boheme und Dekadenz. Spielte das bei der Namensfindung für die neue Band eine Rolle?

»Demi-Monde« interessierte mich nicht als literarische Referenz, sondern als Konzept. Im 19. Jahrhundert sagte man »Belle Monde« wenn man die seriösen, modischen und artigen Bürger meinte. Wer im Gegensatz dazu »Demi-Monde« war, lebte am Rande der Gesellschaft, bei den Ausgestoßenen, beim Bodensatz. Weil ich nie Moden hinterhergelaufen bin und es mir ebenso wenig um zwanghafte Seriosität geht, konnte ich damit was anfangen. »Demi-Monde« suggeriert das Gefühl, sich im Untergrund, halb schon in der Dunkelheit zu befinden, was zu der Musik passte, an der ich zu arbeiten begann.

 

Jowe Head - Pacifiers
Jowe Head - Pacifiers

Für euer Bandportrait zitierst Du Oscar Wildes »Wir liegen alle in der Gosse, aber einige von uns betrachten die Sterne« (aus »Lady Windermere’s Fan«, dt. »Lady Windermeres Fächer«). Hast Du ihn wieder aus dem Regal geholt?

Ich habe Oscar Wilde lange nicht mehr gelesen, schätze aber seine Ansichten, seine kühne Haltung zum Leben und zur Kunst. »Lady Windermeres Fächer« ist eins meiner Lieblingsstücke. Dann kann ich mich noch deutlich an die großartige Margaret Rutherford in »The Importance Of Being Earnest« (dt. »Bunbury oder Ernst sein ist wichtig«) erinnern. »Einen Elternteil zu verlieren mag als Unglück gelten; aber beide zu verlieren sieht wie Nachlässigkeit aus« heißt es da, was ich sehr gut finde. Genauso brillant ist die Szene, in der der Bräutigam offenbart, als Baby in einer Handtasche am Bahnhof gefunden worden zu sein. Wilde wies auf die Heuchelei der Gesellschaft hin. Das ist immer noch sehr relevant.

Genug Literatur. Lass uns über die Musik reden. The Demi-Monde klingen sehr psychedelisch, folkig sogar. Knüpfst Du da an etwas an?

Einiges in der neuen Band reflektiert in der Tat meine frühen Einflüsse. Ich liebe Faust und Can aus Deutschland genauso wie britischen Progressive und Folk Rock aus den Siebzigern: die frühen Pink Floyd, Van der Graaf Generator, Fairport Convention und King Crimson. Genauso wichtig sind aber neuere Einflüsse. Aktuelles und Altes ist mir gleich wichtig. Momentan höre ich sehr gerne Firey Furnaces, Radiohead, Bat For Lashes, Animal Collective und Tinariwen und Ali Farka Toure aus Mali.

Woher kommen die indischen und maurischen Elemente bei The Demi-Monde?

Bei mir läuft Musik aus ganz Europa und dem Rest der Welt. Seit Kinderzeiten habe ich regelmäßig Spanien bereist und die Mischung europäischer und maurischer Einflüsse im Flamenco lieben gelernt. Auf meinen Reisen sammle ich Instrumente. Zum Beispiel habe ich lange Zeit eine Bulbul Tarang* aus Indien gespielt, die leider aber verloren gegangen ist. Als ich letztes Jahr auf Tour nach New York kam, kaufte ich eine elektronische Tempura** und eine Zither. Und die sind immer noch in Gebrauch! Weil meine Ecke in London eine große türkische Community hat, ist ihre Musik genauso eine Inspiration.


* Mit Tasten gespieltes Saiteninstrument aus Indien und Pakistan, u.a. von Henry Threadgill (Jazzmusiker und Ex-Mann Cassandra Wilsons) verwendet.

**Ebenfalls aus Indien stammendes Saiteninstrument, heute hauptsächlich zur Begleitung von Gesang verwendet.

Bei The Demi-Monde können vier oder sechs Leute auf der Bühne stehen. Vorigen Dezember wurde schon mal eine achtköpfige Big Band draus. Wer kommt nach Potsdam und Berlin?

Dieses Wochenende sind wir zu viert, der Kern der Band: Catherine Gerbrands (Gesang, Keyboards, Autoharp, Theremin), Lee McFadden (von Alternative TV und Angel Racing Food, Gitarre, Bass, Gesang), Trevor Davies (Percussion) und ich. Wir werden auch als Valerie and her Week of Wonders spielen. Den Namen nehmen wir für die Songs, die Catherine geschrieben hat und die sie singt. Das haben wir zweimal letztes Wochenende gemacht. Dann standen bis jetzt noch andere wunderbare Musiker mit uns auf der Bühne, regelmäßig zum Beispiel Philipp Martin (von The Bitter Springs und Subway Sect, Violine) und Jane Ruby (von Naked Ruby, Gesang, Kastagnetten). Auf dem Album werden es dann noch mehr sein. Mein alter Freund Philipp Boa singt mit mir und spielt Synthesizer auf einem Track.

The Demi-Monde covern Joe Meek, Sun Ra, und Ingmar Bergman. Der ist als Songwriter aber weniger bekannt.

Letztes Jahr, das neue Album war zur Hälfte fertig, habe ich mir Bergmans »The seventh Seal« (dt. »Das siebente Siegel«) angesehen. Da drin gibt es eine Szene, in der Straßenmusiker in ein Dorf kommen, um die Leute zu unterhalten. Und sie singen: »A Horse Sits in a Tree«, was ein surrealer schwedischer Kinderreim über den Tod ist, der am Strand wartet. Zum Glück war das alles englisch untertitelt! Ich ging dem nach und fand heraus, dass Bergman den Text selber geschrieben hatte. Sun Ra: Obwohl ich ihn bereits auf »Parallel Universe« gecovert habe, ging sein »Enlightenment« schon länger durch meinen Kopf. Ich hatte mich auf einem Demo daran versucht, war aber nicht sonderlich glücklich damit. Als dann The Demi-Monde anfingen, wusste ich: Jetzt klappt’s. Also habe ich das für vier Stimmen, Lee, Catherine, Jane und mich, arrangiert. Und es gibt ein gutes Medley mit Joe Meeks »I Hear a New World«. Meek war ein Pionier des Space Rock der Sechziger, und der Song ist das Titelstück einer Weltraum-Fantasie, die erst weit nach seinem tragischen Tod herausgekommen ist. Er war ein unglaublicher, aber einsamer und unverstandener Mensch.

 

Jowe Head - Rise above
Jowe Head - Rise above

Du sprichst davon, mit The Demi-Monde noch mal ganz von vorne anzufangen. Gab es ein auslösendes Moment, ein Motiv dafür?

Ich habe es wirklich sehr genossen, mit Angel Racing Food zu musizieren, wollte aber weg von Sound, der hauptsächlich auf Gitarren und Schlagzeug basiert. Das ist so sehr traditionalistisch und konservativ! Catherines Stimme und ihre Instrumente sind mir sehr wichtig, genauso wie Percussion und Violine. Es war auch mein Wunsch, die Musik, ihren Ton und ihre Struktur, etwas überraschender und subtiler zu gestalten.

Eine Außenseiterinterpretation: Man könnte den Eindruck gewinnen, dass Nikki Sudden (1956-2006) und Epic Soundtracks (1959-1997) nach dem Ende der Swell Maps eher traditionelles Terrain bearbeiteten, während Du dich eher in Richtung Avantgarde und Experiment bewegtest.

Einverstanden. Als es mit den Swell Maps aus war, wollte und konnte Nikki seine Liebe zu den Rolling Stones in seinem Solomaterial voll ausleben. Das war völlig in Ordnung, wäre aber mit mir in der Band nicht gegangen! Als ich Epics Soloarbeiten das erste Mal hörte, war ich hingegen sehr über seinen Gesang und sein Songwriting überrascht. Schließlich waren die letzten Sachen, die ich mit ihm aufnahm, einige der radikalsten und experimentellsten, die jemals unter der Flagge Swell Maps liefen. Aber einige seiner Songs sind schlicht sehr schön und bemerkenswert frei von jeglichen Überarrangements. Einen, »She Sleeps Alone«, habe ich auch selber gesungen. Vielleicht war, bin ich »experimenteller« als Nikki und Epic, aber ich passe schon auf, dass Melodie und Rhythmus genauso wichtig wie schräge Geräusche bleiben.

Ist »Avantgarde« nicht eigentlich ein fürchterliches Wort, bei dem potentielle Hörer gleich an Krachkunst und nichts als Krachkunst denken? Sollten wir The Demi-Monde nicht lieber einfach verdrehten Rock 'n' Roll oder Garage Pop nennen?

Sehe ich genauso. Der Begriff »Avantgarde« hat seine Bedeutung verloren. Ich möchte ihn auch wirklich nicht gerne benutzen. Ebenso »Indie«, was soll das heutzutage noch sagen? Gegen »verdreht« habe ich nun gar nichts. Ein anderer sprach mal von »Eccentric Mutant Rock«. Das gefällt mir auch!

Bleibt bei all dem eigentlich noch Zeit zum Malen?

Sicher und immer. Ich habe die ganze Zeit an Bildern und Drucken gearbeitet, heute morgen zum Beispiel an einem Bild nach einer Idee aus einem alten Alchemiebuch. Ich hoffe, einiges davon im Mai in London auf dem Nachfolger zur Berliner »Paintwork«-Austellung zeigen zu können. Eine neue Ausstellung in Deutschland wäre auch schön.

Du hast das Cover für »Perverted by Mark E.«, den Tributesampler für The Fall auf ZickZack, gestaltet und darauf wie auch live »Choc-Stock« gecovert. Wenn Du sie dir jetzt auflegen würdest, was wäre das?

Eine Zusammenstellung der frühen Singles wohl. Die sind großartiger verdrehter Pop!

Die Television Personalities sind in den späten Achtzigern in Ostberlin auf der Insel der Jugend aufgetreten. Erinnerst Du dich dran?

Immer noch. Es war wunderbarer Sonnenschein! Ich weiß, wie ich David Bowies »Heroes« gesungen habe. Das war noch in Ostdeutschland. Auf der Straße hatte ich etwas Spielgeld gefunden, es eingesteckt und während des Konzerts ins Publikum geworfen. Das sollte ein Geschenk sein, aber einige dachten, ich würde die Ostmark beleidigen!

Jowe Head, herzlichen Dank für das Interview.


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