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6. Februar 2009
Tobi Kirsch
für satt.org

Performance und Familie
Isländische Bands zwischen Krise und Pathos

  Bloodgroup, Tunglið, Friday Oct 17, 2008Bloodgroup im überfüllten Tunglið
(Photo by Sigurður Ástgeirsson)

FM Belfast, Thunglið, Thursday Oct 16, 2008
FM Belfast im Tunglið,
die Show im Nasa war noch ausgeflippter
(Photo by Julia Staples)

Hjaltalín, Tunglið, Wednesday Oct 15, 2008
Hjaltalin spielten neben dem Gig
im Art Museum auch im Tunglið
(Photo by Viktor Örn)

Reykjavik! play at Organ with Krummi from Mínus, Friday Oct 17, 2008
Reykajvik! lieferten eine energische Performance
im Organ am Freitag den 17. 10.08
(Photo by Julia Staples)

Die ersten Hiobsbotschaften kamen aus Island schon zwei Wochen vorher herüber, dann ging‘s auf das Festival Airwaves und alles schien wie immer. Alle Bands, die man traf, wurden allerdings zu ihrer Einschätzung der Finanzkrise befragt. Eine Band wie FM Belfast, die zu den interessantesten Newcomern der Elektronikszene zählen, reagierten auf das Thema beim Interview leicht genervt. Wie (fast) alle Künstler Islands, sind auch FM Belfast gut vernetzt: Arni Vilhjálmsson, der Produzent der Band, hat mit anderen elektronisch orientierten Künstlern schon als Plúseinn und Hairdoctor veröffentlicht und ist der Produzent der Nachwuchshoffnung Retro Stefson. Sängerin Loa Hjàlmtýsdottir und Arni sind ein Paar und haben ein Jahr zusammen in New York verbracht. Loa ist für die grafische Seite zuständig und hat das liebevolle Cover und Booklet mit einem Freund zusammen gestaltet. Nebenher arbeitet sie in einem McJob, wie so viele Musiker Islands. Auf die Krise angesprochen und ob sich für sie als Musiker etwas ändern würde, zucken die drei Hauptmitglieder nur mit den Schultern. Geld haben sie auch vorher kaum mit Musik verdient. Mit „How to make friends“ ist es ihnen gelungen, intelligente Poptexte über repetitive Beats zu basteln, die Erstauflage war in Island innerhalb von Tagen ausverkauft. Live sind sie eine große Freude, bis zu zwölf Menschen feiern eine große Party und singen die Refrains mit. Auch in Deutschland haben sie erste Freunde bei einer Konzertreise gewonnen.

Der neue Chefredakteur des Reykjaviker Kulturmagazins Grapevine, Haukur Magnusson, teilt die Einschätzung seiner Musikerkollegen von FM Belfast. Er spielt mit seiner Band Reykjavik! auch schon mal in den USA oder auf skandinavischen Festivals, leben kann er von seiner Musik auch nicht. Insofern wird das Überleben als Musiker zwar schwieriger, weil viele Jobs wegfallen, die Künstlerexistenz an sich berührt die Krise aber nur am Rande. Die isländischen Bands sind untereinander gut vernetzt, kein Wunder, wenn sich alles auf eine Stadt konzentriert. Bei isländischer Musik geht es vor allem um die Liebe zur Kunst, ans Geschäft denken die Musiker offensichtlich erst recht spät.

Was gab es noch? Bloodgroup spielen punkigen Electro und machen mit ihrer T.Raumschmiere-artigen Performance eine gute Figur auf der Bühne. Sie sind nicht ganz so dreckig wie dieser, wissen aber, wie man ein Publikum unterhält. Nach ihrer Show erzählen sie noch, wie gut es ihnen bei ihrem halbjährlichen Berlinaufenthalt gefallen hat. Wird Zeit, dass ihr Album „Sticky Situation“ auch auf dem europäischem Festland Beachtung erfährt. Gus Gus können auch ohne Sänger Daniel Agust überzeugen und der bekannteste DJ Islands, Mageire, hat ein schönes Projekt mit der Streichergruppe eines Reykjaviker Symphonieorchesters ins Leben gerufen. Er legt treibenden Techno und Deephouse auf und die klassischen Musiker improvisieren dazu. Ein Höhepunkt des letzten Abends war das auf jeden Fall. Schade nur, dass der Erste Geiger so betrunken war, dass man die Liveaufnahme des Ganzen dann doch nicht weiter verwenden konnte.

Beste Band mit dem nachhaltigsten Eindruck waren Hjaltalin, die mit den Morr Music-Acts Seabear und Borko freundschaftlich verbunden sind. Hjaltalin haben durchaus Popappeal, neigen zum Pathos und bringen folkloristische Elemente mit ein. Bei ihrem Cover des Hits vom „isländischen Robbie Williams“ namens Paul Oscar/Pall Oskar kommt ebendieser auf die Bühne und singt voller Inbrunst mit. Spätestens dann ist auch das jugendliche Publikum aus dem Häuschen. Große Kunst auf kleinen Bühnen, das ist das Airwaves. Macht Spaß und weckt die Neugier auf die sehr lebendige Musikszene Islands, die auch die Wirren der ökonomischen Krise des Landes gut überstehen wird. Da bin ich mir sicher.


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