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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




16. Februar 2009
Christina Mohr
für satt.org

Klassiker oder:
Club der alten Männer
(drei Tote, ein Lebender)

  Dean Martin: Amore
Dean Martin:
Amore

Capitol


Dean Martin: Amore

Als Dean Martin von einem Journalisten gefragt wurde, wie er der Nachwelt gerne in Erinnerung bleiben würde, antwortete er: „As a damn good entertainer; nothing spectacular. A good entertainer who made people enjoy themselves and made them laugh a little. He was a nice guy. He did pretty good and we loved him, that's all.“ Für den Fall, dass es da draußen Menschen geben sollte, die sich nicht an Dino Crocetto Martino erinnern, den Lovesong-Crooner mit mafiösen Verbindungen, Mitglied des “Rat Pack”, Leinwandheld in -zig Filmen von Western bis Komödie und Vater von immerhin acht Kindern - für all jene und natürlich für Dean Martins echte Fans erschien rechtzeitig zum Valentinstag das Album “Amore”. Darauf befinden sich, der Titel legt es nahe, ausschließlich Liebeslieder, Schnulzen und Schmachtfetzen die sich gewaschen haben: “How Sweet It Is”, “Dream A Little Dream of Me”, “All I do is Dream of You”, “It Looks Like Love” und natürlich “That's Amore” - Dean Martin in seiner Paraderolle als Italian Lover. Produziert wurden fast alle Titel von Lee Gillette, mit dem Martin am liebsten zusammen arbeitete und der es fertig brachte, dass sich Dinos Lieder auch in den späten fünfziger und frühen sechziger Jahren schon reichlich altmodisch (= nostalgisch) anhörten: Geigenhimmel, pompöse Bigband-Arrangements, hollywoodeske Backgroundchöre. Aber ach, nur wer kein Herz hat, kann Dean Martins ungebremster Kitschattacke widerstehen – die Rezensentin bedauert lediglich, dass ihr Lieblingssong “The Birds and the Bees” auf der Compilation fehlt. Hätte doch sehr gut zum Thema gepaßt... (Rezension erschien zuerst auf titel-magazin)

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  Johnny Cash's  America
Johnny Cash's America
CD + DVD
SonyBMG
» johnnycash.com


Johnny Cash's America

Johnny Cash war ein Mann voller Widersprüche: tiefgläubig, drogenabhängig, ein Patriot, der sich für die Rechte der Indianer einsetzte, ein Veteran des Zweiten Weltkriegs mit dezidierter Haltung gegen den Vietnam-Krieg, ein Outlaw auf Seiten derer, die ihren Platz in der Gesellschaft verspielt hatten und stattdessen im Gefängnis saßen. Sein vielseitiges Engagement wurde ihm nicht selten als reine Self-Publicity ausgelegt, doch wird man Johnny Cash damit nicht gerecht: leidenschaftlich zog er gegen alles zu Felde, was ihm ungerecht schien. Auch wenn er dabei oberflächlich betrachtet eine zutiefst paradoxe Figur abgab. Sein Amerika-Bild und seine Rolle als Amerikaner sind ebenfalls alles andere als eindeutig, der Man in Black war Vorbild für einfache Leute, Politiker schätzten ihn ebenso. Er inspirierte Musiker aller Stilrichtungen und als er vor fünfeinhalb Jahren starb, war er im besten Sinne ein Star für die ganze Familie: vom jugendlichen Punkrocker genauso verehrt wie vom Country-Opa. Die Regisseure Morgan Neville und Robert Gordon beleuchten in ihrer Dokumentation “Johnny Cash's America” die unterschiedlichsten Momente in Cashs Leben und Musik. Authentizität garantieren die Interviews mit Mitstreitern, Familienmitgliedern und Musikern wie Bob Dylan, Snoop Dogg (!), Kris Kristofferson, Merle Haggard, Loretta Lynn, Sheryl Crow und seiner Tochter Rosanne. Die Soundtrack-CD beinhaltet klassische Cash-Songs wie “Man in Black”, “Cry Cry Cry”, “Five Feet High and Rising”, dazu einige bisher unveröffentlichte Liveaufnahmen.

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  Miles Davis: Kind of Blue
Miles Davis: Kind of Blue
2 CDs + DVD
Columbia/SonyBMG
» miles-davis.com
» myspace
» legacyrecordings.com


Miles Davis: Kind of Blue

“Kind of Blue” ist die bekannteste und erfolgreichste Jazz-Platte aller Zeiten: vor fünfzig Jahren nahm Miles Davis gemeinsam mit Paul Chambers, Julian “Cannonball” Adderley, James Cobb, John Coltrane, Bill Evans und Wynton Kelly jenes Meisterwerk auf, das wie keine andere Jazz-Veröffentlichung zuvor Virtuosität mit Simplizität vereint. Stücke wie “Freddie Freeloader”, “So What” (angeblich eine Äußerung, die sehr häufig über Davis' Lippen kam), “Flamenco Sketches” oder “Blue in Green” überschritten die Grenzen des Spezialisten-Jazz, ohne dabei zu verwässern. Miles Davis, “the Man with the horn” erweist sich als sensibler genialischer Ausnahme-Trompeter, der den anderen Koryphäen seines Ensembles (John Coltrane am Saxophon!) genug Raum zur Entfaltung läßt. Zum 50. Geburtstag von “Kind of Blue” bringt Columbia eine luxuriöse Legacy Edition auf den Markt, die auf zwei CDs die Entstehung des Originalalbums dokumentiert, inklusive “false starts” und “alternate takes”. In der DVD-Doku huldigen verschiedene Musiker und Weggenossen Davis' der Platte, die der gut gelaunte Herbie Hancock als Meilenstein für die gesamte moderne Musik preist und als perfekten Soundtrack “for making love” empfiehlt, während Q Tip “Kind of Blue” mit der Bibel vergleicht, die man einfach im Haus haben sollte. Ebenfalls auf der DVD enthalten: “The Sound of Miles Davis”, eine Aufnahme für CBS Television mit dem Miles Davis Quintet, bestehend aus Coltrane, Kelly, Chambers, Cobb und Davis selbst.

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  Coco Schumann: Rex Casino
Coco Schumann:
Rex Casino

CD + DVD
herausgegeben
von Kalle Laar
Trikont
» trikont.de


Coco Schumann: Rex Casino

Kommen wir zum einzigen noch lebenden Musiker dieser Zusammenschau: Heinz Jakob “Coco” Schumann ist ein Überlebender im dramatischsten Sinne. Er war Gefangener in den Konzentrationslagern Theresienstadt und Auschwitz, überstand die Zeit als Musiker zur Unterhaltung der Mitgefangenen und KZ-Wächter, die sich, Zitat Schumann, “immer nur 'La Paloma' wünschten”. Schumann, der im kommenden Mai seinen 85. Geburtstag feiern kann, hat sich zeit seines Lebens für die schonunglose Aufklärung der Naziverbrechen eingesetzt, will sich selbst aber nicht als ewiges Opfer dargestellt sehen. Er betont: "Ich bin ein Musiker, der im KZ gesessen hat. Kein KZ-ler, der Musik macht". Coco Schumann ist ein rundum positiver Mensch, dessen wildes Gitarrenspiel die Menschen bis heute begeistert: in den fünfziger Jahren war er einer der ersten deutschen Jazzer, der eine E-Gitarre einsetzte und Jazz mit Swing verband. Er spielte in Kaffeehäusern und Jazzkellern – und auch auf Kreuzfahrtschiffen, wie man in den herrlich albernen Super-8-Filmausschnitten sieht, die dem Album “Rex Casino” beigelegt sind. Mit seiner Combo bereiste Schumann die Welt, Stationen waren unter anderem das in den sechziger Jahren noch unzerstörte Beirut, der Senegal und andere exotische Orte. Aktuelleren Datums sind Aufnahmen im Hause seines alten Freundes und Mitmusikers, dem “Teufelsgeiger” Helmut Zacharias – es ist eine wahre Freude, die beiden Opis beim Jazzen, Swingen und Witzereißen zu beobachten. Die CD versammelt sechzehn Stücke, die zum festen Repertoire Schumanns gehörten, als er Mitte der fünfziger Jahre Stammusiker im Berliner Club “Rex Casino” war, darunter Schumann-Kompositionen wie “Coco Nuts”, “Exotique” und “Blues” und Evergreens wie “Misirlou”, “Stardust” oder “Ich küsse Ihre Hand, Madame”.

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