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13. Februar 2009
Christian Ogrinz
für satt.org

  Audio Poverty, Konferenz über Musik und Armut
Audio Poverty
Über Musik und Armut

6.-8. Februar 2009
Haus der Kulturen der Welt
» audiopoverty.de
» hkw.de


Lieber noch ins
Haus der Kulturen
der Welt gehen wir

„Lieber noch ins Café Adler gehen wir als ins Cadillac“, so schreibt Thomas Meinecke in einer Anekdote 1977, erschienen in der Zeitschrift Mode und Verzweiflung. „Wenn uns auch beides nicht so recht gefällt, so ziehen wir doch das Café Adler dem Cadillac bei weitem vor. Im Cadillac, wie Ihr alle wißt, gedeiht die Niedertracht, das Gewöhnliche getarnt als das Ungewöhnliche. Vom Café Adler wissen wir nichts zu berichten. Und insgeheim hassen wir alle diese Cafés.“ Unter dem gleichnamigen Motto „Mode und Verzweiflung“ stand der dritte und abschließende Tag der Veranstaltung Audio Poverty, Konferenz über Musik und Armut im Berliner Haus der Kulturen der Welt am 8. Februar.

Der 6. Februar war überschrieben mit „Jenseits des Long Tail“ und referierte auf den Gedanken, das Internet zeitige eine emanzipatorische Entwicklung der Minderheiten. Aus heutiger Sicht stellt sich die Frage, wie man annehmen konnte, der mediale Relativismus des Internet würde eine tatsächliche Befreiung bedeuten. So zirkulierte denn auch im Haus der Kulturen der Welt ein Pamphlet, das die „Enteignung von Myspace“ forderte. Genau genommen stellt schon Myspace selbst eine Form von Enteigung dar: Das Subjekt wird seiner Subjektivität beraubt. Das Besondere einer Band, ihre Individualität, wird auf Karteikartenniveau gebrochen. „Kritik der Kritik“ führte die Musikkritik am 7. Februar angesichts von völliger Informationszersplitterung quasi dem Altenteil zu. Worüber schreiben? Die lautlose Erhebung der Blogger scheint dem Musikjournalismus den Boden unter den Füßen weggezogen zu haben. Ein allgemeingültiger Fundus ist schon lange nicht mehr gegeben, die Spezialisierung auf Sparten weicht der Hyperspezialisierung auf Nischen.

Das Motto „Mode und Verzweiflung“ ist also nicht eben übel gewählt, denn schiere Verzweiflung ist es, die einen beschleichen muss angesichts des mehr als prekären Zustands des Musikgeschäfts, wie auch des Pop generell. Zwar konnte man in letzter Zeit lesen, die „Katerstimmung“, verursacht durch MP3 & Co., sei vorbei. Das mag sein, doch ist die klare Gewissheit mitunter schlimmer als der schlimmste Kater.

Am eingangs zitierten Beispiel „Café Adler“ lässt sich aufzeigen, wie Pop vielleicht funktioniert hat: als Distinktion in der Distinktion. Ein gespiegelter Individualisierungsakt. Sich abzugrenzen vom Mainstream, der als Lebenshaltung „Pop“ immerhin selbst als Abgrenzung zu sehen ist, war im 20. Jahrhundert kein Muss. Aber es bestand die Möglichkeit. Weil es einen Mainstream gab. Weil es eine Alternative gab. Gibt es heute einen Mainstream? Es wird behauptet, es gebe nur noch und ausschließlich einen riesigen Mainstream ohne Alternativen. Aber ein Mainstream ohne Alternativen bedeutet nicht nur das Verschwinden von Alternativen, es impliziert gleichsam das Ende des Mainstreams. Was bleibt, ist das Rauschen der isolierten Dateien.

Die Podiumsdiskussion „Wir haben nichts als Rauschen“ wurde moderiert von Christiane Rösinger (Britta, taz) und war der diskursive Abschluss und stille Höhepunkt der Veranstaltung. Als Gäste waren geladen der Klanginstallationskünstler Serge Baghdassarians, Alvin Curran von der Band Electronica Musica Viva, die senegalesische Rapperin und Sängerin Sister Fa, der Neue Musiker mit frischgebackener Professur Orm Finnendahl und die Wiener Popmusikerin und Sängerin Gustav.

Das Spektakuläre an dieser Gesprächsrunde war etwas ganz kleines. Der Höhepunkt vielleicht der ganzen Veranstaltung Audio Poverty lag in der Tiefe.

Es ging nämlich gar nicht darum, vor dem Hintergrund der medientechnologischen Umwälzungen der letzten zehn Jahre die Frage zu stellen: „Wie kann man von Musik leben?“

Nicht einmal „Kann man von Musik leben?“ war das eigentliche Thema. Die Entscheidung, so waren sich gleich zu Beginn alle Podiumsgäste einig, ein Leben als Musiker zu führen, impliziere ein Armutsrisiko, mindestens aber die Hinnahme von chronischem Geldmangel bei überhöhtem Arbeitsaufwand. Der alles entscheidende Punkt war mit der ersten Wortmeldung Orm Finnendahls gekommen: Er erklärte, ihn interessiere die Frage, ob man mit Musik Geld verdienen kann, nicht. – Eine Äußerung mit epochalem Charakter. Denn sie eröffnet die Zeit nach dem Ende. Man müsse als Musiker eben viele andere Arbeiten machen, mit denen Geld zu verdienen sei, fuhr er fort. Das brachte das Gespräch auf den Weg, der nun frei war für die Auseinandersetzung mit der Realität, die man so oft vermissen musste bei Schuldzuweisungen von Künstlern an die Plattenfirmen oder von Majors an die Raubkopierer. Ab jetzt war die Diskussion geprägt von seltener Direktheit und Klarheit. Den Auftakt an Statements machte Sister Fa mit ihrer Geschichte, wie sie eine CD produziert hatte, die kurz vor der Veröffentlichung stand. Ebendiese CD wurde ihr in Raubkopie von einem Herrn zum Kauf angeboten. Wie gesagt: noch bevor ihre CD überhaupt in den Läden gewesen war. Sie war perplex und fragte, woher er die CD hätte. Vom Eigentümer, war seine Antwort. Wer denn der Eigentümer sei, wollte sie weiter wissen. „Sister Fa“, bekam Sister Fa zu hören. – „Ich kann nur beten, dass sich das eines Tages ändern wird.“

Von geborgten Festplatten berichtet Gustav. Sie hat sie von Computersystemen ihrer Universität ausgeliehen, um ihr erstes Album produzieren zu können. Die Festplatten seien wieder an ihren Platz zurückgekommen, beteuert Gustav. Heute arbeitet sie mit eigenem Rechner und, wie sie lachend betont, mit bezahlter Musiksoftware. Die Produktionen aus guten Studios seien sowieso nicht so gut wie die aus schlechten Studios, merkt Orm Finnendahl an. Die beschränkten Möglichkeiten würden häufig zu anderen, mitunter besseren Lösungen führen. „Marktgetriebenes Musikmachen“, qualifiziert Alvin Curran die Arbeit in High-End-Studios ab.

Serge Baghdassarians meldet sich zu Wort und verpasst der aufgekommenen Heiterkeit über die grotesken Produktionsbedingungen einen Dämpfer: Er könne die Euphorie der anderen nicht teilen. „Es hängt alles am seidenen Faden!“ Er berichtet von der eingefahrenen Praxis der Neuen Musik: Komponieren im stillen Kämmerlein, zwei Proben, bei denen viele Zugeständnisse an das Ensemble gemacht werden müssen, dann die Aufführung – das sei nicht der Weg, sich auszutauschen und zu entwickeln, zumal viele Werke sowieso in der Schublade landeten. „Ich möchte meine Musik selbst auf die Bühne bringen. Auf einen Apparat wie das Orchester kann ich dann eben nicht zurückgreifen.“ Orm Finnendahl meinte, man solle ruhig den Versuch wagen, aus der Praxis der Popmusik-Produktion etwas in die Ernste Musik zu übernehmen.

Moderatorin Rösinger thematisierte die „Utopie eines Grundgehalts für alle Musiker“, was im Saal immerhin ein leises Raunen hervorrief. Geld vom Staat? Gustav hat mit staatlicher Subventionierung ihres neuen Albums in Österreich gute Erfahrungen gemacht. Allgemein wird in der Runde akzeptiert, wenn, dann sei es Aufgabe des Staates, besondere Kulturprojekte zu fördern. „Mehr Kreativität“ wendet sich Sister Fa an die Musiker. „Mehr Energie, mehr Inspiration, mehr Zeit! Viele Leute machen zu viel schlechte Musik.“ Weniger, dafür in guter Qualität solle produziert werden. Außerdem fordert sie „mehr positive Visionen!“ Von „mehr Wertschätzung“ der Kreativität gegenüber träumt Orm Finnendahl.

Solidarität unter Musikern, auf gegenseitiger Wertschätzung basierend, am besten gar eine „Musikergewerkschaft“ würde sich Gustav wünschen. Sister Fa schildert die Verhältnisse in Dakar, ihrer senegalesischen Heimat: Die massenhafte Arbeitslosigkeit würde Jugendliche vor die Wahl zwischen Sport und Musik stellen. Viel mehr Betätigungsfelder hätten sie nicht, Musiker schössen in Senegal wie Pilze aus dem Boden. Sie lässt nicht unerwähnt, dass im vergangenen Jahr ihr eigener Cousin, ebenfalls ein Musiker, beim Versuch, die Kanarischen Inseln illegal mit einem Boot zu erreichen, ums Leben gekommen ist.

Die Probleme der zeitgenössischen Musik und ihrer Musiker konnten naturgemäß nicht im Haus der Kulturen der Welt gelöst werden. Und dass die Probleme der so genannten Dritten Welt mit denen der Ersten Welt über das Armutsgefälle zusammenhängen, wissen wir alle. Mechanismen der Medientechnologie, für sich genommen ganz simpel den Datentransfer betreffend, spannen im Kontext einer durch den Relativismus der westlichen Welt ins Wanken geratenen Gesellschaft, ihrer Kultur und ihrer Popkultur, den Künstler und seine Arbeit in ein unentwirrbares Geflecht von Dilemmata.

Von Verzweiflung, Abschied und Verlust erzählt die folgende Stelle aus Klage von Rainald Goetz. Und von etwas anderem: von Aufbruch.

„ich kriege die Stars nicht in den Griff
ich denke über den Abschied nach
ich muss für die 2. Liga planen ...
Und war nicht das genau die Uridee KLAGE gewesen: den Text verlassen, vergessen;
das Wort ergreifen und geschehen lassen.“