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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




9. Februar 2009
Christina Mohr
für satt.org

Februarsampler

  Final Song # 01
Final Song # 01
Get Physical
» physical-music.com


Final Song # 01

Welcher Song soll auf der eigenen Beerdigung laufen? Zugegeben, eine recht morbide Frage, die bei Gothic-Spieleabenden gewiß für Begeisterung sorgt, in anderen Kreisen wohl eher vermieden wird. Meine (noch lebende) Mutter brachte das Thema vor einigen Jahren auf: “Kinder”, sagte sie, “Ihr wißt ja, wenn es mal so weit ist, will ich nicht das 'Ave Maria' hören. Sondern 'Knockin' on Heaven's Door', entweder von Bob Dylan oder in der Guns'n'Roses-Version.” Wir staunten nicht schlecht, nicht nur über ihre Auswahl, sondern auch über die Selbstverständlichkeit, mit der sie voraussetzt, betreffenden Song noch zu hören. Umgehend machte ich mir Gedanken, welches Lied ich denn “hören” möchte, wenn es “mal soweit ist.” Die Entscheidung fiel schnell, “My Rock'n'Roll Friend” von den Go-Betweens soll es sein, wer das hier liest, möge meinen Wunsch bitte als quasi-testamentarische Verfügung verstehen.

Auch Marcus Fink, Chef von Get Physical Music, hat über die letzte aller Fragen nachgedacht und eine schöne Compilation zusammengestellt. Auf “Final Song # 01” ist sein eigener Wunschsong aber nicht zu hören: er fragte dreizehn DJs und Elektromusiker nach ihren finalen Favoriten. Klar, dass Menschen wie Laurent Garnier, Kevin Saunderson, Chloé und Richie Hawtin auf Whitney Houstons Beerdigungs-Smash-Hit “I Will Always Love You” und “Time To Say Goodbye”, wahlweise geschmettert von Celine Dion oder Andrea Bocelli, lieber verzichten möchten. Ihre Auswahl ist wesentlich geschmackvoller ausgefallen: Ewan Peterson stellt mittels Peggy Lee die Frage “Is that all there is?”, Coldcut suchten sich Brian Enos “An Ending” aus (interessant, dass die Coldcut-Mitglieder offenbar davon ausgehen, diese Erde am selben Tag zu verlassen – deshalb auch nur ein Song), DJ Hell entschied sich für “Golden Brown” von den guten alten Stranglers, bei David Holmes' Trauerfeier sollen die Beach Boys “'Till I Die” zum Besten geben und Chloé vertraut sich selbst am meisten: sie möchte ihren Song “Paradise” hören und gibt damit die Reiseroute vor, die sie nach dem letzten Seufzer einschlagen will. Ausgelassen tanzend in die Grube fahren möchte einzig Detroit-Techno-Legende Kevin Saunderson, für ihn soll Cerrones “Supernature” erklingen - Disco-House als lebensbejahende Begleitung auf dem letzten Weg. “Final Song # 01” ist ein schönes, nachdenkliches, melancholisches, zu keinem Moment trauriges oder zynisches Album. Macht irgendwie Hoffnung – wenn man nur wüßte, worauf...

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  Wristcutters. A Love Story
Wristcutters. A Love Story
(OST) edel music


Wristcutters. A Love Story

Wir bleiben noch ein wenig beim Thema Tod, wenn auch draußen die Zeichen schon auf Frühling stehen und keine novemberlichen Nebelschwaden mehr die Seele bedrängen. Der Film “Wristcutters” (USA 2006, Regie Goran Dukic) lief meines Wissens nie in deutschen Kinos und ist – wenn überhaupt – nur auf DVD erhältlich. Die Story basiert auf der Kurzgeschichte “Kneller's Happy Campers” von Etgar Keret: drei Leute treffen sich nach ihrem Freitod im Jenseits in einem eigens für Selbstmörder gegründeten Ort – klingt doch eigentlich ganz nett, vielleicht geht ja ein wackeres Off-Kino das Wagnis ein und nimmt “Wristcutters” ins Programm. Sehr schön ist jedenfalls der (problemlos erhältliche) Soundtrack, auf dem sich melancholische Original-Filmmusikkompositionen mit mehr oder minder morbiden Popsongs abwechseln. Eugene Hütz zeichnet für drei Tracks verantwortlich, die dem Balkan-Polka-Punk seiner Band Gogol Bordello verpflichtet sind; ferner ist Del Shannon mit “Cry Myself to Sleep” zu hören, der früh verstorbene Countrymusiker Gram Parsons und sein “Song for You”, Artie Shaw mit “Gloomy Sunday”, die schräge Horror-Teenage-Opera “She's Fallen in Love with a Monster Man” von Screaming Lord Sutch, und auch das schönste traurige Liebeslied aller Zeiten ist mit von der Selbstmörder-Partie: “Love Will Tear Us Apart” von Joy Division.

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  Darkest Light. The Best of the Lafayette Afro-Rock Band
Darkest Light. The Best of the Lafayette Afro-Rock Band
(Remastered Edition)
Strut/!K7


Darkest Light. The Best of the Lafayette Afro-Rock Band

Wenden wir uns lebensfroher Musik zu: die Lafayette Afro-Rock Band formierte sich in den frühen siebziger Jahren in Paris, wohin die Musiker des Bobby Boyd Congress ausgewandert waren, um dem Funk-übersättigten US-amerikanischen Markt den Rücken zu kehren. Namenspatron Bobby Boyd verließ Frankreich bald wieder, die zurückgebliebene Band nannte sich fortan “Ice” und spielte mit großem Erfolg im Pariser Distrikt Barbès, dessen überwiegend aus Nordafrika stammende Bevölkerung den knackigen Streetfunk von Ice mit Wohlwollen goutierte. Der Produzent Pierre “Berjot” Jaubert wurde auf das Funk-Konglomerat aufmerksam und empfahl ihnen – angesichts des Überraschungserfolgs “Soul Makossa” von Manu Dibango – eine neue, “ethnischere” Identität: die Lafayette Afro-Rock Band war geboren. Die Tracks der Truppe verbanden tribalistische und urbane Elemente, angesagter Dance-Funk traf auf traditionell afrikanische Musik; die Mischung wirkte im französischen Exil besonders überzeugend und mitreißend. Währenddessen bedienten sich die ersten New Yorker HipHop-DJs wie Kool Herc und etwas später Grandmaster Flash gerne aus dem Oevre afrikanischstämmiger Musiker, Tracks wie Lafayettes “Congo” und “Malik” gehörten zum festen Repertoire auf Block Partys und Park-Happenings. Wie nachhaltig die Wirkung der Lafayette Afro-Rock Band auf andere Künstler ist, verdeutlichen die im Booklet aufgelisteten Tracks mit Lafayette-Samples: (willkürliche Auswahl) De La Soul, “Oodles of O's”, Wu-Tang Clan, “Wu-Tang Caln Ain't Nothin' to Fuck Wit'”, Ice Cube, “Friday”, Public Enemy, “Can't Truss It”, Aimee Mann, “That's Just...”, Naughty by Nature, “It's On” und viele mehr.

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  Music en Vogue Vol. 2
Music en Vogue Vol. 2
(Doppel-CD)
Polystar/Universal
» musicenvogue.com


Music en Vogue Vol. 2

Irgendwie süß, daß es in Zeiten von iTunes und last.fm noch Hit-Kopplungen (so sagte man früher) wie “BRAVO Hits”, “The Dome”, etc. gibt – und auch die in Kooperation mit Pro Sieben zusammengestellte Compi “En Vogue”, die gerade in zweiter Ausgabe veröffentlicht wurde. Um sich von der ballermannmäßig gestylten Konkurrenz abzuheben, setzt man bei “MeV” auf luxuriöse Ausstattung und edle Optik; hier sollen keine Spice-rauchenden Elfjährigen zugreifen, sondern die liquidere Latte Macchiato-Scene, die vor lauter Digibohème-Arbeit nicht dazu kommt, den Tag mit youtube-Glotzen zu verbringen und auch keinen Wert darauf legt, nur das Allerneueste zu hören. Die Musikauswahl auf den zwei CDs (42 Tracks!!) ist folglich ein wenig unausgegoren und liest/hört sich an wie ein ganz normaler Tag im Formatradio: The Killers eröffnen den Reigen mit “Human”, darauf folgen Katy Perry, Pink, Take That, Duffy, Amy Winehouse, Jason Mraz, Gabriela Cilmi und Rosenstolz. Etwas “rockiger” wird es mit Linkin' Park, 3 Doors Down, The Verve und dem Kotzbrockensound von Nickelback. Bevor man sich über grausame Hits der Neuzeit wie “Through the Eyes of a Child” von Reamonn oder Stefanie Heinzmanns sagenhaft mißglückte Coverversion von Metallicas “The Unforgiven” ausschüttet, sollte man sich an den zwar schwer zu findenden, aber dennoch vorhandenen Perlen wie Roisin Murphys “Overpowered”, Peter Fox' “Haus am See” und Sharleen Spiteri (Ex-Texas) mit “All the Times I Cried” erfreuen. Fazit: “Music en Vogue” ist das richtige Geschenk für Leute, die man noch nicht gut genug kennt, um ihnen Thomas Bernhard-Hörbücher oder Platten von Charles Mingus zu verehren. Oder für die Sorte von Frauen ohne eigene Plattensammlung, die seit sie sechzehn sind, “nur noch die CDs von ihrem Freund” mithören.

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  Dark Was the Night – A Red Hot Compilation
Dark Was the Night.
A Red Hot Compilation

4AD/Beggars
» redhot.org
» beggarsgroup.de


Dark Was the Night – A Red Hot Compilation

Ende der achtziger Jahre gründeten die Brüder Aaron und Bryce Dessner - auch mit ihrer Band The National bekannt – die Red Hot Organisation, um auf die verheerenden Auswirkungen von Aids aufmerksam zu machen. Unter dem Label “Red Hot” veranstalten die Dessners Benefiz-Konzerte und veröffentlichen regelmäßig Sampler (z.B. “Red, Hot and Blue”, “No Alternative”, “America is Dying Slowly”), deren Erlös in Aids-Stiftungen und medizinische Forschung fließt, vor allem aber Betroffenen zugute kommen soll. Die aktuelle Compilation “Dark Was the Night” ist mehr als nur ein hübsch kompilierter Sampler für einen guten Zweck: Aaron und Bryce baten Künstler um exklusive Tracks, die zum Teil in außergewöhnlichen Kollaborationen verwirklicht wurden. Leslie Feist singt mit Ben Gibbard (“Train Song”) und mit Grizzly Bear (“Service Bell”), von Bryce Dessner und Antony Hegarty stammt das wunderbare Duett “I Was Young When I Left Home”, Conor Oberst und Gillian Welch sind mit dem Song “Lua” vertreten, David Byrne gibt den Dirty Projectors die Ehre (“Knotty Oine”). Aber auch die “Einzelarbeiten” von Yeasayer, Bon Iver, Grizzly Bear, Yo La Tengo, Cat Power, The New Pornographers, Sufjan Stevens, Iron & Wine, Arcade Fire und vielen anderen machen “Dark Was the Night” zu einem Pflichtkauf.

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