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2. Februar 2009
Christina Mohr und
Tina Karolina Stauner
für satt.org

Singer / Songwriter

  Tenfold Loadstar: It's Cold Outside and the Gnome is You
Tenfold Loadstar:
It's Cold Outside and
the Gnome is You

Normal Records / Indigo
» myspace


Tenfold Loadstar: It's Cold Outside and the Gnome is You

„Hey now, what's your fear today?“ fragt Caro Garske mit glockenklarem Sopran im Opener des neuen Tenfold Loadstar-Albums „It's Cold Outside and the Gnome is You“, von dessen kapriziösem Titel man nicht auf den Inhalt schließen sollte: Mit ihrer dritten Platte hat die zum Trio geschrumpfte bzw. wieder angewachsene Hamburger Band so ziemlich alles richtig gemacht und braucht sich vor nichts zu fürchten. „It's Cold Outside...“ ist einerseits ein klassisches Singer/Songwriter-Album mit zurückgenommenen Arrangements und viel Raum für Text und Stimme, andererseits voller Experimente mit streicherbetontem Folk, Indie-Pop, Country und Lagerfeuerromantik. „Weapons“ mit seinem vielstimmigen Chorgesang und den sozialkritischen Lyrics könnte glatt eine neue Friedensbewegung einläuten, „Sophie's Bar“ hat sich dem Sechzigerjahre-Folk verschrieben und erinnert an The Mamas and The Papas, „Las Vegas“ und „Government“ sprühen vor guter Laune und mit „Sun King“ ist zum Schluß sogar eine regelrechte Barjazz-Perle zu hören. Dass Tenfold Loadstar eingängige Melodien schreiben können, haben sie vor einigen Jahren mit „Sun and Rain“ bewiesen, ihrem bislang größten Hit, der sogar in der TV-Werbung einer Bank zum Einsatz kam. Sie tourten mit Fink, The Fall und Calexico, ihr zweites Album „Mellow Garden“ bekam durchweg positive Kritiken und wäre ihr damaliges Label L'Age D'Or nicht pleite gegangen, wer weiß, vielleicht wären Tenfold Loadstar heute große Stars. Jetzt sind sie beim altgedienten Label Normal Records gelandet und die Karrierechancen stehen gut: produziert wurde „It's Cold Outside...“ von Multitaskerin Peta Devlin (Hoo Doo Girl, Oma Hans, COW), die außerdem die Mandoline bei „Moondog“ spielt; Carsten Meyer alias Erobique verfeinert „Hey Now“ und „My Mo“ mit seinem Piano-Einsatz, für den letzten Schliff im Studio sorgte Chris von Rautenkranz. Aber auch ohne prominente Unterstützung wäre „It's Cold Outside...“ gewiß gut gelungen, denn ihre Songs schreiben Tenfold Loadstar schließlich immer noch selbst.

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  Peter Broderick: Home
Peter Broderick: Home
Bella Union/Cooperative
Music/Universal


Peter Broderick: Home

Weil Peter Broderick Mitglied von Horse Feather ist, einer viel zu wenig beachteten Band mit wunderschönen Folksongs, höre ich mir seine aktuelle Solo-CD "Home" an. Filigrane, feinsinnige, fragile Songgebilde, die weit in die Welt der Folkmusik hineinziehen. Mit lieblichen Melodien und der Qualität von Betonung verspielter, sanfter Akkorde auf der akustischen Gitarre.
Eher problematisch ist die Dimension von orgelartigen Sounds und Chorgesängen, die Broderick teilweise ausschweifend integriert. Mehrstimmig, pathetisch. Manchmal an Simon and Garfunkel erinnernd. Feierlich, fast sakral. In den besten Teilen ist Brodericks Musik perfekt wie ein schönes S/W-Foto von kleinteiligem Mosaik in architektonischen Verstrebungen von Kathedralenfenstern, so wie Andreas Gurskys C-Print "Kathedrale I" aus dem Jahr 2007. Kunst also. Aber insgesamt ist die CD einfach geeignet für einen kalten Winternachmittag, den man gemütlich zuhause teetrinkend verbringt, während man zum Zeitvertreib amerikanische Design-Blogs durchklickt, die man dann alle bis auf ein oder zwei wieder vergisst. So wirkt die eigentlich sparsam instrumentierte CD stellenweise überproduziert und wie bloß hübsches Design. Und bietet tiefergehenden Wert in nur ein oder zwei besonderen Songs, die sich einprägen können. (Tina Karolina Stauner)

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  Andrew Bird: Noble Beast
Andrew Bird: Noble Beast
Bella Union
» andrewbird.net
» myspace


Andrew Bird: Noble Beast

Andrew Bird trägt nicht nur einen tierischen Nachnamen, er mag auch Tiere auf seinen Plattencovern: auf dem letzten Album „Armchair Apocrypha“ befindet sich ein Wellensittich, „The Mysterious Production of Eggs“ von 2005 ziert ein gezeichnetes Schaf und vom „Noble Beast“-Cover blickt dem Betrachter ein Hirschkäfer entgegen. Tierliebhaber Bird ist zudem ein musikalischer Perfektionist und ein ehemaliges Wunderkind, bastelte er doch schon mit vier Jahren seine erste Violine, die aus einer Feuerwerkskörperschachtel und einem Gummiband bestand. Später ließ er sich zum klassischen Geiger ausbilden und entdeckte seine Liebe zu ungarischer Zigeunermusik, Blues und Country, südamerikanischer Folklore – sprich, zu eigentlich allen Musiken dieser Erde. Das klassische Geigenspiel langweilte den ambitionierten Andrew hingegen schnell und er begann, seinem Instrument auf höchst unkonventionelle Weise die aberwitzigsten Töne zu entlocken. Auch auf „Noble Beast“, seinem inzwischen zehnte (!) Album dominiert die Geige, auch wenn man sie nicht immer als solche identifizieren kann: Bird läßt seine Fiedel singen, zwitschern, dröhnen, tirilieren; dazu begleitet er sich selbst auf der Gitarre oder mit dem Glockenspiel. Mit heller, sanfter Folkie-Stimme singt er vom Unterwegssein und von Umweltzerstörung, erfindet Begriffe wie „Anonanimal“ (schon wieder Tiere!) und hat die vierzehn Songs in eine Art Zyklus verpackt: Song Nummer eins heißt „Oh No“, der letzte „On Ho“ und der siebte/mittlere „ouo“. Was es mit diesem Zyklus oder Zirkel auf sich hat, weiß Andrew Bird allein, aber man muß sich nicht mit Interpretationsversuchen quälen: Birds Musik ist wunderschön und spricht für sich – mit leichter Hand jongliert er spanische Folklore und mittelalterlich anmutende Balladen, mit „Fitz and the Dizzy Spells“ schüttelt er eine treibende, mitreißende Indierock-Perle mit fröhlichem Pfeifen und Klatschen aus dem Ärmel, das hypnotische „Not a Robot, but a Ghost“ entwickelt einen tranceartigen Sog, der für ein Singer/Songwriter-Album mehr als ungewöhnlich ist. Andrew Birds kreatives Potential ist noch lange nicht erschöpft, wir warten gespannt auf neue Nachrichten aus dem Tierreich!

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  Flo Fernandez: La pomme d'enfer
Flo Fernandez:
La pomme d'enfer

DIAN
» flofernandez.de
» myspace


Flo Fernandez: La pomme d'enfer

Sechs Jahre sind vergangen, seit der Hamburger Singer/Songwriter Flo Fernandez sein Debütalbum „Prärie d'Amour“ veröffentlichte – eilig scheint es Flo, dessen Künstlername „Fernandez“ spontan während einer TV-Sendung entstand, jedenfalls nicht zu haben. Sechs Jahre sind eine lange Zeit im schnellebigen Popgeschäft, das nichts verzeiht und schon gar keine Bummelei, doch über „La Pomme d'Enfer“ (FF hegt offensichtlich eine Vorliebe für französische Albumtitel – trotz des spanischen Pseudonyms) können sich deswegen gleich ganz viele Leute freuen: diejenigen, die sehnlich auf einen Zweitling warteten und all jene, die noch nie was von Flo Fernandez gehört haben. Auf dem Cover präsentiert er sich als bebrillter Jarvis Cocker-Lookalike und wenn man auch keine Gemeinsamkeiten konstruieren kann, wo keine sind, steht Flo in punkto Schrulligkeit Mr. Cocker in nichts nach. Fernandez' Songs heißen „Rethem is a Dancer“, „Walsrode“ oder „Let's Fetz“, in „L'Idée Folle“ wird (auf deutsch) die wirklich blöde Idee eines verliebten jungen Mannes beschrieben, das Herz seiner Angebeteten zu gewinnen (wie, wird hier nicht verraten, aber: ein offener Sarg spielt eine bedeutende Rolle), der elegischen Ballade „Sometimes Always“ gesteht Flo ganze zwölf Minuten zur Entwicklung zu und in „Bad Cats“ geht es um: böse Katzen. Musikalisch zeigt sich Fernandez, der inzwischen mit einer dreiköpfigen Band spielt, klassischem Indie-Pop britischer Prägung verbunden: große Melodien mit melancholischem Grundton, die das Herz erwärmen und die Brillengläser beschlagen lassen.

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  Okay: Huggable Dust
Okay: Huggable Dust
Absolutely Kosher
» myspace


Okay: Huggable Dust

Wenn jemand – im konkreten Fall der kalifornische Songwriter Marty Anderson - „Okay“ als Pseudonym wählt, darf man vermuten, dass da jemand sich selbst und andere trösten möchte. Frei nach dem Motto des Psychoanalytikers Thomas Harris, „Ich bin okay, du bist okay“. Und tatsächlich hat Marty Anderson alias Okay allen Grund, sich ermutigend selbst auf die Schulter zu klopfen, denn er leidet seit vielen Jahren an einer seltenen Form von Morbus Crohn, die ihn zwingt, die meiste Zeit zu Hause in der Nähe seiner Ärzte zu verbringen. Keine guten Voraussetzungen für eine Popstarkarriere, und all seine bisherigen musikalischen Gehversuche als Duo oder Band scheiterten daran, dass Anderson nicht auf Tour gehen konnte. Aber Marty erweist sich als resilient (noch so ein Begriff aus der Psychoanalyse: Resilienz bezeichnet die Fähigkeit, mit Schicksalsschlägen positiv umgehen zu können) und nimmt als Soloartist fleißig Platten auf, „Huggable Dust“ ist bereits seine dritte. Achtzehn Songs sind drauf, zum Teil fragile Miniaturen zur Gitarre, aber auch ausufernd-opulente Arrangements mit Glockenspiel, Kazoo, Blasinstrumenten und viel Synthie-Einsatz. Fast alle Tracks tragen schlichte Einwort-Titel wie „My“, „Only“, „Tragedy“ oder „Panda“, die Texte behandeln alle großen und kleinen Themen des Lebens: Liebe, Einsamkeit, Verlassenwerden, Verlangen und immer wieder Hoffnung, Freude, Silberstreifen am Horizont. Neben der stilistischen und instrumentellen Vielfalt besticht vor allem Marty Andersons Stimme: knarzig, kratzig und kauzig, irgendwo zwischen kleinem Jungen und altem Opa, Kobold und Rumpelstilzchen. Okays Botschaft für uns alle: laßt Euch nicht unterkriegen, umarmt den Staub!

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  Jersey: Itinerary
Jersey: Itinerary
Pony/Indigo
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» myspace
» PonyRec.com


Jersey: Itinerary

Bereits im vergangenen Herbst erschienen und uns unverzeihlicherweise durchgerutscht: das zauberhafte Elektro-Pop-Folk-Album „Itinerary“ vom Notwist-Seitenarm Jersey, bestehend aus Marion Gerth, Andreas Haberl, Max Punktezahl, Noel Rademacher und Florian Zimmer. Schwermut und Leichtigkeit, Melancholie und Fröhlichkeit gehen hier in größter Selbstverständlichkeit Hand in Hand. Bitte anhören – aber wahrscheinlich kennt Ihr es eh' alle schon.

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