Lux Interior ist tot.
Am 4. Februar dieses Jahres verstarb mit Lux Interior das singende Ausnahmetalent und Mastermind der US-amerikanischen Rock'n'Roll-Combo The Cramps. Anlässlich dieses traurigen Ereignisses wollen wir den Blick unserer geneigten Leserinnen und Leser auf die Band richten und posthum das Werk Lux Interiors und seiner MitstreiterInnen würdigen.
Lux Interior (* 21.10.46 † 4.2.09)
Foto © The Cramps
Alles begann im Jahre 1973, als der junge Lux, damals noch unter seinem bürgerlichen Namen Erik Lee Purkhiser auf dem Weg zur Universität von Los Angeles war, wo er, so die Quelle, „classes in occultism“ besuchen wollte. Unterwegs mit dem eigenem Auto entdeckte er am Straßenrand eine Anhalterin, die, wie beide kurz darauf überrascht feststellten, ebenfalls auf dem Weg dorthin war und sich für dieselben Kurse interessierte.
Die Zeit an der Uni war für beide nur eine kurze Episode, schon bald machten sie sich gemeinsam auf, um Kalifornien in Richtung Osten zu verlassen. Sie siedelten sich kurz in Cleveland, der eigentlichen Heimat von Lux an und verbrachten ihre Tage im wesentlichen damit, in Plattengeschäften nach obskuren Rock'n'Roll- und Sixties-Garagenrock-Scheiben zu fahnden und diese billig zu erstehen. Das war deshalb möglich, weil der klassische Rock'n'Roll in jenen Tagen nicht sehr hip war und die alten 45`s aus den vergangenen Jahrzehnten niemand haben wollte.
In dieser Zeit fällt auch die Entscheidung, eine Band zu gründen. Da Cleveland nicht der Ort war, wo man als Musiker viel bewegen konnte, machten sie sich, inzwischen schreiben wir das Jahr 1975, auf nach New York. Dorthin, wo gerade eine neue Musikszene im Entstehen war. Lux und Ivy hofften, dort geeignete Mitstreiter und die entsprechende Atmosphäre für ihr Bandprojekt zu finden. Kaum waren sie dort, stellte sich Ernüchterung ein. Sie bezogen ein winziges Apartment in einer üblen Gegend und mussten Brotjobs zum Überleben annehmen. Ivy und Lux spielten in ihrer Wohnung zu den alten Singles Gitarre und versuchten auf diese Weise, sich in die Musik hineinzufinden. Die erhofften Mitmusiker blieben zunächst aus, jedenfalls bis zum 19. Februar 1976, als Lux in ein Plattengeschäft stolperte und dort einen Angestellten vorfand, der seiner Meinung nach mit von der Partie sein sollte. Dass er, der Mann auf der anderen Seite des Verkaufstresens, das Interesse von Horror- und Trashfilmfan Lux erweckte, verwundert nicht. Blass, dürr und hochgewachsen war er, mit tiefen Aknefurchen im Gesicht und stechenden Augen. Bryan Gregory, so der Name des Verkäufers, hielt sich selbst für den coolsten Typen des Universums und hatte Probleme mit anderen Menschen, da sie – nach eigenen Angaben - alle nicht annähernd so cool waren wie er. Und an diesem besonderen Nachmittag hatte er endlich einen Menschen kennen gelernt, der in seiner Liga spielte. Bryan war so Feuer und Flamme, dass er sofort nach Geschäftsschluss losmarschierte und sich eine Gitarre zulegte. Dieser schnelle Entschluss war auch der Grund dafür, dass die Cramps mit zwei Gitarristen, jedoch ohne Bass spielten. Ursprünglich sollte Bryan den Viersaiter übernehmen, aber als sie das erste Mal zusammen spielten, hatte er bereits seine Gitarre und seine Schwester dabei, die das Schlagzeug betätigen sollte. In dieser Formation begannen die Proben. Wohlgemerkt vier Mittzwanziger, die zum ersten Mal in ihrem Leben Instrumente in den Händen hielten. Ivy, die etwas talentiertere Gitarristin, brachte Bryan die wichtigsten Akkorde auf der Gitarre bei, Lux sollte sich auf das Singen konzentrieren. Als erstes Stück übten sie der Legende nach „Quick Joey small“ von „Kasenetz Katz Super Circus“, einer Bubblegum-Band aus den Sechzigern. Die folgenden Stücke waren meist obskurer Rockabilly, die sie aus Lux' und Ivys inzwischen recht großer Sammlung auswählten. Gegen Ende des Jahres fühlte sich die Band in der Lage, vor Publikum aufzutreten und konnte einen Support-Gig im CBGB`s in der Bowery ergattern, wo sie vor der Elektro-Punk-Band Suicide spielten. Der Auftritt muss eine ziemliche Katastrophe gewesen sein, Die Gitarren verstimmten sich während des Spielens - ein einziger Soundbrei, vor dem ein manischer Sänger wie von Sinnen herumsprang und ins Mikro brüllte. Aber sie waren zur rechten Zeit am rechten Ort. Punk kam gerade auf und ganz verschiedene Bands mit ganz verschiedenen musikalischen Ansätzen konnten unter dieser Flagge segeln. Das Publikum war aufgeschlossen für die destruktive Show der Cramps und in der folgenden Zeit traten sie regelmässig in Läden wie im legendären Max`s Kansas City und dem Lower Ocean Club auf.
Das Interessanteste in jenen frühen Tagen war, dass die Cramps versuchten, Rockabilly zu spielen, es aber nicht wirklich konnten. Akkordwechsel wurden verschleppt, auf Sologitarrenparts musste wegen mangelnder Versiertheit an den Instrumenten verzichtet werden. Um das wett zu machen, wurden die Distortions und Fuzzgeräte an den Verstärkern voll aufgedreht. Dazu waren die Cramps immer eine Style-Band, beinah wichtiger als die Musik war der Auftritt und die Kleidung. Wenn sie nicht probten, grasten die Musiker Second Hand-Shops nach Vintage- Klamotten, Schmuck und Sonnenbrillen ab. Diese Outfits trugen sie privat und auf der Bühne, und der originale Touch der Kleidung sorgte dafür, dass sie wie eine Horror- bzw. Zombiefilm-Parodie einer Band aus den Fifties oder Sixties wirkten.
Zunächst gab es noch Probleme mit dem Line up. Der Schlagzeugschemel war inzwischen von Pam Balaam, die New York den Rücken gekehrt hatte, auf Miriam Linna übergegangen, die auch nicht lange blieb. Der Sound der Cramps war ihr zu roh und ungeschliffen und sie ging, um die „Zantees“ zu gründen, eine Band, die vom Konzept den Cramps recht ähnlich waren, allerdings eher die Fifties-Schiene fuhren, konnten sie doch zwei ehemalige Gitarristen von Gene Vincent für sich gewinnen. Der zu dieser Zeit gerade zufällig in New York weilende Nick Stepanoff schließlich schien der passende Mann für die Cramps zu sein: Der Band war er bereits bekannt, er stammte wie Lux aus Ohio und hatte im Gegensatz zu seinen zukünftigen Mitstreitern bereits Erfahrungen an seinem Instrument. Zuvor spielte er bei den Electric Eels, einer Avantgarde-Garagenband aus Ohio. Lux und die anderen waren jedoch nicht überzeugt und gaben Nick zunächst eine ablehnende Antwort. Kurze Zeit später entschieden sie sich doch für ihn – auch aus Ermangelung von Alternativen. Unter dem Künstlernamen Nick Knox sollte er bis 1990 für den Drumsound der Band verantwortlich zeichnen. Damit war die eigentliche Besetzung gefunden und die Cramps begannen, die Welt mit ihrem eigenwilligen Sound und ihrer einzigartigen Bühnenperformance zu erobern. Es fehlte nur noch ein Plattenvertrag.
Anfang 1977 sah Alex Chilton, ehemaliges Mitglied der Box Tops, die Cramps bei einem Gig in New York und beschloß, der Band zu helfen, den erhofften Plattenvertrag zu bekommen. Chilton hatte Verbindungen im Musikbusiness und bot den Vieren die Chance, als Backingband den Sessionmusiker Jim Dickinson bei einer Aufnahme zu begleiten. Dafür durfte die Band nach Memphis reisen, um dort in Sam Phillips' (u.a. Entdecker, Manager und erster Plattenboss Elvis Presleys) Sun Studios mit Dickinson die Rockabilllynummer „Red Headed Woman“ aufzunehmen. Nebenbei produzierten sie unter Chiltons Regie einige eigene Aufnahmen, um Plattenfirmen von sich zu überzeugen. Zunächst mit mäßigen Erfolg, sodass die Cramps erste Singles und ein Minialbum im Selbstvertrieb veröffentlichten. Erst 1979 konnte ein „richtiger“ Plattenvertrag geschlossen werden. Miles Copeland Jr., Manager von Police und Squeeze und nebenbei Eigentümer einiger Independent-Plattenlabels, nahm die Cramps für sein International Record Syndicat (IRS) unter Vertrag, und endlich konnte mit „Songs The Lord Taught Us“ die erste Langspielplatte erscheinen, die von vielen Cramps-Fans bis heute für die beste und originellste gehalten wird. Die Platte klingt, als wäre sie in einer Gruft aufgenommen worden, die Coverfotos tun ein übriges dazu. Dreizehn druckvolle Songs, mehr als die Hälfte davon Coverversionen alter und zumeist unbekannter Rockabilly-Klassiker im typischen Cramps-Soundgewand.
In den folgenden Jahren machte die Band mit dem begonnenen Konzept weiter: originell umgesetzte Coverversionen plus eigene Kompositionen. Das oben vorgestellte Line-up, das von eingefleischten Fans als die einzig wahre Besetzung angesehen wurde, hielt nicht lange. Bryan Gregory fühlte sich nach kurzer Zeit von der Retrolastigkeit der Band gestört und fand diese nicht mit seinen Ideen vereinbar. Während der Tour zur ersten Platte, bei der die Cramps oft mit Punkbands auftraten, wollte er den Sound modernisieren und sich stärker an politisch motivierten Bands wie The Clash orientieren. Bei seinen Mitmusikern stieß er damit auf wenig Gegenliebe und noch während der laufenden Tour verschwand er, so die Cramps Legende, nach einem Konzert mit der gesamten Ausrüstung auf Nimmerwiedersehen. Seine Ideen konnte er nicht mehr umsetzen: zwar spielte er später bei anderen Bands Gitarre, doch er konnte seinen Bekannheitsgrad nicht nutzen, um mit anderen Musikern eine erfolgreiche Gruppe zusammenzustellen. Gelegenheitsjobs folgten, unter anderem als Tätowierer und Manager eines Pornogeschäftes; 2001 starb er mit nur 46 Jahren.
Die Cramps beschäftigten in den folgenden Jahren zahlreiche Gitarristen, u.a. Nick Knox, der, obwohl er schon rein optisch hervorragend ins visuelle Konzept passte, nach einem kurzen Gastspiel wieder zu seiner alten Band, dem Gun Club zurückkehrte. Mitte der achtziger Jahre tauschten die Cramps die zweite Gitarre doch noch gegen einen Bass: Durch die neue Strukturierung der Songs wurden sie für eine größere Zielgruppe hörbar.
Das Album, das diesen Wechsel einleitete, war das oftmals unterschätzte „A Date With Elvis“.
Viele Die-Hard-Fans fanden das Album überproduziert und zu kommerziell geraten. Mit „Fur“ und der bald darauf folgenden Candy del Mar waren passende Bassistinnen gefunden und für eine Weile sah es so aus, als ob diese Besetzung wenigstens ein paar Jahre zusammen bleiben könnte. Aber Anfang der Neunziger verließ Nick Knox die Band, weil er vom Rock'n'Roll-Leben genug hatte und eine bürgerliche Existenz bevorzugte, Candy del Mar folgte auf dem Fuße. Danach bestanden die Cramps im Kern nur noch aus Lux und Ivy, die sich mit wechselnden Bassisten und Schlagzeugern umgaben, für die die Cramps eher ein Nebenjob waren. Auch die exzessiven Bühenshows ließen mit der Zeit etwas von ihrem Esprit vermissen. Wusste man noch während der Achtziger nicht, was einen bei einem Auftritt erwartete, änderte sich das zu Beginn der Neunziger grundlegend. Aufgrund des zunehmenden Alters der Akteure oder wegen gesunkenen Alkohol- und Drogen(Miß-)Gebrauchs wurden die Shows vorhersehbarer, aber keineswegs langweiliger: Bei einer ihrer sporadischen Tourneen 1986, die sie auch ins Frankfurter Volksbildungsheim führte, wälzte sich ein sichtlich ausgepumpter und manischer Lux in den Scherben der vorher geleerten Weinflaschen und sang und tanzte trotz blutender Wunden mit unglaublicher Energie weiter. Ganz klar alte Crampsschule und aus gesundheitlichen Gründen nicht ewig durchhaltbar.
Das originelle Outfit, wofür die Cramps berühmt waren - zwischen Lederfifties-Rockabilly, Sixties-Garagenband und US-Showmaster changierend, stets mit speziellem crampseigenen Horrortouch, sodass die Musiker wie Untote wirkten - wechselte mit der Zeit zu einer Art S/M-Latex-Style. Auch damit ging ein wenig vom alten Zauber verloren. Ab den neunziger Jahren wurde die Plattenveröffentlichungen seltener, zuweilen ließ man sich fünf Jahre Zeit bis zum nächsten Album. In der Zwischenzeit pflegten Lux und Ivy ihr Privatleben, beschäftigten sich mit ihren Platten-, Design-, Klamotten und Autosammlungen, nahmen Preise und Ehrungen entgegen. Fans der ersten Stunde waren älter geworden und hatten zum Teil Positionen in der Unterhaltungsindustrie eingenommen. So kam es zu denkwürdigen Ereignissen, wie z.B. dem Auftritt in der TV-Serie Bevery Hills 90210, der die Band einem neuen Publikum bekannt machte.
Im Jahr 2003 waren die Cramps zum letzten Mal in Deutschland: anläßlich der Tournee zu „Fiends of Dope Island“, ihrem letzten regulären Album. Darauf folgte noch eine Sammlung von Singles, Outtakes und Liveaufnahmen aus den frühen Jahren, seitdem war Sendepause - bis zu der tragischen Nachricht Anfang Februar. Der Tod von Lux Interior, Mastermind, Konzeptkünstler, Produzent und Sänger. Eine Herzkrankheit riß ihn aus dem Leben. Die Geschichte der Cramps ist mit Lux' Tod zu Ende und das ist traurig. Trotzdem wird die Band niemals in Vergessenheit geraten, schon seit langem haben sie einen festen Platz im Underground-Olymp. In der Zukunft wie auch in der Vergangenheit werden sich andere Bands an den Königen des Underground-Rock'n'Roll orientieren, und auch Protagonisten ganz anderer Szenen bekennen und bekannten sich zu den Cramps als Einfluss. Die im Zuge des Punkrock vornehmlich in Großbritannien entstandene Psychobilly-Szene beruht auf den Cramps. Auch narzisstische Gothics wurden von der Aufmachung der Cramps inspiriert, obwohl, wie Lux einst in einem Interview betonte, der Unterschied zwischen Gothic und den Cramps immer war, dass Goths oder Grufties den Tod favorisierten, die Cramps aber heiß aufs Leben ...waren.
Der König ist tot und diesmal kann man nicht sagen, „Es lebe der König“. Ein Nachfolger ist nicht in Sicht. Ruhe in Frieden, wir, die Devotees und the Legion of Cramped vermissen Dich.
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