Mona Mur, in Hamburg geborene und in Berlin lebende Allroundkünstlerin, ist schon seit Anfang der achtziger Jahre musikalisch aktiv: sie arbeitete mit den Einstürzenden Neubauten, Yello, den Stranglers und den Warschauer Philharmonikern zusammen, ihre erste Single „Jeszcze Polska“ (aufgenommen mit FM Einheit, Marc Chung und Alexander Hacke) wurde 1982 von der britischen Zeitschrift New Musical Express zur „Single of the Week“ erkoren. Mona Mur ist eine Pionierin des dunklen Elektrosounds, schon früh kombinierte sie düstere Balladen mit kühnen Synthieklängen, ihre voluminös-dramatische Stimme begeisterte nicht nur Wave- und Gothic-Fans. In den neunziger Jahren wendet sich Mona Mur anderen Dingen zu: sie erlernt die Kampfsportart Taekwondo und schafft es bis ins deutsche Taekwondo-Nationalteam; sie reist viel, bevorzugt nach Indien. Als eine von nur wenigen Frauen in diesem Geschäft beginnt sie, Sounds und Scores für Animationsfilme und Computerspiele zu produzieren und ist damit bis heute sehr erfolgreich. 2004 landen drei neue Mona Mur-Songs auf dem Soundtrack zu Fatih Akins Film „Gegen die Wand“, 2005 erscheint die Bild- und Ton-Retrospektive „Berlin Super 80“, auf der auch Mona Mur vertreten ist: Release-begleitende Konzerte und anschließende Festival-Auftritte machen Mona Mur Lust auf eine neue eigene Platte. Mit dem Gitarristen und Elektro-Experimentalisten En Esch, ehemaligem KMFDM- und Pigface-Mitglied, findet sie den idealen Partner für ihr Projekt. Das Ergebnis ihrer Zusammenarbeit ist jetzt bei Pale Music erschienen: „120 Tage. The Fine Art of Beauty and Violence“ heißt es und ist ein Rundumangriff auf alle Sinne. Produziert von Ingo Krauss (Neubauten, Nina Hagen) und mit Nikko Weidemann an Orgel und Piano, wurden einige ältere Tracks von Mona Mur („Snake“, „120 Tage“, „Eintagsfliegen“) mit Elektroloops und Feedback aufpoliert: düster, rough und kraftvoll, moderner Industrial. Besonders am Herzen liegen Mona Mur die drei Brecht/Weill-Interpretationen („Surabaya Johnny“, „Die Ballade vom ertrunkenen Mädchen“, „Der Song von Mandelay“) – im Übrigen darf nicht jeder einfach so Brecht/Weill-Stücke aufnehmen, die Kurt Weill-Stiftung muß die Aufnahmen genehmigen. Von Mona Murs ungewöhnlichen Bearbeitungen zeigte sich die Stiftung allerdings sehr beeindruckt, so dass der Genehmigung nach einiger Wartezeit nichts im Wege stand.
Mit dem Album-Titel "120 Tage" beziehst du dich auf de Sades Buch und Pasolinis Film – was fasziniert dich an dem Stoff?
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Mona Mur, 20. Februar 2009 im Live at Dot, Kreuzberg Foto © Alexander Christou
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Mona Mur: Der Titelsong/das Album „120 Tage“ behandelt das alte Thema von Liebe als Grenzerfahrung. Warum interessiert mich das? Weil ich es sehr früh so erlebt habe. Es gibt kaum ein bewegenderes Thema, ausser vielleicht den Krieg: Beides konfrontiert Dich mit der Möglichkeit der Auslöschung. Mit der Musik evozieren wir Assoziationen von Erotik, Macht, Unterwerfung, Lust, Schmerz, Tod, auf poetische Weise, nicht durch intellektuellen Diskurs. Es ist kein deSade – Proseminar. Es ist Kunst. Aber, „Ein jeder Engel ist schrecklich“ – so wie Pasolinis grandioses, unerträgliches Filmkunstwerk. Wir erlauben uns, schamlos mit diesen Assoziationen zu spielen. Nicht nur beim Text, sondern auch in der musikalischen Formensprache. Opulente Tutti, dann Generalpausen, wie mit dem Beil gehackt: Der Song klingt wie Messerwerfen.
Du interpretierst auf dem neuen Album gleich zwei Brecht/Weill-Stücke – warum sind diese Lieder deiner Meinung nach heute noch so bedeutend?
* Mona Mur meint wahrscheinlich die EP „Songs aus Die Dreigroschenoper“ der Ingolstädter Band Slut.
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Mona Mur: Weil es wahre Popsongs sind, die sonst im Museum verstauben. Da helfen auch diese netten Indierock-Versuche* nichts. Weil „Surabaya Johnny“, mit brachial–wahnsinnigen Sägegitarren, Glue-Sniffer-Monsterbeat und kirrer Kirmesorgel vorgetragen, in der ersten Mona Mur-Blütezeit um 1985, wenn ich so sagen darf, DIE Hymne war – die ersten Synth-Töne erklangen, und die Menschen entleibten sich. Die „Ballade vom Ertrunkenen Mädchen,“ dessen bleicher Leib verrottet den Fluss hinuntertreibt – ein Meisterwerk, nicht ausgereizt. „Dann ward sie Aas in Flüssen mit vielem Aas“ – selten so den Tatsachen ins Auge gesehen. En Esch war so freundlich, mit mir gemeinsam diesen Interpretationen neuen Nachdruck zu verleihen. By the way, es sind drei Brecht/Weill-Stücke: der „Song von Mandelay“ ist auch noch da. (Sorry!, Anm. cm) Das Lied der Puffmutter-Witwe Begbick, die die Freier zur Eile antreibt: „Liebe, die ist doch an Zeit nicht gebunden, Jungens, macht rasch, denn hier gehts um Sekunden.“ Zwingend. Denn, „ewig nicht stehet der Mond über dir.“ Dazu gehört ein adäquat brutal-packender Sound, nicht die übliche Verniedlichung.
Welche zeitgenössischen KünstlerInnen/MusikerInnen interessieren dich?
Mona Mur: Ich komme aus der Schule von Kollegen wie Throbbing Gristle, Laibach, Einstürzende Neubauten, auch DAF. Künstlerinnen wie Siouxsie, Lydia Lunch, Diamanda Galas waren Vorbilder, was Radikalität und Kompromisslosigkeit betrifft. Rammstein sind in all ihrer Ambivalenz und trotz des Spekulativen ihres Oevres für mich der einzige international vorzeigbare Pop-Act zur Zeit auf der Mainstream-Ebene. Natürlich sind sie auch ein bisschen eklig, dennoch, die Symbiose von Kommerzialität und einem Rest wirklicher Provokation kann durchaus Laune machen. Ich bin von Filmen und Bildern beeinflusst, fasziniert, durchdrungen: luzide elegisch – futuristische Phantasmagorien à la „Ghost in the Shell“, grelle Cyberkrimis wie „Sin City“, alptraumfarbene virtuelle Schlachtengemälde wie „300“. Das Elben-Epos „Lord of the Rings“, ich kann die englischen Dialoge auswendig. Ich „höre“ die Filme auch sehr. Der Balrog von Morgoth, das bin ich. Bin sicher das, was man eine Eskapistin nennt. Ich liebe japanische Computergames-Ästhetik à la „Shadow of the Colossus“, „Silent Hill”, “Okami“, aber auch Reisser wie “Hitman”, „Kane and Lynch“, GTA... ich bin viel mit Games-Artisten zusammen, da ich selbst Musik und Sound für Games mache. Da herrscht eine grosse Dynamik, das ist fast heisser als der Musikbiz nowadays. Verschärfte Popkultur. Es wird Zeit, dass das als Medium und Bewusstseinsindustrie wahrgenommen wird, auch im intellektuellen Diskurs.
Mit "120 Tage" erscheint seit längerer Zeit wieder ein "richtiges" Mona Mur-Album, aber du warst ja in den vergangenen Jahren auch sehr aktiv (Filmmusik für Fatih Akin, Musik für Computerspiele). Woher kam jetzt der Wunsch, selbst wieder mehr in den Vordergrund zu treten?
Mona Mur: Der Drive war wieder da. Schon seit geraumer Zeit. Es ist wieder aufgetaucht, wie ein Brennen. Erschreckend. Die Koinzidenz war, dass auch entsprechende Kollegen in meinem Leben erschienen sind, mit denen gut Feuerlegen ist. Ich arbeite als Sängerin nur mit den Besten auf diesem Gebiet. Wenn keiner da ist, dann halt nicht. Jetzt ist Herr Esch da. Und, ich bin heute völlig hemmungslos auf der Bühne, ein Zustand, den ich früher nur mit Hilfe von Substanzen erreichen konnte. Das ist ein echter Genuss.
Die Games-Musik ist nach wie vor mein Thema. Ich produziere gerade den Score für „Culpa Innata 2“ und eine grosse internationale Produktion, die ich noch nicht nennen darf. In „Culpa Innata 2„ sind Esch und ich als 3D-Charaktere drin, wir spielen dort „120 Tage“ auf Russisch. Als Band in der Bar eines Schurkenstaates... Das wird man in Kürze auf Youtube sehen können. Wir müssen als Komödianten etwas richtig gemacht haben, wenn man uns als Comicfiguren im Cyberspace verewigt!
Ist das neue Album dein "Comeback" oder Weiterführung deiner Arbeit?
Mona Mur: Ich war nie weg.
Wie kam es zur Zusammenarbeit mit En Esch? Wart Ihr Euch schnell einig, wie sich Eure gemeinsame Musik/Lyrics anhören soll oder gab es "Kämpfe"?
Mona Mur: Kämpfe, nein. Es ist ein Prozess ohne Worte. Wir haben viel Toleranz für einander. Herr Esch und ich sind uns natürlich schon lange gegenseitig bekannt. KMFDM haben in Hamburg 1985 für Mona Mur eröffnet. Sie gingen dann in die USA und wurden dort erfolgreich, nicht zuletzt wegen der zu recht berühmt/berüchtigten Bühnenshow des Herrn Esch. Sowas schätze ich. Ebenso wie pralle Beats und Elektronik, verheiratet mit fetten harten Gitarren. Ich dachte, immer her mit dem Herrn!, als mein früherer Bandmate, Nikko Weidemann, der alle Orgeln auf „120 Tage“ spielt, ein Treffen vorschlug. Das war vor zwei Jahren. Jetzt sind Esch und ich Partner. Wir pflegen ähnliche Vorlieben und haben beide eine Menge Erfahrung, was Musikproduktion betrifft. Wir müssen uns nichts erzählen oder beweisen. Es ist eher wie ein Trip.
Wer hat musikalisch das letzte Wort?
Mona Mur: Es gibt kein letztes Wort. Wir tun, was getan werden muss.
Du hast in den frühen achtziger Jahren mit den Einstürzenden Neubauten zusammen gearbeitet – sie sind wie du und viele andere Musiker (ehemalige Punks oder New Wave oder – entfernt – NDW) bis heute aktiv, erfolg- und einflußreich. War die Punkzeit künstlerisch besonders fruchtbar?
Mona Mur: Das war sie in der Tat. Es war eine der ganz grossen epochalen „Musikrevolutionen“, die das Alte hinwegfegen und neue Formen setzen. Das wird immer schwieriger, da alle Wege begangen scheinen... Zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein und so ein Kraftfeld zu spüren, das ist ein großes Glück. Ästhetisch und weltanschaulich bin ich sicher ein Kind jener Zeit. Der Poète Maudit als romantisches Künstlerideal. „Real Stuff“ statt verdünnter Ware ist bis heute die Devise. Aber die Stilmittel sind jetzt vielfältiger und ich kann sie selbstbestimmt einsetzen, thank goddess and my computers.
Du bist vor ein paar Jahren beim Wave/Gotik-Treffen in Leipzig und bei M'era Luna aufgetreten. Fühlst du dich in der "schwarzen Szene" wohl? Oder sind solche Einordnungen (Stil, Genre) für dich unwichtig?
Mona Mur: unwichtig.
Wie wichtig ist das Image/die optische Darstellung von Mona Mur?
Mona Mur: Das Image ist integraler Teil des Acts. In meinem etwas fortgeschrittenen Alter von 114 ist es ein Hauptspaß, sich als Projektionsfläche gezielt in Szene zu setzen. Ich verfüge heute selbst über Produktionsmittel. Das ist schön. Ich habe wunderbare Freunde, die Fotografen und Designer sind und die sich von meiner Musik inspirieren lassen. Vor allem Ilse Ruppert, die mich seit bald 30 Jahren fotografiert, glamourös, dreckig, geheimnisvoll, wie ein offenes Buch, abgründig, gierig, verschlossen, lustig, sexy, très rock'n'roll. Ilse hat drei Mona-Coverfotos gemacht. Guckt mal auf monamur.net und auf ilseruppert.de: vor allem Frauen sehen toll aus bei ihr! Ich habe ihr sehr viel zu verdanken.
Da ist Biel Moreno aus Barcelona, auf dessen Portraits ich mich selbst nicht erkenne, den Lethe-Fluß in den Augen. Da ist der Hamburger Fotograf Jan Riephoff mit dem messerscharfen Mur/Esch Foto aus dem Chinaclub im Adlon: Jedes Bild sollte ein Schlag auf den Kopf sein.
Im CD-Booklet bedankst du dich bei Genesis P-Orridge – seid Ihr befreundet, arbeitet Ihr auch zusammen?
Mona Mur: P-Orridge ist ein großer Künstler und Schamane. Die Soundscapes von Throbbing Gristle und P-Orridges kathartisch wirkende Schrei-Koloraturen begleiten mich seit frühester Zeit, ruhten dann ein Jahrzehnt scheinbar vergessen in meinem Kopf, bis ich in den frühen neunziger Jahren selbst begann, mit Computern und Samplern zu arbeiten. Zutage kam ein Hang zu mächtigen psychoaktiven Klang-Kontinua, gespickt mit kleinen Melodien, Flüsterungen, Synthie-Schreien, fremdartig, unerhört. Voller Schönheit... P-Orridge ist DER Nagual-Beschwörer schlechthin. Ich habe Genesis 1983 mit Ilse Ruppert in Hackney besucht, wir verbrachten einen unvergesslichen Nachmittag in seinem gemütlichen Folterkeller. Wir trafen uns auch bei den Dreharbeiten von Klaus Maecks Film „DECODER“ mit William S.Burroughs, Bill Rice, FM Einheit. Eine grosse Inspiration. Nein, gearbeitet haben wir nicht zusammen. Das muss auch nicht sein.
In einem Artikel wurdest du als "böse Stiefschwester von Rosenstolz" bezeichnet – wie gefällt dir der Vergleich?
Mona Mur: Ich finde ihn absurd.
In vielen Artikeln über dich wird immer wieder erwähnt, dass du Kampfsportlerin (Taekwondo) bist – warum gerade diese Sportart?
Mona Mur: Wegen seiner Härte und Eleganz.
Vielen Dank für das Interview!