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23. März 2009
 

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März 2009, zweiter Teil


  Pet Shop Boys: Yes
Pet Shop Boys: Yes
Parlophone/EMI
» petshopboys.co.uk


Pet Shop Boys: Yes

Es soll ja Menschen geben, die die Musik der Pet Shop Boys für oberflächlichen Discokitsch halten. Die Verfasserin dieser Zeilen hegt keinen Groll gegen solche Leute, eher tiefes Mitleid: kann es tatsächlich sein, dass sich der Zauber der Pet Shop Boys manchem einfach nicht erschließt? Wahrscheinlich wird auch „Yes“, das neue, wie üblich mit einem einzigen schlichten Wort betitelte Album von Neil Tennant und Chris Lowe, wird an der öffentlichen Wahrnehmung nichts ändern: Fans steigen Tränen der Begeisterung in die Augen, Zweifler werden angewidert auf die Komplettsynthetik des PSB-Sounds hinweisen und sich der neuen Platte von U2 zuwenden. War „Fundamental“, das letzte Album der Pet Shop Boys, nachdenklich und regelrecht düster geraten, knüpfen die elf Songs von „Yes“ an „Very“- und „Behaviour“-Zeiten an. Elegant und stilsicher, zwischen Eurodance und Global Disco changierend, glossy, leuchtend, opulent. Die Pet Shop Boys kredenzen Pophymnen wie „All Over the World“ und „Pandemonium“, stampfenden Discofox („Love etc.“, „Did You See Me Coming?“), orchestralen Pomp („Beautiful People“) und große, dramatische Balladen („Legacy“) - das volle Programm. Johnny Marrs Gitarre setzt Akzente, spielt sich aber nirgends in den Vordergrund. Doch die Musik allein ist es nicht, die die Pet Shop Boys so einzigartig und zum wichtigsten Popduo aller Zeiten macht: es ist Neil Tennants Stimme. Diese zarte und dabei so prägnante, alters- und geschlechtslose Stimme mit tadelloser very britisher Aussprache, in der so viel Sehnsucht und Melancholie schwingt und den größten nur denkbaren Kontrast zum übereuphorisierten Discopop aus Steve Lowes Geräten darstellt. Wenn Tennant singt, „You may think I'm strong / and I can do no wrong / but I'm vulnerable / so vulnerable without you“ („Vulnerable“), kann man nicht weniger als überwältigt davon sein, wie hier ein distinguierter Mittfünfziger sein Herz für alle sicht- und angreifbar auf den Tisch legt. Im letzten Song „Legacy“ heißt es: „That's it / the end / but you'll get over it / my friend / time will pass / governments fall / (...) and you'll get over it“ - gab es je eine Band, die unaufgeregter und lakonischer mit dem eigenen Star-Status umging als die Pet Shop Boys? Bevor mir eventuell Gegenbeispiele einfallen, lege ich „Yes“ gleich nochmal auf...


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  The Rakes: Klang
The Rakes: Klang
V 2/ Cooperative/ Universal
» therakes.co.uk
» myspace

The Rakes live 09:
3. Mai: Zakk, Düsseldorf, 4. Mai: Batschkapp, Frankfurt, 5. Mai: Röhre, Stuttgart, 6. Mai: Abart, Zürich, 8. Mai: Covo Club, Bologna, 9. Mai: Posthof, Linz, 10. Mai: Backstage, München


The Rakes: Klang

Jedes Musikjahr bringt neue Bands und neue Schubladen. Nicht selten zuerst im UK, oft mit Verzögerung im Rest der Welt. Da müssen die Jungs und Mädels in den Schubladen der vergangenen Jahre oft ganz schön laut sein, um erneut Gehör zu finden. Musikalische Weiterentwicklung ist ein Weg, „back to the basics“ ein anderer. The Rakes werden zu den Artrock-Bands gezählt, die vor einigen Jahren mit rauer, melodischer Gitarrenmusik vor allem aus England kamen. Im deutschsprachigen Raum machte damals gleichzeitig die seltsame Wortneuschöpfung von den „The-Bands“ die Runde. Mit den neuen musikalischen Wegen auf „Ten New Messages“ (2007) waren die Rakes letztlich unzufrieden, für den Neustart ging die Band wie viele andere Künstler vor ihnen nach Berlin. Die elf Songs von „Klang“ sind eine Rückkehr zu den Wurzeln. Die fand in den Planet Roc Studios statt, also im Funkhaus Berlin an der Nalepastraße. Der einstmalige Sitz des DDR-Rundfunks in Oberschöneweide muss die Engländer während der zweiwöchigen Aufnahmen schwer beeindruckt haben. „The album is raw, playful, exciting, complex and schizophrenic – much like the personality of Berlin itself. It couldn`t be more of a fitting place to record it”, sagt Sänger Alan Donohoe. Fasziniert von Berlin und der deutschen Geschichte ist die Band schon lange, schließlich zitierte schon die frühe Single „Strasbourg“ Bowies deutschsprachige „Helden“, Berlin und der Kalte Krieg waren Thema des Songs. Nun gibt es auf „Klang“ mit „1989“ die zweite Berlin-Single der Rakes. Rau und ungeschliffen wie in den Anfangstagen, dazu gibt es auf „Klang“ melodische und textliche Feinheiten wie „The Loneliness of the outdoor smoker“ und „The light from your Mac“, die einfach nur Spaß machen. Hipster können nörgeln, das alles sei ja auch nicht neu. War es das denn vor fünf, sechs Jahren? (Thomas Backs)
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  Empire of the Sun: Walking on a Dream
Empire of the Sun:
Walking on a Dream

Virgin/EMI
» walkingonadream.com


Empire of the Sun: Walking on a Dream

Waren es im vergangenen Jahr MGMT aus den USA, die sich voller Wonne mitten in die Achtzigerjahre zurückbeamten und dabei Indie-Pophits wie „Kids“ und „Time to Pretend“ aus dem Ärmel schüttelten, sind es heuer die australischen Empire of the Sun, die furcht- und hemmungslos im Erbe der Eighties nach Schätzen tauchen. Luke Steel, der auch als Folkhippie Sleepy Jackson unterwegs ist und Nick Littlemore (Pnau) scheuen sich allerdings nicht, auch die letzten Geschmacksbastionen zu stürmen: Empire of the Sun zitieren/interpretieren diejenige Seite der Achtzigermedaille neu, die Stil-Gralshüter gern unter den Tisch fallen lassen, nämlich Acts wie Limahl und Kajagoogoo, Styx, The Jacksons zu „Can You Feel it“-Zeiten (man vergleiche betreffendes Jacksons-Video und das bewußt grauenvolle Coverdesign von „Walking on a Dream“), Hall and Oates, Electric Light Orchestra, etc. Songs wie „Standing on the Shore“, „Tiger by my Side“ der Titeltrack oder „We are the People“ bestehen aus quasi-originalem Achtziger-Synthiegewaber, maschinenhaften Drumcomputer-Beats im Discofox-4/4-Takt und, ganz wichtig, Fistelfalsett-Vocals, vor allem in den Refrains. „Country“ zitiert unverhohlen das Intro von Berlins Schmachtfetzen „Take My Breath Away“ (vom „Top Gun“-Soundtrack, noch so eine Achtziger-Trash-Ikone), „The World“ ist die handfeste Karikatur einer „gefühlvollen Ballade“, mit so viel übersteigertem Pomp und künstlicher Pracht, dass die romantische Liebeserklärung, sollte eine solche bei diesem Song geplant sein, in hysterischem Gegiggel untergehen wird. „Swordfish Hotkiss Night“ stellt perfekt die ersten Crossover-Versuche zwischen Rap, Disco und Poprock nach, wobei das zwingende Cowbell-Arrangement strikt auf die Tanzfläche führt und gar nicht mehr ironisch wirkt. „Empire of the Sun“ ist ein großes, tolles Album mit veritablen Hits und Popperlen – aber Achtung: nur für Leute mit Humor, nicht für Pophistory-Puristen!


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  Mocky: Saskamodie
Mocky: Saskamodie
Crammed Discs/Indigo
» mockyrecordings.com


Mocky: Saskamodie

„Saskamodie“ ist ein Fantasiewort, das sich Dominic Giancarlo Salole a.k.a. Mocky im Alter von sieben (!) Jahren einfallen ließ, um einer seiner ersten Eigenkompositionen (!!) einen Namen zu geben. Sounds like Wunderkind? Ja, das ist Multiinstrumentalist Mocky, seit 2002 in Berlin lebender Kanadier, ganz sicher. Mockys eigene Alben „In Mesopotamia“, „Are + Be“ und „Navy Brown Blues“, auf denen er wie selbstverständlich mit HipHop, Soul, Elektro und Jazz jongliert, mehrten seinen Ruhm ebenso wie seine Arbeit als Produzent und Arrangeur für Gonzalez, Leslie Feist, Nikka Costa und Jane Birkin. Mit „Saskamodie“ beschreitet Mocky wieder neue Wege: diesmal widmet er sich dem klassischen Jazz-Chanson-Pop, wie er in den sechziger Jahren von Kompositionsgenie Burt Bacharach erdacht und berühmt gemacht wurde. Wie Bacharachs Musik klingt auch „Saskamodie“ ungemein entspannt und leichtfüßig, dass man bei oberflächlichem Genuss beinah die klugen, detailverliebten Arrangements überhören könnte: rein akustisch, aus sanfter Percussion, Glöckchen, Flöten, Orgel und satten Streicherarrangements zauberte Mocky im Studio von Renaud Letang zwölf mandelmilchduftende Tracks, die fast durchgehend ohne Worte auskommen. Einzig bei „Somehow Somewhere“ und dem sanft-melancholischen Ohrwurm „Birds of a Feather“ wird gesungen, die Stimmen fügen sich harmonisch in die musikalischen Plumeaus. Mocky spielt zwar alle Instrumente selbst, lud sich aber zur Unterstützung Gäste ins Studio ein, die derselben Canadian-Wunderkind-Schule entsprungen sind wie er selbst: Gonzalez am Piano, Feist als Backgroundsängerin, Taylor Savvy am Bass. Mocky legt Spuren zu großen Vorbildern wie Bacharach und Morricone, zitiert Filmklassiker-Soundtracks, bleibt dabei aber immer Mocky – ähnlich wie vor einigen Jahren Carsten Meyer alias Erobique mit seinem zauberhaften Album „Keil Stouncil à Paris“. „Saskamodie“ ist die schönste Frühlingsplatte, die man sich nur wünschen kann – selbst im garstigsten Regenschauer läßt Mocky die ersten Sonnenstrahlen funkeln.


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  Prefab Sprout
Prefab Sprout
5-CD-Boxset
Coumbia / Epic / SonyBMG
» prefabsprout.net


Prefab Sprout

Prefab Sprout, 1982 in Witton Gilbert/County Durham, UK von den Brüdern Paddy und Martin McAloon gegründet, gehören wie die Go-Betweens und Aztec Camera zu den wichtigsten Vorläufern jener Bands, die man heute als „Indiepop“ bezeichnet. Ausgefeiltes Songwriting mit hinreißenden Melodien, verpackt in gitarrenbetonte, dabei mit vielen Stilen wie Jazz, Chanson und Easy Listening experimentierende, fragile Arrangements und die unvergleichlich sanfte Stimme Paddy McAloons wurden zum Markenzeichen von Prefab Sprout. In ihren Hitsingles „The King of Rock'n'Roll“, „Cars and Girls“, „Hey Manhattan“, „A Prisoner of the Past“, die man sogar heutzutage noch dann und wann im Formatradio hören kann, verbanden sich opulent-schmachtende Himmel voller Geigen mit typisch britischem Gitarrensound; zu Postpunk- und Elektropop-Hochzeiten Mitte der Achtziger durchaus kühn und gewagt. Prefab Sprout existieren offiziell zwar noch, sind aber nicht mehr wirklich musikalisch aktiv: die Band-Website wurde 2004 geschlossen, 2007 erschien ein Deluxe-ReRelease des Albums „Steve McQueen“, doch eine Erkrankung Paddy McAloons verhinderte bisher neue Veröffentlichungen der Band. SonyBMG bringt nun in der Reihe „Original Album Classics“ fünf Alben von Prefab Sprout in ökonomisch platzsparenden „Cardboard-Sleeves“ im Schuber neu heraus und wird so hoffentlich zur längst fälligen und verdienten Renaissance dieser Band beitragen. Das BoxSet beinhaltet die von Thomas Dolby produzierten Alben „From Langley Park to Memphis“ und „Jordan: The Comeback“, außerdem das Debüt „Swoon“, „Protest Songs“ und „Andromeda Heights“ von 1997. Die wichtigste Prefab-Platte, „Steve McQueen“ mit den Hits „Appetite“ und „When Love Breaks Down“ fehlt: zu Recht, denn jeder Mensch mit Herz und Geschmack wird dieses Album bereits besitzen.


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