It's a Woman's World
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Sarah Kuttner: Mängelexemplar S. Fischer 2009 272 S., € 14,95 » sarahkuttner.de
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Sarah Kuttner: Mängelexemplar
1.) Sarah Kuttner ist nicht Charlotte Roche. 2.) „Mängelexemplar“ ist kein „Feuchtgebiete“-Rip off, auch wenn das Buchcover mit den plastisch „gestickten“ Krakelbuchstaben und Sicherheitsnadel ein bißchen in die gleiche Richtung zielt. 3.) Sarah Kuttner ist nicht identisch mit ihrer Romanfigur Karo, wenn die beiden auch die gleiche Sprache sprechen. „Mängelexemplar“ ist vielmehr ein ziemlich erstaunliches Buch, das man, ja, man muß es sagen, Sarah Kuttner so nicht zugetraut hätte. Kuttners frühere Veröffentlichungen („Die anstrengende Daueranwesenheit der Gegenwart“, „Das oblatendünne Eis des halben Zweidrittelwissens“) brillierten und nervten gleichzeitig durch den unablässig forcierten, manchmal arg angestrengten Sprachwitz der Autorin, wie man ihn aus ihrer Viva-TV-Sendung kannte. Die Karo aus „Mängelexemplar“ redet auch so: in jedem Satz eine Pointe, ein Witz geht immer, Thema egal. „Mängelexemplar“ aber hat ein Thema: Depression. Angst. Panikanfälle. Nicht gerade das, worüber man mit Kodderschnauze und originellen Wortneuschöpfungen in launigen Fernsehshows hinwegbügeln kann. Karo verliert ihren Job in einer Werbeagentur, die Beziehung zu ihrem langweiligen und desinteressierten Freund steckt in einer Sackgasse und langsam, aber unaufhaltsam bröckelt Karos charmante Strahlefrau-Fassade. Böse, dunkle Panikattacken machen aus der lebenshungrigen, ungeduldigen, hochemotionalen Partygängerin ein verunsichertes Wrack, ein kleines Mädchen, das schließlich keinen anderen Rat mehr weiß, als wieder bei ihrer – ebenfalls psychisch belasteten, aber therapieerfahrenen – Mutter einzuziehen. Mängelexemplar Karo beginnt eine Psychotherapie, von der sie, ungeduldig wie sie ist, am Anfang enttäuscht ist, weil sich nicht sofort die ersehnte heilende Wirkung einstellt. Doch peu á peu stellen sich Erfolgserlebnisse ein, Karos „Neueinstieg“ ins Leben beginnt. „Mängelexemplar“ zeigt die Schattenseite der Happy-Happy-Szenebohème: glamouröse Jobs und eine lustige Clique schützen nicht vor Zusammenbrüchen und Einsamkeit. „Mängelexemplar“ ist aber auch ein Buch über den Wert wahrer Freundschaften: Karo verdankt ihre schrittweise Genesung nicht nur ihren Therapeuten, sondern vor allem ihren Freunden, vor denen sie keine coolen Sprüche reißen muß.
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Nadine Monem (Hg.): Riot Grrrl.
Revolution Girl Style Now! Black Dog Publishing 2007 189 S., £19.95 » blackdogonline.com
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Riot Grrrl. Revolution Girl Style Now!
Schon zwei Jahre alt, aber leider noch nicht auf Deutsch erschienen ist der von Nadine Monem herausgegebene Reader „Riot Grrrl. Revolution Girl Style Now!“ Autorinnen wie Julia Downes, Suzy Corrigan, Cazz Blaze und Anna Feigenbaum beleuchten das Phänomen Riot Grrrlsm von allen Seiten: im Mittelpunkt, klar, stehen Bands wie Bikini Kill, Bratmobile, Hole, Huggy Bear, Team Dresch und Babes in Toyland. Zum Riot Grrrl-Style gehört(e) aber auch eine sehr lebendige Zine-Scene, die im Riot-Motherland USA ein wesentlich stärkeres Gewicht hat als hierzulande; außerdem wilde Lyrikerinnen, Comiczeichnerinnen, Buchautorinnen und Aktivistinnen aller Couleur. Nicht vergessen werden Proto-Riot-Grrrls wie Patti Smith, Kim Gordon, Chrissie Hynde und Yoko Ono, die mit ihrer Musik, ihrer Kunst, ihren Texten den Boden für spätere Revolutionärinnen bereiteten. Eine amerikanische und eine britische „Riot Grrrl Timeline“ runden den Band mit wichtigen Facts und Daten ab (wann fanden wo Ladyfeste statt, wann gründeten sich Talulah Gosh, etc.). Eine deutsche Timeline fehlt: diese zu erstellen sollte die Hauptaufgabe der Lektorin der deutschen Ausgabe sein, falls eine solche jemals erscheint.“Riot Grrrl. Revolution Girl Style Now!“ ist ein längst fälliger Rückblick auf die Zeit Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre, in der Künstlerinnen und Musikerinnen mit bis dato nie gekannter Wut gegen Patriarchat, männliche Gewalt, Schönheitsdiktat und gesellschaftliche Bigotterie rebellierten – und gleichzeitig ein beherzter Tritt in den Hintern all derer, die sich im vermeintlich sicheren Gefühl wähnen, der Feminismus habe doch schon alles erreicht. Weil Riot Grrrlsm in erster Linie mit lautem, ungestümem und wütendem Female-Punkrock verbunden wird, schließen wir mit einem Zitat aus dem richtungsweisenden Vorwort von Beth Ditto. Sie schreibt über eine Begegnung mit dem Ex-Fugazi-Gitarristen Guy Picciotto: „When the question was asked for the thousandth time, as usual, always in studio conversation: 'Stones or Beatles?' Guy said simply: 'The Smiths'. Ever since when asked Ramones or Sex Pistols?' I will always say 'The Slits' or better yet turn around and ask 'Heavens to Betsy or Bratmobile?'“
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PJ Harvey & John Parish: A Woman A Man Walked By
Was für eine Platte! Anderthalb Jahre nach dem beinah unhörbaren (im Sinne von „still“/„leise“, nicht etwa „schlecht“) Album „White Chalk“ meldet sich Polly Jean Harvey kraft- und eindrucksvoll zurück. „A Woman A Man Walked By“ ist ihre zweite Kooperation mit dem Musiker und Produzenten John Parish: ganze zwölf Jahre nach „Dance Hall at Louse Point“ fanden die beiden, es sei mal wieder an der Zeit für ein gemeinsames Album. Was nicht heißen soll, dass in der Zwischenzeit kein Kontakt bestand, im Gegenteil, Harvey und Parish lassen einander stets an ihren jeweiligen Arbeiten teilhaben, sei es durch kritische Begutachtung oder das Beisteuern von Text und Musik für neue Songs. Die Arbeitsteilung auf „A Woman A Man Walked By“ sieht so aus: Musik John Parish, Lyrics und Gesang PJ Harvey, gemixt von Mark Ellis alias Flood (Depeche Mode, Erasure). Die zehn Tracks bestechen durch Vielfalt, Furor, Energie, Spaß am Experiment: die Single (und gleichzeitig der erste für dieses Album entstandene Song) „Black Hearted Love“ ist ein verführerischer Bluesrock-Pop-Hybrid mit eingängiger Melodie und wuchtigen Gitarrenriffs, in der kaputten Ballade „April“ stellt PJ ihr Talent für bedrohliche, gleichzeitig lustige Texte unter Beweis, bei „The Soldier“ erklingen Ukulele und Klavier, ein Banjo klimpert durch „16.15.14“. Wütend, laut, aggressiv bis zur Parodie tobt sich Harvey im sexuell höchst aufgeladenen Titeltrack aus: „I want your fucking ass, I want your fucking ass“ knurrt sie, dazu taumelt und stolpert das Schlagzeug in alle möglichen Richtungen, haltlos und schlingernd. Mit Courtney Love'scher Rotzigkeit brüllt und bellt (!) sich PJ durch „Pig Will Not“ und stellt das Herman Melville'sche Mantra „I prefer not to“ vom Kopf auf die Füße: „I will not, I WILL NOT!!“ Die beiden letzten Songs sind größtmögliches Kontrastprogramm: chansonesk und fragil schweben Worte und Musik in „Passionless, Pointless“ und „Cracks in the Canvas“. Knappe vierzig Minuten dauert „A Woman A Man Walked By“ - vierzig Minuten, in denen man sich nichts anderem widmen kann (und soll!) als diesem Album.
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Marissa Nadler: Little Hells
An jungen Folkmusikerinnen wie Alela Diane, Nina Nastasia oder Joanna Newsom scheiden sich die Geister. Fans sind vom entrückten Auftreten und den engelsgleichen Stimmen verzaubert; Kritiker beklagen Weltfremdheit und Eskapismus. Das ist bei der 27-jährigen Marissa Nadler, als Tochter einer Malerin in Washington geboren, nicht anders. Sie wird für ihre märchenhaften, teilweise ins Unheimliche umschlagenden Dream Folk-Balladen gefeiert, ebenso regt sich Unmut über ihre versponnen, fast immer in einer fernen Vergangenheit angesiedelten Moritaten über tote Schriftstellerinnen, Seeräuber und Cowboys. Ihr neues Album „Little Hells“ ist zumindest musikalisch mutiger und abwechslungsreicher als frühere Veröffentlichungen: der Titeltrack und „Loner“ spielen mit Country- und Westernelementen, unter Marissas zarter Stimme liegt viel Hall und Echo, womit schaurig-schöne Effekte erreicht werden. „Mary Comes Alive“ ist energiegeladener Gitarrenpop mit expressiven Drums, die Ballade „River of Dirt“ hat eine tränentreibend-melancholische Melodie, in „Heart Paper Lover“ erklingt ein wehklagendes Theremin. Cohen-Fan Nadler selbst spielt akustische Gitarre und ein Wurlitzer-E-Piano, dazu kommen von Gastmusikern eingesetzte Synthesizer, Banjo, Lap-Steel-Gitarren und besagtes Theremin - live tritt sie oft ohne Begleitung auf, was den intimen Charakter ihrer Songs betont und den Fokus auf ihre Stimme legt. Wer dem Alltag entfliehen möchte und nach verträumten Melodien mit fantasievollen Lyrics sucht, wird mit „Little Hells“ sehr glücklich werden. Wer aber von einer Künstlerin die Auseinandersetzung mit Fragen des modernen Lebens erwartet, muß sich woanders umhören.
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Client: Command Out of Line » client-online.eu » myspace
Client live 2009: Berlin, 17.5. Hamburg, 19.5. Köln, 20.5. München, 21.5. Frankfurt, 22.5.
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Client: Command
„Command“, der Titel des neuen Client-Albums, weckt Assoziationen an die achtziger Jahre, als Plattenlabel „Factory“ hießen und Elektropopbands sich ein bewußt kühles, strenges Image gaben. Auch die drei Musikerinnen von Client (Client A, Client B und seit kurzem Client E, C oder M am Bass) könnte man zumindest stylemäßig in den Achtzigern verorten: schlichte Stewardessen-Kostüme, zugeknöpft, aber hochgeschlitzt. Clients Sexyness entsteht durch strategische Verhüllung. Musikalisch gelten Client als weibliches Pendant zu Depeche Mode, synthetische Beats treffen auf charttaugliche Ohrwurmmelodien, die Stimmung ist nur oberflächlich kühl, darunter entwickeln die Maschinen Tiefe und Wärme. Diese Verwandtschaft kommt nicht ganz von ungefähr, Clients erste Platten erschienen schließlich auf DeMo-Keyboarder Andy Fletchers Label Toast Hawaii. Mit ihrem vierten Album perfektionieren Client ihren typischen Sound: Produzent Joe Wilson (Sneaker Pimps) hat die Regler tüchtig aufgedreht, der Opener „Your Love Is Like Petrol“ und „Can You Feel“ wummern mit viel Bass aus den Boxen, „Ghosts“ und „Lullaby“ experimentieren mit dunklen Gothic-Elementen; treibend, tanzbar und zum Sofort-Mitsingen geeignet sind Discopopsongs wie „Satisfaction“, „Son of a Gun“ und das eingängige „Make Me Believe in You“, das man sich sogar gut von Kylie Minogue vorstellen kann. Die stilistischen Sidesteps funktionieren, weil Client ihre Grundlinie beibehalten: distanzierte Vocals mit britischen Akzent im zeitlosen Elektropopgewand. Zweifler könnten das beinah altmodisch finden.
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The Annie Lennox Collection
Welche Annie Lennox hätten Sie denn gern? Die Junge Wilde, die in den Siebzigern mit der New Wave-Band The Tourists erste musikalische Gehversuche wagte? Die Megaerfolgreiche, die im Duett mit Dave Stewart als Eurythmics unvergeßliche Pophits wie „Sweet Dreams (Are Made of this)“ schrieb? Oder die ambitionierte Solokünstlerin, die ab Anfang der neunziger Jahre mit softsouligen Balladen wie „No More I Love You's“ und „Why“ regelmäßig in den Charts landete? Ganz egal, welche Phase der mittlerweile 54-jährigen schottischen Allroundkünstlerin man bevorzugt (oder vielleicht auch gar keine mehr: vor ein paar Jahren hatte man sich an ihrem vollröhrenden Organ satt gehört), unbestritten ist, dass Annie Lennox nicht nur als Sängerin, sondern auch als Gendergrenzen überschreitendes Rolemodel Popgeschichte schrieb: während Eurythmics-Partner Stewart in bunten Fantasiekostümen auftrat, verwirrte Lennox die Fans mit raspelkurzem Haarschnitt und androgynen Outfits. Später, in ihrer „Diva“-Zeit, gefiel sie sich auch in der großen hollywoodesken Robe, und eigentlich waren Lennox' Rollenspiele und -wechsel immer ein bißchen interessanter als Madonnas – weil Annie Lennox noch ein paar andere Modelle als nur „Sex sells“ parat hatte. Kürzlich erschien eine Greatest Hits-Compilation, die sich auf Annie Lennox' Solokarriere konzentriert: neben zwei neuen Stücken - „Pattern of my Life“, komponiert von Keane-Sänger Tom Chaplin, und der Coverversion „Shining Light“, im Original von Ash – sind all ihre Hits versammelt: das gospelhafte „Precious“, „Love Song for a Vampire“, Titelsong zu Coppolas Dracula-Verfilmung, die gefühlvolle Interpretation von „A Whiter Shade of Pale“ und die Gemeinschaftsproduktion „Sing“ von 2007, auf der unter anderem Madonna, Pink, Shakira, Bonnie Raitt, Anastacia, Isobel Campbell und viele andere Sängerinnen zu hören sind.
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Kari Bremnes: Ly
Wie Leonard Cohen entstammt die Norwegerin Kari Bremnes ursprünglich der schreibenden Zunft. Im Gegensatz zum kanadischen Lyriker machte die mittlerweile 52-jährige in ihrer Heimat vor allem als Kritikerin und Journalistin von sich reden, bevor sie sich mit über 30 zur musikalischen Karriere entschloss. Seit 1987 erscheinen im Zweijahresabstand Alben auf konstant hohem Niveau. „Ly“, zu Deutsch: „Zuflucht“, „Obdach“, präsentiert die Osloerin von ihrer musikalisch vielseitigsten Seite. „Egentlig en danser“ oder „Levere nákka“ kommen im Gewand des fragilen Songswriters daher, orchestriert mit einer dezenten Virtuosität, die die Nähe zum Jazz offen legt. Andere Tracks setzen im melodischen Midtempo-Bereich Akzente. Ohnehin faszinieren erneut die Arrangements. Im Gegensatz zu Kolleginnen, die sich auf ihre akustische Gitarre oder das Piano verlassen resp. mit althergebrachten Rockelementen musizieren, presst Bremnes ihre Songs in keine instrumentalischen Korsetts. Je nach Atmosphäre der einzelnen Stücke wechseln die Arrangements merklich. Bindeglied bleibt die außergewöhnlich warme und zugleich verletzlich klingende Stimme Bremnes, die auch Menschen Geschichten zu erzählen vermag, die des Norwegischen nicht mächtig sind.
(Ronald Klein)
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Soap & Skin: Lovetune for Vacuum
Dieses Album warf lange Schatten voraus: Seit vergangenem Herbst konnte man überall Artikel über die Österreicherin Anja Plaschg alias Soap & Skin lesen. Ihr Porträt zierte die erste Ausgabe des Missy Magazine, sie trat im Vorprogramm ihrer Kollegin Gustav auf und verkörperte Warhol-Ikone Nico in einem Theaterstück von Werner Fritsch. Die starke mediale Präsenz verwundert, denn die 19-jährige Plaschg ist ein Antistar, wie er/sie im Buche steht: hochbegabt, kompliziert und introvertiert, sie verweigert Interviews und es ist schier schmerzhaft, sie bei Liveauftritten zu beobachten, bei denen sie den Kontakt zum Publikum meidet, sich windet vor tiefsitzender Qual. In Soap & Skin kämpfen dunkle Dämonen, die sie über ihre Musik und Texte nach draußen läßt: „When I was a child / fears pushed me hard in my head, in my neck, in my chest, in my waist /I never loved / I still beg, please help me“ singt/schreit sie in der intensiven, dramatischen Ballade „Spiracle“, einem von dreizehn Songs auf „Lovetune for Vacuum“. Klassisches Klavier, ein wenig Flöten- und Geigenuntermalung, knarzende Computersounds – aus dieser kargen Instrumentierung baut Anja Plaschg ihre klaustrophobische Kammermusik. Stücke wie „Thanatos“, „Turbine Womb“ oder „Cynthia“ klingen wie aus Zeit und Raum gefallen: leichtverdaulich ist alles nicht. Einzig der rein synthetische und instrumentale Track „DDMMYYYY“ fällt aus dem Rahmen, hier läßt sie die Geräte durchdrehen und zeigt, in welchem Jahrhundert wir uns befinden. Soap & Skin ist die düstere Ikone einer neuen Innerlichkeit: die Künstlerin leidet an der Welt und sieht keinen Grund, das zu überdecken. Ob man sich um sie Sorgen machen muß? In einem Interview erklärte sie kürzlich, Soap & Skin sei nicht Anja Plaschg. Sie sähen nur gleich aus.
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Miss Kittin & The Hacker: Two Nobody's Bizzness » misskittin.com » myspace
Miss Kittin & The Hacker ab April auf Deutschland-Tour!
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Miss Kittin & The Hacker: Two
Mit einem harten Peitschenknall beginnt „The Womb“, Opener des neuen Miss Kittin & The Hacker-Albums „Two“. Über kühlen Elektrobeat haucht Caroline Hervé alias Kittin ihre Lyrics, die glatt zum feministischen Manifest taugen: „I'm climbing the social ladder on my own / so watch out, here I come / I am not a silent woman.“ Dass der Track eher spielerisch als kämpferisch wirkt, dafür sorgt Miss Kittins helle, immer ein bißchen verschnupft klingende Stimme – laut ist sie dafür an den Geräten, das weiß jede/r, der schon mal einem Miss Kittin-DJ-Set beiwohnen durfte. Mit ihrem kongenialen Partner Michel Amato a.k.a. The Hacker arbeitet und deejayt sie seit den frühen Neunzigern zusammen, die beiden gelten als Mitbegründer des Elektroclash und verhalfen der französischen Techno- und DJ-Szene zu neuer Glorie. Auf „Two“ ziehen Kittin & Hacker erneut alle Register: Die Bandbreite reicht vom sphärischen Elektropop mit Jean Michel Jarre-Zitaten („1000 Dreams“, „Emotional Interlude“) über geloopte Dancebeats auf der Single „PPPO“ bis zur ironisch verpackten Lifestyle-Kritik von „Ray Ban“. Höhepunkte dieses ohnehin tollen Albums, das keineswegs nur im Club funktioniert, sind die cheesy Coverversion von Elvis' Klassiker „Suspicious Minds“, der auf Blondies „Heart of Glass“-Bass-Tickern aufbauende, ausufernde Schlüsseltrack „Party in My Head“ und das technoide EBM-Monster „Indulgence“: zu harten Beats buchstabiert Miss Kittin, was sie vom Leben will („I-N-D-U-L-G-E-N-C-E“). Kittin und Hacker navigieren stilsicher durch alle nur denkbaren elektronischen Spielarten und lassen dabei immer ihren augenzwinkerndern Humor durchblitzen: eine Eigenschaft, die man bei anderen Elektro-Artists oft vermisst.
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Heidi Happy: Flowers, Birds and Home
Welches Teufelchen wohl die Luzerner Songwriterin Priska Zemp geritten hat und ihr einflüsterte, sie solle sich für den ziemlich albernen Künstlernamen Heidi Happy entscheiden? Man weiß es nicht. Auf keinen Fall aber sollte man sich von Heidi Happys Namen abschrecken lassen, denn ihre Musik ist wunderschön. Vor zwei Jahren erschien ihr erstes Album „Back Together“, das leider wenig Aufmerksamkeit erhielt: schon damals konzentrierte sich alle Welt auf ihre Landsmännin Sophie Hunger. Jetzt könnte es sogar sein, dass Frau Hungers Popularität auf Heidi Happy abfärbt und die Schweiz mit einem Mal als Pop-Talentschmiede gilt. Heidi Happy und ihre siebenköpfige Band hätten den Erfolg auf jeden Fall verdient: virtuos und ideenreich werden Jazz, Swing, Folk und Pop kombiniert, dabei kommen ungewöhnliche Instrumente wie Kesselpauken, Vibraphon, Glockenspiel und Altflöten zum Einsatz. Heidis Stimme erinnert manchmal an Leslie Feist, zart, hell und ein bißchen kratzig, gefühlvoll und mit Tiefgang. Vergleiche mit Norah Jones und Joanna Newsom werden oft bemüht, unverständlich sind beide: Heidi Happy steht weder für den dahinplätschernden Softjazz von Jones und noch weniger für den ungreifbaren Psychedelicfolk der entrückten Ms. Newsom. Schlichte Balladen wie „Home“ oder „Push the Door“ und das violinuntermalte Chanson „Why“ gelingen der 28-jährigen Heidi genauso gut wie lebhaft swingende Popsongs („Hush“, „Fool“) und anspruchsvolle Kunstlieder wie „You and Your Moods“. Happys Texte sind voll trockenem Humor, zuweilen bitter und melancholisch, immer mitten im Leben stehend. Priska Zemp/Heidi Happy ist eine ungemein vielseitige Künstlerin, von der man noch einiges erwarten kann – und selbst, wenn „Flowers, Birds and Home“ ihre einzige und letzte Veröffentlichung wäre, hätte sie damit ein mehr als beeindruckendes Werk geschaffen.
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Luthea Salom: Sunbeam surrounded by winter FAM / Intergroove » lutheasalom.com » myspace
Luthea Salom live '09: 14. April: Villa Waldeck, Eppingen, 16. April: Pavillon, Kassel, 18. April: Cremon Lounge, Hamburg, 19. April: Studio Zehn, Berlin, 20. April: Das Bett, Frankfurt/ Main, 21. April: Varieté Chat Noir, Trier, 22. April : MC Müller`s Irish-American Pub, Linnich-Kofferen, 23. April: Zeche (Restaurant), Bochum, 25. April: Hide out 2, München
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Luthea Salom: Sunbeam surrounded by winter
Luthea Salom, Sängerin, Songwriterin und musikalische Weltenbummlerin, ist im April in Deutschland unterwegs und stellt in kleinen Clubs ihr zweites Album „Sunbeam surrounded by winter“ vor. Eine schöne Sammlung fröhlich entspannter Songs aus Saloms Feder, die oft bittersüße, sehr persönliche Lyrics haben. In „Die to live“ verarbeitet die Songwriterin einen Abschied („Guess I`m learning to learn, to live and shine/ Like the burning sun down in the Indian sky“), aus „Dragonfly“ („Fear`s a gum stuck to your bum/ pulling you down making you succumb“) sprechen Ängste, zugleich aber auch große Lebensfreude. Zu den Highlights des Albums zählt auch eine herrlich entspannte Coverversion von Bowies „Rebel Rebel“. Aufgewachsen ist die Künstlerin im kanadischen Osten und in Spanien. Nach einer Zeit in London lebt Luthea Salom nun in New York. Für „Sunbeam surrounded by winter“ haben ihr der spanische Labelchef Frank Andrada und Produzent Malcolm Burn sehr geholfen. Burn war mit Luthea auch in Mazedonien, wo Songs wie „Winter tires“, „Like a River“ und „Accidents“ mit Musikern vom Balkan eingespielt wurden. in Resultat: „Sunbeam surrounded by winter“ war 2008 gleich in sieben Kategorien in der Vorauswahl der US-amerikanischen Grammy Awards vertreten. Malcolm Burn über Luthea Salom: „Luthea has the ability to write songs that people can sing to all the way from China."
(Thomas Backs)
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Fever Ray
Beim schwedischen Elektropop-Duo tritt Karin Dreijer Andersson nur mit Maske auf. Das bewusste Zurückstellen der Künstlerpersönlichkeit, um der Musik mehr Raum zu geben, praktizierten schon so unterschiedliche Formationen wie The Residents, Death in June oder Slipknot. So scheint es kaum verwunderlich, dass die weißblonde Schwedin auch im Video zur ersten Singleauskopplung ihres zweiten Soloalbums, „If I Had a Heart“ mit einer Totenkopf-Maske auftritt. Man mag an Heiner Müllers Aphorismus denken „die letzte Verwandlung ist der Tod“ denken. Jedoch funktioniert der Zugang auch ohne intellektuelle Vorbildung. Anderssons Tochter, sechs Jahre alt, findet den Totenschädel cool, mit der Musik, so berichtet die Mama, könne die Kleine weniger anfangen, da sie auf Rock stehe. Mit jener Richtung hat das Album in der Tat nur peripher zu tun. Zwar rumpelt am Anfang ein Bass, der an PJ Harveys beste Zeiten erinnert. Doch obwohl Andersson ankündigte, ihre neue Platte organischer als den Sound von The Knife zu gestalten, dominieren rasch die elektronischen Klänge. Im Gegensatz zur Hauptband aber deutlich in der Geschwindigkeit reduziert. Eisige Klänge zwischen Ambient und Downbeat, dazwischen der elfenhaften Gesang Anderssons. Scheint am Anfang eine klangliche Verwandtschaft zu innovativen Klanglaboren wie Gang Gang Dance durch, so enttäuscht schnell der fehlende Mut zur Variation.
(Ronald Klein)
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