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11. April 2009
Tina Karolina Stauner
für satt.org

Im Raum

Streichquartett von Dieter Schnebel,
Musica Viva, Carl-Orff-Saal, Gasteig, München, 06.03.09

"Alles muß haargenau in eine tobende Ordnung gebracht werden"
(Antonin Artaud)

"Im Raum" (2005/06) , das erste Streichquartett des sogenannten Alt-Avantgardisten Dieter Schnebel, hat einen Beginn, bei dem ein Streichquartett den ganzen Raum einnimmt. Zwei Musiker auf der Bühne, zwei im Hintergrund des Zuschauerbereichs. Serielles Material, den ganzen Carl-Orff-Saal auslotend und wie Freiraum zum entspannten Atmen schaffend. In einem Raum, der auch auf die mythische Unterwelt verweist, denn der Tetrachord vom Anfang von Strawinskys Orpheus-Ballett wird bewusst mit eingesetzt. Und nun kommt Bewegung ins Stück: Die zwei Streicher im Zuschauerraum gehen während sie spielen auf die Bühne zu, wo sich das Quartett formiert, um ein choreografisches Spiel zu beginnen. Denn so wie Sätze unterschiedlicher musikalischer Spielweisen und Arten in der Komposition auftauchen, zeigen sich auch die Musiker wechselnd in mehr oder weniger geordneten Gruppierungen. Werden die Streichinstrumente dabei sequenzweise mit den Fingern wie Percussioninstrumente benutzt, so sind auch die Schritte der Musiker in militärischer Manier aufstampfend als Rhythmus mit eingesetzt. Musikalisch sind da immer wieder Anfänge - von dem was möglich ist - Anfänge aber auch, die wie Zitate aus der Musikgeschichte scheinen. Kaum stellt man sich auf einen Rhythmus oder eine Melodie ein, kommt ein Abbruch. Ständig wird etwas Neues begonnen, nur um immer wieder abgebrochen zu werden. Sowohl visuell als auch akustisch entsteht dabei eine seltsame Unruhe, mitten darin manchmal drohender Leerraum. Es gibt nichts, worauf man sich in Ruhe einlassen könnte. Antonin Artaud schrieb einmal: "Alles muß haargenau in eine tobende Ordung gebracht werden." (aus "Schluss mit dem Gottesgericht") Im Carl-Orff-Saal ist es, als wolle Schnebel versuchen, völlige Unruhe, etwas grausam Beunruhigendes, bewusst durch ihn verursacht, gleichzeitig wieder zu strukturieren, zu ordnen und zu bändigen. Einem Dämon zu zeigen, wer Herr ist. Dass Artaud bei seiner Arbeit nicht nur bis an seine Grenzen ging, oder dazu gebracht wurde, darüber hinaus zu gehen und dabei zerstört wurde, wissen wir. Im Stück "Im Raum" aber löst Schnebel eine in die Enge treibende und aufreibende, bedrohende psychologische Dynamik, die konträr zum Anfang zunehmend von weiten Teilen des Stücks ausgeht, aber wohlweislich spielerisch auf in absoluter Nähe zur derzeitigen Szene der freien Improvisation. Um schließlich mit einer Melodie, mit der man an den Jazz der 50er Jahre erinnert wird, etwas wie ein Geborgenheitsgefühl auftauchen zu lassen. Indizien dafür, dass Geborgenheit vielleicht nicht mehr als ein flüchtiges Gefühl ist, finden sich aber im ganzen Stück: Lyrische, romantische Melodiefragmente sind zwischen Klopfzeichen auf den Instrumentenkorpus, Peitschenschlägen mit dem Bogen , dem schleifenden Kratzgeräusch des Cellostachels auf dem Boden, dem schmerzenden Ton, der beim Entlangstreichen an Kanten entsteht, dem faschistoiden Aufstampfen von Schuhsohlen wie Momente, die auf eine Vergangenheit verweisen, die eine zum Untergehen verdammte Welt ist, aber beharrlich präsent ist. Wobei man sich die Frage stellen kann, ob das Falsche, das Verlogene nun die biedere Idylle oder die zügellose Freiheit ist. Genau nachlesen kann man im Programmheft, wie Anfang, Scherzo, Adagio, Finale und Coda aufgebaut sind. Bis ins Detail beschrieben ist, was musikalisch und szenisch aufgeführt wird. Doch das wirkliche Spannende entsteht beim Sicheinlassen auf die Freiheit des Assoziationsspielraums, der wie ein Obertonklang über dem Ganzen wie ein weiterer Raum wahrnehmbare Option ist und nicht festgeschrieben steht. Und da ist im Programmheft auch immer wieder von dem unsichtbaren Fünften die Rede, der zu Anfang des Stückes auch als Schattengestalt mit auftaucht. Den ich aber nicht bemerkte. Ein Doppelgänger? Beobachter? Besucher aus der Unterwelt? Geist aus höherem Übersinnlichen? Vielleicht erinnert er daran: Es war einmal fast einfach jenseits von Gut und Böse. Zwei der Musiker ziehen sich zum Schluss dann wieder spielend in den Zuschauerraum zurück. Doch der entspannte Klangraum des Anfangs, dem man trauen wollte, entsteht nicht noch einmal.

Man muß nicht unbedingt bahnbrechend Neues einsetzen um den harten Puls der Zeit zu treffen. Man muß nur genau wissen, was man tut und was andere tun, um Relevantes widerzuspiegeln - wie Schnebel.