It's a Woman's World
Yeah Yeah Yeahs: It's Blitz
Während viele andere Bands an der Kombination Disco/Rock glücklos herumdilettieren und schließlich daran scheitern, zeigen die Yeah Yeah Yeahs aus New York, wie es geht: auf dem neuen Album „It's Blitz“ läuft das Trio um Sängerin Karen O zur Hochform auf, mixt Disco-Glamour mit rockiger Rotzigkeit. Zum ersten Mal setzen die Yeah Yeah Yeahs Synthesizer ein und läuten damit eine Trendwende vom Gitarren-Garagensound zu experimentierfreudigem Elektropop ein; produziert wurde „It's Blitz“ nicht mehr von Nick Launay (Nick Cave, PiL), sondern von TV on the Radio-Gitarrist David Sitek, der auch für das aktuelle Album von Telepathe verantwortlich zeichnet. Seit „Show Your Bones“ von 2006 hat sich also einiges getan bei den YYYs und das Ergebnis überzeugt voll und ganz. Im Zentrum der Band – optisch und musikalisch - steht wie immer Karen O, die mit ihren ungestümen Liveperformances, stylischen Outfits und augenzwinkerndem Humor weiterführt, womit Debbie Harry mit Blondie in den Siebzigern begonnen hatte. Schon die erste Single des Albums, „Zero“, dürfte Debbie Harry gefallen: eine kraftvoll leuchtende Discohymne mit ziemlich gemeinen Lyrics („You're a zero / what's your name / no one's gonna ask you for / better find out where they want you to go“), auch „Heads Will Roll“, „Soft Shock“ und „Dragon Queen“ zielen direkt auf die Tanzfläche, sind unterschwellig aggressiv und zugleich voller Grandezza, very new york-ish. „Skeletons“, „Dull Life“ und „Hysteric“ sind im Midtempo-Bereich angesiedelt, bei den pianountermalten Balladen „Runaway“ und „Little Shadow“ zeigt Karen O, wie wandelbar ihre ansonsten wild kieksende und oh-oh-oh’ende Stimme sein kann. Fazit: die Yeah Yeah Yeahs sind keine Band, die mit dem ersten Album ihr kreatives Pulver verschossen hat. Im Gegenteil: Das Trio aus Brooklyn/NYC wird immer besser.
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Kevin Blechdom: Gentlemania
„Gentlemania“ ist musikalisch das bisher zugänglichste Album von Kevin Blechdom, aus San Francisco stammende Wahlberlinerin mit genderverwirrendem Künstlernamen (bürgerlich heisst sie Kristin Erickson). Auf früheren Platten – solo oder Kooperationen mit Blevin Blectum – kombinierte sie Electro mit schonungslos emotionalen Lyrics, versetzt mit kreischenden Gesangseinlagen und ihrem geliebten Banjo. Das Cover ihrer letzten Platte „Eat Your Heart Out“ wurde mit einer neutralen Hülle versehen: Kevins nackten Oberkörper mit darauf drapierten Tierinnereien mochte man selbst der toleranten Indie-Käuferschaft nicht zumuten. Auf „Gentlemania“ lebt Blechdom nun ihre Liebe zur großen Popballade aus, ähnlich wie ihre Kollegen Antony Hegarty und Rufus Wainwright hat sie keine Angst vor Pathos und Theatralik, also dem, was so mancher vorschnell „Kitsch“ nennen würde. Kevin Blechdom zieht den Hut vor klassischen Songwritern wie Burt Bacharach und orientiert sich gesanglich an ihrem Vorbild Nina Simone. „Face the Music“ ist eine Mini-Oper vom Schlage „Music was my First Love“ (John Miles), „I Thought I Knew You“ könnte ein Hit von Gnarls Barkley sein: Banjo, Handclaps und ein souliger Rhythmus machen den Track glatt radiotauglich. Ein Song wie „Lazy“ evoziert Bilder von glitzernden Varietebühnen oder gleich von Las Vegas – wäre da nicht der verstörende Text, in dem Kevin zu Background-Peitschenknallen S/M-Phantasien preisgibt: „you're too lazy to spank me, you're too lazy to whoop me, too lazy to act like a man...“. Im nächsten Stück bezeichnet sie sich zu fröhlichem Western-Banjo-Geklimper als „... monster, I can't control myself“, verstellt ihre Stimme und jodelt sogar, die Peitsche aus „Lazy“ erscheint ein zweites Mal in „Tell Me Where It Hurts“, einem nur vordergründig nett-besorgten Liedchen. Dramatischer Chorgesang unterstreicht Verzweiflung und Lebensüberdruss in „Running Away“: „Gentlemania“ geht zwar lieblicher ins Ohr als Blechdoms ältere Alben, ist aber genauso schwer zu verdauen.
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Bat For Lashes: Two Suns
Natasha Khan alias Bat For Lashes wird erwachsen: war ihr letztes Album „Fur and Gold“ (2007) stark vom spielerischen Umgang mit vielerlei Einflüssen – von Filmfiguren wie Johnny Darko bis zu Phil Spectors Teen-Popopern – und Khans Hang zu comichaftem Okkultismus á la Emily the Strange geprägt, richtet sich „Two Suns“ ganz eindeutig an ein älteres Publikum und schielt nach hohen Chartsplatzierungen. Produzent David Kosten stellt die helle Stimme der 30-jährigen Britin mit pakistanischen Wurzeln in den Mittelpunkt: Songs wie der atmosphärisch dichte Opener „Glass“, das fragile Kunstlied „Moon and Moon“ und die klavierunterlegten Balladen „Siren Song“ und „Travelling Woman“ bauen ganz auf eine mystisch-entrückte Stimmung, die beinah körperlosen Vocals erinnern an Enya, viel weniger an Björk, mit der Allroundkünstlerin Bat/Natasha früher seltsamerweise oft verglichen wurde. Interessant wird es, wenn das märchenhafte Setting verlassen wird: im folkigen, beschwörend-dämonischen „Sleep Alone“ klingt Bat For Lashes wie eine weibliche Version der frühen Violent Femmes, „Peace of Mind“ ist behutsam modernisierter Gospel, auf „Two Planets“ hört man dumpfes Trommeln und Stimmfetzen vom Anrufbeantworter. „Good Love“ basiert auf einer kinderlied-einfachen, minimalistischen Synthiemelodie, die perfekt zu Khans schwebender Stimme passt, der treibende Elektrobeat von „Pearl's Dream“ ist von einem langen New York-Aufenthalt inspiriert. Die Single „Daniel“ ist leider einer der schwächeren Tracks der Platte und klingt trotz der zugegeben hübschen Melodie wie ein Mainstream-Produkt der mittleren achtziger Jahre. Die große Überraschung wartet am Schluß: kein Geringerer als der legendäre Scott Walker ist Natashas Duettpartner beim elegisch-pastoralen „The Big Sleep“.
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Maria Taylor: LadyLuck
Man solle ihr neues Album unbedingt in horizontaler Lage hören, entweder in einem dunklen Raum oder in der Badewanne, rät Maria Taylor, 32-jährige Singer-/Songwriterin aus Los Angeles. Ob man nun liegt oder sitzt, man ist ganz schnell eins mit „LadyLuck“, dem dritten Soloalbum der ehemaligen Sängerin und Gitarristin des Dream Folk-Duos Azure Ray. Taylor gehörte einst zum Conor Oberst-/Bright Eyes-Clan, war auch eine Weile Obersts Freundin. Die Omaha/Nebraska-Connection hört man ihren Songs zuweilen ein bisschen an, der Titeltrack, die Single „Time Lapse Lifetime“ und Stücke wie „Orchids“, das übermütig galoppierende „Green Butterfly“ und „Cartoons and Forever Plans“ (an dem Michael Stipe mitgewirkt hat) verströmen dieselbe lässige, sensible und selbstverständliche Country-Atmosphäre, wie sie auch auf Conor Obersts Platten anklingt und die so gar nichts mit Line-Dance und Stetsons zu tun hat. Maria Taylor spielt neben Country auch gern mit anderen Stilrichtungen: mit seinen exotischen Percussionelementen erinnert „It's Time“ an Kate Bushs ambitionierte Popentwürfe, „Orchids“ könnte ein Folksong aus den Sechzigern sein. „LadyLuck“ handele von ihrem „persönlichen Wachsen und den Veränderungen, die damit einhergehen“, sagt Taylor und überlässt es den Hörern herauszufinden, ob sie die Trennung von Oberst oder ihren Umzug von Athens nach L.A. meint. Die streicheruntermalte Ballade „My favorite .... love“ beispielsweise ist Liebeslied und Coming-of-Age-Story in einem: „it's the ending of careless wants, 'cause you are my favorite love“ singt Maria und fährt fort, dass sie an durchzechten Nächten und One-Night-Stands kein Interesse mehr hat. Weitaus melancholischer trotz dynamischer Instrumentierung ist „A Chance“, ein Song über eine zum Scheitern verurteilte Liebe, „Broad Daylight“ erzählt von einer Backstage-Romanze zwischen Musikern. Auch wenn Taylor im Titelsong behauptet, noch auf das Erscheinen der Glücksfee zu warten: zu einem wunderschönen Album hat ihr die Lady Luck bereits verholfen...
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The Dø: A Mouthful
The Dø sind ein Duo und kommen aus Paris – mit typisch französischem Chanson hat ihr Debütalbum „A Mouthful“ aber so gut wie nichts zu tun. Jazz- und Filmkomponist Dan Levy und die finnische Sängerin Olivia Merilahti lernten sich bei den Arbeiten zu einem Film kennen; Levy wollte eigentlich nur in Ruhe vor sich hin komponieren, aber Olivia mischte den ruhigen Tüftler mit ihren musikalischen Ideen gehörig auf und schnell war klar, dass die beiden ein Dream Team sind, das die Welt mit ihren Songs beglücken sollte. „A Mouthful“ strotzt vor Spielfreude und Kreativität, ist exaltiert, überdreht und verkaufte sich in Frankreich schon weit über 200.000-mal. Ob Balladen („Song for Lovers“, „Coda“), charttaugliche Popsongs („At Last I“), hysterische Anti-Liebeslieder („The Bridge is Broken“), Lo-Fi-Folk („Stay (Just a Little Bit More)“) oder HipHop in Kombination mit Rummelplatzmusik („Queen Dot Kong“), The Dø trauen sich alles und können alles. Sie fabrizieren aus einfachem Fingerschnipsen ganze Musicals und gewähren ihren Songbabys völlig freie Entfaltung: Die Gitarre möchte mal etwas lauter um die Ecke kommen? Na, aber bitte schön! Und die Posaune will nicht länger im Schatten der Violinen verharren? Nur raus mit ihr! Der Sinn steht nach wehmütigen Balladen ? Wie wär's mit dem pianobetupften „When I Last Was Home“ oder „Travel Light“? Dazu schlingern Olivias Vocals so einmalig windschief und schräg, dass es eine wahre Wonne ist – mit „A Mouthful“ nehmen The Dø den Mund ganz schön voll, verschlucken sich aber nicht, sondern sorgen für eine der schönsten Pop-Überraschungen dieses Frühjahrs.
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Monocular: Somewhere on the Line
Elegant und sehr dezent im beige-weißen Cover präsentiert sich “Somewhere on the Line“, Debütalbum des Duos Jan und Nic Koray alias Monocular. Hoffentlich führt diese vornehme Zurückhaltung in der Optik nicht dazu, dass die Platte übersehen wird, denn das wäre sehr schade: Jan und Nic, die sich Anfang 2008 über myspace kennen lernten und umgehend eine intensive Zusammenarbeit begannen, kreieren aus akustischen und elektronischen Instrumenten ein einzigartiges Klanguniversum. Jazz- und Loungeelemente verbinden sich mit Beats, die mal intensiv und tanzbar, mal verschleppt-reduziert eingesetzt werden und so die TripHop-Version 2.0 ergeben (z.B. Songs wie „Cold Machine“, „Nameless“, „Speaking Through Music“). Bands wie Lamb, Portishead oder Mandalay standen hier Pate, wobei Monocular einen eigenen Sound definieren: wie Portishead verfremden Monocular Stimmen und Instrumente, doch Nic Korays Gesang ist nicht brüchig und fragil wie Beth Gibbons' Vocals, sondern kräftig, selbstbewußt, voluminös. Live werden Jan und Nic von Gastmusikern an Bass und Schlagzeug unterstützt – Monocular sind also keine
Wohnzimmer-Laptop-Band, sondern legen Wert auf dynamische Sounds. Und auf ein schlüssiges ästhetisches Gesamtkonzept: „Give me something I can cling to, something I understand, something beautiful“ singt Nic in „Beautiful“, das man wohl als Schlüsselsong begreifen kann. Tracks wie „U-Turn“ und „Close-Up Photograph“ funktionieren dank eingängiger Hooklines und tiefer Bässe auch im Club, Latin-Einflüsse kommen bei „The Famous Mistake“ zum Einsatz und erinnern ein wenig an Style Council, „Splinters“ ist eine druckvolle Kombination aus Elektropop und Jazzexperimenten – „Somewhere on the Line“ ist ein Debütalbum, das auf ganzer Linie überzeugt.
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Hanne Hukkelberg: Blood from a Stone
„Blood from a Stone“: die norwegische Sängerin und Multiinstrumentalistin Hanne Hukkelberg verwendet für den Titel ihres dritten Albums ein starkes, expressives Bild. Das englische Sprichwort „You cannot squeeze blood out of a stone“ bedeutet, dass ein Unterfangen so gut wie vergeblich ist – ob Frau Hukkelberg dieses Gefühl plagte, als sie das Album aufnahm, kann man nur schwerlich glauben. „Blood from a Stone“ klingt nicht nach harter Mühsal und übermenschlicher Anstrengung, sondern steckt voller Ideen, überbordendend vor Details und stilistischen Kunstgriffen. Der Titelsong und „Bandy Riddles“ sind mit Violinen und Gitarren recht konventionell instrumentiert und so eingängig, dass sie glatt im Vormittagsprogramm des Formatradios laufen könnten. In anderen Tracks kommen ungewöhnliche „Instrumente“ wie Ofenrohre, Kühlschränke, schnurrende Katzen und knarrende Türen zum Einsatz, wobei Hanne Hukkelberg dem Song stets stärker verhaftet bleibt als die kühnen Cassidy-Schwestern von CocoRosie. Spukige Tracks wie „No Mascara Tears“, „Salt of the Earth“ und „Seventeen“ lassen mit ihren surrealen, gothic-ähnlichen Arrangements an Kate Bush oder Siouxsie and the Banshees denken, das psychedelisch angehauchte „No One But Yourself“ wirkt, als hätte Hukkelberg das Cure-Album „The Top“ zur Inspiration rauf und runter gehört. Mit „Crack“ und dem norwegisch gesungenen „Bygd til by“ klingt „Blood from a Stone“ fragil und verträumt aus – wobei Hanne Hukkelberg das Lebhafte, Lebendige der Eingangssongs fast besser zu Gesicht steht.
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The Long Blondes: Singles
The Long Blondes, 2004 in Sheffield gegründet, sind eine Band voller Widersprüche, die schon damit beginnen, dass sich keine einzige große Blondine in dem Quartett befindet: Sängerin Kate Jackson, Bassistin Reenie Hollis und Keyboarderin Emma Chaplin sind brünett, die beiden männlichen Bandmitglieder, Gitarrist Dorian Cox und Drummer Screech ebenso. Trotz ihrer Jugend orientieren sich die Long Blondes modisch und musikalisch an vergangenen Zeiten, Phil Spectors, rüder Punkrock der Siebziger und Bands wie Blondie standen Pate für ihr smartes Retro-Konzept, Kate Jackson zeigt sich stilbewusst stets in Kostümen á la Jackie O.
Überlegungen, ob The Long Blondes nun in die Nullerjahre passen oder hoffnungslos altmodisch sind, spielen keine Rolle, wenn man ihre Musik hört: zwei Longplayer sind bisher erschienen, „Someone to Drive You Home“ (2006) und „Couples“ (2008), die vor allem in England sehr erfolgreich waren und der Band zu weltweiten Tourneen verhalfen. Kate Jacksons Gesang ist kühl, distanziert und voller erotischer Untertöne, die Band zaubert aus knackigen Wave-Funk-Bassläufen, punkigen Gitarren und wilden Keyboardeinlagen elegante Popmelodien. Hits wie „Giddy Stratospheres“, die Hommage an Warhol-Superstar Edie Sedgwick, „Lust in the Movies“ oder die mitreißende Neuinterpretation des Märchens von den beiden Königskindern, „Separated by Motorways“ versprechen durchtanzte Clubnächte und wilde Konzertabende, bei denen Kate Jackson garantiert die Kostümjacke in die Ecke feuert. Die Compilation „Singles“ beinhaltet – wer hätte das gedacht? - alle bis dato veröffentlichten Singles der Band und ist ein schöner Einstieg für Nichtkenner der Long Blondes.
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Sinéad O'Connor: I do not want what I haven't got
Sie war die berühmteste Heulsuse der frühen neunziger Jahre: die Irin Sinéad O'Connor wurde durch ihre Coverversion von Prince' „Nothing Compares 2U“ zum MTV-Star, vor allem wegen des emotionalen Videos, in dem Sinéads echte Tränen flossen. Es ist ein bisschen schade, dass O'Connor bis zum heutigen Tage ausschließlich mit „Nothing Compares 2U“ in Verbindung gebracht wird, denn sowohl ihr künstlerisches Oevre als auch ihre Persönlichkeit sind intensiverer Beachtung würdig. 1987 erschien ihr Debütalbum „The Lion and the Cobra“, die Single „Mandinka“ wurde zu einem Achtungserfolg, zu dem ihr ungewöhnlich martialisches Äußeres gewiss seinen Teil beitrug: schon damals trat sie mit Glatze und Springerstiefeln auf, der Kontrast zu ihrer glockenklaren Stimme und den anspruchsvollen Kompositionen war frappierend. Sinéad O'Connor stammt aus einer erzkatholischen Familie, ihr gesamtes Werk ist vom Kampf gegen kirchliche Bigotterie geprägt (bei gleichzeitiger Tiefgläubigkeit O'Connors), so prangerte sie vehement priesterlichen Kindesmissbrauch an, was bis zu ihrer Exkommunizierung führte. Auch ihre eigene Erfahrungen mit familiärer Gewalt und Missbrauch machte sie stets zum Gegenstand ihrer Texte, weshalb sie nie zur leicht vermarktbaren Mainstreamkünstlerin werden konnte – bis eben zu „Nothing Compares 2U“. EMI veröffentlicht nun zum knapp 20-jährigen Jubiläum eine Luxusedition des Albums „I do not want what I haven't got“, auf dem sich neben dem omnipräsenten Hit weitere wichtige Songs wie „The Emperor's New Clothes“, „Three Babies“ und „The Last Day of our Acquaintance“ befinden. Die Bonus-CD beinhaltet Coverversionen von „Night Nurse“, Cole Porters „You Do Something to me“ und John Lennons „Mind Games“, dazu B-Seiten und zwei bislang unveröffentlichte Songs.
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Michelle Ann Abate: Tomboys. A Literary and Cultural History Temple University Press geb., 388 S., £20.99 » temple.edu
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Tomboys. A Literary and Cultural History
Mitte April erschien in der Wochenzeitung freitag ein Artikel von Christine Käppeler, in dem sie die Frage stellt, wo denn heutzutage die Tomboys hin seien – selbst in konservativen Kinderbüchern wie Enid Blytons „Fünf Freunde“ hätte es stets „unweibliche“ Mädchenfiguren gegeben wie Georgina alias George, die nicht nur jungenhaft aussah, sondern es auch in punkto Bäumeklettern und Raufen mit ihren männlichen Spielkameraden aufnahm. Heutige role models für Mädchen in Film, Literatur und TV-Serien sind superweiblich, zuckersüß-pink und prinzeßchenhaft gestylt (siehe Figuren wie Prinzessin Lilifee) - kurzhaarige Hosenträgerinnen: Fehlanzeige. Ob dieses Phänomen rück- oder fortschrittlich ist, müssen GenderforscherInnen debattieren. Fakt ist, dass flachbrüstige Hollywoodschauspielerinnen mit kantigen Gesichtszügen wie Hilary Swank und Jamie Lee Curtis absolute Ausnahmen sind, auch im Erwachsenenfach regiert die vollbusige Lolita. Die Anglistikprofessorin Michelle Ann Abate geht in ihrem Buch „Tomboys. A Literary and Cultural History“ auf Spurensuche nach unweiblichen Mädchenfiguren in Film und Literatur: so definiert sie Tatum O'Neals Rolle in „Papermoon“ als typische Tomboy-Verkörperung und führt eine Reihe (amerikanischer) Literaturbeispiele an. In Willa Cathers Romanen „O Pioneers!“ und „My Antonia“ tauchen wilde Jungs-Mädchen ebenso auf wie bei Carson McCullers („The Member of the Wedding“) und Louise May Alcott („Little Women“). Im Schlusskapitel zeigt Abate den Weg der Tomboys in die Neuzeit: sie skizziert Strömungen wie Queer Cinema, Riot Grrrlism und moderne Literatur unter Berücksichtigung eines weißen Rassismus, der schwarze Frauen resp. Tomboys in besonderem Maße ausgrenzt.
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Tracey Emin: Strangeland
Die 1963 geborene britische Konzeptkünstlerin mit türkischen Wurzeln hätte vor zehn Jahren beinahe den renommierten Turner-Prize gewonnen: ihr berühmt-berüchtigtes Werk „My Bed“ schaffte es zwar dann doch nicht, erhielt aber einen Platz in der Turner-Ausstellung. Andere Werke wie „Everyone I ever slept with (1963 – 1995)“, ein Zelt mit den aufgestickten Namen all ihrer BettgenossInnen zeigten zwar keine benutzten Kondome und blutbefleckte Unterwäsche, wirkten aber nicht minder skandalös als Emins ungemachtes Bett. Bei keiner anderen Künstlerin sind Werk und Leben so untrennbar miteinander verbunden wie bei Tracey Emin, die keine Tabus zu kennen scheint und doch so sensibel und verletzbar ist wie selten jemand im abgezockten Kunstbetrieb. Ihr Buch „Strangeland“, das vor zwei Jahren in England erschien, ist nun in deutscher Übersetzung bei Blumenbar erhältlich. „Strangeland“ ist keine durchgehende Biographie, sondern besteht aus vielen kurzen Texten, zusammengefasst in drei Teile: Motherland, Fatherland, Traceyland. Die Motherland-Texte handeln von ihrer Kindheit und Jugend im englischen Badeort Margate, früher Alkoholismus und Vergewaltigungen kontrastieren heftig mit Erinnerungen an kindliche Vergnügungen mit ihrem Bruder im elterlichen Hotel. In Fatherland erzählt sie von der späten Annäherung und Aussöhnung mit ihrem türkisch-zypriotischen Vater, der die Mutter kurz nach Traceys Geburt verließ, bestimmendes Thema in Traceyland ist ihr Kinderwunsch und die gleichzeitige panische Angst vorm Muttersein, mehrere Abtreibungen und drogeninduzierte Abstürze sind die Folge. Tracey Emin schont weder sich noch ihre Leser, doch sie zielt nie bewusst auf Tabubruch und Skandal: ihre Texte bieten Einblicke in ein Leben, für das die meisten Menschen zu schwach wären. Emins Rettung ist die Kunst – um die es in „Strangeland“ so gut wie überhaupt nicht geht, denn die Texte sind Teil ihrer künstlerischen Arbeit und befinden sich zum Grossteil im Besitz von Sammlern. Außer der „Strangeland“-Texte, die Emin eigens für dieses Buch zusammengestellt hat.
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