Fünf Uhr nachmittags in einem kleinen Straßencafé in der Mainzer Straße im Bezirk Berlin-Friedrichshain. Wenige Stunden vor seinem DJ-Set bei den Dubstep Standarts und am Vorabend von Bass The World begegne ich Phokus. Mir gegenüber sitzt ein entspannter Endzwanziger in der Sonne. Der Musikproduzent sorgt seit 2006 als Teil der deutschen Grime- und Dubstepszene für Aufsehen. Er ist im Verbund der WOBWOB!-Crew Hamburg zu einem der wichtigsten Protagonisten des kontinentalen Dubstep geworden.
Christian Ogrinz: Bei vielen Künstlern geht der Anfang ihres Schaffens einher mit einem besonderen Moment in der Erkenntnis ihrer Kunst. Oft ist das noch nicht einmal etwas Spektakuläres. Wie hast Du angefangen? Wie bist du zur Musik gekommen, oder ist die Musik zu Dir gekommen?
Phokus: Solange ich zurückdenken kann, hat Musik für mich eine Rolle gespielt. Aber ich möchte lieber nicht sagen, was ich früher mal für gute Musik gehalten habe. Jedenfalls habe ich irgendwann von einem Freund meines Bruders Schlagzeugunterricht genommen und in verschiedenen Bands als Drummer gespielt. Meist ging es dabei in Richtung Punk.
Als meine Eltern endlich einen Computer angeschafft hatten und ich mir im Winter auf einem alten Skateboarddeck im Schnee den Arm gebrochen hatte, besorgte ich mir von einem Kollegen Sachen wie Fasttracker 2 und fing an, meine ersten Pfade in der elektronischen Musik zu beschreiten. Ich habe von Anfang an ausschließlich mit dem Computer produziert, was sich bis heute nicht geändert hat. Vor einigen Jahren habe ich zwar einem Kumpel seinen Synthie abgekauft, der dient allerdings nur noch als MIDI-Keyboard. Natürlich habe ich verschiedene Arbeitsweisen und Tools ausprobiert, aber externe Gerätschaften oder sowas sind nicht dazugekommen. (zuckt die Achseln) Ich kenne es nicht anders, da vermisse ich das Drehen an echten Knöpfchen oder die „Seele“ von meinen Lieblingssynthies erst gar nicht.
CO: Deine Anfänge verlieren sich im Dunkel der Kindheit, du hast Wurzeln im Punk, einem wichtigen Wegweiser der neuen elektronischen Musik seit den 80er Jahren. Als Drummer hattest du zudem wie selbstverständlich ein Bein auf dem Dancefloor. Wie hast du Zugang zu der Musik gefunden, die Du heute machst?
Diskographie
- Phokus feat. Tinchy Stryder & Dirty Danger: Dem All Shot (12") (MG77 Recordings) 2006
- Jazzsteppa: Five (Phokus-Remix) (12") (MG77 Recordings) 2008
- Phokus: Da Loot (12") (Sozialistischer Plattenbau) 2007
- Phokus & The Next: Smoke Ganja (12") (Sozialistischer Plattenbau) 2008
- Phokus & TheNext: Inta (7") (Police in Helicopter) 2008
- Phokus: Mash Up Di Place (MP3) (Police in Helicopter) 2008
- Mahanee feat. Solo Banton: No Joke Ting (Phokus-Remix) (12") (Police in Helicopter) 2009
- Phokus & MrBoogie & TKR: BigUp! (12") (Scrub A Dub) 2009
Erscheint Juni 2009:
- Phokus & Mr Boogie: The Infect (12") (Police in Helicopter)
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P: Bevor ich mich mit Musik um die 140 bpm beschäftigt habe, war ich eher schneller unterwegs. Genauer gesagt habe ich Drum’n’Bass-Tracks produziert. Irgendwann hat sich der vorherrschende Drum’n’Bass-Sound, jedenfalls der, den es in Hamburg auf den meisten Parties zu hören gab, in eine Richtung entwickelt, mit der ich nicht mehr allzuviel anfangen konnte. Die Elemente, die mich ursprünglich so für den Sound begeistert haben, sind stark in den Hintergrund getreten, und die Stimmung ist immer aggressiver geworden.
Zu der Zeit habe ich viel Internetradio gehört und bin als erstes auf Grime gestoßen, was in mir sofort ähnlich euphorische Gefühle ausgelöst hat wie die ersten Jungle-Tunes, die ich gehört habe. Ich habe auch vorher schon immer mal wieder in solchen Geschwindigkeiten experimentiert und mich ab diesem Zeitpunkt völlig darauf konzentriert. Das erste Ergebnis war die 12" auf MG77 (Dem All Shot).
Außerdem hatte ich seit einiger Zeit aufgehört, Platten zu kaufen, was sich ab dem Moment schlagartig änderte. Ich habe viele Grime- und Dubstepmaxis gekauft und angefangen, alle miteinander zu mixen, was mir einen Riesenspaß gemacht hat!
CO: Das ist jetzt eine gute Zeit lang her. Wie schätzt du die Situation von Grime und Dubstep heute ein? Ist nicht Dubstep ein de facto Massenartikel geworden, dagegen Grime in seiner zumindest anfänglichen Außenseiterposition verhaftet geblieben? Und die bedrückendste aller Fragen: Herrscht Jahre nach dem Aufbruch bereits Ernüchterung?
P: Das Gefühl habe ich nicht. Eventuell muss man zwischen Dubstep und Grime unterscheiden, richtige Hammer-Grime-Tracks sind in letzter Zeit relativ schwer zu finden. Ich finde schon, dass die Grime-Szene 2006/2007 sehr viel mehr Interessantes hervorgebracht hat, was aber einfach zum großen Teil damit zusammenhängt, dass sich viele UK-Grime-Artists immer mehr im Chartspop-Bereich bewegen und immer weniger neue Dinge ausprobieren als noch vor zwei Jahren, dass sie im Gegenteil sogar Popelemente in ihre Tracks übernehmen, damit sie im Chartskontext besser funktionieren.
Im Bereich Dubstep gibt es immer noch neue Entwicklungen, und die Leute probieren alles Mögliche aus. Darin besteht ja auch der große Reiz: Es ist möglich, nahezu alle musikalischen Einflüsse im Dubstep zusammenzuschmelzen. Und genau das passiert nach wie vor, wodurch immer noch ungehörte, neue Kombinationen entstehen.
CO: Welche Perspektiven eröffnen sich für Dubstep? Welche Gefahren gibt es? Welche Chancen kannst du sehen? Kannst du Strategien erkennen, vielleicht sogar den unsäglichen Hype? Anders gefragt: Lässt sich so etwas wie Dubstep überhaupt hypen?
O: In letzter Zeit tauchen vermehrt Pop-Dubstep-Remixes auf. Natürlich besteht die Chance, dass es immer weiter wächst und mehr und mehr Leute Dubstep kennen und mögen, andererseits gibt es wie immer die Gefahr des großen Ausverkaufs. So wie einige Zeit in jedem zweiten Werbespot Drum’n’Bass im Hintergrund lief. Nur die Drums, ohne die Basslines, weil man die im Fernsehen nicht hört. (schüttelt den Kopf)
Ich habe aber den Eindruck, dass sich die meisten Protagonisten der Szene einig sind, dass es Dubstep nicht gut tun würde, wenn auf einmal Verkaufszahlen und nicht die Innovation bzw. die Funktionalität auf dem Dancefloor zum schlagenden Argument werden. Die Dubstep-Szene selbst ist sehr stark über Internetforen, Instantmessenger und Social-Networking-Plattformen vernetzt, so dass es Außenstehenden schwer fallen dürfte, sich dort zu positionieren und einen Hype zu starten. Und auf den Fernsehsound bezogen: Wenn man bei Dubstep die Basslines und Subbässe weglässt, bleibt nicht mehr viel übrig. (grinst)
Phokus Live:
- 15.05.09 Amon Tobin – Two Fingers Afterparty, Amsterdam
- 21.05.09 Kubik, Hamburg
- 05.06.09 Police In Helicopter Labelnight, Freiburg
- 12.06.09 Bass The World, Berlin
- 13.06.09 Dub Fi Dub, Potsdam
- 20.06.09 Dubwars, Heilbronn
- 26.06.09 Fusion Festival
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CO; Was vom Dubstep übrig bleibt ... Schauen wir in die Zukunft: Mit wem arbeitest du aktuell zusammen, welche Projekte verfolgst du, und wo kann man dich live/als DJ erleben?
P: Mit The Next aus meiner Hamburger Nachbarschaft arbeite ich seit Drum’n’Bass-Zeiten zusammen. In letzter Zeit bin ich oft mit Mr. Boogie aus Potsdam mit b2b-DJ-Sets unterwegs, und wir haben auch einige gemeinsame Tunes produziert.
Außerdem fertige ich Remixe für verschiedene Leute an, z.B. Jazzsteppa, Mahanee ... oder Spillsbury, ein Mitglied meiner letzten Punkband.
Ich plane im Augenblick mit MC Bandog von Killainstinct, Grime-Tunes zu produzieren. Interessant, mal typische Britcore-Vocals mit Grime in Verbindung zu bringen ... wir werden hören, ob es funktioniert (schmunzelt)
In Hamburg veranstalte ich mit ein paar Kollegen die regelmäßigen WOBWOB!-Parties im Hafenklang, da kann man mich immer treffen.
Hier sind meine aktuellen Termine.
Vielen Dank für das Gespräch!